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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Gründonnerstag, 28.03.2013

Predigt zu Exodus (2. Buch Mose) 12:1;3-4; 6-7; 11-14, verfasst von Stefan Knobloch

Eine dichte Lesung wird uns am Gründonnerstag aus Ex 12 bzw. 2. Mose zugemutet. Irgendwie vertraut und doch zugleich fremd. Ohne ihren Hintergrund vor Augen zu haben, erschließt sich uns diese Lesung nur schwer. Aber nicht nur an der Kenntnis des Hintergrunds mag es mangeln. Für unsere Ohren, nach unseren Maßstäben ist die Lesung auch in sich nicht rund, sie ruft unsere Einwände, unser Unbehagen hervor. In ihr fließt viel Blut. Erst das Blut von Opferlämmern, das mag ja noch angehen. Aber dann fließt Blut durch Jahwe selbst, den Gott der Israeliten. Das Blut der Erstgeborenen unter den Ägyptern, bei Mensch und Vieh.

Es wäre verständlich, wenn wir vor all dem zurückschrecken. Denn dazu haben wir es nicht nötig, die Heilige Schrift aufzuschlagen. Blutgetränkte Erde, zerrissene Menschenleiber, Erdkrater, verwüstete Straßenzüge durch Autobomben und Selbstmordattentäter - es sind Bilder, die uns beinahe täglich über die Medien erreichen. Nein, in Ex 12 bzw. 2. Mose 12 geht es nicht um Blut, schon gar nicht um einen blutrünstigen Gott der Israeliten. Es geht um den Prozess der Gottsuche, der Gottfindung und Gottesvergewisserung. Die Israeliten, um Mose geschart, wollen sich ihres Gottes vergewissern. Sie wollen ein Jahwefest feiern, ein Fest ihres Gottes. Ein Fest, das sie in Ägypten nicht feiern können, da Ägypten nicht das Gebiet Jahwes war. Mit der Erzählung in Ex 12 stehen wir in der Zeit des so genannten Henotheismus, des einen Gottes für je nur ein Land. Die Israeliten sind dabei, sich selbst und ihre Freiheit zu finden, indem sie ihrem Gott Jahwe folgen, den sie noch kaum kennen, auf den sie aber ihre Hoffnung setzen, von ihm in eine neue kollektive Freiheitsgeschichte geführt zu werden.

Der ägyptische Pharao will sie nicht ziehen lassen. Er verweigert ihnen, modern gesprochen, die Ausreise. Erst als die ägyptischen Plagen zeigen, welche Macht der Gott Jahwe besitzt, lässt der Pharao das Volk ziehen, irgendwohin, wo sie ihr Jahwefest feiern können. Die treibende Kraft des Ganzen ist Jahwe selbst. Ex 12 blickt auf dieses weit zurückliegende Ereignis zurück, das sich als „Auszug aus Ägypten" in das kollektive Gedächtnis eingeprägt hatte. Daraus entwickelte sich das Fest, das Ex 12 schildert.

Am 10. Tag des Monats Nisan, dem ersten Monat des neuen Jahres - das entspricht nach unserem Kalender der Zeit Ende März/Anfang April - besorgen sich die Familien ein Lamm, das sie am 14. Nisan schlachten. Mit dem Blut des geschlachteten Lammes sollen die Türpfosten der Haustüren bestrichen werden. Dann wird Mahl gehalten, aber in Eile. „Esst hastig!", denn man erinnerte sich an den Aufbruch aus Ägypten. „Diesen Tag feiert zu Ehren des Herrn für alle Generationen." Das Fest war dabei keine bloße gedankliche Erinnerung an die Unbilden des Auszugs; an die Truppen Pharaos, die ihnen nachgesetzt hatten; an das unwegsame Gelände, in dem sich die Israeliten wie ausweglos verloren vorkamen. Doch plötzlich war von den Truppen des Pharao nichts mehr zu sehen. Man war wie durch ein Wunder lebend und heil davon gekommen. Das schrieben sie keinem anderen als ihrem Gott Jahwe zu. Er hatte ihnen beigestanden und er sollte sich ihnen noch deutlicher offenbaren: „Ich bin der Ich-bin-da."

