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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach Trinitatis, 02.06.2013

Predigt zu Matthäus 9:35-38. 10,1.5-7, verfasst von Dietz Lange


 

Liebe Gemeinde! Jesus verkündigt das Evangelium, heißt es da am Anfang, und er heilt alle möglichen Krankheiten. Beides zusammen beschreibt seine gesamte Tätigkeit während seines irdischen Lebens. Das Evangelium, das ist die Nachricht, dass nicht wir Menschen versuchen müssen, einen uns wohl gesonnenen Gott irgendwo aufzutreiben. Das kann nur schief gehen, denn was wir dann zu finden meinen, ist bloß unsere eigene Wunschvorstellung. Evangelium heißt vielmehr: Gott kommt in unsere Welt, die wir so arg zugerichtet haben, dass da Hass und Feindschaft, Eifersucht, Mobbing und Totschlag herrscht. Gott kommt, um mit seiner Liebe und Versöhnung in uns und in unserer Welt zu herrschen. Die Krankenheilungen Jesu sind deshalb nicht als Zauberkunststücke eines Wunderdoktors zu verstehen. Sie sind Zeichen der Hilfsbereitschaft und der Barmherzigkeit Gottes, die mit Jesus in die Welt kommt.

Und das ist nur der Anfang. Dieses Wirken Jesu ist kein anrührendes Märchen so wie die Märchen der Brüder Grimm, die wir unseren Kindern vorlesen, um durch die Märchenhelden eine menschenfreundliche Gesinnung in ihrer Phantasie zu verankern. Vielmehr hat Jesus mitten in der wirklichen Menschengeschichte etwas angestoßen, das weiterwirkt bis heute. Er hat Menschen dazu berufen, sein Werk fortzusetzen. Es fällt ja auf, dass die Jünger ganz genau dasselbe tun sollen wie Jesus selbst: den Gott verkündigen, der zu den Menschen kommt, um sie zu erlösen und zu heilen. Jesus wollte nicht, dass nur ein paar glückliche Auserwählte in den Genuss seiner Botschaft und seiner praktischen Hilfe kommen. Er wollte, dass sein Wirken sich fortpflanzt wie ein Lauffeuer.

Dazu hat Jesus seine Jünger ausgesandt. Aus dem griechischen Wort für "aussenden", apostellein, hat sich später das Wort "Apostel" gebildet. Die Apostel sind die Gesandten Jesu. Darum stellt man sich heute die Jünger als die zwölf Apostel vor, die in der Anfangszeit nach dem Tod Jesu die christliche Kirche geleitet haben. Also ein eng begrenzter Kreis seiner Anhänger. Die Zahl Zwölf hat symbolische Bedeutung. Sie weist auf die zwölf Stämme des Volkes Israel hin. So kann man verstehen, dass es eben dieses Volk ist, zu dem die Jünger oder Apostel von Jesus geschickt werden, und nicht die so genannten "Heiden", so wie er sich auch selbst mit seiner Arbeit auf dieses Volk beschränkt hat.

Aber dann sieht es ja so aus, als ob die christliche Gemeinde doch so etwas wie eine geschlossene Gesellschaft wäre, so wie wir das von Familienfeiern im Gasthaus kennen: Fremde unerwünscht, wir wollen unter uns sein. Ja, man könnte sogar überlegen, ob es denn überhaupt richtig war, dass die christliche Kirche sich ganz bald doch über den Bereich des Volkes Israel hinaus ausgedehnt hat. Die so genannten Judenchristen in der ältesten Kirche hatten tatsächlich ihre Probleme damit.

Aber das ist ein Missverständnis. Das sieht man schon daran, dass Jünger im Neuen Testament nicht nur die Zwölf sind, sondern auch die anderen Männer und Frauen, die Jesus für seine Lehre gewonnen hat. Und Jesus selbst hat sich durchaus auch nichtjüdischen Menschen zugewandt, die ihm begegneten. Zwar hat er sich in erster Linie um die Menschen seines eigenen Volkes gekümmert, denn das war nun einmal der Platz, an den Gott ihn gestellt hatte. Und weil er meinte, dass das Ende der Welt ganz nahe bevorstünde, lag diese Konzentration auch nahe. Er wollte ja nicht irgendwelche wohlklingenden allgemeinen Parolen ausgeben, die dann wirkungslos verhallen. Sondern er wollte den Menschen, mit denen er tatsächlich zu tun hatte, im Namen Gottes ins Gewissen reden, sie durch seine Predigt trösten, ihnen praktische Hilfe zuteil werden lassen, wenn sie an Krankheiten litten, die er heilen konnte. Aber grundsätzlich war seine Botschaft für alle Menschen gedacht. Darum ist es durchaus in seinem Sinn, dass nach seinem Tod und seiner Auferstehung der christliche Glaube sich über die ganze Welt ausgebreitet hat.

