Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag nach Trinitatis, 16.06.2013

Predigt zu Lukas 19:1-10, verfasst von Andreas Schwarz

 

 

„Eine Begegnung, die groß macht"

 

1 Jesus ging nach Jericho hinein und zog hindurch.
2 Und siehe, da war ein Mann mit Namen Zachäus, der war ein Oberer der Zöllner und war reich.
3 Und er begehrte, Jesus zu sehen, wer er wäre, und konnte es nicht wegen der Menge; denn er war klein von Gestalt. 
4 Und er lief voraus und stieg auf einen Maulbeerbaum, um ihn zu sehen; denn dort sollte er durchkommen.
5 Und als Jesus an die Stelle kam, sah er auf und sprach zu ihm: Zachäus, steig eilend herunter; denn ich muss heute in deinem Haus einkehren.6
Und er stieg eilend herunter und nahm ihn auf mit Freuden.
7 Als sie das sahen, murrten sie alle und sprachen: Bei einem Sünder ist er eingekehrt. 
8 Zachäus aber trat vor den Herrn und sprach: Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück.
9 Jesus aber sprach zu ihm: Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, denn auch er ist Abrahams Sohn.
10 Denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.

 

Liebe Gemeinde,

eine schöne Geschichte, nicht wahr? Eine bekannte Geschichte, die gern Kindern erzählt wird, die so schön anschaulich ist. Man kann sich das vorstellen und wie einen Film vor dem inneren Auge ablaufen lassen.

Um Zachäus geht es in dieser Geschichte - sie ist mit seinem Namen verbunden. Hören wir den Namen, dann leuchtet die Geschichte auf. Er wird ja auch deutlich beschrieben, der Zachäus, dass er ein Zöllner ist, dass er reich ist und dass er klein ist.

Weil er klein ist, darum kommt die Geschichte Kindern so nah. Die sind ja auch klein, üblicherweise. Kleiner als die Erwachsenen. Und allein deswegen können sie viele Dinge nicht, die die Erwachsenen können. Sie trösten sich dann mit der Aussicht: ‚wenn ich groß bin, ...'

Aber nun ist der Zachäus kein Kind mehr, sondern ein Erwachsener, bloß eben klein. Er kann nicht mehr sagen: ‚wenn ich groß bin, ...', er wird nicht mehr größer. Er macht Erfahrungen, die kleine Leute eben machen. Wenn ein Großer vor ihnen im Kino oder im Theater sitzt, dann war's das mit der guten Sicht. Der kleine Mensch hat einfach viel mehr Hindernisse vor sich, die er ohne weiteres nicht überwindet. Manchmal ist man auch in der Auswahl der Kleidung eingeschränkt, da ist ja eher der Durchschnitt wichtig. Sehr klein sein, das kann manchmal hinderlich sein. Kleine Menschen werden oft übersehen, nicht wahrgenommen und nicht ernst genommen. Darum versuchen sie sich anders Geltung zu verschaffen. Irgendwie muss man sie doch registrieren, wenn schon nicht wegen ihrer Körpergröße. Da macht man sich eher lustig, nennt sie ‚Kleiner' oder ‚Knirps'. Also suchen sie nach einer Möglichkeit, auf sich aufmerksam zu machen, sich eine Bedeutung zu verschaffen, Macht zu bekommen, wichtig zu sein. Denken wir nur mal daran, dass Napoleon sehr klein war und man nun von einem sogenannten ‚Napoleon-Syndrom‘ redet, dem Drang kleiner Menschen, auf sich aufmerksam zu machen. Auch Hitler war sehr klein. Und hat darunter gelitten. Man sagt, er habe seinen Leibarzt umbringen lassen, damit nicht öffentlich wurde, dass er nur 1,69m groß war.

Zachäus ist wichtig geworden, obwohl er klein war; man zollte ihm Respekt, man fürchtete ihn - denn er arbeitete im Namen der römischen Besatzer. Das verschaffte ihm Macht und ein Ansehen, das eher mit Ablehnung und Angst zu tun hatte. Denn es gab kaum etwas Übleres für Juden, als mit den Römern gemeinsame Sache zu machen und sich durch ihren Schutz auf Kosten der eigenen Leute zu bereichern.

