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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Johannistag, 24.06.2013

Predigt zu Matthäus 11:11-15, verfasst von Christiane Borchers



Feuer und Rosen

Liebe Gemeinde!

Feuer rollen vom Berg, ein faszinierender Anblick. Viele Leute betrachten gebannt das leuchtende Schauspiel. In der Nacht vor dem Johannistag, der traditionell im Kirchenjahr auf den 24. Juni gelegt ist, werden an manchen Orten im Harz und in Süddeutschland die Johannisfeuer angezündet. In der Johannisnacht tanzen fröhliche junge Menschen ausgelassen um das Johannisfeuer herum. Feuerräder rollen von Bergen und Hügeln herunter. Feuer und Rad symbolisieren die Sonne als starke feurige Kraft. Der Johannistag ist Johannes dem Täufer geweiht. Katholische Gemeinden feiern Gottesdienste anlässlich des Johannistages.

In evangelischen Kirchengemeinden findet der Johannistag weniger Beachtung, obwohl manche Gemeinden gerne diese Tradition aufnehmen. So war ich vor Jahren bei einer Johannisandacht in einer evangelischen Kirchengemeinde in Hamburg, der Altar war mit Rosen geschmückt, beim anschließenden Beisammensein im Garten loderte ein Feuer.

Johanni am 24. Juni liegt nahe der Sommersonnenwende am 21. Juni. Sommersonnenwende ist der längster Tag und die kürzeste Nacht im Jahr und so wird Johanni mit der Sommersonnenwende in Verbindung gebracht. Das Licht nimmt ab, von diesem Zeitpunkt an verkürzen sich die Tage. Die Sommersonnenwende steht der Wintersonnenwende gegenüber. Wintersonnenwende ist der kürzeste Tag und die längste Nacht, von nun an nimmt das Licht wieder zu. Johannes der Täufer versteht sich als ein Mann, der abnehmen muss, während Jesus wachsen und zunehmen muss. Johannes ist der Wegbereiter des hellen Lichts der aufgehenden Sonne. Sein Licht geht unter, während das von Jesus kommt.

Der Geburtstag des Johannes wurde auf den 24. Juni gelegt, es ist ein liturgisches Datum. Jesus wird sechs Monate später geboren. Der Evangelist Lukas berichtet, dass Maria ihre Verwandte Elisabeth, die Mutter des Johannes, besucht, als diese im sechsten Monat schwanger ist (Lk 1,36).

Mir gefällt die Vorstellung, dass Johannes in der Nacht geboren wird, - oder zumindest in der Nähe der Nacht -, die am kürzesten ist - und dass Jesus in der Nacht geboren wird, oder zumindest in der Nähe der Nacht - die am längsten ist. Johannes als der Wegweisende auf Christus muss geringer werden und Jesus als der Heiland, mit dem das Reich Gottes anbricht, muss an Gewicht zunehmen. Johannes wird dadurch in seiner Bedeutung nicht gemindert. Im Gegenteil, er bekommt von Weihnachten her seinen eigenen Glanz und seine eigene Würde.

In der katholischen Kirche wird der Johannistag als Hochfest zelebriert. Es gibt drei Personen, deren Geburtstage als Hochfeste gefeiert werden: Jesu, Maria, die Mutter Jesu, und Johannes der Täufer. Im Mittelalter nannten Eltern ihre Söhne gern Johannes, Hans oder Jan. Der heilige Johannes sollte der Schutzpatron ihrer Kinder sein. Von Johannes erhofften sie sich große Kraft. Pflanzen, die über eine hohe Heilkraft verfügen, sind nach Johannes benannt: das Johanniskraut oder die Johannisbeere. Rosen gehören volkstümlich zum Johannistfest. Der Junimonat ist der Rosenmonat. Zur Sommersonnenwende wurden früher in manchen Gegenden prächtige Johanniskronen aus Rosen gewunden. Junge Leute tanzten so viele Abende um die Krone herum, bis die Rosen verdorrt waren. Alte Bräuche und christliche Rituale zelebrieren Lebenszusammenhänge von Werden, Höhepunkten und Vergänglichkeit, vom Zunehmen und Abnehmen der Lebenskräfte. Das Johannisfest ist ein Fest zu Ehren des Johannes. Als Vorläufer des wahren Lichts muss er abnehmen, denn der andere, der kommen wird und größer ist als er, muss zunehmen. Und so weist das Johannesfest auf Christus hin. Das Johannesfest ist gleichzeitig ein Christusfest.

