Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Rogate, 05.05.2013

Predigt zu Matthäus 6:5-13, verfasst von Bernd Giehl




Gar nicht so einfach, über das Beten zu reden. Ob das früher einfacher war? Zur Zeit Jesu zum Beispiel? Vielleicht waren die ja zu dieser Zeit wirklich frommer. Wenn man diesem Text so zuhört, könnte man ja schon auf den Gedanken kommen. Ob da wirklich Menschen an den Straßenecken standen und öffentlich beteten oder es zumindest in der Synagoge taten, sodass jeder zuhören konnte? Und wenn es so war, worum haben sie dann gebetet? Darum, dass ganz Israel einmal den Sabbat hält, damit der Messias endlich kommt? Haben sie womöglich Gott gedankt für das Wohlergehen ihrer Familie? Oder ihn um Hilfe gebeten, weil der Sohn schwer erkrankt war? Oder ist das womöglich doch nur eine Karikatur?

Wenn man eine Zeitlang über das Beten nachdenkt, merkt man: Beten ist ein intimer Akt. Es ist wie mit der Sexualität oder mit dem Geld. Es gehört nicht unbedingt ans Licht der Öffentlichkeit

Warum das so ist? Weil Beten zuallererst einmal ein Akt der Unterwerfung ist. Wenn ich bete, erkenne ich an, dass es eine höhere Macht über mir gibt, die über die Welt, ebenso wie über mein Leben bestimmt. Ich erkenne an, dass ich selbst nicht allmächtig bin.

Wahrscheinlich ist das Gebet deshalb ein intimes Geschehen, weil ich mich in diesem Tun einem öffne, der mir sehr vertraut ist. Auch dann, wenn ich ihn nicht sehe. Gebet ist kein Small Talk, im dem ich jemanden meiner Aufmerksamkeit und Zuneigung versichere, ohne doch etwas Persönlicheres zu sagen.

Wie aber dann vom Beten reden, ohne dass es peinlich wird? Vermutlich wird es eine Gratwanderung werden.


Wahrscheinlich haben die Allermeisten von uns das Beten als Kind gelernt. Es war uns vertraut, ehe wir darüber nachdenken konnten, was wir da taten. Neulich hörte ich im Radio eine Sendung über Einschlafstörungen von Kindern und Jugendlichen. Der Rat, der gegeben wurde, hieß: Führt ein festes Ritual ein. Vor allem bei den Kindern. Lest ihnen eine Gute Nacht Geschichte vor oder sprecht mit ihnen noch einmal über den Tag. Das Ritual meiner Kindheit war ein Gebet, das meine Mutter und ich am Abend sprachen. Es war immer dasselbe Gebet. „Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm." Heute kommt mir dieses Gebet banal vor. Vielleicht haben meine Eltern nicht darüber nachgedacht. Oder vielleicht hat sie auch nichts daran gestört. Oder sie haben es als eine Einübung ins Beten gesehen. Sie waren fromme Leute, die ihren Glauben an ihre Kinder weitergeben wollten. Und so gehörte das Gebet vor dem Essen ebenso dazu wie das Neukirchener Kalenderblatt oder die Bibellese am Sonntag. Auch das Gebet nach dem Zubettgehen gehörte dazu. Wobei es gar nicht auf den Inhalt ankam, sondern darauf, dass wir zusammen dieses Gebet sprachen. Andernfalls hätte etwas gefehlt.

Ich glaube, dass solche Rituale, die wir als Kind lernen, tief in uns Wurzeln schlagen. So bete ich, wenn ich bete, immer noch am liebsten abends vor dem Einschlafen. Dann rede ich mit Gott über das, was mich bewegt. Und hoffe, dass er mich hört.

 

Ob an dieser Stelle auch vom Zweifel die Rede sein muss? Wenn ich ehrlich bin, würde ich ihn gern verschweigen. Dabei könnte ich mich ja schließlich auf den Text berufen, in dem der Zweifel keinen Raum hat. In unserem Text ist Gott ganz selbstverständlich Herr der Wirklichkeit. Was er will, das geschieht.

Aber sehen wir das immer noch so? Immerhin gibt es den Abstand von 2000 Jahren zwischen uns und diesem Text. Und in diesen 2000 Jahren ist nun einmal eine ganze Menge passiert. Ich erinnere mich an ein Bild, das ich vor vielen Jahren einmal im Zusammenhang mit diesem Text zu Hilfe genommen habe. Dieses Bild zeigt einen Mann in Schlips und Kragen mit Bauhelm auf dem Kopf, der betet.

