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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Karfreitag, 29.03.2013

Predigt zu Matthäus 27:27,31-50; 51-56, verfasst von Kira Busch-Wagner

 

Wir haben (mit den Versen 31 bis 50 des vorletzten Kapitels im Matthäusevangelium) die letzten Stunden Jesu mit vollzogen bis zum Tod. Ein ganzes Evangelium hat Matthäus auf diesen Moment hingeschrieben. Er hat uns Jesus bezeugt und verkündet als einen großen und authentischen Lehrer. Als einen Schriftgelehrten, der in Vollmacht von Gott spricht.

Vom Berg her legte Jesus, so gibt Matthäus es wieder - die Schrift aus - wie weiland Mose dem Volk die Schrift, die Weisung, die Thora Gottes vom Sinai mitbringt. Jesus lehrte mit der Bergpredigt die große Gerechtigkeit gemäß der Schrift. Rief auf zum gegenseitigen Dienst in der Gemeinde, drängte auf Vergebung und verheißt auf den Spuren der Schrift den Zaudernden und Ängstlichen Trost und Geborgenheit. Matthäus zeigt seiner Gemeinde, zeigt uns Jesus als einen, der seine Jünger mitnimmt auf einen Weg entlang der Schrift, ausgerichtet auf den treuen Gott. Dieser Weg führt Jesus zum Kreuz.

Und jetzt, auf der letzten Strecke dieses Weges, da wird - so verkündet es Matthäus - Jesus selbst ein Teil der Schrift. Da vollzieht im Evangelium sein Leben Stück für Stück die Schrift nach. Der Gang zum Kreuz ist ein deja vu des Schreckens. Man kennt alles - und Jesus muss es noch einmal wortwörtlich durchbuchstabieren..

Wie fleht der Beter etwa im 69. Psalm, wie schildert er Gott seine Not?
Der Eifer um Gottes Haus hat mich gefressen". Eben, das hatten wir bei Matthäus lesen können. Wie hat Jesus sich eingesetzt für den Tempel, für das Gebet.

Die Schmähungen derer, die dich, Gott, schmähen, sind auf mich gefallen" - so Vers 10 im gleichen Psalm. Gott und der Beter, wie nahe rücken sie in der Anfeindung zusammen. Werden Einheit, wie Vater und Sohn. Wie der Gottesknecht und sein Herr. Wie Jesus und sein Gott.

Ich warte, ob jemand Mitleid habe, aber da ist niemand" - auch der Vers des Psalms ist denen aus dem Herzen gesprochen, die den Foltermethoden der Soldaten zusehen müssen, ist Jesus aus dem Herzen gesprochen, der sie erleidt. Seelische Grausamkeit erhöht die körperliche Qual. Die Soldaten sind Arbeiter am Schmerz. Niemand, der Mitleid hätte.

Sie geben mir Galle zu essen, Essig zu trinken." Vers für Vers geht es weiter, Vers für Vers vollzieht Jesus nach dem Zeugnis des Matthäus den Psalm am eigenen Leibe.

Die Verlosung der Kleidung - wir haben im 22. Psalm davon gemeinsam gesprochen. Noch vor dem Tod werden die Reste des Lebens unter die Leute geworfen. Wie eine Karrikatur des Abendmahls, wo es doch hieß: Mein Leib, mein Blut, mein Leben - für euch gegeben. Und jetzt die Hülle, das Kleid, das bisschen Schutz.

Am Kreuz: die Aufschrift „König der Juden". Ja, ein König ist Staatsverrat in den Augen der Römer. Aber auch die jüdische Bevölkerung erinnert sich an vieles, wenn das Stichwort vom König erscheint. König David fällt ihnen ein, ein guter Hirte, den Gott sich von der Herde rief, damit er ein neues Hirtenamt antrete. Als „Sohn Davids" war Jesus immer wieder angesprochen, angerufen worden um Heilung. Als „Sohn Davids" wurde er nach Heilungen tituliert. Als Sohn Davids hatten ihn die Kinder und Unmündigen, eben wieder wie es im Buche, wie es im Psalm steht, in Jerusalem begrüßt. Sie hatten es geplärrt, gesungen, gejubelt, geträllert. Du Sohn Davids. Nervensägen für die Gelehrten und Priester (Mtth 21,15), Gotteslob in den Ohren der Jesusleute.

Jetzt aber, angesichts des Gekreuzigten, da mag den Jerusalemern beim Stichwort „König" eher Jojachin einfallen. Jener König auf dem Thron Davids, den die Babylonier ins Exil schleppten, in den Kerker warfen, oder sein Onkel König Zedekia, der letzte aus dem Hause Davids, den die Babylonier nach einem allerletzten Aufstandsversuch gefangen nahmen und blendeten. Gedemütigte Gestalten, traurige Könige Jerusalems und Judas.