Es wundert mich nicht, dass die Symbolik der Sonnenräder auf Christus, der das wahre Licht ist, gedeutet worden sind. Die Sonnenräder rollen den Berg herunter. Die Höhen- und Bergsymbolik finden sich im Lobgesang des Zacharias, des Vaters von Johannes, wieder. Zacharias wird vom Heiligen Geist erfüllt, er preist Gott: „Die Barmherzigkeit unseres Gottes ist es, dass uns das aufgehende Licht aus der Höhe besucht (Lk 1,76-78)." Johannes zeugt von Christus, der das aufgehende Licht aus der Höhe des Himmels ist, der hernieder fährt in die Tiefe, der sein Volk, das in der Finsternis wohnt, besucht.

Johannes, ein Asket, der sich von Heuschrecken und wildem Honig in der Wüste ernährt, erachtet sich selbst als gering. Er ruft zur Buße auf, tauft bußfertige Menschen im Jordan, eignet sie einer neuen Welt zu. Für den Täufer steht das Himmelreich unmittelbar bevor, er erwartet in Kürze den Anbruch des Reiches Gottes, predigt Umkehr. „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen," lautet die zentrale Botschaft des Johannes. „Ich taufe euch mit Wasser zur Buße, der aber nach mir kommt, ist stärker als ich und ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe zu binden. Der wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen (Mt 3,11)." Feuer, geballte Energie, Heiliger Geist, lichte leuchtende Kraft, stärken, bringen Bewegung, feuern an. Jesus wird als Erwachsener über seinen Wegbereiter sagen: „Wahrlich ich sage euch. Keiner, der von einer Frau geboren ist, ist größer als Johannes (Mt 11,11)." „Von einer Frau geboren" steht im Unterschied zu Gott und seinen Engeln. Wer von einer Frau geboren ist, gehört der Erde an, wer aus Gott geboren ist, gehört dem Himmel an. Von allen Menschen auf Erden ist Johannes der Größte. Warum? Weil er ein Mann mit herausragenden Fähigkeiten und Begabungen ist? Genügsam und bescheiden, der sich selbst als nichts Besonderes empfand? Nein, er ist größer allein deswegen, weil er dem Messias, dem erwarteten Heiland, den Weg bereitet hat und vom ihm zeugt.

„Keiner, der von einer Frau geborenen worden ist, ist größer als Johannes, aber der Kleinste im Himmelreich ist größer als er (Mt 11,11)." Johannes ist der Größte auf Erden, aber im Himmelreich ist der Kleinste größer als er. Ist Johannes plötzlich nichts mehr wert? Gibt es im Himmelreich eine Hierarchie? Als zwei seiner Jünger den Wunsch äußern, sie möchten im Himmelreich einen Platzt je zur Rechten und Linken Jesu haben, antwortet er ihnen: „Wer unter euch groß sein will, der diene. (Mt 23,11)." Groß ist, wer sich klein machen kann.

Johannes steht für den alten Äon, der mit Jesu Kommen sein Ende findet. Johannes ist der letzte unter den Propheten, die auf den Heiland warten. Die Propheten aus dem ersten Testament warten auf den Messias. Johannes ist mit ihnen selbst ein Wartender. Alle Propheten und die Tora haben geweissagt bis hin zu Johannes. Jesus hat von Johannes gesagt, dass er der Größte unter den Propheten ist. Johannes ist in der Reihe der Propheten der Größte und der Letzte. Er steht am Ende einer langen Kette. „Er ist Elia, der da kommen soll (Mt 11,13)." Mit dem Wiederkommen des Elia bricht die Endzeit an. Johannes ist der wiedergekommene Elia, der die Endzeit einleitet. Johannes gehört der alten Zeit an, er weist auf die neue hin. Er steht an der Schwelle, er ist der Letzte und Größte des alten Äons, er steht an der Tür des neuen Äons und klopft an. Der Kleinste im Himmelreich ist deswegen größer als der große Johannes, weil dieser bereits die Schwelle überschritten hat und der neuen Welt angehört. Als Angehöriger der neuen Welt ist Jesus größer als Johannes, als derjenige, der ganz Mensch geworden ist und somit auch ganz der Erde angehört, - wahrer Gott und wahrer Mensch -, ist er der Kleinste unter den Menschen. Jesus wurde gering geachtet, er wurde erniedrigt und gekreuzigt. Jesu Jünger gehören ihrem Wesen nach zu den Kleinen. Das Kleinsein in der Welt ist ein Merkmal der neuen Zeit. Andere Jesusworte nehmen diesen Gedanken auf: „Wer das Reich Gottes nicht annimmt wie ein Kind, kommt nicht hinein (Mt 10,15)", „Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden, wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden (Mt 23,12)", „Die Letzten werden die Ersten sein (Mt 20,16)."

