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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Gründonnerstag, 28.03.2013

Predigt zu Exodus (2. Buch Mose) 12:1.3-4.6-7.11-14, verfasst von Rolf Koppe

 

Der Herr sagte zu Mose und zu Aaron im Land Ägypten:... Redet zur ganzen Gemeinde Israel: Am zehnten Tag dieses [ersten] Monats nehme jeder ein Lamm für sein Vaterhaus, ein Lamm auf jedes Haus. Sind aber in einem Haus zu wenig für ein Lamm, sollen er, und wer seinem Haus am nächsten wohnt, eines nehmen gemäß der Anzahl der Leute; wie ein jeder essen kann, sollt ihr auf ein Lamm rechnen... Es sei verwahrt auf den vierzehnten Tag dieses Monats; dann soll man, die ganze Versammlung der Gemeinde Israel, es schlachten zur Abendzeit; vom Blut soll man nehmen und es an die beiden Türpfosten und den Türsturz an den Häusern geben, in denen man es essen wird...So sollt ihr es essen: Eure Lenden gegürtet, eure Sandalen an euren Füßen und euren Stecken in eurer Hand, in Hast sollt ihr es essen - es ist ein Passah - ein Vorbeigehen -des Herrn! Ich will das Land Ägypten diese Nacht durchziehen, um jede Erstgeburt im Land Ägypten zu erschlagen, vom Menschen an bis zum Vieh, und ich will an allen Göttern Ägyptens Gericht halten: Ich, der Herr. Doch das Blut soll euch zugute Zeichen sein an den Häusern, worin ihr seid: Wenn ich das Blut sehen werde, werde ich an euch vorbeigehen (ein Passah halten) - kein Schlag des Verderbens wird euch treffen, während ich das Land Ägypten schlagen werde.

Dieser Tag soll euch zum Gedenktag werden, ihr sollt ihn feiern mit einem Fest für den Herrn; von Geschlecht zu Geschlecht sollt ihr ihn feiern in ewiger Satzung.*


Liebe Gemeinde!

Am vierten Tag der Karwoche, am Gründonnerstag, wird Jesus mit Moses verglichen - durch die Verbindung mit dem Passahfest. So wie Gott seinem Volk durch Moses gebietet, an den Auszug aus Ägypten durch das Schlachten eines Lammes zu gedenken, so gebietet Jesus seinen Jüngern, das Abendmahl mit Brot und Wein zu seinem Gedächtnis zu feiern.

So verschieden die Erzählungen sind, so haben sie doch gemeinsam, dass sie an den Ursprung eines Brauchs erinnern, der für den Glauben wesentlich ist. Das gilt für die Befreiung des jüdischen Volkes aus der Knechtschaft in Ägypten genauso wie für die Gemeinschaft der Christen mit ihrem auferstandenen Herrn. In beiden Traditionen werden die wichtigsten Persönlichkeiten des Glaubens, Moses und Jesus, zu einem wiederkehrenden Festtag und einer symbolischen Handlung in Beziehung gesetzt. Das jüdische Volk gedenkt am Passahfest seiner Rettung durch Mose, den Gesetzgeber, und wir Christen gedenken im Abendmahl an Jesus Christus, unseren Heiland, der sein Leben gegeben hat, damit alle leben können.

Aber sind das nicht zu viele bedeutsame Gedanken auf einmal? Wie sollen wir das alles verstehen, wenn uns doch viele Grundkenntnisse fehlen?

Wir, meine Frau und ich, haben seit kurzem einen jungen Studenten aus China bei uns wohnen. Er studiert Germanistik, kann sich aber nur mühsam im Alltag verständigen. Er ist sehr fleißig und soll die philosophische Hermeneutik „Wahrheit und Methode" von Hans-Georg Gadamer auf die neuere deutsche Literatur anwenden. Wenn man ihn fragt, wie es ihm geht, sagt er „gut" und lächelt dazu. Wenn man ihn fragt, ob er Gadamer verstanden hat, sagt er „ja" und lächelt dazu. Es ist zum Verzweifeln. Oder auch zum Lachen. Jedenfalls prallen zwei Kulturkreise hart aufeinander. Sein deutscher Professor veranstaltete ein Wochenendseminar über die deutsche Jugendbewegung auf der Burg Ludwigstein im Werratal. Und was zeigt uns unser chinesischer Freund? Alte schwarz-weiße Postkarten aus der Jugendstilzeit, auf denen Jungen und Mädchen Volkstänze tanzen und einige nackt sind, weil sie der Natur besonders nahe sein wollen. Auf meine Frage, ob so etwas in China auch vorstellbar wäre, sagt er „nein" und lächelt dazu.

