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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Rogate, 05.05.2013

Predigt zu Matthäus 6:7-13, verfasst von Anke Fasse


Das Vaterunser - mehr als Menschenworte

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Liebe Gemeinde,

Das Vaterunser. Ich war fast 17. Es war der erste Kirchentag, den ich besuchte. Damals in Frankfurt. Heute in Hamburg. Ein kirchliches Großereignis, das mich beeindruckte, auch wenn ich mich an wenig Konkretes nur noch erinnern kann. Aber eines habe ich nicht vergessen. Es war als beim Abschlussgottesdienst tausende von Menschen miteinander das Vaterunser beteten. Es war kein zaghaftes Gemurmel irgendwo in einer Kirche. Es war wie ein kraftvolles Brausen. Verbindend! Ermutigend! Verheißungsvoll! Dein Reich komme.... Ja, es wird kommen, es kann gar nicht anders sein. Denn dein, Gottes, Wille geschehe.... Es kann gar nicht anders sein, wenn so viele unterschiedliche Menschen davon überzeugt sind.

Das Vaterunser. Ich war 23 und machte als junge Theologiestudentin ein Praktikum in Indonesien. Mit einheimischen jungen Frauen, so genannten Dorfmotivatorinnen, kam ich in weitentlegene Dörfer. Ich lebte mit den Familien dort ein ganz einfaches Leben, das mir sehr fremd war. Regelmäßig fanden Hauskreise statt. Gemeinsam wurde ein Bibeltext gelesen, es wurde darüber gesprochen und dann wurde gebetet. Zunächst frei, dann das Vaterunser. In einer Sprache, die ich kaum verstand. Und doch war mir alles so vertraut. Tausende von Kilometern von der Heimat entfernt in einem fremden Land fühlte ich mich plötzlich Zuhause und gleichzeitig Teil dieser weltweiten christlichen Gemeinschaft. Wieder hatte dieses geprägte Gebet eine ungeheure Kraft. Kulturen überwindend. Verbindend.

Das Vaterunser. Jahre später spreche ich es als Pastorin an einem Sterbebett. Familienangehörige sind versammelt, die sich wenig zu sagen haben. Die Situation ist belastet. Vieles könnte gesagt oder gebetet werden, aber kein Wort passt, hält der Situation stand. Dann das Vaterunser - und das Vaterunser befreit. Es gibt Halt. Es tut gut. Es ist kein Geplapper. Es ist mehr als Menschenworte.

Jesus sprach: Wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden, denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen. Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen. Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet. Darum sollt ihr so beten:

Unser Vater im Himmel. Dein Name werde geheiligt.... So heißt es im 6. Kapitel des Matthäusevangeliums, unserem Predigtwort für den heutigen Sonntag Rogate.

Das Vaterunser ist das bekannteste Gebet der Christen. Es geht auf Jesus selbst zurück. Es ist seine Antwort auf die Bitte der Jünger, sie das Beten zu lehren. Es vergeht keine Sekunde, in der es nicht irgendwo auf der Erde gebetet wird. Das Vaterunser verbindet alle Christen: evangelische und katholische, orthodoxe und anglikanische,...

Das Vaterunser gibt Menschen in ganz unterschiedlichen Situationen durch die feste Form Halt und Sicherheit. Es befreit davon im Gebet originell sein oder die richtigen Worte finden zu müssen. Für mich steht es nicht in Konkurrenz zum freien Gebet, sondern es ist einfach etwas ganz anderes. Es ist für mich das Gebet, worin alle meine freien Gebete einmünden können. So auch nach den Fürbitten, denn es umfasst alles. Euer Vater weiß, was ihr bedürft.

Das Vaterunser besteht aus Worten, die in mir lebendig sind. Gewachsen und vertraut seit Kindertagen, in unzähligen Gottesdiensten gebetet. Bei besonderen und alltäglichen Ereignissen. Allein und in Gemeinschaft. Einfach nur gesprochen, Halt in der Form findend, aber auch hinterfragt und durchdrungen.

Martin Luther hat im Kleinen Katechismus jede Bitte des Vaterunsers hinterfragt und durchdrungen. Ich habe dies gerade wieder nachgelesen, hinten im Gesangbuch ist es zu finden. In jede Bitte könnten wir stundenlang eintauchen. Nur kurz, und zum Weiterdenken, seine Deutungen verbunden mit unseren Erfahrungen könnten so klingen:

Unser Vater im Himmel - was bedeutet das?

