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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach Trinitatis, 02.06.2013

Predigt zu Lukas 16:19-31, verfasst von Michael Wagner Brautsch

Wenn wir die Hölle nur als einen Ort der Pein nach dem Tod betrachten, dann nehmen wir uns selbst die Möglichkeit, das Gute und das Böse im Dasein zu verstehen. Wenn die Hölle nur von Leiden nach dem Tod handelt, geht uns das Verständnis des Leidens in der Welt verloren, denn für manche Menschen ist ihr Leben die Hölle auf Erden. Sie erfahren keine Nächstenliebe und können deshalb ihrerseits auch keine Nächstenliebe üben.

Sie sind einsam, missverstanden und ausgegrenzt; vielleicht wohnen sie mitten im Zentrum einer Millionenstadt, vielleicht in einem hübschen Eigenheim in einer Kleinstadt oder in ansprechender Umgebung in einem gemütlichen Dorf. Aber sie sind einsam, weil sie übersehen und ausgegrenzt sind. Und wenn man geringgeschätzt ist, kann man seinem Nächsten nicht in die Augen sehen und etwa um Hilfe bitten, und dann nimmt die Einsamkeit nur noch zu. Diese Menschen leben verstreut, aber sie fallen scharenweise ab. Sie fallen ab.

Diese Menschen leben in ihrem Leiden in Armut. Vielleicht in finanzieller Armut, aber in unserem Teil der Welt vielleicht vor allem in geistiger Armut, vielleicht aber auch beides. Eine genaue Statistik der armen Menschen in einem Land zu erstellen, ist ungeheuer schwierig, denn der Mensch hat andres und mehr nötig als das, was physisch messbar ist wie Nahrung, Kleidung und Wohnung. Wir haben soziale, spirituelle und kulturelle Bedürfnisse, und derlei wird nicht notwendig durch irgendein Einkommen erreichbar.

Wann also ist ein Mensch arm, und wann ist er reich?

Es ist eine erschütternde Geschichte, die uns im Predigttext des Sonntags erzählt wird. Jesus zeichnet zwei extreme Gegensätze nach. Auf der einen Seite einen sehr reichen Mann, der in materiellem Überfluss lebt, und auf der anderen einen armen Menschen, der von dem lebt, was er im Abfall der Reichen finden kann. Als sie sterben und diese Welt verlassen müssen, kommt der Reiche an einen Ort der Pein, ganz anders als der Arme, der getragen wird, damit er im Schoß des Patriarchen Abraham ruhen kann. Das ist in jeder Hinsicht eine Erzählung von Himmel und Erde - obgleich die beiden Begriffe nur äußerst schwer zu fassen sind.

Nun liegt es nahe, Jesu Wort so auszulegen, dass die Seligkeit im Nachleben automatisch kommt, wenn man hier auf Erden finanziell möglichst arm und demütig ist. Dann wird sich die Belohnung auf der anderen Seite des Grabes einfinden. Allerdings - diese Auslegung kann nicht das richtige Verständnis der Erzählung ausmachen.

Trotzdem muss man sagen, dass hier ein grelles Licht auf die Unterschiede fällt, die zwischen Menschen bestehen können, wenn es um die Verteilung der menschlichen Güter geht. Und hier liegt die besondere Herausforderung an uns, die in einem der materiell reichsten Länder der Welt leben und Gottes Wort hören. Wir Reichen tragen Verantwortung gegenüber den Armen; das sagt Gottes Wort.

Und dennoch ist das nicht die wesentliche Pointe der Erzählung, denn es kann doch nicht richtig sein, dass man materiell so arm wie möglich sein muss, wenn man in das Reich Gottes kommen will. Jedenfalls ist das nicht die Botschaft, wenn wir uns die Verkündigung Jesu als Ganzes vor Augen halten. Weder Armut noch Reichtum besagen etwas über das Gottesverhältnis von Menschen.

Nicht das Geld des reichen Mannes war schuld daran, dass es ihm so schlecht erging. Er hätte auch reich sein können und trotzdem einen Platz im Himmel Gottes bekommen können, und umgekehrt hätte der arme Lazarus ohne weiteres an dem entgegengesetzen Ort landen können, wenn es denn so hätte sein sollen. Seine Armut war nicht automatisch eine Eintrittskarte für die himmlischen Wohnungen. Er erhielt nicht das ewige Leben als eine Art von Kompensation für Not und Elend seines irdischen Lebens.

