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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Ostermontag, 01.04.2013

Predigt zu Lukas 24:13-35 (dän. Perikopenordn.), verfasst von Michael Wagner Brautsch

 

"Wir sind alle wandelnde Enzyklopädien, eingebunden in Menschenhaut" - schreibt der dänische Schriftsteller Ib Michael in einer kleinen Schrift über die Romanfigur aus Moby Dick von Herman Melville, den fürchterlich tatowierten, aber im Grunde so leutseligen Polynesier und Walharpunen-Equilibristen - Menschenfresser usw. Queequeg.

Ja, er war gewaltig tätowiert, und diese Tätowierung war das Werk eines ehemaligen Propheten und Sehers auf der Insel, auf der er geboren war; ein Prophet, der auf Queequegs Körper eine ganze Theorie über Himmel und Erde geschrieben hatte und eine mystische Abhandlung über die Kunst, zur vollen Wahrheit zu gelangen, so dass Queequeg in eigener Person ein Rätsel war, das man zu lösen hatte, ein wunderliches Werk in einem Band, einem Band, dessen Rätsel nicht einmal er selbst zu deuten vermochte, obschon sein eigenes lebendiges Herz von innen her gegen diese Tätowierungen pochte.

"Wir sind in dem Sinne alle wandelnde Enzyklopädien, eingebunden in Menschenhaut." Man kann jeden einzelnen Leib, jedes einzelne Bewusstsein mit voluminösen Werken vergleichen, sie sind voller Sinneswahrnehmungen, die für eben dieses Individuum einmalig sind, und sie werden zu Wissen für jeden, der mit diesem Menschen zusammenlebt. Darum: jedesmal, wenn wir einem Menschen das Leben nehmen - bewusst oder unbewusst, absichtlich oder in achtloser Gleichgültigkeit, stürzen wir ganze Bibliotheken in Schutt und Asche, ohne dass wir und darüber im Klaren wären.

Ostermorgen wachen wir zu dem allerschönsten Morgen auf, denn genau an diesem Morgen bekommen wir ein Unterpfand, dass der Leib aus dem Staub erhoben ist und in der Auferstehung heimgekommen ist - heim zu Gott. Und diesen Morgen begegnen wir IHM - wenn auch unbekannt am Anfang der Wanderung - auf dem Heimweg aus den Osterferien und hinaus in unseren Alltag.

Denn Gott ist in erster Linie dort - nicht in der Kirche an den großen Festtagen. Die Frage ist dann, ob wir IHN wiedererkennen, wenn wir IHM (der Wahrheit, der Liebe, dem Leben selbst) begegnen oder vorübergehen, wenn ER sich an uns wendet, weil wir am liebsten Zeit für und mit uns selbst aufbringen wollen!

Das Ganze lässt sich leicht auf große und schwierige theologische Problemstellungen reduzieren, bei denen man vielleicht Professor der Theologie sein müsste, um sie interessant zu finden. Wie haben wir die Auferstehung zu verstehen? Und vielleicht ist dies gerade der Punkt, an dem die Herausforderung von Ostern beginnt: nämlich dass wir „verstehen" wollen.

Wir können an einem ganz anderen Punkt ansetzen und aus Anlass des großen Evangeliums von Ostersonntag mit einer völlig anderen Frage beginnen: Wer besitzt eigentlich den Leib? Wer besitzt deinen Leib und meinen Leib, den Leib deines Kindes, den Leib deines Feindes? Was darfst du mit diesen Leibern machen - wie können sie dir dienen, dich aufklären, dich inspirieren oder vielleicht auch hemmen?

Wer besitzt den Leib? Wenn wir von der Auferstehung des Fleisches reden sollen und wenn wir in einem Mitmenschen auf unserem Lebensweg dem auferstandenen Christus begegnen, dann müssen wir auch ernst über den Leib reden.

Nach dem Schöpfungsbericht wird der Mensch auf seinen eigenen Leib erst aufmerksam, als er die Einsicht gewinnt, zwischen gut und böse zu unterscheiden. Die verbotene Frucht wird verzehrt, und der Mensch verhält sich nun vor Gott mit Scham zu seinem Leib und zeigt sich nicht mehr nackt.

Im Verhältnis zum anderen Menschen, dem Mitmenschen bedeutet dieses Körperbewusstsein und diese wechselnde Schamhaftigkeit eine Sexualität mit Freuden und Spannung, aber auch mit der Folge physisch außerordentlich schmerzlicher Geburten und einer täglichen Arbeit im Schweiß deines Angesichts, der langsam aber sicher diesen Leib verschleißen wird und ihn am Ende mit ins Grab bringt.

Und über diesem Grab spricht dann der Pastor die Worte: Von Erde bist du genommen, denn du bist von Erde geschaffen, und darauf blies Gott den Odem des Lebens in diesen deinen Körper, so dass du zu einem lebendigen Wesen wurdest.

Zu Erde sollst du werden, denn die Natur wird diese Hülle, diesen Körper, in ihren Zyklus stellen, und das, was von der Hand des Schöpfers aufgebaut und dir gegeben wurde, wird nun zerfallen und wieder vergehen.

Aber von der Erde wirst wieder auferstehen, am Ostermorgen wurde der Tod überwunden, als er zum letzten Mal einen Leib, Gottes eigenen Menschenleib griff und zu spät entdeckte, dass es Gott war, an dem er sich vergriffen hatte: Die Hölle nahm etwas Irdisches, und entdeckte, dass es himmlisch war.

Wer besitzt den Leib? Wir selbst? Können wir, ohne irgend jemandem verantwortlich zu sein, mit unserem Leib tun, wozu wir Lust haben mögen? Können wir ihn hungern lassen oder mästen, ohne dass jemand herkäme und darüber Fernsehsendungen machen und Artikel in Zeitschriften veröffentlichen würde?

