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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Rogate, 05.05.2013

Predigt zu Matthäus 6:5-13, verfasst von Jürgen Jüngling


 

Rogate oder wie es Jesus mit dem Beten hält

5 Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler, die gern in den Synagogen und an den Straßenecken stehen und beten, damit sie von den Leuten gesehen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. 6 Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir´s vergelten. 7 Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen. 8 Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen. Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet. Darum sollt ihr so beten:

9 Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt. 10 Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. 11 Unser tägliches Brot gib uns heute. 12 Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. 13 Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

 

1. Der heutige Sonntag unter dem Kirchennamen Rogate ist in allererster Linie dem Gebet gewidmet. Deshalb geht es an ihm Jahr für Jahr um das Allerpersönlichste in unserem Glauben, eben um das Beten zu unserem himmlischen Vater, um unsere direkte Zwiesprache mit Gott. Die uralte Aufforderung dieses Sonntags „rogate", auf deutsch „betet", die gilt uns Heutigen genauso wie den Christen zu allen Zeiten und an allen Orten. Betet! Denn damit werden wir nachhaltig an den Adressaten gewiesen, der uns im Leben wie im Sterben hält Und dieser Adressat möchte uns nun einmal nicht als stille oder gar stumme Teilhaber, sondern er wartet auf unsere Reaktionen, er erwartet unsere Fragen und Antworten an ihn. Das Verhältnis zwischen ihm und uns ist deshalb nie das einer Einbahnstraße, sondern - wie man heute sagt - ein höchst interaktives.

 

2. Von Gott heißt es, dass er „in das Verborgene sieht" (v6) und dass er „weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet" (v8). Also das alles, was wir immer schon vor ihn bringen könnten, das sieht er bereits seit langem; und das, worum wir ihn bitten möchten, das weiß er längst. Gott als der Allwissende, als der, dem nichts verborgen bleibt - was bedeutet dieser Gott für uns? Muss das notwendiger Weise nicht ein Gott sein, vor dem man in erster Linie Angst haben muss? Gott, der alles sieht und alles weiß, muss der nicht der Furcht einflößende Über-Vater sein? Ja, so haben Menschen Gott nicht nur einmal verstanden und erlebt. Ich frage mich jedoch: Wäre das wirklich noch der Gott Abrahams und Isaaks oder gar der Vater Jesu Christi? Gott als der „Große Bruder" nach George Orwell - nein, das sei ferne!

Erst umgedreht wird ein Schuh daraus, erst umgedreht kristallisiert sich ein Gottesbild heraus, dem wir schon in Israel begegnen und das wir später in der Kirche wertschätzen, hochachten und vor allem in unser Herz schließen: Denn der Gott, der ins Verborgene sieht und der weiß, wessen wir bedürfen, das ist doch genau der Gott, der längst mit uns auf dem Weg ist; das ist der Gott, der neben und über uns, der vor und hinter uns und der auch unter uns ist. Der Psalmbeter sagt dazu: „Von allen Seiten umgibst du mich". (Ps. 139, v5) Das ist es ja, was auch hinter der Losung des heute zu Ende gehenden Kirchentages steht „Soviel du brauchst" (2.Mose 16,18): Gott selber sorgt für dich, sorgt sich um dich. Er stellt dir soviel zur Verfügung, wie du für dein Leben brauchst. Nur weil er uns so nahe ist, weiß und sieht er alles - uns zugut! Damit schließt er sich gewissermaßen mit uns kurz, überwindet die ungeheure Distanz zwischen sich und uns. So begegnet er uns in Zuneigung und Wärme, schenkt uns Gelegenheit zu Frage und Antwort, zu unserem kleinen Wort an ihn höchstpersönlich.