Die festliche Erinnerung an diesen dramatischen Aufbruch aus Ägypten war keine bloß gedankliche Erinnerung. Sie setzte die Rettung durch Jahwe aktuell gegenwärtig. Jede feiernde Gruppe wusste sich vom aktuell gegenwärtigen und rettenden Gott Jahwe umgeben und beschützt, mochten die Lebensumstände auch noch so bedrängend und bedrückend sein. So feierte man Pascha, das Fest der Rettung durch Jahwe.

Zu eben dieser Feier hatte sich Jesus mit den Seinen versammelt. So sehen es jedenfalls die drei synoptischen Evangelien nach Matthäus, nach Markus und nach Lukas. Nach dem Johannesevangelium aber war es ein Abschiedsmahl, aber auch dieses voller Spannung und innerer Erregung. Man spürte, dass sich die Schlinge um den Hals Jesu zuzog. Am allerbesten wusste das Jesus selbst. In seiner verzweifelten Lage, die er vor sich sah, setzt er sein Vertrauen auf die Rettung durch Jahwe, auf die Rettung durch seinen Vater, die in dieser Feier begangen wurde. Was immer im Abendmahlssaal genau geschah, es war sicher nicht so, dass für die Jünger von einem Augenblick auf den anderen eindeutig und klar war, dass sie Zeugen der Einsetzung des Abendmahls geworden waren. Nach „Einsetzung" war es Jesus wohl nicht zumute. Aber er band sich und sein Schicksal an die Gaben der Paschafeier, zumal an das ungesäuerte Brot und den Weinbecher, der beim Paschamahl die Runde machte.

In einer Verknappung und Verkürzung spricht die Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils davon, der Erlöser habe „beim Letzten Abendmahl in der Nacht, da er überliefert wurde, das eucharistische Opfer seines Leibes und Blutes eingesetzt (...), um so der Kirche (...) eine Gedächtnisfeier seines Todes und seiner Auferstehung anzuvertrauen." Aber man darf den Begriff der Einsetzung nicht überstrapazieren. Richtig ist, dass im Abendmahlssaal etwas begann, was von Jesus ausging, was aber erst im Laufe der Zeit, vor allem unter dem Eindruck seiner Auferstehung, mehr und mehr im Glauben verstanden und gefeiert werden konnte.

Bliebe unser Blick beim historischen Moment der „Einsetzung" haften, wenige Stunden vor dem Leiden und Sterben des Herrn, dann liefen wir Gefahr, unsere Abendmahlsfeier gewissermaßen lediglich von dieser Stunde her zu sehen. Das Ereignis aber reichte weit darüber hinaus. Erst der Auferstandene führte die Jünger sozusagen an die ganze Wahrheit und an das Verständnis der Eucharistie heran. Die Feier des Abendmahls stand nun in einem neuen, nach vorne offenen Horizont. Die historische Abendmahlsszene blieb wichtig, aber wichtiger war, dass mit der Auferstehung des Herrn etwas über die Abendmahlsszene hinaus in Gang gekommen und Wirklichkeit geworden war: seine Präsenz, seine Gegenwart in allen Zeiten und Räumen der Geschichte. Seine Gegenwart brachte und bringt eine neue Geschichte hervor.

Das mag unwirklich und blass erscheinen. Wie sollte denn die Gegenwart des Auferstandenen im Lebensalltag zu vernehmen sein? Wie wahrzunehmen sein? Darauf käme es dann doch an. Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten, und gerade darin liegt die Besonderheit. Diese Besonderheit hat einen Verweisungscharakter auf tiefere Zusammenhänge des Lebens, der Wirklichkeit, die hintergründig bleiben, die man nicht einfach ans helle Tageslicht zerren kann. Es kann sein, dass wir für die Präsenz des Auferstandenen als tragendem Grund unseres Lebens blind sind, von ihr nichts wahrnehmen, sie übersehen. Uns gleichwohl auf sie als dem realen Grund unserer Existenz, unseres Lebens einzulassen, darauf käme es an. Dazu lädt der heutige Tag ein, dazu lädt die Feier des Abendmahls ein. Die Feier, die in ihrer Traditionsgeschichte bis auf das in Ex 12 bzw. 2. Mose 12 Erzählte zurückreicht. Darauf sollten wir uns einlassen. Den Versuch sollten wir wagen. Denn Glaube ist immer ein Versuch, ein Prozess, ein Unterwegssein - im offenen Horizont des Auferstandenen.



Prof. Dr. Stefan Knobloch
Passau
E-Mail: dr.stefan.knobloch@t-online.de

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