Nein, das können wir nicht, und wir können auch nicht ohne Kommentare und Berufsverbot unsere Leiber tätowieren und schmücken oder in sie schneiden und brennen oder an ihnen plastik-operieren. „Unser" Leib gehört uns nicht, sondern er gehört weitestgehend unserer Kultur und unserer Gesellschaft.

Gehört der Leib des Einzelnen in Wirklichkeit der Gemeinschaft? Der Familie, der lokalen Gemeinschaft, dem Land, der Region, dem Weltteil oder der Menschheit? Vereinbaren nicht alle diese Gruppen Konventionen (geschriebene oder ungeschriebene), Gesetze und Regeln, Sitten und Bräuche über unsere Körper, unser Aussehen, unsere Gliedmaßen, unseren Korpus, unsere Organe und Gerippe?

Wem ghört der Leib? - Gott? Was geschieht mit dem Verhälntis zwischen Gott und Mensch, wenn wir am Tisch des Herrn Jesu Christi Leib und Blut essen und trinken?

Die Erzählungen von Jesus sind so körperlich und sinnlich, dass man nie die volle Ausbeute bekommen kann, wenn man einzig auf das Spirituelle und Geistige Wert legt. Gott wurde Fleisch, so dass der Mensch sein Fleisch mit sich zu Gott nehmen konnte. Das heißt Auferstehung; es geschah wirklich für Jesus Christus, und es wird wirklich für uns geschehen.

Sein Grab wurde geleert, und unser Grab wird auch geleert werden - von allem anderen als dem Tod. Der kann bleiben, aber er wird sich selbst und totaler Abgesondertheit und Isolation ausgeliefert sein; am allerweitesten weg von Gott, wo die Hölle ist, weit weg von der Liebe, wo die Gleichgültigkeit wohnt.

Queeqeeg, in dem Roman vom weißen Wal Moby Dick, war Menschenfresser und enorm tätowiert. Wem gehörte sein Körper? Ihm selbst? Denjenigen, die die Zeichen auf seinem Körper zu deuten versuchten? Oder war er Gottes, mit Leib und Seele? Er fuhr yur See, und das Meer ist gleichsam tätowierte Haut, aber wem gehört das Meer?

Wenn man einen anderen Menschen kennen lernt, wird man ständig in gewaltige Geschichten und große Dramen verwickelt. Das heißt, wenn man wirklich versucht, diesen Menschen kennen zu lernen. Und wir schreiben mit an unseren gegenseitigen Geschichten, ½wir brauchen einander und lassen andere uns brauchen. Manchmal lassen wir uns auffressen, und bei anderen Gelegenheiten benehmen wir uns selbst wie Kannibalen.

Unsere Körper werden auch in Gottes Heilsplan gebraucht werden. Wenn Gott Hände hat, dann hat Gott deine Hände, und deshalb schickt ER dich, wenn dein Nächster Not leidet. Jesus Christus ist auferstanden von den Toten, mit Leib und Seele, und deshalb kommt ER uns auf dem Weg nach Emmaus entgegen, auf dem Weg zur Arbeit und zum Alltag, zu Freunden und Feinden, zu Familie und Kollegen, zu Leben mit Faszination, zu Ekel, zu Erotik und Tod.

Jesu Auferstehung am Ostermorgen, und die unsrige, die bevorsteht. „I am all yours, body and soul" - ich bin voll und ganz dein, mit meinem ganzen Leib und meiner ganzen Seele und mit meinem Sinn, so lautet ein alter Jazzstandard. Body and soul, so gehöre ich Dir, Gott, zu, denn Du hast mich geschaffen, und mit meinem Leib will ich Dir dienen, nicht allein in meinen Gedanken, nicht allein mit meiner Seele.

Wir sind alle Glieder des einen Leibes, Jesu Christi, und obgleich wir verschiedene Beschäftigungen haben und verschiedenen Standes sind, so ist der Arm nicht mehr wert als das Auge und die Leber nicht mehr wert als die Nase. Wir sind tätowiert wie Queequeg, mit Kreuz, Anker und blutrotem Herz. Glaube, Hoffnung und Liebe.

Wir kennen nicht den Namen unseres Gottes, wir wissen nur, das ER DER ist, der ER ist - wie wir aus der Erzähung von Mose und dem brennenden Dornenbusch erfahren. Aber Gott kennt meinen Namen, wie das Meer die Namen seiner Ertrunkenen kennt! Das Meer, dessen Oberfläche wie Haut ist, bald glatt wie Samt und blank, bald schäumend, rau und voller tiefer Narben. Eine Haut, die mit schmerzhafter Erfahrung tätowiert ist.

So ist das Meer, so bist du, und so bin ich, und so hat Gott sich für uns offenbaren wollen. Mit Seele und Geist, aber auch mit einem Körper, der hungern und leiden, der gestreichelt werden, der lachen und weinen sollte. Und der Körper war Gottes, denn so hat ER es gewollt.

Und so gehören alle Körper Gott, und darum sollen sie gebraucht werden im Dienst für IHN, und darum sollen alle Körper auf dieser Welt - hungrige und gefolterte, braune und weiße, gesunde und lahme - gleicherweise in Liebe zu IHM respektiert werden, so dass auch wir einer frohen Auferstehung entgegensehen können, wenn wir mit IHM auch aus dem Grabe am Ostermorgen auferstehen werden, dereinst bei Gott im Land der Lebendigen. Frohe Ostern!

Amen




Pastor Michael Wagner Brautsch
DK 6700 Darum v/Esbjerg
E-Mail: mwb@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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