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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Karfreitag, 29.03.2013

Predigt zu Matthäus 27:33-50, verfasst von Angela Rinn

 

 

Liebe Gemeinde,

das ist ein schreckliches, ein tödliches Spiel. Es läuft - scheinbar - nach klar festgelegten Spielregeln ab: Einer wird verraten, verhört, mit falschen Zeugenaussagen belastet, gefoltert, verurteilt, öffentlich erniedrigt und hingerichtet. Matthäus erzählt journalistisch distanziert: ein Bericht des Grauens. Wirkliche Neuigkeiten gibt es nicht. So ist der Mensch zu seinesgleichen.

In der Tat: An diesem Spiel hat sich wenig geändert seit 2000 Jahren. Höchstens, dass heute meistens nicht mehr öffentlich gefoltert wird, sondern hinter verschlossenen Türen. Aber auch heute noch werden Zeugen gekauft, Todesurteile verkündet, noch heute wird öffentlich hingerichtet. Heute noch werden Menschen entführt, ihrer Rechte beraubt, vor laufenden Kameras erniedrigt oder sogar getötet. Heute noch werden Menschen ihrer Ehre beraubt, im Internet bloßgestellt, gemobbt. Selbst Jugendliche quälen einander. Kindersoldaten schießen auf wehrlose Menschen.

Klar festgelegte grausame Spielregeln sind das: Menschliche Spielregeln.

Einer legt die Spielregeln fest. Seine Stimme hört Christus aus der Menge der Stimmen, die ihn verhöhnen. Es ist die Stimme seines Versuchers, erinnert an das, was er ihm in der Wüste anbot, erinnert an den Anfang: Bist du Gottes Sohn, so verwandle diese Steine in Brot. Wenn du Gottes Sohn bist, dann wirf dich von der Zinne des Tempels und die Engel werden dich retten. So klang es damals, verführerisch. Jetzt klingt es höhnisch. Er hat Gott vertraut, der erlöse ihn nun. Hilf dir selber, wenn du Gottes Sohn bist, und steig herab vom Kreuz.

Wie nahe läge es, in diesem grauenvollen Sterben zu verzweifeln und als scheinbar einzige Rettung den anzubeten, der in der Wüste versprach: Wenn du mich anbetest, dann gehört dir die Welt.

Der Versucher, er bestimmt - scheinbar - die Spielregeln. Aber weder in der Wüste noch am Kreuz geht Jesus auf ihn ein. Am Kreuz bleibt er ganz stumm, antwortet nicht einmal auf die teuflischen Stimmen, die ihn verhöhnen, lächerlich machen, erniedrigen. Seine letzten Worte sind ein Gebet: nicht an den Teufel gerichtet, sondern an seinen Vater im Himmel. Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Ein tödliches Spiel, mit starken Spielregeln, gegen die kein Mensch ankommt. Wehe denen, die es versuchen. Allein die Hybris, mit eigener Kraft dagegen anzugehen, trägt schon den Keim des Teuflischen in sich. Mit unserer Macht ist nichts getan. Die es versuchen, scheitern bitter. Der Hahnenschrei erinnert Petrus daran. Selbst der Frau des Pilatus gelingt es nicht, das Unheil aufzuhalten, dabei hatte sie doch sonst das Ohr ihres Gatten. Ihre Warnungen verhallen ungehört. Wir sind gar bald verloren, wenn wir uns auf uns selbst verlassen. Das Gute, das wir wollen, das tun wir nicht, aber das Böse, das wir nicht tun wollen, das tun wir. Das ist eine der Spielregeln.

Ein grauenhaftes Spiel. Doch die Spielregeln, auch das erzählt der Evangelist Matthäus ganz unaufgeregt, werden aufgebrochen. Denn Jesus folgt diesen Spielregeln nicht.

Er spielt das Spiel Gottes. Er betet. Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen. Das ist mehr als der Schrei eines Verzweifelten. Das ist ein Gebet für die ganze Welt gegen den, der die Spielregeln der Welt festlegt. Noch sterbend ist Jesus nicht in sich selbst verkrümmt wie alle Menschen, die sich krümmen in den Fesseln dieses tödlichen Spiels, noch sterbend kann er sich ausrichten auf Gott. Und beten. Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.