Es ist möglich, dass einem anderen, der dieses Bild sieht gar nicht viel dazu einfallen würde, Für mich dagegen hat dieses Bild eine starke Spannung. Ich stelle mir vor, dass dieser Mann eine U-Bahn baut. Oder ein Hochhaus. Er selbst oder andere müssen vorher die Statik berechnet haben. Er selbst oder seine Kollegen müssen vorher einen Plan gezeichnet haben. Sie müssen das Gelände untersucht haben. Alles, aber auch wirklich alles müssen sie dafür getan haben, dass das Hochhaus nicht einstürzt. Oder dass der Schacht, in den sie die U-Bahn verlegen wollen, hält. Notfalls auch bei Erdbeben. Sie müssen das Risiko ausschließen oder zumindest minimieren. Von ihren Planungen hängt das Leben und die Sicherheit Tausender Menschen ab. Auch das Unvorhergesehen müssen sie in ihre Planungen einbeziehen. Für den Zufall darf kein Raum bleiben. Aber symbolisiert das Gebet nicht das Gegenteil von all dem? Betet man nicht zu einem, den man eben nicht in seine Planungen und Berechnungen einbeziehen kann?

Dieses Bild ist für mich deshalb so exemplarisch, weil es sozusagen zwei Welten in sich vereinigt. Und vor allem deshalb, weil wir uns hin und wieder fragen, wie wir beide Welten zur Deckung bringen können. Oder ob das überhaupt geht.

 

Aber treten wir ruhig noch einmal einen Schritt zurück. Im Alltag leben wir in einer Welt, die von Technik geprägt ist. Wir setzen uns ins Auto, drehen den Zündschlüssel und erwarten, dass der Motor anspringt und wir losfahren können. Normalerweise funktioniert das auch. Sollte es einmal nicht funktionieren, überprüfen wir Batterie und Zündkerzen und bitten einen Nachbarn, uns Starthilfe zu geben. Oder wir rufen gleich den ADAC. Die Technik hat zu funktionieren, und wenn sie es nicht tut, überlegen wir, was die Ursache sein könnte und schließen nach und nach die verschiedenen Möglichkeiten aus, bis wir den Grund gefunden haben. So läuft es in unserem Leben meistens, ohne dass wir noch groß darüber nachdenken. Die Technik bestimmt unser Leben so sehr, dass wir im Grunde gar nicht anders können als zu meinen, wir hätten alles im Griff. Eigentlich rechnen wir nicht mit dem Unvorhergesehenen. Wir planen als Einzelne und erst recht planen wir in den Organisationen, in denen wir beschäftigt sind, als hätten wir die Zukunft im Griff. Als wüssten wir, was morgen ist. Wir können gar nicht anders. Wir müssen die Zukunft auf irgendeine Weise vorausplanen. Täten wir es nicht, bräche das Chaos aus.

 

Es scheint also nicht so einfach mit dem Gebet. Passt es überhaupt noch in unsere durchgeplante und durchrationalisierte Welt? Oder beten wir einfach nur noch aus alter Gewohnheit?

Die Frage beschäftigt mich schon lange. Ob es eine Antwort auf sie gibt, die alle zufriedenstellt? Ich weiß es nicht. Wenn wir alles mit Medizin und Technik regeln könnten, würden wir wahrscheinlich nicht mehr beten. Aber so einfach ist es wohl nicht. Trotz all unserer Bemühungen zeigt sich die Welt nach wie vor chaotisch. Und manchmal haben wir sogar das Gefühl, sie werde immer chaotischer. Da ist die Frage nach den Folgen unseres Wirtschaftens, das sich unter anderem in der Klimaerwärmung zeigt aber ebenso in der Euro Krise. Wenn wir den Experten zuhören, dann wissen sie alle einen Rat, aber ihre Ratschläge sind oft gegensätzlich und was sie bewirken, weiß man auch erst später.

Nein, vermutlich haben wir es nicht in der Hand. Wir müssen handeln, es bleibt uns gar nichts anderes übrig, aber was aus unseren Handlungen wird, das wissen wir nicht.

Und so ist es womöglich das Gebet, das uns Demut lehrt. Wenn wir beten, danken wir für das Gute, das wir nicht selbst herbeiführen konnten. Und ebenso ist es wohl mit dem, worum wir bitten. Wir bitten um etwas, weil wir es selbst nicht in der Hand haben. Wir bitten beispielsweise darum, dass das Leben unserer Kinder gelingt. Dass sie in der Schule nicht scheitern oder dass sie einen Arbeitsplatz finden, in dem sie ihre Fähigkeiten verwirklichen können. Oder wir beten in eigenen Krisen, dass sich alles zum Guten wende. Im Grunde beten wir um das, was wir selbst nicht in der Hand haben.


Wahrscheinlich ist es das, was das Beten ausmacht. Dass wir unser Leben nicht in der Hand haben. Oder jedenfalls nur zu einem Teil. Und dass wir uns deshalb auf eine höhere Macht angewiesen wissen. Deshalb ist es gut, wenn wir unser Leben im Gebet immer wieder reflektieren. Es bewahrt uns vor dem Hochmut ebenso wie vor der Verzweiflung. Das Gebet enthebt uns nicht unserer Verantwortung. Wir müssen uns immer noch darum bemühen, das Richtige zu tun. Aber es entlastet uns auch. Weil wir am Ende doch nicht für alles verantwortlich sind.



Pfarrer Bernd Giehl
64569 Nauheim
E-Mail: giehl-bernd@t-online.de

(zurück zum Seitenanfang)