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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag nach Trinitatis, 16.06.2013

Predigt zu Lukas 19:1-10, verfasst von Ralf Reuter

 

 

Von Zachäus und dem Umgang mit Führungskräften

Liebe Gemeinde!

Es war in dem Krisenjahr 2001, als wir am späten Abend noch mit Unternehmern und Managern aus dem Osnabrücker Land in einem Lokal zusammensaßen. Zwei aus diesem Kreis waren gerade verstorben. Einer nahm sich das Leben, der andere starb am vorletzten Tag der Insolvenz seines Unternehmens. Da bekamen wir von dem Kreis die dringliche Anfrage: Habt ihr als Kirche ein Angebot für Führungskräfte der Wirtschaft? Wo wir mit unseren Fragen vorkommen und begleitet werden?

So haben zwei Pastoren die Anfänge ihrer kirchlichen Arbeit mit Wirtschaftsleuten beschrieben. Von der Basis, von den Betroffenen her, ist die Zuwendung zu Unternehmern unmittelbar einleuchtend. Ein biblisches Beispiel ist der reiche Oberzöllner in Jericho. Er hat von Jesus gehört. In ihm entsteht der Gedanke, dieser Jesus könne etwas für ihn sein. Er ist neugierig geworden. Wir wissen nicht, welche Sehnsüchte, welche Hoffnungen ihn dabei leiten. Dieser Jesus wird durch seine Stadt ziehen, und er macht sich auf, ihn zu sehen.

Der Erzähler Lukas, der diese Geschichte von anderen hört und in sein Evangelium einbaut, führt ihn mit einem Namen ein, Zachäus. In der Beziehung zu Jesus geht es persönlich zu. Lukas schildert die eigenständige Suche des Zachäus. Als reicher Mann könnte er ja seine Leute schicken, eine Begegnung für ihn zu arrangieren. Doch er geht selbst hin. Ist aber zu klein, um Jesus zu sehen. Seine äußere Gestalt wird sichtbar. Hastig läuft er voraus. Er klettert auf einen Baum. Ein seltsamer Aktionismus.

Was will er da? Lukas berichtet von den Zuschauenden. Die denken vielleicht: Er will wieder der erste sein und drängt sich vor. Und wir heute: Zum Glück gibt es beim Einzug von Jesus für die besten Plätze keine teuren Karten zu kaufen. Doch was denkt Zachäus? Welche Gedanken trauen wir ihm zu? Ist er auf einer ehrlichen Suche nach mehr Tiefe für sein Leben? Sucht er den Glauben? Oder will er sich religiös ins rechte Licht setzen, gar die Spiritualität für eine Optimierung seiner materiellen Interessen nutzen? Man weiß es nicht.

Jesus sieht ihn und sagt: Zachäus, steig eilend herunter; denn ich muss heute in deinem Haus einkehren. Das ist dieser sozial ausgerichtete Lukas mit seinen persönlichen Geschichten. Lässt Jesus in das Haus eines reichen, wahrscheinlich korrupten Unternehmers einkehren. Das Verlorene suchen. Durch die unmittelbare persönliche Begegnung. Ich kann mir vorstellen, dass Jesus von Nazareth tatsächlich so war. Dass er die Menschen mit einem göttlichen Blick angesehen hat, der sie nicht auf ihre Taten festnagelt. Sondern in ihnen sieht, was Gott eigentlich mit ihnen vor hat.

Es ist der Blick der göttlichen Liebe, nach dem sich Menschen sehnen. Schau nicht auf das äußere meines Lebens, auch nicht auf das, was mir misslungen ist oder was ich nicht so gut kann. Schenke mir den warmen Blick der Liebe. Nur so kann ich neu beginnen, versuchen mich selber anzunehmen und andere auch. In diese Sehnsucht nach mehr als den menschlichen Möglichkeiten stellt Lukas nicht nur Kranke, Blinde, Arme, sondern auch Reiche. Er lässt Jesus in das Haus dieses Zachäus einkehren.

Das ist in der Tat empörend. Sofort sind die Zuschauer bei Lukas da und murren: Bei einem Sünder ist er eingekehrt. Sie kennen Zachäus. Fragen sich, warum er nicht bei einem von ihnen einkehrt. Heute sehen das viele ebenso drastisch. Manager, nach der Finanzkrise besonders Banker, gelten als unmoralisch. Die Banken sind auch durch faule Kredite erst reich geworden, und wenn sie dann pleitegehen, werden sie mit Steuermitteln gerettet. Die Kirche sollte sich lieber um die Armen kümmern und nicht Reiche hofieren.

Doch dieser Jesus kehrt bei Zachäus ein. Sie werden dort zusammen essen, denke ich mir. Denn Jesus war lange unterwegs. Wein trinken, denn die Straße war staubig. An einem schönen Tisch sitzen, das hat auch was für sich. Doch Lukas sagt uns gar nichts darüber, was dort im Haus passiert. Die Unverfügbarkeit eines Glaubensgespräches. Geschützter Bereich. Beichtgeheimnis. Für uns auf Transparenz Getrimmte kaum aushaltbar, ganz schlecht tolerierbar. Höchstens bei Jesus zulässig.