Und bekommt unser Leben nicht dadurch erst so etwas wie Richtung und Drive? Denn eine solche Gewissheit, die lässt einen aufatmen und befreit von Zentnerlasten, die lässt frische Luft hinein und führt so - fast schon von allein - zum Gebet, zur Zwiesprache mit Gott. Dabei kommt es gar nicht einmal so sehr auf wohl gesetzte Sprache oder vollendete Form an. Viel wichtiger dagegen ist doch, dass unser Herz dabei ist. Beten war schon immer viel mehr als das Aufsagen von Gedichten. Es ist hingegen das lebendige Gespräch zwischen dem winzigen menschlichen Ich und dem großen lebendigen Gott. Dabei können wir durchaus einmal ins Stottern kommen, oder es verschlägt uns die Sprache und lässt den Atem stocken - ähnlich wie das schon der große Beter Paulus empfunden hat: „Wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich´s gebührt." (Röm.8,26) Aus diesen Worten spricht ja nicht die Resignation oder gar Kapitulation eines unfähigen Christenmenschen, sondern schon bei Paulus bricht sich die Einsicht Bahn: Gott selber muss uns einfach schon beim Beten unterstützen. Ich alleine bin und bleibe dafür viel zu schwach und unbegabt. Doch weil er für mich und für uns längst seine vertrauensbildenden Maßnahmen getroffen hat, deshalb kann ich auch jetzt voll Vertrauen mit ihm reden - so wie das Kind, das mit seinem Vater oder seiner Mutter spricht. Es weiß eben warum.

 

3. Womit aber könnten wir das jemals besser schaffen als mit den alten Gebetsworten, die Jesus uns selber gelehrt hat und die - Gott sei Dank! - allen Kirchen und Konfessionen weltweit gemeinsam geblieben sind? Das Gebet des Vaterunser als konzentrierte Lebenserwartung, als geronnene Lebenserfahrung: eben das charakteristische Grundmuster für das lebenswichtige Gespräch zwischen Mensch und Gott!

Und mitten dahinein können wir alle unsere täglichen Erfahrungen vor ihm bedenken und ausbreiten: danken für das Geschenk des Lebens beispielsweise oder für all das Gute, das wir täglich erleben. Aber mitten hinein in diese alten Worte können wir auch all unsere Nöte und Klagen ausbreiten, sogar unsere An - Klagen Gott selber gegenüber. Die Beter und Beterinnen aus dem Alten Testament haben uns vorgemacht, wie das alles ganz tief und ganz wesentlich zusammengehört: Vor allem in der Klage wird Gott doch als der verstanden, der ein Ohr für seine Menschen hat und der sie geradezu förmlich dazu auffordert, ihr Herz vor ihm auszuschütten. Im Beten, besonders im Vaterunser, erkennen wir Gott als den Herrn über unser ganzes Leben an. Das ist höchstens noch mit dem Glaubensbekenntnis zu vergleichen. Wer betet und wer seinen Glauben bekennt, der drückt auf einmalige Weise seine ganze Lebenshaltung aus.

 

4. Was mir an dem Jesus-Wort aus dem Matthäus-Evangelium ganz klar wird: Er muss seine Jünger überhaupt erst das Beten lehren. Eigentlich hätten sie es ja längst können müssen, denn lange genug waren sie ja mit ihm zusammen. Aber von sich aus sind sie dazu offensichtlich noch gar nicht in der Lage. Auf diesem - immerhin biblischen - Hintergrund frage ich mich: Wie und unter welchen Rahmenbedingungen können denn wir heute beten lernen, vielleicht auch neu lernen? Unseren Familien und unseren Gemeinden ist hier eine große und wichtige und vor allem schöne Aufgabe gestellt.

Und noch eines wird mir klar: Beten, das ist zunächst einmal die Sache des Einzelnen, und es gehört seinem Wesen nach in die Stille - gegen allen Öffentlichkeitswahn unserer Tage. Deshalb brauchen wir Räume und Zeiten der Stille, wir Heutigen vielleicht noch mehr als Menschen früherer Zeiten. Wie aber kann es uns gelingen, solche Elemente der Stille und des Innehaltens aus unserem Zeit-Budget herauszulösen - im Ablauf des Tages, im Verlauf der Woche oder des Monats und auch im Laufe des Jahres? Es wäre uns selbst und unseren Familien, unserer Kirche und nicht zuletzt unserer Gesellschaft viel damit geholfen, wenn wir Aktion und Kontemplation, wenn wir Arbeit und Freizeit und Gebet wieder stärker aufeinander beziehen könnten. Martin Luther hat einmal das schöne Wort gesagt: „Ich habe heute viel zu tun. Darum muss ich heute viel beten." Was halten Sie davon, uns über Raum und Zeit hinweg ihm einfach anzuschließen? Amen.

 



Oberlandeskirchenrat i.R. Jürgen Jüngling
34130 Kassel
E-Mail: juengling@webgum.de

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