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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Karfreitag, 29.03.2013

Predigt zu Matthäus 27:33-50, verfasst von Ulrich Kappes

 

 Nachdem wir als Evangeliumslesung für den Karfreitag den Text aus dem Johannesevangelium hörten, ist uns als Predigttext die Schilderung der Kreuzigung nach Matthäus vorgegeben. Sie haben sicher die Unterschiede gehört. Sie sind gravierend.

Der Ort der Kreuzigung hieß „Golgatha".

Wo „Golgatha" eigentlich lag, war Jahrhunderte umstritten. I1I Inzwischen ist recht genau ermittelt, dass sich Golgatha in der Nähe der heutigen Grabeskirche befand. Das heißt: Der Ort lag außerhalb der sog. zweiten Mauer von Jerusalem. Es war ein Steinbruch vor der Stadt, der sich über einen kleinen Hügel erstreckte. Nichts Grünes gab es, keinen Baum und Strauch, nur Steine. Das Kreuz auf Golgatha stand auf einer öden Steinhalde.

 Dort, so heißt es, „kreuzigten sie ihn". Mehr wird nicht gesagt, nur diese knappen und kargen Worte. Wir erfahren nicht, wie Jesus gekreuzigt wurde, von welcher Art das Kreuz war und wie er die überaus großen Schmerzen ertrug. Keinerlei Einzelheiten werden erwähnt. Das befremdet und das irritiert.

 Menschen und Menschengruppen stehen auf den Steinen vor dem Kreuz. Unser Blick wird gerade wegen der Knappheit der Kreuzigungsbeschreibung auf sie gerichtet. Es ist, als wollte der Evangelist sagen: „Schaut sie euch genau an."

 Da sind die Soldaten.

Sie machten ihre Arbeit ... ihr „Handwerk". Dann nahmen sie die Kleidung von Jesus und losten aus, wer was bekommt. Sie haben einen Befehl bekommen und führen ihn aus. Sie waren Teil der Kohorte, welche die Kreuzigung zu realisieren hat.

Die Soldaten repräsentieren eine die Jahrtausende überdauernde menschliche Konstellation. Menschen gehören einer Gruppe an. Sie haben sich diese Gruppe nicht ausgesucht. Der mehr oder weniger zufällige Gang der Ereignisse machte sie zu einem Teil der Gruppe. Sie tun hier etwas, was sie, auf sich gestellt, nicht tun würden. In der Gemeinschaft der Gruppe aber führten sie es durch. Mit der Gruppe wurden sie schuldig.

Der Blick fällt auf eine zweite Gruppe unter dem Kreuz. Es waren die „Vorübergehenden".

Waren die Soldaten abgestumpft und gefühllos, so kamen mit ihnen Menschen nach Golgatha, die nur schnell „was" sehen wollen, um dann ihrem Tagwerk nachzugehen.

Die „Vorübergehenden" erinnerten sich an einen Satz, den Jesus nach dem Zeugnis des Johannesevangeliums nach der Vertreibung der Geldwechsler sagte. Er verglich seinen Körper mit einem Tempel und sprach, auf seinen Körper zeigend, die Worte:

„Brecht diesen Tempel ab und ich werde ihn in drei Tagen aufbauen."

Dieses Wort machte in Israel die Runde und hatte sie erreicht. Ihr Urteil war schnell gefällt. Ihr ganzes Wissen von Jesus bestand aus einem, mal irgendwo gehörten Satz: „Brecht diesen Tempel ab..." Die Vorübergehenden waren Menschen, deren Wissen über Jesus sich auf ein paar wenige, aufgeschnappte Informationen beschränkte.

Die „Vorübergehenden"...wie viel „Vorübergehen", wie viel Oberflächlichkeit kann es im Leben und im Glauben geben? Wie viel Hören - Sagen, wie viel nur Nachgesprochenes?

Oberflächlichkeit beleidigt, ein her genommener Satz wird für das Ganze genommen.

Die Vorübergehenden - wie viel „Vorüber gehen" macht das Leben aus?

Über die Ältesten, Schriftgelehrten und Priester heißt es zwar auch, dass sie ihren Scherz mit dem Gekreuzigten hatten, aber man möchte es ihnen nicht so glauben, treffen doch ihre Fragen, so sehr sie nur hin geworfen sind, ins Mark.

„Andere rettete er, sich selbst kann er nicht retten ... Er hat Gott vertraut, soll der ihn jetzt erretten, wenn er ihn erretten will."

Was sagen sie? Sie sagen, dass es nach der Logik von Religion nicht geht, dass einer Gott vertraut und dann von Gott im Stich gelassen wird. Sie stehen für den Zusammenhang von Leistung und Lohn, von Religion und Lebensvorteil.

Wir werden auf den Hauptteil der Kreuzigungsszene durch diese letzte Menschengruppe eingestimmt. Die nüchterne, karge Sprache wechselt in eine andere Dimension. „In der sechsen Stunde", so heißt es, „setzte eine Finsternis ein. Sie bedeckte das ganze Land" und gemeint ist damit „die ganze Erde". I2I Es ist 12 Uhr mittags und diese Finsternis ist global. Der eben Verspottete oder Verhöhnte ist nur in Umrissen zu sehen. Nach drei Stunden, also nachmittags um drei Uhr, schreit Jesus „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Er schreit noch einmal und stirbt.

Der Bericht des Matthäus - und nebenbei auch der des Markus - läuft auf diesen Satz hinaus. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Es gibt eine Finsternis, die alle Länder der Erde einhüllt und es gibt Jesus von Nazareth, der in Gottesfinsternis schreit.

