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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Johannistag, 24.06.2013

Predigt zu Matthäus 11:11-15, verfasst von Ulrich Wiesjahn


Liebe Gemeinde!

Wir begehen heute den Johannistag, also den längsten Tag des Jahres mit der kürzesten Nacht. Dieser Tag hat die Menschen seit ewigen Zeiten bewegt und bestimmt, weil solch ein Naturereignis wohl eine bestimmte Bedeutung haben muss. Daraus entstanden ist dann das Mittsommernachtsfest, aber auch ein Tag für Arbeitsverträge, für Steuerabgaben oder Schulabschlüsse und die Nacht der leuchtenden Johannisfeuer. Das alles war einem inneren, oft gewiss nur halbbewussten Gefühl geradezu notwendig. Dieser Tag war eine Weichenstellung zwischen Licht und Finsternis. Und so wurde in alten heidnischen Zeiten der 24.Juni festlich begangen mit geschmückten Bäumen, mit Tanz, Frohsinn und Übermut.

Für die Christen wurde dieser Tag, die Mitte des Jahres, nun auch zu einem Tag der Entscheidung erhoben: Wollen wir dem Jesus Christus nachfolgen oder Johannes dem Täufer, der in alter Prophetentradition steht? Auch wenn uns diese Frage inzwischen ganz fremd geworden ist, so ist doch eine geistige Ausrichtung unseres Glaubens bis heute notwendig. Zur Lebenszeit Jesu ging es um die Entscheidung, ob denn die Botschaft von Johannes dem Täufer oder die Botschaft des Jesus aus Nazareth vertrauenswürdig sei. Beide gehörten ja irgendwie zusammen. Johannes hat Jesus getauft und war so etwas wie sein geistlicher Vater. Aber dann entwickelten sie sich doch deutlich auseinander. Wenn wir uns das vor Augen halten, dann verstehen wir das Wort Jesu über Johannes, der inzwischen längst tot war, besser. Es ist ein seltsamer Nachruf.

Lesung von Matthäus 11,11-15.

„Wer Ohren hat zu hören, der höre!" Nun, was sollen wir hören? Mindestens dieses: Ablösungen muss man im Leben immer erleben, erleiden, verarbeiten und deuten. Autoritäten bleiben niemals ewig. Kinder und Enkel lösen die Eltern und Großeltern ab. Da geht jemand in sein neues Glück hinein und ein anderer bleibt traurig zurück. Zurückbleiben-können, das ist eine eigene Lebenskunst. Das fällt heute vielen schwer.

Als ich unseren Bibelabschnitt las, blieb ich zuerst bei einer Zeile hängen, die ich aus Brahms´ „Marienliedern" kenne: „Denn das Himmelreich leidet Gewalt". Das ist so intensiv und gefühlvoll vertont, dass ich das innerlich sofort verstanden habe, nicht aber mit dem Verstand. Verstanden habe ich nur, dass es um etwas Entscheidendes geht. Und das ist in fast allen Religionen das Himmelreich.

Doch nun kommt es darauf an, ob davon Johannes der Täufer oder Jesus oder die eigene Seele oder irgendeine fremde Religion davon spricht. Seit Adam und Eva geht es nun einmal für uns alle um das Himmelreich, das Paradies, um die Zufriedenheit der eigenen unruhigen Seele. Und um diese ringen alle weltanschaulichen Autoritäten, besonders die, die in einem selbst wohnen. Für uns Christen soll nun Jesus der Seelenführer sein, während für seine Zeitgenossen eher Johannes der Täufer infrage kam. Denn zu ihm strömten sie alle: die frommen Pharisäer, die Wissenschaftler, d.h. die Schriftgelehrten, die Soldaten und Politiker, die Praktiker also, dann Jesus selbst mit seinen Jüngern, die auch auf der Suche waren.

Meine lieben Zuhörerinnen und Zuhörer!

Ob Sie es nun glauben oder nicht: Wir alle folgen am liebsten den Gesetzen, den Gesetzen der Natur und denen der Religion. Wir wollen gesichert sein und nicht irgendwie in der Luft hängen. Wir alle sind kleinbürgerlich im religiösen Sinn und darin gern die gut bedienten Kunden vom lieben Gott.

Und das ist nun meine Auslegung dieses dunklen und umstrittenen Satzes „Das Himmelreich leidet Gewalt", nämlich: „Hier wird das Himmelreich erpresst." Und durch wen? Durch die Pharisäer und Schriftgelehrten natürlich, aber auch durch Johannes den Täufer, den ich hier einmal einen Moralapostel nenne. Seine Bußpredigt war so richtig wie falsch. Ich lese die Gedanken Jesu deshalb noch einmal vor:

Matthäus 11,11-15.

Was hören wir da? Nun zuerst: Johannes hatte Recht. Man muss vor Gott umkehren, Buße tun, sich für ihn entscheiden. Aber warum ist er mit dieser Botschaft schließlich der Kleinste? Nun, er kam wie alle Propheten nicht weiter, als düster zu weissagen. Er glich unseren Journalisten, die immer bloß Panik machen, aber selbst nichts unternehmen. Propheten und Journalisten sind Intellektuelle, die immer nur in Szenarien in die Zukunft blicken und darin ziemlich klug sind. Sie sind klug im moralischen Sinn.

Was aber will Jesus dagegen? Ach, er will anscheinend gar nichts leisten und machen. Er will bloß auferstehen und auferweckt werden. Er will sich bloß Gott anvertrauen, was etwas ganz anderes ist als eine eigene Leistung. Und das ist geradezu weich im Vergleich zu allen sonstigen Religionsweisen, die sich „am Riemen reißen". Jesus will dem Himmelreich Gottes keine Gewalt antun. Aber was will er dann? Antwort: Er will alles, alles Gott anheim stellen. Das Himmelreich wächst von allein.

Und genau das, liebe Zuhörerin und lieber Zuhörer, ist die größte Seelenmöglichkeit, auf die Jesus uns aufmerksam macht: Gott tun lassen, was er will. „Lasst nur Gott machen!" lautet die neue Botschaft des von Johannes getauften Jesus. Ihm reichte die Bitte aus „Dein Reich komme!" Und das ganze Vaterunser ist Ausdruck dieser inneren Gottgelassenheit. Die scharfe Bußpredigt von Johannes war gewiss eine Vorbereitung, so wie unser schlechtes Gewissen. Aber dann soll der Glaube Platz haben, das Vertrauen, die absolute Kindlichkeit. Für Jesus geht es nicht um Lebens- und Glaubenskampf, sondern um Lebens- und Glaubensgelassenheit. Das ist dann irgendwie ganz passiv, ganz hoffnungsfroh.

Später haben es die Christen so gesagt wie der vierte Evangelist: Johannes muss abnehmen, Christus aber muss zunehmen und wachsen. In uns also wird ein Verwandlungsprozess stattfinden. Ganz ähnlich sagen wir es ja auch im Alter: Unsere Kinder und Enkel sollen blühen, während wir langsam und sehr bewusst zurücktreten. Das aber ist durchaus eine Lebenskunst. Und dazu fällt mir Goethes bekanntes Gedicht mit dem Vers ein:

„Und solang du das nicht hast,
dieses: Stirb und werde!
bist du nur ein trüber Gast
auf der dunklen Erde."

Das sei uns in diesem Jahr der Anruf des Johannistages, der Anruf nämlich in die wunderbaren Möglichkeiten eines lebendigen Lebens: Einer muss abnehmen, ein anderer aber darf zunehmen und wachsen.

A m e n.

 



Pastor i. R. Ulrich Wiesjahn
38614 Goslar
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