Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Estomihi, 18.02.2007

Predigt zu Lukas 18:31-43, verfasst von Martina Janßen

Liebe Gemeinde!

Estomihi - ?Sei mir...? Seinen Namen hat dieser Sonntag von der lateinischen Übersetzung des 31. Psalms: ?Sei mir ein starker Fels und eine Burg, dass du mir helfest. (...) Ich freue mich und bin fröhlich über deine Güte, dass du mein Elend ansiehst und nimmst dich meiner an in Not, und übergibst mich nicht in die Hände des Feindes; du stellst meine Füße auf weiten Raum (Ps 31, 3b; 8-9)!?

Ja, das ist mein Gott! So soll er sein, mein Gott. So und nicht anders. Stark. Allmächtig. Gütig. Das soll Gott für mich sein. Vor meinem geistigen Auge sehe ich einen mächtigen Herrn, der für mich streitet und mir Raum verschafft, einen guten Vater, der sieht, was ich brauche. Einem solchen Gott traue ich, zu einem solchen Gott kann ich aufschauen und sprechen: ?Um deines Namens willen wolltest du mich leiten und führen (Ps 31,4b)!? Steht, was für ein Gott! Eine Großmacht - mit starkem Arm und vielgerühmtem Namen.

II

Jesus nahm zu sich die Zwölf und sprach zu ihnen: Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn. Denn er wird überantwortet werden den Heiden, und er wird verspottet und misshandelt und angespien werden, und sie werden ihn geißeln und töten; und am dritten Tage wird er auferstehen.

Sie aber begriffen nichts davon, und der Sinn der Rede war ihnen verborgen, und sie verstanden nicht, was damit gesagt war. (Lk 18,31-34)

III

Verspottet. Misshandelt. So soll er sein? Angespieen. Gegeißelt. Das soll mein Gott sein? Tot? Die Jünger verstehen das nicht, obwohl Jesus es ihnen immer wieder sagt. Erst als der Auferstandene sich ihnen offenbart, gehen ihnen die Augen auf und sie verstehen: Jesus ist der, von dem die Schriften künden (Lk 24,13ff). Ostern wirft neues Licht auf die alten Verheißungen. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Noch verstehen die Jünger nicht. Sehenden Auges sind sie blind. Ich verstehe sie. Wie kann der, der mich nicht in die Hände des Feindes übergibt, sich selbst seinen Feinden übergeben? Der, der meine Füße auf weiten Raum stellt, angenagelt sein an das Kreuz? Wie kann ein ohnmächtiger Gott mächtig sein für mich? Wie kann ein Hilfloser meine Hilfe sein, meine Burg, mein Fels?

Es ist bereits die dritte Leidensankündigung auf dem Kreuzweg nach Jerusalem und die letzte; noch einmal sagt Jesus es nicht. Jetzt folgen die Taten. Es wird ernst: ?Seht mich an! Ich, euer Messias, werde verspottet, misshandelt, ich werde sterben; am dritten Tage werde ich auferstehen. Lasst uns gehen!? Jesus zieht wachen Auges nach Jerusalem ? direkt in den Tod. Die Jünger folgen ihm. Obwohl sie seine Worte nicht begreifen, halten sie an ihm fest. Sie folgen ihm blind. Betriebsblind, weil sie für ihr Messiasprojekt ein ganz bestimmtes Leitbild vor Augen haben. Ihre Hoffnung macht sie blind. Auch ihre Sehnsüchte sind Seh-Süchte. Einen Schmerzensmann wollen sie sicher nicht sehen. Sie wollen Jesus anders sehen: Ein starker Fels und eine feste Burg. Eine große Macht, eine mächtige Vision. Seht, was für ein Gott! Und blind vor Liebe sind die Jünger wohl auch: Dass ihr Herr leidet, das wollen sie nicht ertragen. Davor wollen sie die Augen verschließen: Dass der, an den sie ihr Herz hängen, am Kreuz hängt: gegeißelt, verspottet, geschmäht: Seht, was für ein Mensch ? ?voller Schmerzen und Krankheit (Jes 53,3)?, ohne Macht!