König der Juden: wie sehr führt die Aufschrift den Menschen in Jerusalem vor Augen, dass es wohl nichts mehr werden wird mit einem noch so einem kleinen Königtum. Ach, möge Gott sein Reich doch errichten. Muss man doch fürchten, dass es geht wie 100 Jahre zuvor, als der Hasmoäerherrscher Alexander Jannai massenhaft die Jüdische Intelligenz hat kreuzigen lassen, hunderte von Menschen volksnaher, pharisäischer Denkungsart, zu der ja auch Jesus zu rechnen ist. Hosiannah - o Herr, hilf doch!

Zwei Räuber werden mit Jesus gekreuzigt, Jesus mittendrin. Er wird als Verbrecher geschmäht, als Verbrecher verstanden, unter Verbrecher gerechnet. Semper aliquid haeret. Irgendwas bleibt immer hängen, von dem, was die Leute mutmaßen, verdächtigen, unterstellen.

In der Buchrolle des Propheten Jesaja finden sich die Lieder vom Gottesknecht, von einem, dessen Gottesnähe und Gottesverbundenheit ignoriert wird, weil er nicht so rüberkommt, wie man es von einem Gottseligen denkt. An seinem Äußeren scheitert die Anerkennung. „Keine Gestalt, die uns gefallen hätte", heißt es bei Jesaja im 53. Kapitel, Vers 2. Und am Ende „wird der Gottesknecht unter die Übeltäter gerechnet". So Vers 12 bei Jesaja.

Jesus zwischen den Räubern - ja, sagt Matthäus. Jesus zwischen den Übeltätern, wie wir es vom Gottesknecht kennen, wie wir bei Jesaja lesen. Doch mit dem Jesaja stemmt Matthäus sein ganzes Zeugnis gegen die Unterstellung an. Wenn bei den Übeltätern, so folgert der Evangelist, dann stimmt das andere umsomehr: Jesus -ein Gottesknecht, ein Gotteskind, ein Gottessohn.

Und immer noch ist der Alptraum „deja vu" nicht am Ende. Immer noch geht es Schritt für Schritt weiter in diesem Todeskampf.

Leute kommen vorbei, die die Falschaussagen aus dem Gerichtsprozess jetzt Jesus selbst zuschreiben. Falsche Zeugen, das ist einer der Grundschrecken der Bibel. Du sollst kein falsch Zeugnis ablegen, so der Wortlaut in den 10 Geboten. Nicht die blanke Lüge ist den 10 Geboten das Ärgste. Nein, das falsche Zeugnis, die Unterstellung, die falsche Nachrede. Belügen kann ich immer nur einen nach dem anderen. Mit der üblen Nachrede kann ich die halbe Welt vergiften. Das, was niemand tun soll - Jesus wird es angetan. Er wolle den Tempel zerstören. Den Ort der Gottesbegegnung. Den Ort seines Eifers, das Ziel seiner Wallfahrt. In drei Tagen aufbauen. Jesus hat schon beim Verhör dazu geschwiegen.

Ausgerechnet Schriftgelehrte - aber wer sonst auch könnte so gut aus der Schrift zitieren - ausgerechnet Bibelkundige nehmen aufs Neue Psalmverse (vgl. Ps 91,15; Ps 18,20), um den Sterbenden zu quälen: Wenn Gott Gefallen an dir hat, dann soll er dich doch erlösen.

Als Dank gesprochen, ist richtig, wenn einer sagt: „ich vertraute auf Gott, darum half er mir heraus". Umgekehrt aber bleibt nur boshafte und falsche Logik. "Du siehst: keine Hilfe - also wird Gott wohl nicht viel von dir halten" Falsch ist das, grausam und gehässig. Im 42 und 43 Psalm heißt es über solche Gehässigkeit: „Es war wie Mord in meinen Gebeinen, wenn meine Feinde mich schmähen und sagen: ‚Wo ist nun dein Gott". Die Schriftgelehrten am Kreuz müssen die Stelle kennen. Der schriftgelehrte Jesus erleidet es am eigenen Leib. Den Folterungen der Soldaten schließen sich die Gottesverleugner und Gottesverzerrer mit seelischer Grausamkeit an. Du siehst keine Hilfe - also lässt Gott dich fallen. Das ist falsches Zeugnis über Gott. Gott geht es nicht anders als dem Geschundenen am Kreuz. Das ist des Matthäus besondere Christologie, des Matthäus Lehre von der Verbindung zwischen Gott und seinem Christus: der eine wie der andere falsch bezeugt. Gott kennt, was uns kränkt. Gott selbst ist betroffen. Das ist des Matthäus Trost und Seelsorge an seiner Gemeinde, an uns.

Dann wird es dunkel. Von der sechsten Stunde an, schreibt der Evangelist. Jesus schwinden die Lebenskräfte, schwarz wird ihm vor Augen, und was der Gekreuzigte in sich erlebt, erfüllt seine ganze Welt. Und die unsere.