Ich frage ihn, ob er die Bedeutung von Weihnachten kenne und er antwortet „ja" und fügt hinzu, dass gleich danach das chinesische Neujahrsfest gefeiert werde, und lächelt dazu. Aber auf meine Frage, ob er wisse, was „Ostern" bedeutet, lächelt er nur und ist verlegen. Damit reiht er sich in die große Menge von Deutschen ein, die auch so recht keine Ahnung von Ostern hat. Noch als Erwachsene faseln sie vom Osterhasen oder ärgern sich schon als Schüler und Schülerinnen darüber, dass an Karfreitag keine laute Diskomusik gespielt werden darf. Aber im Unterschied zu dem in der chinesischen Kultur aufgewachsenen jungen Mann sind seine Altersgenossen in Deutschland in der Regel getauft, gehen zum Konfirmandenunterricht, wollen auch am Abendmahl teilnehmen und möchten gern, jedenfalls die Mädchen, in der Kirche in Weiß heiraten. Das ist kulturell ein großer Unterschied zu China. Ich habe gehört, dass es dort traditionell kein Wort für Gott gibt und erst die Missionare einen Begriff oder ein Wort dafür eingeführt haben. In vielerlei Hinsicht stehen Christen heute in aller Welt vor der gleichen Herausforderung, nämlich die Übersetzungsaufgabe von der biblischen Tradition hin zur modernen globalen Welt zu bewältigen.

Das ist eine von den großen Erwartungen, die an den neuen Papst Franziskus gerichtet werden, der am 13. März von den Kardinälen überraschend schnell gewählt worden ist und als erster Papst nicht aus Europa stammt. Wenn er, wie auf einem Foto erkennbar, als Erzbischof von Buenos Aires an Gründonnerstag armen Menschen die Füße gewaschen hat, dann spricht daraus die Sehnsucht nach einem einfachen, ursprünglichen christlichen Leben, und die Hoffnung, dass diese symbolische Sprache verstanden wird. In einer Zeit der wachsenden Kluft zwischen Reichen und Armen, dem unvorstellbar hohem Einkommen von vielen Managern und dem nicht ausreichenden Mindestlohn einer wachsenden Zahl von Beschäftigten, möchte man das wünschen, denn längst stimmt etwas nicht mehr im Gefüge der Gesellschaft, schon gar nicht im Blick auf die Elendsgebiete in der Hauptstadt Argentiniens und dem zur Schau getragenen Reichtum dort und anderswo. Die rituelle Fußwaschung am Gründonnerstag ist der Vorschein einer anderen Wirklichkeit. Das Abendmahl wie das Passahmahl sind Einbrüche einer neuen Realität in einer vom Gesetz des Stärkeren beherrschten Welt . Ob die überlieferten Einzelheiten wie das Schlachten eines Lammes noch zeitgemäß sind , wird gerade zwischen strenggläubigen und liberalen Juden in Jerusalem heftig diskutiert.

Juden und Christen dagegen haben in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte gemacht, sich gegenseitig besser zu verstehen. Sie teilen die befreiende Erfahrung von Errettung, die aus dem Gedenken stammt. Die jüdisch-christliche Tradition ist durch den Gottesglauben miteinander verbunden. Die Kirche kann eine Brücke zwischen den Kulturen schlagen, weil sie das Abendmahl ohne Ansehen der Person, ihres Herkommens, Einkommens oder ihrer Klassenzugehörigkeit feiert - so wie der Lutherische Weltbund im Jahr 1978 im südlichen Afrika den Ernstfall des Glaubens gegen die Trennung der Christen am Abendmahlstisch ausgerufen hat. Er hat durch diesen bekennenden Akt mit dafür gesorgt , dass das System der Rassentrennung schliesslich abgeschafft wurde. Wir brauchen Gedenktage, die bis an die Wurzeln reichen und aus denen neue Kräfte erwachsen. Oder negativ gesagt: Wo die Erinnerung an die Kernaussagen der Religionen verschwindet, versiegt auch die Wahrheit und damit die Quelle zur Überwindung von Ungerechtigkeiten. Die Ethik ist im Glauben verankert und nicht der Glaube in der Ethik.

Wenn an Gründonnerstag Jesus mit Moses verglichen wird, dann nicht wegen der Errichtung neuer religiöser Vorschriften, sondern wegen der Deutung der alten. Jedes Mal, wenn vom Wein getrunken wird, spricht Jesus in seiner aramäischen Muttersprache die vorgeschriebenen Gebete. Doch er fügt den überlieferten Texten etwas Neues hinzu. Als er das ungesäuerte Brot, die Matze, austeilt, sagt er: "Nehmet hin und esst: das ist mein Leib". Und als er den Kelch mit dem Wein herumreicht, sagt er:" Trinkt alle daraus, das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für alle vergossen wird zur Vergebung der Sünden". So steht es im 26. Kapitel des Matthäusevangeliums.

Jesus erinnert an den alten Bund, den Gott nach dem Auszug aus Ägypten mit seinem Volk geschlossen hat und gleichzeitig will er einen neuen Bund mit uns schliessen, mit seinen Jüngern und mit allen Menschen. In den Zeichenhandlungen begegnen sich Gott und Mensch. Die unsichtbare Wirklichkeit des Göttlichen wird sinnlich erfahrbar. Das Geheimnis der göttlichen Liebe wird greifbar, sichtbar und spürbar. Amen




Dr. h c., EKD-Auslandsbischof em., Rolf Koppe
37075 Göttingen
E-Mail: koppe.hartmann@gmx.de

Bemerkung:
*(Übersetzung von Stefan Strohm; Göttinger Online Predigt am
5.4.2007)


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