Nun hat er Macht, nun ist er reich, er hat sich einen Namen gemacht, er hat sich ein Ansehen verschafft. Aber ganz offensichtlich bleiben Lücken in seinem Leben. Wir können es nicht wissen, nur vermuten, wie er sich gefühlt hat. Das Grinsen der Leute wegen seiner Kleinheit. Der verächtliche Blick - ‚bloß weg, da ist der Mann, der mit den Römern paktiert und uns ausbeutet'.

Er kann sich alles leisten, aber er kann nicht zufrieden sein. Es fehlt etwas in seinem Leben.

Akzeptiert zu sein, respektiert zu werden, nicht wegen der Macht, nicht wegen des Geldes, sondern als Person, als Mensch. Von Menschen geachtet zu werden, angenommen zu sein, geschätzt, gemocht zu werden. Das kann man wohl weder befehlen noch kaufen.

Wie vielen Menschen wird es ähnlich gehen. Das Leben ist ein tägliches Bemühen, den Anforderungen zu entsprechen, im Beruf, in der Familie, im Anspruch an einen selbst. Leicht wird das Bemühen zum Kampf, der frustriert, der Kraft beansprucht, der scheinbar Erfolg bringt, aber auf eine besondere Art und Weise unzufrieden und leer macht. Und dann machen Menschen sich auf den Weg, neue und andere Erfahrungen zu finden, sich selbst oder einen Sinn zu finden, der über Macht und Geld hinausgeht. Zachäus sucht etwas. Er sucht Jesus. Was er von ihm will, wissen wir nicht. Aber es ist ihm wichtig. Aus irgendeinem Grund sucht er jemandem, der ihm nicht noch mehr Macht und noch mehr Geld verspricht. Sondern etwas anderes, irgendetwas anderes. Er will ihn sehen. Er muss ihn sehen. Und weil er nun auch noch klein ist, muss er auf einen Baum, auf einen Maulbeerbaum.

Ob er damit rechnet, dass er auf dem Baum nicht nur besser sieht, sondern auch besser gesehen wird?

Jedenfalls gestaltet sich die Geschichte anders, als Zachäus sie erwartet hat. Sein Leben ändert sich nicht dadurch, dass er von der Höhe des Baumes nun einen besseren Blick hätte. Sondern dadurch, dass Jesus ihn sieht.

Jesus sah auf und sprach zu ihm.

Das bringt die entscheidende Bewegung in die Geschichte. Das ist der Anfang davon, dass das Leben sich ändert. Seinen distanzierten Beobachtungsposten wie ein Jäger auf dem Hochsitz muss er aufgeben. Aus der Entfernung tut sich nichts im Leben. Auch nicht in der Einsamkeit oder in den vielen Angeboten der Bewusstseinserweiterung; der Rückzug in die Suche nach dem ‚Ich' löst die Lebensfrage nicht. Ich kläre das auch nicht am Schreibtisch mit meinen eigenen Gedanken. Nicht in Stille und Abgeschiedenheit, sondern im Gespräch und in der Gemeinschaft.

Das Leben ändert sich da, wo es gelebt wird. Nicht in der Höhe, sondern auf dem Boden. Unten, in der Begegnung mit Jesus Christus und der Gemeinschaft mit anderen Menschen. ‚Steig eilend herunter!'

Jesus Christus sieht ihn und spricht ihn an. Aber nicht nur irgendwie, sondern weil er seine Gemeinschaft sucht: ‚ich muss heute in deinem Haus einkehren'.

Genau an der Stelle, an dem sein Leben seine größte Lücke hat, hakt Jesus ein. Ein Mensch, mit dem niemand zu tun haben wollte, mit dem keiner Gemeinschaft haben wollte, der wird damit beschenkt, dass Jesus bei ihm einkehrt; sich mit ihm an einen Tisch setzt, mit ihm redet, mit ihm isst und trinkt. Er erlebt genau das, was ihm fehlt.

Jesus sieht den Menschen. Er sieht den kleinen Menschen. Er sieht den Menschen, der auf der Suche ist und nicht einmal wirklich weiß, wo und was er suchen soll. Er sieht den Menschen, der sich klein fühlt, sich klein vorkommt, den man übersieht, den man nicht wahrnimmt, den man nicht ernst nimmt, den man für unwichtig hält.