Das ist nun nicht nur eine Frage längst vergangener Jahrhunderte. Sondern das geht uns heute unverändert an. Ich kenne eine ganze Reihe von Menschen, die mir gesagt haben: "Warum lasst ihr Christen nicht die Leute in Ruhe, die einen anderen Glauben haben oder die ganz ohne Glauben glücklich sind. Ich versuche doch auch nicht, Sie zum Atheisten zu machen." Das klingt auf den ersten Blick ganz plausibel. Es wäre sogar richtig, wenn es sich bei unserem Glauben um eine bloße Meinung oder um bestimmte Gedanken handelte, die man natürlich immer so oder auch anders sehen kann. Aber Glaube ist nicht etwas, das sich mal irgendein Theologe oder sonst jemand ausgedacht hat. Sondern Glaube ist das unbedingte Vertrauen zu dem Gott, der durch Jesus und sein Werk in unser Leben kommt. Dieser Gott will uns ganz, und er schickt uns auch zu den Menschen um uns herum.

Das nennt man Mission. Nun hat die christliche Mission über viele Jahrhunderte hinweg keine sehr rühmliche Geschichte gehabt, das muss man zugeben. Sie hat sich mit den wirtschaftlichen Interessen der Kolonialherren gemein gemacht, und sie hat sich sogar mit-schuldig gemacht an der Ausrottung eingeborener Völker. Aber genauso muss man zugeben: Dies war das genaue Gegenteil von dem, was Jesus mit der Aussendung seiner Jünger gewollt hat. Christliche Mission kann nur in ein Gespräch mit anderen Menschen sein. Dazu gehört nicht nur, dass wir zu unserer Überzeugung stehen, sondern immer zugleich der Respekt vor dem Gewissen des anderen. Aber es sind nicht wir, die da auf die Idee kommen, mal ein bisschen Reklame zu machen, sondern es ist Gott selbst, der uns sendet.

Es ist Gott selber, der uns durch Jesus in die Welt schickt. Darum beginnt Jesus seine kurze Anrede mit den Worten: "Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter. Darum bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende." Nicht ein kirchlicher Aktionsplan steht also am Anfang, sondern ein Gebet. Es geht nicht um irgendeine Form von Weltherrschaft, nicht einmal um die Weltherrschaft des Christentums oder der christlichen Kirche. Wer die Weltherrschaft will, wird immer zum brutalen Unterdrücker, erst recht, wenn es eine Kirche ist, die auf Weltherrschaft aus ist. Auch wenn ein einzelner Mensch sich privat zum Herrscher über einen anderen aufwirft, der Mann über seine Frau oder die Frau über ihren Mann oder auch die Eltern über ihre Kinder, ist das unmenschlich. Es soll uns allein um die Herrschaft Gottes gehen, um die Herrschaft seiner versöhnenden Liebe zu allen Menschen. In seinem Dienst stehen wir, wenn wir uns von ihm aussenden lassen.

Nun haben wir Menschen alle die Neigung, Herren oder Herrinnen sein zu wollen. Herren über andere Menschen, offen oder hinten herum, Herren sogar über Gott, indem wir ihm vorschreiben möchten, wie er uns zu behandeln hat. Demgegenüber nennt Jesus hier Gott den Herrn der Ernte. Ernte ist ein Bild für das Gericht, das Strafgericht Gottes. Viele Leute, auch in der Kirche, denken, dass die Vorstellung von einem Gericht Gottes nicht christlich sei, sondern ins Alte Testament gehöre. Aber das stimmt nicht. Wenn Gott uns gebietet, uns nicht zu Herren zu machen, sondern uns in seinen Dienst zu stellen, dann meint er das auch so. Wir sollen diesen Dienst durchaus selbstbewusst ausführen, aber uns nicht an die Stelle Gottes setzen. Das ist kein Spaß, sondern bitterer Ernst. Das bedeutet das Bild vom Gericht Gottes.

Direkt davor hat Jesus in einem ganz anderen Bild von Gott als dem Hirten seines Volkes gesprochen. Ein Hirte sorgt für seine Herde, behütet sie vor Gefahren, hält sie liebevoll zusammen. Dagegen das andere Bild für Gott als Landwirt, als Schnitter, der das Getreide mäht, das ist ja auch ein Bild für den Tod. Gottes Herrschaft als ein Strafgericht - Gottes Herrschaft als ein freundliches Behüten, wie passt das zusammen?

Das Entscheidende in diesen einander scheinbar widersprechenden Bildern ist, dass Gott unsere Versöhnung mit ihm will, und dass er uns zu anderen Menschen aussendet, damit wir ihnen das nahe bringen. Nur ist das etwas anderes als eine Streicheleinheit. Gott ist nicht der schulterklopfende Kumpel, als der er in manchen christlichen Reden erscheint. Herrschaft der Liebe Gottes oder menschlicher Herrschaftsanspruch über Gott und andere Menschen, das ist ein scharfes Entweder - Oder. Da gibt es keinen Kompromiss. Wir sind von Jesus dazu aufgerufen, Gottes Barmherzigkeit dankbar anzunehmen und an ihrer Weiterverbreitung mitzuwirken. Lassen Sie uns seinem Ruf folgen.

Amen.

 



Prof. Dr. Dietz Lange
37083 Göttingen
E-Mail: dietzlange@aol.com

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