Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag nach Trinitatis, 16.06.2013

Predigt zu Lukas 19:1-10, verfasst von Klaus Bäumlin


Was bei Gott möglich ist

 

„Und er kam nach Jericho und zog durch die Stadt. Und da war ein Mann, der Zachäus hiess; der war Oberzöllner und sehr reich. Und er wollte unbedingt sehen, wer dieser Jesus sei, konnte es aber wegen des Gedränges nicht, denn er war klein von Gestalt. So lief er voraus und kletterte auf einen Maulbeerfeigenbaum, um ihn sehen zu können; denn dort sollte er vorbeikommen. Als Jesus an die Stelle kam, schaute er nach oben und sagte zu ihm: Zachäus, los, komm herunter, denn heute muss ich in deinem Haus einkehren. Und der kam eilends herunter und nahm ihn voller Freude auf. Und alle, die es sahen, murrten und sagten: Bei einem sündigen Mann ist er eingekehrt, um Rast zu machen. Zachäus aber trat vor den Herrn und sagte: Hier, die Hälfte meines Vermögens gebe ich den Armen, Herr, und wenn ich von jemandem etwas erpresst habe, will ich es vierfach zurückgeben. Da sagte Jesus zu ihm: Heute ist diesem Haus Heil widerfahren, denn auch er ist ein Sohn Abrahams. Denn der Menschensohn ist gekommen zu suchen und zu retten, was verloren ist."

 

Liebe Gemeinde, merkwürdig, da hat man doch gerade im vorangehenden Kapitel des Lukasevangeliums von einem vornehmen Mann gelesen, der zu Jesus kommt und ihn fragt, was er tun müsse, um ewiges Leben zu erben. Die Gebote jedenfalls habe er alle gehalten. Also doch ein recht sympathischer Mensch. „Eines fehlt dir noch", sagt ihm Jesus. „Verkaufe alles, was du hast und verteile es unter die Armen. Komm und folge mir!" „Der aber wurde sehr traurig, als er das hörte, denn er war sehr reich." Und Jesus sagt zu den Leuten: „Wie schwer kommen die Begüterten ins Reich Gottes. Ja, eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reicher ins Reich Gottes."

Und nun kommt so ein Kamel und geht durchs Nadelöhr, das heisst: da kommt wieder ein Reicher - und ihm und seinem Haus widerfährt Heil. Dabei ist es nicht ein besonders sympathischer Mensch. Mit dem Halten der Gebote hat er es nicht so genau genommen. Als Oberzöllner im Dienst der Römer hat er sich bei seinen eigenen Landsleuten nicht beliebt gemacht. Seinen Reichtum hat er mit allerlei korrupten Praktiken geäufnet. Man kennt das. Er möchte Jesus sehen, nicht, weil er sich um sein Seelenheil sorgt, sondern aus lauter Neugier. Er will den sehen, dem die Leute nachlaufen. Er muss doch wissen, was im Städtchen so läuft. Er ist ein kleiner Mann, und die Leute lassen ihn nicht durch, sie mögen ihn nicht, sie verachten ihn. Also klettert er auf einen Maulbeerfeigenbaum. Die Szene entbehrt nicht einer gewissen Komik: der kleine Reiche da oben auf den Ästen sitzend, sich an den Stamm klammernd, hinter den Blättern versteckend.

Zachäus ist auf den Baum geklettert, weil er Jesus sehen wollte. Aber nun sieht Jesus ihn. Und sieht ihn so, wie ihn noch niemand gesehen hat. Er sieht nicht nur, was ihm fehlt, sieht nicht bloss den Reichen, Kleinen, Verachteten, den, der andere übers Ohr haut. Wo die anderen den verlorenen Sünder sehen, sieht Jesus den Sohn Abrahams. Und erweist ihm eine grosse Ehre: Er lässt sich von ihm einladen. Er will sein Gast sein. „Und der kam eilends herunter und nahm ihn voller Freude auf." Man spürt geradezu, was in dem kleinen Mann vorgeht. Was er sich mit seinem ganzen Reichtum nicht hat kaufen können, wird ihm geschenkt: Aufmerksamkeit, Zuwendung, Achtung, Freundlichkeit.

Martin Luther hat die schönen Worte geschrieben: „Die Liebe Gottes liebt die Sünder, die Bösen, die Dummen und die Schwachen und macht sie gerecht, gut, weise und stark. Deshalb sind die Sünder schön, weil sie geliebt sind; sie werden nicht geliebt, weil sie schön sind" (Heidelberger Disputation 1518, These 28). Genau das geschieht mit Zachäus. Weil er sich geliebt und geachtet erlebt, weil er als Sohn Abrahams angesehen und angesprochen wird, als einer, der zum gesegneten Volk Gottes gehört, deshalb erweist er sich nun auch als Sohn Abrahams, wird er nun gerecht, gut, weise und stark und kann seinen Reichtum grosszügig teilen, kann Schaden gutmachen, kann tun, was der andere Reiche nicht tun konnte.

Wer nur die Geschichte von dem reichen Mann hört, der von seinem Reichtum nicht lassen kann,

wer nur das Wort hört, dass eher ein Kamel durch ein Nadelohr geht als ein Reicher ins Reich Gottes, und wer noch die erschreckte Frage der Dabeistehenden hört: „Wer kann dann gerettet werden?", der macht sich schnell seinen Reim: Hoffnungsloser Fall. Keine Hoffnung auf das ewige, wahre Leben für die Reichen. So einfach ist das. Jesus aber sagt: „Was unmöglich ist bei den Menschen, ist möglich bei Gott." Die Geschichte von Zachäus erzählt, was bei Gott möglich ist.

Liebe Gemeinde, wir gehören ja vielleicht nicht alle zu den Reichen, sind vielleicht auch nicht gerade ungerechte, böse, dumme und schwache Leute. „Eitel arme Sünder" sind wir allzumal, um es mit Matthias Claudius zu sagen. Und etwas von der Trauer des einen Reichen sollte uns nicht fern sein. Doch um Jesu Christi willen gehören auch wir zu den Kindern Abrahams. Viel schöner und wichtiger als lähmende Trauer ist es, zu erkennen, was Gottes Möglichkeiten sind, und was er mit uns möglich machen kann. Und das wird dann ganz reale, praktische Folgen haben für unser Leben und Handeln - so wie es bei Zachäus Früchte der Gerechtigkeit gebracht hat. Was für ein freier Mensch ist Zachäus geworden!

Amen.

 



Pfarrer i. R. Klaus Bäumlin
CH-3006 Bern
E-Mail: klaus@baeumlin.ch

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