Was also entschied darüber, dass sie in der Geschichte an den so verschiedenen Orten landeten?

Jesus gibt in dieser Erzählung nur einer Person einen Namen. Aber mit dem Namen "Lazarus" hat Jesus auch sehr viel gesagt. „Lazarus" bedeutet: „Gott ist mein Helfer." Er lebte, mit seiner ganzen Armut, in tiefer Abhängigkeit von Gott. Gott war sein Reichtum und Helfer. Lazarus hatte erkannt, dass er Gottes Hilfe und Eingreifen nötig hatte. Der reiche Mann fiel der Verdammnis nicht wegen seines Wohlstands anheim, sondern weil sein Herz an allen Gaben Gottes hing anstatt an Gott selbst, d.h. an dem Geber seines Wohlstandes; und vielleicht gab er sich damit zufrieden, dass eben dies Beweis dafür sein müsse, dass Gott auf seiner Seite war. Er brauchte keine weitere Hilfe - brauchte Gott nicht.

Die Parallele zu diesem reichen „von Gott abgewandten" Mann ist der „zu Gott gewandte" Hiob. Nachdem Hiob seinen ganzen Reichtum, seine Gesundheit und seine Familie verloren hat, sagt er von Gott (der Hiob doch anfangs mit diesen Gaben gesegnet hatte): „Ich bin nackt von meiner Mutter Leibe gekommen, nackt werde ich wieder dahinfahren. Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen; der Name des Herrn sei gelobt!" -

Natürlich ist es uns erlaubt, Zeit und Geld für uns selbst aufzuwenden. Und natürlich dürfen wir uns hier um unsere Familien kümmern und unserer Zeit und unseren Kräften hohen Wert beimessen. Aber wir haben daran zu denken, was das Zentrum, die Hauptachse, das Fundament und das unbedingte Anliegen unseres Lebens sein soll - nämlich Gott der Herr, und nicht seine Gaben für uns. Wir sollen Gott von ganzem Herzen

und von ganzer Seele lieben, und wir sollen unseren Nächsten lieben wie uns selbst. Das ist das erste und höchste Gebot des Gesetzes für uns. Abraham erinnert den reichen Mann in den Flammen der Hölle daran, dass seine Familie dieses Gesetz ja schon hat. Der reiche Mann, der so sehr daran gewöhnt ist, Diener und Laufburschen für alles zu haben, dass er keine Bedenken hat, Abraham zu fragen, ob Lazarus nicht mal eben in seines Vaters Haus gehen und dort eine Nachricht aus dem Feuerraum der Nachwelt abliefern kann.

Wir dürfen unseren Nächsten nicht außer Betracht lassen, und wir alle sind von Gott und SEINEM Eingreifen abhängig. Der Fehler des Reichen bestand darin, dass er nur in dieses Dasein investierte. Er hatte seinen Reichtum und sein Dasein zu seinem Gott gemacht.

Luther sagt einmal: „Dein Gott ist derjenige oder dasjenige, von dem du alles Gute erwartest." Darum wollen wir gerade jetzt die Frage an uns richten: Was ist das Wichtigste in deinem Leben? Wovon oder von wem erwartest du alles Gute? Von der Familie, den Freunden, der Arbeit, dem Geld, den Freizeitinteressen, der Gesundheit, dem Ansehen, von Haus / Auto / Boot / Tafelsilber? Wer oder was ist Gott in deinem Leben - der oder das, von dem du alles Gute erwartest? Ist es Gott der Heerr, der sich für uns offenbart in SEINEM Wort und in dem Befehl der Nächstenliebe und Barmherzigkeit und des Friedens? Wie gesagt, der Name Lazarus bedeutet: „Gott ist mein Helfer."