Dabei gibt es solche Gespräche zwischen Menschen. Vertrauliche Beratung. Seelsorge. Mit einem Pastor, Pastorin. Wo der andere mitgenommen wird ins Gottesverhältnis. Wo gerungen wird über christliche Wertorientierungen. Aber ebenso unter Freunden. Wo offen geredet werden kann. Wo der Freund nein sagt, widerspricht, und dennoch der Freund bleibt. Hier liegt wahrscheinlich die größte Chance, dem anderen die Wahrheit nicht wie einen nassen Waschlappen um die Ohren zu hauen, sondern sie ihm unter vier Augen wie einen wärmenden Mantel hinzuhalten, wo er reinschlüpfen kann (Max Frisch).

Jesus erzählt nichts, Lukas denkt sich nichts dazu, und auch wir sollten schweigen können, wenn uns andere etwas anvertrauen. Die Gefahr: Gerne mal berichten, wie sie dabei zusammengebrochen sind. Rumerzählen, wie schwer es ihnen gefallen ist. Von Jesus her kommen die persönliche Wertschätzung und das Vermeiden von Bloßstellen allen Menschen zu. Ganz schön hart, wie heutzutage Menschen und Organisationen andere anonym ins Netz stellen und ihre Würde verletzen. In der Bibel wird schlichtweg nichts erzählt.

Und doch ändert sich alles. Zachäus geht als Sünder mit Jesus in sein Haus und kommt als Gerechtfertigter wieder raus. Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemand betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück. Der Glaube hat immer Folgen. Über den neuen Glauben erfahren wir nichts, aber die Folgen sind hörbar. Das ist hier idealtypisch dargestellt. So soll es sein. Reichtum braucht Teilhabe, und Ungerechtigkeit soll wieder gut gemacht werden. Die Nähe zu Jesus hat eine heilende Kraft. Der Glaube zielt auf das Herz des Einzelnen. Er ermöglicht Umkehr und neue Anfänge, die dann für andere spürbar werden. Dies werden die Führungskräfte 2001 in der Anfangsgeschichte vor Augen gehabt haben, als zwei der ihren verstarben und sie um eine besondere Zuwendung der Kirche zu Wirtschaftsleuten baten.

Dabei sind Manager und Unternehmer keineswegs besonders defizitär. Viele von ihnen bemühen sich ehrlich und kämpfen in einem schwierigen Wirtschaftssystem. Setzen sich für ihre Mitarbeitenden ein und versuchen Arbeitsplätze zu halten. Man kann sogar sagen, ihnen ist besonders viel anvertraut und auferlegt. Oft haben ihre Familien kaum etwas von ihnen. Und ihre eigene persönliche Entwicklung leidet unter der ständigen Fokussierung auf die Quartalszahlen des Unternehmens. Manche sagen mit über 50 Jahren: Ich habe nur gearbeitet.

Wolfgang Huber hat auf dem Kirchentag im Hamburger Michel seiner Kirche den Umgang mit Führungskräften der Wirtschaft noch einmal besonders ans Herz gelegt: In einer Zeit großer Herausforderungen ist etwas anderes gefragt als Elitenverachtung. Nötig sei die Übernahme von Verantwortung, nicht nur der einzelnen, sondern auch der Unternehmen als Ganze. Eine neue Erfahrung: Die Anfragen an die Kirche von Unternehmen betreffen auch die Mithilfe beim Aufstellen eines Verhaltenskodex und den Wandel der Unternehmenskultur.

Ob diese einzigartige Zachäus-Geschichte für all das herangezogen werden kann, weiß ich nicht. Mir leuchtet aber ein, dass der Glaube wirklich die Herzen und diese Welt verändern kann. Es ist der Blick mit den Augen dieses Jesus von Nazareth, der im anderen einen der göttlichen Barmherzigkeit bedürftigen Menschen sieht und auf ihn zugeht. Dafür ist diese Geschichte beispielhaft.

Wie kann sie heute weitergehen? Inzwischen gehen Führungskräfte der Wirtschaft ins Kloster auf Zeit und machen dort Bibelarbeiten. Sie suchen selber den Zugang zu den Quellen des Lebens. Es ist klar, dass sich in den Texten der Bibel ihr eigenes Leben spiegelt und sie dabei die unverwechselbare Stimme dieses Jesus von Nazareth hören können. Aber es ist auch klar, dass es immer ein Geheimnis des Heiligen Geistes bleibt, wenn sich plötzlich der Glaube entzündet und zu einem neuen Handeln führt.

Für alle, die in der Wirtschaft tätig sind, ist dies die Chance, mit dem Himmel auf Erden in Berührung zu kommen und selber geistlich zu wachsen. Das hat immer auch Folgen. Aus dem Impuls des Abends im Jahre 2001 ist in der Hannoverschen Landeskirche das Arbeitsfeld Spiritual Consulting für Führungskräfte der Wirtschaft geworden. Und für eine Gemeinde, in der plötzlich Unternehmer und Manager vorne in der Kirchenbank sitzen, Kirchensteuer zahlen und zum Abendmahl kommen, ist dies hoffentlich keine schwierige, sondern eine segensreiche Erfahrung.

 



Pastor Ralf Reuter
37079 Göttingen
E-Mail: Ralf.Reuter@evlka.de

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