Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

11. Sonntag nach Trinitatis, 19.08.2007

Predigt zu Lukas 7:36-50, verfasst von Paul Kluge

 

Liebe Geschwister,

seine Frau ging - mal wieder und ungern - allein zur abendlichen Gemeindeversammlung. Zwar hatte Lukas argumentiert, er müsse dringend an seinem Manuskript arbeiten, und das freute sie eigentlich. Ihr gefiel nämlich gar nicht, dass Lukas von seinem Auftraggeber Theophilus immer wieder neue Vorschüsse erbat und erhielt, sich mit seiner Arbeit aber viel Zeit ließ. Und weil er sehr gründlich arbeitete, brauchte er ohnehin länger als andere. Allerdings hatte seine Frau ein wenig den Eindruck, Lukas benutze seine Arbeit auch als Ausrede. Denn er mochte keine Versammlungen, in der alle sich zu Wort melden konnten. Besonders solche, die nichts zu sagen hatten, machten davon gern Gebrauch. Aber: Von der  Arbeit abhalten wollte sie ihn auch nicht.

Also ging sie allein, kam - wie immer - etwas zu spät und fand ziemlich weit hinten Platz neben einer jungen Frau. Sie kannte sie nicht und musterte sie aus den Augenwinkeln. Etwas auffällig gekleidet, stellte sie fest, und etwas grell geschminkt. Etwas zu viel von billigem Parfum. Aber immer noch angenehmer als die zerlumpte Gestalt, die am Eingang lag und bettelte, einen Krug Wein neben sich. Da wusste man gleich, wofür der das Geld ausgab. Also hatte sie ihm nichts gegeben, ihn aber zum gemeinsamen Essen nach dem Treffen eingeladen.

Die Versammlung verlief wie immer: nichts Neues, nichts Interessantes, und die sich zu Wort meldeten, erzählten, was sie immer erzählten. Sie beneidete ihren Mann, der gemütlich zu Hause saß.

Im Verlauf der Versammlung war die junge Frau neben ihr immer unruhiger geworden, und als der Versammlungsleiter schließen wollte, fragte die Frau mit tiefer, weicher Stimme, ob sie noch etwas fragen dürfe. Alle blickten sich um, einige Männer liefen rot an und machten sich klein, der Versammlungsleiter rollte die Augen, gab ihr aber das Wort.

Sie habe gehört, begann die junge Frau, dass in dieser Gemeinschaft willkommen sei, wer käme, und dass die eigene Vergangenheit keine Rolle spiele, man also neu anfangen könne. Und genau das wolle sie, weil sie das Leben, das sie jetzt führe, nicht mehr aushalte. Durch ihre Tätigkeit habe sie zwar Kontakt zu allen Gesellschaftsschichten, müsse selber aber immer am Rande der Gesellschaft leben. Nun wolle sie eine ehrliche Arbeit suchen und unter ihr bisheriges Leben einen Schlussstrich ziehen. „Könnt und wollt ihr mir dabei helfen?" fragte sie abschließend.

Es entstand eine kurze Stille, dann schlug der Versammlungsleiter ihr vor, doch erst einmal die Gemeinde näher kennen zu lernen und - bei gegenseitigem Interesse - demnächst am Taufunterricht teilzunehmen. Dann lud er sie zum gemeinsamen Essen ein und schloss die Versammlung mit Gebet und Segensbitte.

Die Frau des Lukas sah, wie die junge Frau mit dem Versammlungsleiter zu Tisch ging und beide sich bald intensiv unterhielten. Zu gern hätte sie gehört, worüber die beiden sprachen, saß aber zu weit weg. Dafür konnte sie mit ihren Tischnachbarn über die junge Frau und ihr Vorhaben - oder Ansinnen? - sprechen, und die Meinungen gingen weit auseinander. „Unbedingt!" meinten einige, „Warum nicht?" andere, „Auf keinen Fall" noch andere. Der Bettler vom Eingang kam übrigens nicht zum Essen.

So ging die Frau des Lukas nachdenklich nach Hause. Sie neigte gefühlsmäßig eher zum „Auf keinen Fall," hatte aber andererseits den zerlumpten Bettler, wenn auch vergebens, eingeladen. Dieser Zwiespalt machte ihr zu schaffen, und sie wollte mit ihrem Mann darüber reden.

Der saß an seinem Arbeitsplatz und schlief, ein Buch lag neben ihm auf dem Boden. Sie hob es auf - es war eine Kopie des Markusevangeliums. Lukas hatte es selber abgeschrieben, es fast vollständig für sein Buch übernommen und sich so eine Menge Arbeit gespart. Damit Theophilus das möglichst nicht bemerkte, vor allem aber, weil Lukas bestimmte Ziele verfolgte, hatte er einiges umgestellt und anders geordnet: Er wollt besonders herausstellen, dass Armut für Jesus kein Makel, Reichtum hingegen Verpflichtung war und dass Jesus die gesellschaftlich Ausgeschlossenen in die Gesellschaft zurückgeholt hatte.