IV

Es begab sich aber, als er in die Nähe von Jericho kam, dass ein Blinder am Wege saß und bettelte. Als er aber die Menge hörte, die vorbeiging, forschte er, was das wäre. Da berichteten sie ihm, Jesus von Nazareth gehe vorbei. Und er rief: Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Die aber vornean gingen, fuhren ihn an, er solle schweigen. Er schrie aber noch viel mehr: Du, Sohn Davids, erbarme dich meiner! Jesus aber blieb stehen und ließ ihn zu sich führen. Als er aber näher kam, fragte er ihn: Was willst du, dass ich für dich tun soll? Er sprach: Herr, dass ich sehen kann. Und Jesus sprach zu ihm: Sei sehend! Dein Glaube hat dir geholfen. Und sogleich wurde er sehend und folgte ihm nach und pries Gott. Und alles Volk, das es sah, lobte Gott. (Lk 18,35-43)

V

?Du, Sohn Davids, erbarme dich meiner. Sei mir Hilfe in meiner Not!? Der blinde Bettler hat den Durchblick. Er sieht die Macht des Ohnmächtigen. Im Glauben sieht er seinen Gott. Blind vertraut er der Verheißung: Wenn der Sohn Davids, der Messias, kommt, dann ?werden die Augen der Blinden geöffnet werden, die Gefangenen aus dem Gefängnis geführt und die, die da sitzen in der Finsternis, aus dem Kerker (Jes 42,7).? Daran glaubt der Bettler; daran klammert er sich. Mit dem Mut der Verzweiflung verschafft er sich Raum, lässt sich nicht abbringen von den fordernden Stimmen: ?Schweig!? Seine Not öffnet ihm Augen, Herz und Mund. Nur noch lauter ruft er: ?Du, Sohn Davids!? Ohne Zweifel beherrscht Bartimäus ? so überliefert der Evangelist Markus seinen Namen - die ?bettlerische Kunst? (Martin Luther). Er weiß eben, was ihm fehlt, um heil zu sein: dass er sehen kann. Der blinde Bettler hängt sich an Jesus; er ruft, immer wieder. Er will, dass Jesus ihn sieht. ?Als er aber kam, fragte er ihn: Was willst du, dass ich für dich tun soll? Er sprach: Herr, dass ich sehen kann. Und Jesus sprach zu ihm: Sei sehend! Dein Glaube hat dir geholfen. Und sogleich wurde er sehend.? Mehr braucht es nicht. Und nicht weniger. Dein Glaube. Der Blinde lässt Gott in sich wirken und sieht. Sich. Den Himmel. Seine Hände. Jesus. ?Ich bin der, welchen er sehend machte. // Was sah ich? Am Kreuz, ihn, hingerichtet, // ihn, hilfloser als ich war, // ihn, den Helfer, gequält. // Ich frage: Musste ich meine Blindheit verlieren, um das zu sehen?? (Rudolf Otto Wiemer, Bartimäus)

Könnte ich Bartimäus antworten? Würde es reichen, vor seinen Augen eine Bibel zu öffnen und ihm die Verheißung des Propheten Jesaja zu zeigen: Siehe, auch das steht geschrieben: ?Er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen (...). Aber er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen (Jes 53,4f)?? Würde es reichen, ihm mit allen Mitteln theologischer Gelehrsamkeit zu erklären, dass das Licht der Welt die Finsternis des Todes durchleben musste, damit wir zu Kindern des Lichts werden und nicht der Finsternis anheimfallen? Würde es reichen? Ich fürchte nicht. Und wenn ich noch so viele Argumente hätte und noch so viele Bilder fände und abertausend Belege anführte, doch hätte ich den Glauben nicht, würde das nichts nützen. Weder mir noch Bartimäus.

Es ist ein Geheimnis: mein Gott für mich. Verstehen kann ich das nicht, nur bekennen, davon künden, mich daran klammern. Bis Jesus kommt in Herrlichkeit und wir von ?Angesicht zu Angesicht sehen? (1 Kor 13,12). Heute kann ich nur im Glauben erkennen. Da sind meine Augen offen für das Geheimnis. Im Glauben wird der Kreuzweg zum Heilsweg, die Verkündigung des Todes zum Preis der Auferstehung. Groß ist das Geheimnis des Glaubens! Kommt und seht, wie freundlich der Herr ist!

VI

Liebe Gemeinde!

Estomihi. Ein Sonntag dazwischen. Zwischen Sehen und Blindsein, zwischen Nicht-Verstehen und blindem Vertrauen, zwischen der Epiphaniaszeit, dem Erscheinen der Herrlichkeit Gottes, und der Passionszeit, dem Leidensweg. Wir sind auf der Mitte des Weges zwischen Weihnachten und Ostern. Mitten im Geheimnis: ?Eine Großmacht. Und eine Ohnmacht. Immer. Heute noch (Marie Luise Kaschnitz).? Seht, mein Gott! An ihn hänge ich mein Herz. Immer wieder.

Amen

Dr. Martina Janßen
Göttingen
E-Mail: martina.janssen@theologie.uni-goettingen.de

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