Und was ist mit Johannes, der der Größte unter den Menschen ist? Hat er keine Chance auf das Himmelreich? Muss er an der Schwelle stehen bleiben, darf er sie nicht übertreten? Johannes ist der Größte in seiner Bestimmung als Christuswegweiser, aber er gehört gleichzeitig zu den Kleinen. Auch er erlitt Schmach und Schande. Er selbst war bereit, weniger zu werden für einen, der wachsen muss. Seine Stärke war sein unerschütterlicher Glaube, sein Durchhaltevermögen und sein Festhalten an Jesus und seiner Botschaft. Er hat auch in schwierigen Lebenslagen nicht klein beigegeben, nahm Demütigungen und Gefängnis in Kauf. Johannes ließ sich nicht den Mund verbieten, hat Unrecht beim Namen genannt, ist gegenüber dem König Herodes unerbittlich gewesen. Das hat ihn letztlich den Kopf gekostet.

„Von den Tagen des Johannes bis heute leidet das Himmelreich Gewalt und die Gewalttätigen reißen es an sich (Mt 11,12)." Das Wort ist schwierig zu deuten. Es wird vermutet, dass Matthäus die Formulierung von Gewalt und Gewalttätigen bereits vorgefunden hat, dass es ihm in seiner Gänze aber unverständlich blieb. Wörtlich übersetzt heißt es: „Das Himmelreich wird vergewaltigt - η βασιλεια τϖν ουρανϖν βιαζεται" -, und „Gewalttätige rauben es - βιασται αρπαζουσιν αυτην". Das Himmelreich ist demnach schon da, aber es wird misshandelt. Dem Himmelreich ergeht es wie einer Frau, die vergewaltigt wird. Es wird gedemütigt, erniedrigt, geschändet. Gewalttätige rauben das Himmelreich, reißen es an sich. Das Himmelreich wird sonst immer mit Gott und Jesus Christus in Verbindung gebracht und als ein Reich des Friedens, der Gerechtigkeit, der Freude und des Lichts geschildert. Bevor das Reich Gottes Wirklichkeit wird, wird zuvor Gericht gehalten. Menschen müssen sich für ihre bösen Taten verantworten. Ihnen drohen Hölle und ewige Verdammnis. Matthäus malt ein eindrückliches Bild vom Jüngsten Gericht mit Christus als Weltenrichter auf dem Thron.

Mit Jesus ist das Reich Gottes angebrochen. Gegenwärtig wird es noch von bösen Menschen, Mächten und Gewalten behindert. Starke Kräfte sind am Werk, die mit allen Mitteln gegen Gott und Jesus arbeiten. Unbarmherzig, böse und gnadenlos geht es an vielen Orten in der Welt zu, Menschen üben Gewalt aus, zermalmen und zerstören, treten die Menschenwürde mit Füßen, werden zu Richtern über Leben und Tod. Manchmal geht es teuflisch zu, so als ob der Teufel selbst am Werk sei. Johannes der Täufer ist ein Beispiel dafür, welchen Gräueltaten ein Mensch ausgesetzt sein kann. Jesus selbst wurde gemartert und geschändet. Das Unrecht geschieht bis auf den heutigen Tag, die Schandtaten sind nicht geringer, vergossenes Blut schreit immer noch zum Himmel. Aber es kommt die Zeit, da werden die Gräueltaten ein Ende haben. Alle bösen Mächte und Gewalten werden überwunden, das Reich Gottes setzt sich durch. Mit Jesu Kommen fängt die große Wendung Gottes an. „Wer Ohren hat, der höre". Mit diesem Weckruf unterstreicht Matthäus seine Botschaft und hebt die Gewichtigkeit hervor.


Feuer rollen vom Berg herunter.
Die Mitte der Zeit ist überschritten,
die Macht des Bösen hat keine Kraft mehr,
irdische Macht nimmt ab, himmlische Macht nimmt zu.
Das Johannisfest ist ein Symbol der Wende,
der Höhepunkt wird überschritten.
Es ist ein Ros' entsprungen,
Christus ist die Rose, die mitten im Winter erblüht.
Die Sonne der Gerechtigkeit geht auf.
Wir leben auf dieser Erde, in dieser Welt
und gehören doch einer neuen Wirklichkeit an.
Wir bereiten Christus den Weg,
rufen zur Umkehr auf, wo Leben verletzt wird,
kündigen vom Reich Gottes und warten mit Johannes,
dass es endgültig kommt. Amen.

 



Dipl.-Theol. Pfarrerin Christiane Borchers
26721 Emden
E-Mail: christiane.borchers@web.de

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