Ob wir eine Ahnung haben, wie viele Menschen sich genau so fühlen? Unbedeutend, unwichtig, übersehen, nicht viel wert.

Jesus zeigt, was sie ihm wert sind. Er sieht und er kehrt ein. Er schenkt Menschen Beachtung und damit einen Wert, den sie in der Öffentlichkeit und irgendwann dann auch in ihrer eigenen Wahrnehmung nicht haben.

Jesus sieht und spricht und handelt gegen die Meinung: Ich bin nichts wert, mit mir will niemand etwas zu tun haben. Jesus handelt damit gegen den Anstand, gegen die Frömmigkeit, gegen das, was üblich ist; er handelt gegen den Applaus der Beliebten und Gefeierten, gegen die Guten und Anständigen, die alles richtig machen und denen alles gelingt, die beliebt sind und mit deren Gesellschaft man sich gern sehen lässt und schmückt. Vor allem handelt er gegen die, die sich über Andere erheben, die Augen verdrehen und die Nase rümpfen, die sich selbst für gut und wichtig halten. Dafür nimmt Jesus ihre Kritik in Kauf. Sie muss ja kommen. Denn wenn er dem Gescheiterten seine Aufmerksamkeit schenkt, geht sie ihnen verloren - meinen sie. Er kümmert sich um den Sünder, um den Menschen, der auf der Suche ist nach einem Sinn in seinem Leben, nach etwas, was wirklich trägt, nach Nähe, nach Gemeinschaft. Zachäus spürt sicher, was in seinem Leben kaputt ist, was verloren gegangen ist.

Weil sein Zusammenleben mit anderen Menschen gestört ist, darum braucht er einen neuen Zugang zu den anderen Menschen. Das Schöne ist, es wird ihm keine Analyse vorgelegt, kein Konzept mit kleinen Zielvorgaben, die er Schritt für Schritt erfüllen müsste, bis er es endlich geschafft hat. Sondern Jesus sieht ihn, spricht ihn an, lädt sich bei ihm ein und pflegt Gemeinschaft mit. Und damit ändert sich sein Leben. Die geschenkte Gemeinschaft öffnet ihm den Blick dafür, was Sünde bedeutet - nämlich Gemeinschaft zu zerstören oder zu verhindern. Und jetzt wird es da geregelt, wo es kaputt ist.

Wo ich gestohlen habe, muss ich es ersetzen.

Wen ich betrogen habe, um dessen Vertrauen muss ich neu werben.

Wenn ich verletzt habe, um den muss ich mich kümmern. Über wen ich schlecht geredet habe, bei dem muss ich um Verzeihung bitten.

Zachäus spürt sehr genau die Zusammenhänge. Und zwar einzig und allein dadurch, dass Jesus bei ihm einkehrt. Der stellt ihn nicht zur Rede, hält ihm seine Sünden nicht vor. Er pflegt Gemeinschaft mit ihm und Zachäus erkennt, was seinem Leben fehlt.

Nicht, dass er nun der Meinung sei, er könne seine Sünden bezahlen und er könne sich bei den zuvor Betrogenen Gemeinschaft kaufen.

Aber er erkennt daran, wie Jesus mit ihm umgeht, dass gute Gemeinschaft wichtiger ist als Geld und Macht. Und er spürt, dass Jesus ihn, obwohl - oder weil - er so ist wie er ist, nicht ablehnt oder übersieht. Wie all die anderen Menschen. Jesus sieht ihn und er schenkt ihm eine neue Chance. Sie beginnt damit, dass Zachäus seine Sünde sieht und sie bereut. Damit wird der Weg frei zu einem neuen Leben. Zu einem Leben, in dem Jesus Christus in uns wohnt und wir seine Liebe und Vergebung erfahren. Zu einem Leben, in dem eine gute Gemeinschaft wichtig ist. Zu einem Leben, in dem Menschen nicht gewertet und verurteilt werden, wo Menschen nicht nach reich und arm, gescheitert oder erfolgreich, beliebt oder unwichtig sortiert werden. Sondern eine Gemeinschaft, in der die Verlorenen gesucht, gefunden und gerettet werden. Amen.

 



Pfarrer Andreas Schwarz
75172 Pforzheim
E-Mail: p.andreas.schwarz@gmail.com

(zurück zum Seitenanfang)