Wir wenden uns gemeinsam (!) an Gott, wie an einen Vater oder eine Mutter im positivsten Sinne. Vertrauen, Liebe, Geborgenheit, Verständnis, Unterstützung, all das macht Gott, unseren Vater aus. Wir wenden uns an unseren Vater als ein Gegenüber, das aber nicht unmittelbar greifbar ist. Er ist „im Himmel", verweist uns auf eine andere, göttliche Dimension.

Dein Name werde geheiligt - was bedeutet das?

Gott ist uns in einzigartiger Weise wichtig. Wir nehmen ihn ernst. Unser Glaube und unser Vertrauen in ihn hat Konsequenzen in unserem Leben. Welche das sind, muss jeder und jede für sich beantworten.

Dein Reich komme - was heißt das?

Wenn Gottes Wünsche für das Leben in Peru und Lima umgesetzt wären, dann wäre Peru ein gerechtes Land. Arme und Reiche hätten die gleichen Chancen und würden gleich behandelt. Die Menschen würden sich respektvoller und höflicher behandeln. Es gäbe weniger Gewalt und Diskriminierung. Rassismus wäre kein Thema mehr. Alle hätten ausreichend Platz zum Leben, alle hätten Wasser und Zugang zu medizinischer Versorgung. Die Menschen würden vernünftiger sein und sich geborgener fühlen. - Das schrieben unsere Konfirmandinnen zu dieser Bitte am vergangenen Wochenende.

Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden - wie geht das?

Und ihnen, den Konfirmandinnen, war ganz wichtig, dass jeder und jede sich mit ganzer Kraft für den Anbruch des Reiches Gottes einsetzt. Mein, dein, unser Handeln im Großen und im Kleinen ist wichtig.

Unser tägliches Brot gibt uns heute - was ist damit gemeint?

Was wir jeden Tag für unser Leben empfangen, ist nicht selbstverständlich. Es ist nicht mein Verdienst, sondern Gottesgeschenk.

Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern - wie geht das?

Jeden Tag neu machen wir Fehler. Es gibt Schuld. Mir das immer wieder bewusst machen. In meinem Umfeld die eigenen Versäumnisse immer wieder, so weit es geht, ausräumen. Mein Handeln immer wieder vor Gott bringen, hinterfragen. Um Vergebung bitten. Auf Vergebung vertrauen. Vergebung annehmen. Aus der Vergebung heraus leben - und dies weitergeben. Etwas großzügiger und großherziger mit mir und anderen sein, darum bitte ich.

Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen - was bedeutet das?

Es gibt sie die großen und kleinen Versuchungen des Lebens. Das, was reizvoll ist, aber nicht gut. Eine Grenze mag zum Beispiel sein, etwas zu tun, was den Generationen nach uns schadet. Oft spüren wir diese Grenzen, aber es ist trotzdem schwer zu widerstehen. Doch mit Gottes Hilfe mag es gelingen. Er kann uns die Kraft dazu geben. Wenn wir uns ihm anvertrauen und unseren Fokus immer wieder neu, nach ihm, setzen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit - was heißt das?

Gott ist unser Gegenüber. Unser Gegenüber aus einer ganz anderen Dimension, unabhängig von aller menschlichen Kraft und Weisheit, die immer eng und egoistisch wäre. Gott umfasst alles. Er ist Quelle und Ziel allen Lebens. In ihm ist alles gut aufgehoben. Ihm vertrauen wir in Zeit und Ewigkeit. Ihm, seiner Kraft und Herrlichkeit vertrauen wir alles an. Bei ihm ist alles gut aufgehoben. Er wird alles vollenden in seinem Reich.

All das ist das Vaterunser und noch Vieles mehr. Gut tun die vertrauten, geprägten Worte, in die ich einfach selbstverständlich einstimmen kann. Egal wo ich bin und was mich sonst alles beschäftigen mag. In dieses Gebet kann ich mich hineinfallen lassen, ohne nachdenken zu müssen - aber wenn ich möchte, bietet es ganz viel Nachdenkenswertes.

Das Vaterunser. Tausende beten es heute beim Abschlussgottesdienst des Kirchentages in Hamburg. In Lima. Überall auf der Welt. Nicht vereinzelt. Nicht zaghaft. Kraftvoll. Weltumspannend. Verheißungsvoll. Dein Reich komme!

Rogate - betet.

So soll es sein.

Amen

 

 



Pfarrerin der deutschsprachigen ev.-luth. Kirche Lima/Peru, Anke Fasse
Lima 33 (Surco), Peru
E-Mail: pastora@ev-kirche-peru.org

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