Finsternis, Dunkel. Ach, wie oft auch davon in den Psalmen die Rede: „Du, Gott ... machst meine Finsternis licht" (Ps 18,29). „Finsternis ist nicht finster" bei dir" (139,12). Matthäus fragt nach unserem Bekenntnis: Was denken wir? Glauben wir, dass Gott bei denen ist im Leid? Matthäus kannte noch nicht die schreckliche Fortsetzungsgeschichte des Karfreitags. Wenn der Tag über Jahrhunderte Angst und Schrecken in die jüdischen Stadtteile Europas trug, Es war Verleugnung Gottes, Verleugnung Jesu aus religiösem Eifer. Öfer aber noch aus Eifersucht, Gewinnstreben, Raffgier. Finsternis über der Erde, über christlichem Abendland.

Eli, Eli, lama asabtani schreit der Sterbende, greift den Vers aus dem 22 Psalm auf, der ihm ganz aus der Seele spricht, der ihm nicht weggenommen werden kann, den keiner gegen ihn zu richten vermag: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Mein Gott: die Beziehung, die Nähe, den Schmerz: niemand kann ihm das nehmen. Nicht in der Trennung. Nicht in der Pein. Eben doch: es ist Jesu Leben, das die Schrift auslegt, das die Schrift erfüllt, das Gottes Wort recht gibt, es bestätigt, mit jedem Atemzug Amen dazu sagt: Ja, so ist es. Zeitlebens hat er die Schrift ausgelegt. Jetzt lebt er sie. Er ist das Wort.

Eli, Eli, mein Gott.

Elia soll kommen? lachen welche. Elia, der Vorbote des Messias, der Bote von Gottes künftiger Welt? Der, der unmittelbar bei Gott ist, von dessen Tod nie die Rede war, der heimgeholt ist zu Gott in einem feurigen Wagen, ein Bote des Himmels? Den Elia ruft er?

Welch ein läppisches Missverständnis offenbar durch heidnische Ohren, die das biblische Hebräisch nicht verstehen. Eli, eli, mein Gott - nicht „Elia". Aber vielleicht haben sie doch mehr recht als jede Sprachenkunde weiß. Vielleicht sagen die Toren unbedacht die Wahrheit. Warum sollte Gott nicht seinen endzeitlichen Boten senden. .

Dann schrie Jesus auf, bezeugt Matthäus. Er schrie auf und verschied.

Lesung Mtth 27, 51-56

Der Tod Jesu wühlt das Unterste zuoberst. Mit dem Vorhang zum Allerheiligsten im Tempel reißt Gott selbst seine Gewand ein, bis heute Zeichen der Trauer an jüdischen Gräbern, Erdbeben erschüttern die Welt. Es sind die alten, biblisch bekannten Zeichen der Theophanie, der Gotteserscheinung. Offene Gräber: Offen-barung.

Jesus, der mit seinem Leben die Schrift sehen lässt, der die Schrift auslegt und Gottes Wort an sich erkennen lässt, bleibt wirksam. Über den Tod hinaus. Gott kommt nah.

Und dann benennt Matthäus die Gewährsleute, die ihm solche Schriftauslegung bezeugen: Der heidnische Hauptmann mit seinen Leuten, die Frauen und namentlich die beiden Marien: die von Magdala und wohl Jesu eigene Mutter, Mutter auch des Jakobus, und dann die Mutter der Zebedäussöhne, die einmal auf besondere Nähe ihrer Söhne zu Jesus in der kommenden Welt gehofft hatte. Es sind nicht die besten Zeugen. Nicht die mit dem besten Leumund. Aber es gilt.

Sie nehmen uns das Wort von der Zunge, noch ehe wir selbst es gesprochen haben. Fügen in Sätze, bevor fie uns nur bewusst sind. Uns, den wackligen, oft unzuverlässigen, unsicheren Kandidaten des 21. Jahrhunderts. Der heidnische Hauptmann spricht es uns vor, deutet die Zeichen der Zeit, die Zeichen, die er sieht. Wahrlich, der ist Kind Gottes gewesen. Der hat die Schrift gelebt. Der hat das Wort gefüllt. Den hielt Gott und hat ihn bewahrt. Mit dem litt Gott und lässt ihn nicht. Der gehörte zu Gott, was auch immer die Verleumder sagten. Den hat Gott nicht im Totenreich überlassen (vg.Ps 16,10); den hat Gott an der rechten Hand ergriffen, um ihn in Ehren anzunehmen (vgl. Ps 73,23ff). Mit ihm ist Gott selbst hinabgestiegen zu den Toten, Gottes Wille ließ ihn auferstehen am dritten Tage und sitzen zu seiner Rechten. Ihm sei Ehre in Ewigkeit. Amen.

 



Pfarrerin Kira Busch-Wagner
76275 Ettlingen
E-Mail: Kira.Busch-Wagner@kbz.ekiba.de

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