Seine Frau weckte ihren leise schnarchenden Mann, der mit einem lauten Schnarcher aufwachte. „Da bist du ja wieder," begrüßte er seine Frau, „wie war's denn?" - „Jedenfalls konnte ich nicht schlafen," antwortete sie spitz und erzählte von der jungen Frau und von ihrem eigenen Zwiespalt.

„Gerade, als du hereinkamst," sagte Lukas, „habe ich über etwas nachgedacht." - „Das war nicht zu überhören," warf seine Frau ein und strich ihrem Mann über seinen kahlen Schädel; „worüber denn?" Lukas langte nach dem Markusevangelium. „Du hast das hier doch auch gelesen," stellte er fest, „hast du irgend etwas von Jüngerinnen gelesen? Dabei weiß ich von meiner Forschungsreise nach Jerusalem, dass es welche gab. Ich habe sogar einige Namen notiert." - „Fang jetzt bitte nicht an zu suchen," mahnte seine Frau, „erzähl lieber, worauf du hinaus willst."

Lukas fuhr fort: „Wie ich feststellen konnte, hat Jesus Männer und Frauen gleich behandelt, hat keine Wertunterschiede gemacht, wie sie in seiner Umgebung üblich waren. Deshalb hatte er auch Jüngerinnen, und die will ich unbedingt erwähnen. Vorher aber brauche ich noch eine Geschichte, möglichst anschaulich, mit der ich zu den Jüngerinnen überleiten kann. Und dann soll da noch das Motiv von der armen Witwe - du erinnerst dich an die Geschichte bei Markus? -  anklingen, also eine Aufwertung der Niedrigen und eine Abwertung der Oberen. Das bringe ich dann ziemlich nach vorn, sozusagen als Leitmotiv durch mein ganzes Buch. Ich habe übrigens einige Frauengeschichten gesammelt, die Markus nicht hat, und die mein Buch zu etwas Besonderem machen. Gefällt dir das?" - „Du schreibst doch nicht für mich," protestierte seine Frau, „sondern für Theophilus, der dich dafür gut bezahlt."

Lukas korrigierte, nicht für Theophilus und erst recht nicht für Geld schriebe er, sondern für Jesus. Was der gesagt und getan habe, gehöre unter die Leute, damit die Welt menschlicher würde. Damit die Oberen ihre Nasen weniger hoch hielten und die Niederen ihre Häupter erhöben; damit die Armen nicht mehr darbten und die Reichen nicht mehr prassten; damit nicht mehr die einen im Dunkel stünden und die anderen im Licht, sondern es für alle gleichermaßen hell würde. - „Nun reg dich mal nicht so auf," bremste seine Frau ihn, „denn erstens habe ich das oft genug von dir gehört, zweitens kennst du die Menschen so gut wie ich, und drittens versuchen wir das doch in unserer Gemeinde zu leben, wenn es auch schwer fällt. Aber du hast recht: Die junge Frau soll aufgenommen werden."

Völlig verdutzt sah Lukas seine Frau an, er verstand nicht gleich, wen sie meinte. Dann begriff er: „Ach so, ja, ja. In so kleine Schritte sind die großen Gedanken wohl umzusetzen, sonst bleiben sie Theorie." - „Oder Utopie," ergänzte seine Frau, und Lukas nickte zustimmend. Dann wollte er noch ein wenig nachdenken; seine Frau riet ihm, doch lieber gleich ins Bett zu gehen, dort schliefe sich besser als am Schreibtisch.

In der Nacht träumte Lukas von einer jungen Frau mit schlechtem Ruf, die Jesus die Füße salbte, auch küsste, und von Pharisäern, die sich darüber aufregten. Nun hatte er seine Geschichte. Amen  

Gebet: Guter Gott, wir treten vor dich mit unserem Gebet und danken dir, dass du Erniedrigte erhöhst und Erhöhte kleiner machst, damit sie untereinander so gleich sind, wie sie vor dir sind. Wir kennen die Versuchung, uns selbst oder andere groß zu machen, dass wir oder sie dem Hochmut erliegen. Auch kennen wir die Versuchung, uns selbst oder andere klein zu machen, dass wir oder sie der Unterwürfigkeit erliegen. Vor beiden Versuchungen bewahre uns, und wo wir erlegen sind, vergib uns.

Guter Gott, wir treten vor dich mit unserem Gebet und danken dir für die Gnade deiner Gerechtigkeit gegenüber uns Menschen. Doch: obwohl wir Gnade und Gerechtigkeit von dir empfangen, sind wir oft ungnädig und ungerecht gegen Mitmenschen und manchmal auch gegen uns. Schenke du uns ein weites Herz und offene Sinne für Menschen, die unseren Vorstellungen nicht entsprechen, dass wir sie annehmen, wie du uns angenommen hast.

Guter Gott, wir treten vor dich mit unserem Gebet und danken dir, dass wir vor dich bringen dürfen, was uns bewegt: Unseren Mangel und unseren Reichtum, unsere Sorgen und unsere Hoffnungen, unsere Lasten und auch, was uns erleichtert. Gemeinsam beten wir zu dir: Unser Vater im Himmel ...

Gesänge: 450, 1 - 3; 294, 1 - 4; 412, 1 - 4; 171, 1 - 4

 



Pastor Paul Kluge

E-Mail: paul.kluge@t-online.de

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