Matthäus überliefert nicht: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist" und Jesus stirbt auch nicht hoheitsvoll mit den Worten: „Es ist vollbracht". Das Leben des Herrn endet auf Golgatha, einem Haufen wahllos daher liegender Steine.

Was hat ist die Botschaft dieses Sterbens in Verlassenheit?

Es gibt Auslegungen, welche die heraus geschriene Verlassenheit des Gottessohnes nicht gelten lassen. So lautet eine Version, dass das unmöglich in Wahrheit Jesu Worte gewesen sein können, er habe hier vielmehr unter Schmerz und dem Einfluss von Betäubungsmitteln etwas geschrien, was er unmöglich so gemeint haben kann. I3I

Eine ähnliche Auffassung besteht in dem Hinweise darauf, dass es sich ja mit den Worten „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen" um Worte des 22. Psalms handele. Dieser Psalm wird als „Psalm der Errettung" deklariert, so dass Jesus mit dem Gebet des alten Israel heroisch gestorben sei wie Rabbi Akiba.I4I

Was ist die Botschaft, wenn wir diese Auslegung nicht bejahen können?

Ehe ich eine Aussage versuche, stelle ich Fragen:

Kann es sein, dass das Leben Jesu in einem letzten Akt mit einer unbeschreiblichen Intensität offenbart, dass es Zeiten gibt, wo wir einsam und allein sein können, so einsam und verlassen, dass wir uns selbst von Gott verlassen fühlen?

Wir werden nicht Vergleichbares wie er erleiden. Kann es aber sein, dass ich voller Verzweiflung und tiefster Niedergeschlagenheit wie durch eine Schlucht gehe und nichts als die finsteren Wände dieser Schlucht sehe und nichts von Gott fühle? Kann es sein, dass Matthäus mich dann gerade dadurch aufrichtet, dass ich auf die Kreuzigung des Herrn sehe?

Matthäus begann sein Evangelium damit, dass Jesus, der Sohn der Jungfrau Maria, der von Jesaja geweissagte Gottessohn sei. Der Engel sagte es Joseph im Traum: Sein Name ist „Immanuel" - übersetzt „Gott ist mit uns". (Matth. 1,23)

Sein Evangelium über Jesus bekommt mit der Schilderung des Kreuzestodes eine überraschende Wendung, eine zutiefst berührende Ergänzung. Der „Immanuel" genannte Jesus Christus, der „Gott mit uns", erfährt in einer Bitterkeit, für die es keine Worte gibt, dass er ohne Gott ist.

‚Mein Gott, mein Gott ... du bist da, du bist und bleibst mein Gott, ich aber bin hier und jetzt ohne dich!'

Wer seinen Weg mit diesem Jesus von Nazareth geht, soll wissen, so lege ich diesen Text des Matthäus aus, dass Glaube und Nachfolge den tiefen Absturz nicht ausschließen. Glauben und Beten, zu wissen, dass ich zu Gott gehöre, versichern nicht eine Lebensweise, in der es nicht den Fall in ein tiefes, schwarzes Loch gibt.

So ist es, folgen wir dem Evangelisten, nicht mit seinem Evangelium vereinbar, wenn suggeriert wird, dass ein Weg an der Seite Jesu, ein Sich - Hineinversenken in Gott, ein Hineinträumen in Gottes Liebe das grundsätzliche und sichere Ende von Verzweiflung sind. „Der Jünger ist nicht über seinem Meister", hat der Herr einst gesagt. Wahre Nachfolge schließt ein, gleich wie er, Zeiten der Gottesferne, der Gottesfinsternis und Gottesverlassenheit durchschreiten zu müssen. Glauben ist nicht ein Weg über den Wolken, zum Glauben gehören das Fallen und die Ausweglosigkeit. Alles andere sind Versprechungen, die durch die Schrift nicht gedeckt sind.

Das letzte Bild, das Rembrandt gemalt hat, ist ein Karfreitagsbild.I5I Wir sehen Jesus am Kreuz, wie er geradezu starr seinen Kopf nach oben richtet und sich sein Blick in den Himmel bohrt. Unten am Kreuz ringen einige Frauen verzweifelt ihre Hände. Rechts neben dem Kreuz sieht man Gestalten, die zu Jesus gehören.

Die linke Seite, vom Betrachter aus gesehen, ist praktisch leer, nur ein paar hauchdünne Linien deuten schemenhaft Häuser und Menschen an. Diese Seite ist im Verhältnis zur rechten Seite gespenstisch und öde. Nur wer sehr genau hinsieht, erkennt einen fast nicht sichtbaren Strich, einen Millimeter dünn, der vom Himmel auf die Erde kommt. Der Gekreuzigte kann ihn nicht sehen. Er ist hinter ihm.

Der von Einsamkeit und Leid in seinen letzten Lebensjahren gezeichnete Rembrandt schuf diese Federzeichnung. Rembrandts letztes Bild will uns nach meiner Sicht sagen, dass wir uns von Gott so verlassen fühlen können, dass wir nur die Leere sehen, ein weißes Blatt Papier, das in seiner Öde erschreckt. Gott aber ist und bleibt da, auch wenn Herz und Sinne nichts spüren. Er ist da wie eine feine, fast unsichtbare Linie vom Himmel auf die Erde.

 



Pfr. em. Ulrich Kappes
14943 Luckenwalde
E-Mail: ulrich.kappes@gmx.de

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