Jesu Wort soll uns dazu führen, dass wir uns besinnnen und unsere Wertvorstellungen und Normen revidieren. Er verweist ganz konkret darauf, wie wir Anteil erhalten können an dem, was über dieses Leben hinaus bleibenden Wert hat. Vielleicht geht es uns oft so, dass wir matierielle Güter und Statussymbole und alles Mögliche sonst noch zuerst suchen. Aber Jesus sagt, dass wir zuerst das Reich Gottes suchen sollen, ja wir sollen SEINE Gerechtigkeit suchen, die Gerechtigkeit, die Gott schenkt. Aber wir können sie nur wirklich suchen und finden, wenn wir sehen, dass wir sie nötig haben! Deshalb war es eine der größten Aufgaben Jesu, uns sehend zu machen, so dass wir fähig werden zu sehen, nicht nur unseren Nächsten, sondern auch uns selbst.

Und wer wird dann die Lebendigen und die Toten richten? Das ist auch Jesus. Es ist also der Richter selbst, der unsere Sache vertritt, was kein irdisches Gericht jemals durchgehen lassen würde. Man stelle sich vor, ein Verteidiger sollte das Urteil sprechen! Aber es ist wichtig, dass man sich bewusst ist: nicht wir sollen andere zu einem Nachleben in irgendeinem Zustand verurteilen oder richten. So einfach ist der Text des heutigen Evangeliums nicht, dass wir sozusagen mit ihm als Schlüssel - vom materiellen Standard der Menschen hier in der Welt ausgehend - etwas über Gottes Gnade in der kommenden Welt sagen könnten.

Die Erzählung vermag das Wichtige zu leisten, dass sie uns helfen kann, von uns selbst wegzuzeigen. Weg von allem „Ich-und-Meins-und-die Meinen" und hin auf den, der an unserem Tor sitzt, ein paar Häuser weiter in unserer Straße wohnt oder dem wir dort begegnen, wo sich Menschen aufhalten. Denn wann ist ein Mensch arm, und wann ist er reich? Das misst man nicht nur an finanziellem Wohlstand, sondern in höherem Maße an dem, von dem und wovon du das Gute erwartest - also an dem Fundament, auf das wir unser Dasein bauen. Oder an dem Fundament, mit dem oder ohne das unsere Mitmenschen uns begegnen. Da sehen wir unseren Reichtum und unsere Armut.

Und Himmel und Hölle sind nicht nur Zustände im Nachleben, denn auf das Nachleben brauchen wir gar nicht so viel Energie des Nachdenkens zu verwenden. Es mag früh genug kommen. Gott hasst Menschen, die sich auf Vorzeichen verlassen, auf Tote hören und Wahrsagerei pflegen, aber ER will auch keine Schlachtopfer und äußerliche Gottesanbetung, wie etwa übertriebenes Fasten und leere Gebete. Es liegt nämlich eine große Gefahr darin, dass man in diesem Leben die reine Hölle für sich (und was am schlimmsten ist: für andre) heraufbeschwört, wenn man sein Leben auf der Basis eines zu erwartenden „Nachleben-Bonus" in Gestalt einer Ewigkeit im Paradies plant.

Wir müssen lernen, unser Leben zu sehen wie die Fäden in einem Stück Stoff. Wir sind alle ineinander verwebt, und wir sind alle voneinander abhängig. Nie dürfen wir vergessen, wer wir sind, was wir geschenkt bekommen haben und mit wem wir die Welt und dazu die Gaben zu teilen bekommen haben.

Lazarus ist tot, und der reiche Mann ist tot. Sie können nichts füreinander tun, und wir können ihnen nicht mehr helfen. Wir können der Geschichte zuhören, und dann können wir zu lernen versuchen, dass wir handeln, während wir am Leben sind. Wir können einander daran erinnern, dass es hier im Leben darum geht, zu sehen und zu hören; ineinander verwoben zu sein bedeutet, dass wir unter andere Menschen gehen und mit ihnen reden, uns zur Verfügung stellen und freigebig von den Gaben austeilen, die uns allen zugedacht sind. Nur so kann Jesus das Reich Gottes mit sich bringen, die Finsternis vertreiben und den Himmel auf Erden ausbreiten, so dass Gott seine Wohnung mitten unter uns erhalten kann.

Amen



Pastor Michael Wagner Brautsch
DK 6700 Darum v/Esbjerg
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier
E-Mail: mwb@km.dk

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