Dann stirbt Jesus mit einem Schrei. Einem Schrei, der in allem Leid, auch triumphiert. Jesus ist sich selbst und Gott treu geblieben, gegen alle grausamen menschlichen Spielregeln setzt er alles auf eine Karte. Und gewinnt, auch wenn es zunächst ganz anders aussieht.

Jesus gewinnt anders, als Menschen es sich vorstellen. Er steigt eben nicht vom Kreuz, er leidet tatsächlich unter seiner Folter und stirbt, allein, fern aller Menschen, die ihn lieben, umgeben von Bösartigkeit, die ihm, dem Sterbenden, ekelhafte Galle als Getränk reicht. Er stirbt verachtet, entehrt wie alle Hingerichteten. Doch er stirbt mit einem Gebet als letztem Wort. Und mit einem Schrei, der die Spielregeln der Welt zerreißt.

Wenn die Spielregeln der Welt außer Kraft gesetzt werden wird es turbulent. Der Vorhang des Tempels zerreißt, Tote steigen aus ihren Gräbern, ein Erdbeben erschüttert das Land. Bilder dafür, dass die Welt aus den Angeln gehoben wird. Und diejenigen, die die absurde Aufgabe haben, diese Situation im Griff zu haben und zu bewachen, begreifen: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen. Die Spielregeln haben sich geändert.

Haben sie sich geändert? Erdbeben erschüttern nach wie vor, Menschen werden gefoltert und hingerichtet, Zeugen gekauft und wichtige Warnungen verhallen ungehört. Und wir alle, ohne Ausnahme, müssen sterben. Das sind die ewigen Spielregeln. Tatsächlich?

Während der Vorhang des Tempels zerreißt, zerreißen die Spielregeln des Teufels. Es zerreißt die Spielregel: Gott ist bei den Siegern, es zerreißt die Spielregel: Tot ist tot. Es zerreißt die Regel, dass jeder bekommt was er verdient. Es zerreißt die Regel, dass Unrecht siegt. Es zerreißt die Spielregel, dass Gott fern ist, in jenseitigen Welten getrennt von seinen Menschen. Es zerreißt die Regel, dass wir alles allein schaffen müssen und auf uns allein gestellt sind. Diese Regeln zerreißen mit dem Schrei des Gekreuzigten, zerreißen mit dem Vorhang des Tempels, der das Allerheiligste vom Volk trennt. Wir sehen Gott ins Angesicht.

Gott hat eine andere Spielregel, und seine Karte sticht die des Teufels. Gott weist auf den, der alles auf seine Karte setzt, der sich, sterbend, nicht beirren lässt und betend und schreiend bei ihm bleibt und sagt: Dieser Mensch bin ich.

Und so zerbrechen am Kreuz die Spielregeln des Teufels. Es stimmt eben doch nicht, dass jeder Mensch einer Versuchung erliegt, dass jeder zuletzt den Fürsten der Welt anbetet. Meine Spielregel gilt zuletzt, sagt der Teufel. Macht, Ehre und Reichtum, das sticht immer, das muss jeder anerkennen. Das ist aber, seit diesem Karfreitag, nicht mehr die Spielregel der Welt. Und zerbirst wie die Gräber damals in Jerusalem, zerreißt wie der Vorhang im Tempel. Diesen Mann am Kreuz hat der Teufel nicht zerbrechen können. Und daran zerbricht sein Allmachtswahn, aber auch der Allmachtswahn aller Menschen, die nach seinen Spielregeln das Leben und den Tod spielen.

Denn: So anspruchsvoll ist der am Kreuz schon. Er starb nicht exklusiv für sich, er starb für diese Welt. Sein Gebet erstreckt sich auf die Welt, sein Schrei lässt den Vorhang zerreißen, der Menschen von Gott trennt.

Es bleibt ein Schrei. Es ist auch zum Schreien, so wie alles menschliche Leid zum Schreien ist, wie es zum Schreien ist, dass Menschen elend zugrundegehen, einander quälen, die Schöpfung zerstören, erbarmungslos foltern und erniedrigen.

Es ist zum Schreien, mit einem Schrei, der die Welt erfüllt und zum Himmel dringt. Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.

Amen.

 



Pfarrerin Dr. Angela Rinn
Mainz
E-Mail: AngelaRinn@t-online.de

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