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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Johannistag, 24.06.2013

Predigt zu Matthäus 11:11-15, verfasst von Manfred Wussow

 

Wahrlich, ich sage euch: Unter allen, die von einer Frau geboren sind, ist keiner aufgetreten, der größer ist als Johannes der Täufer; der aber der Kleinste ist im Himmelreich, ist größer als er.
Aber von den Tagen Johannes des Täufers bis heute leidet das Himmelreich Gewalt, und die Gewalttätigen reißen es an sich.
Denn alle Propheten und das Gesetz haben geweissagt bis hin zu Johannes;
und wenn ihr's annehmen wollt: er ist Elia, der da kommen soll.
Wer Ohren hat, der höre!

Predigt

Rätselwort

Ein Rätselwort am 24. Juni! Wer hätte das gedacht! Größer als alle Menschen – und kleiner als der Kleinste im Himmelreich!
Wer soll das sein? Größer und kleiner zugleich? Ein Mensch? Ein und derselbe? Das Evangelium kennt ihn: Johannes, Johannes den Täufer. Paradox genug. Einmal wird die besondere Bedeutung dieses Menschen herausgehoben, dann aber auch gleich wieder relativiert – um nicht zu sagen: kleingemacht. Armer Johannes!

Johannes, Sohn der Elisabeth und des Zacharias, kommt aus einer Priesterfamilie. Seine Eltern sind uralt, als er geboren wird. Wir sehen Johannes dann am Jordan. Sein Beruf: Prediger. Oder ist er Prophet? Jedenfalls kündigt er eine neue Zeit an, er ruft zur Umkehr auf – und er tauft. Die Menschen strömen zu ihm. Einer schließt sich ihm an, um ihn dann auch wieder zu verlassen: Jesus. Ob er Schüler, Jünger des Johannes war? Ein Geistesverwandter?  Von Anfang an kreuzen sich die Wege beider. Sozusagen schon im Mutterleib. Die Geschichte, wie die schwangere Elisabeth die schwangere Maria trifft, erzählt der Evangelist sehr liebevoll. Elisabeth, die alte Frau, Maria blutjung. Sie schenken Söhnen das Licht der Welt. Der eine, Johannes, wird zum Höhepunkt der vergehenden Zeit, der andere, Jesus, begründet eine neue. Als Vorläufer Jesu wird Johannes auch eingeführt – und vorgestellt. Einer komme nach ihm, der stärker, der größer sei als er. Sagt Johannes.

Groß, größer als …

In der Tradition eines anderen Wüstenpredigers und Propheten tritt Johannes auf, schlüpft in seine Rolle. Jesaja hat lange vor ihm in einer Predigt gesagt:

Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott.

Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist; denn sie hat doppelte Strafe empfangen von der Hand des HERRN für alle ihre Sünden.

Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem HERRN den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott!
Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden;
denn die Herrlichkeit des HERRN soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen; denn des HERRN Mund hat's geredet.

(Jes. 40)

Ohne, dass wir uns in die alte Geschichte vertiefen: es riecht nach Aufbruch. Neue Wege tauchen auf. Mehr noch: Unmögliches liegt in der Luft. Dass Täler erhöht und Berge erniedrigt werden, stellt die Welt auf den Kopf. Ebenso wie Umkehr und Neuanfang. In starken, übermächtigen,  ja unwahrscheinlichen Bildern kündigt sich an, dass Gott kommt. Seine Herrlichkeit – seine Größe, seine Schönheit – soll offenbar werden. Dann wird selbst die Wüste zum Paradies – und Menschen werden in die Freiheit, in ein neues Leben, in eine neue Welt geführt. Unglaublich. Unglaublich vor allem, weil Gott sich selbst umwendet. Er verlässt die Pfade, die ihm den Vorwurf eingebracht haben, nachtragend, strafend und rächend zu sein. Was Jesaja von ihm zu sagen weiß, ist– Evangelium, frohe Botschaft. Die Herrlichkeit des Herrn soll offenbar werden! Seine Barmherzigkeit auch.

Jahrhunderte später  – die Menschen haben Herren kommen und gehen sehen -, taucht Johannes am Jordan auf.  Als Bußprediger und Täufer findet er sich in einer Tradition wieder, die ihre Zukunft noch vor sich hat. Dem Asketen im Kamelhaar sieht man nicht an, wie er die Welt bewegt  – hört man ihm aber zu, gerät man in eine neue Welt! Darum pilgern die Menschen an den Jordan. Darum suchen sie ein unverbrauchtes Wort. Darum sind sie bereit, sich und ihr Leben zu „bessern“ – sprich: sich an einem Größeren messen zu lassen. Sich nach einem Größeren auszustrecken. So einfach der Ruf zur Umkehr sich anhört – er hat es in sich. Umkehr ist das Geheimnis, die Welt zu verwandeln. Inzwischen sind sogar moderne Philosophen auf den Geschmack gekommen – und ihre Bücher  zu Bestsellern geworden. Wenn nicht alles so bleiben darf, wie es ist, wenn auch nicht alles so bleiben muss, wie es ist – dann wird Umkehr zu einem Schlüssel, der die Zukunft aufschließt.

Eine Überraschung ist es jetzt nicht mehr, dass Johannes als der Größte unter den Menschen auf den Sockel gehoben wird. Was er sagt, ist tatsächlich ein Höhepunkt – am Jordan und anderswo. Das ist kein Rätselwort. Am 24. Juni. Seine Botschaft kommt einer Verheißung, einer Ermutigung gleich. Alte Erfahrungen, Skepsis und Sachzwänge fallen aus dem Rahmen. „Kehrt um, das Reich Gottes ist nahe!“

Über Größe – meistens gekoppelt mit Bedeutung und Prestige – denken viele Menschen nach. Kinder fiebern dem Tag entgegen, groß zu sein. Erwachsene messen sich an Titeln und Eingruppierungen. Letztlich zählt nur, was „oben“ ist und sich noch steigern lässt. Abstiege und Abstufungen im Ranking riechen nach Scheitern – und werden auf den Märkten nicht belohnt. Aber wer nicht umkehrt, verpasst sogar das – Reich Gottes. Von allem anderen ganz zu schweigen.

Klein, kleiner als …

Johannes predigt und tauft – nach unseren Sprachregelungen – sehr erfolgreich. Man könnte ihm das „Goldene Samenkorn“ verleihen, wenn es nicht so lächerlich wäre. Johannes  tritt aber ganz hinter die Botschaft zurück – und verschwindend schließlich.  Seine Spuren verlieren sich. Erst in einem Gefängnis, dann auf einem Friedhof. Ich mag gar nicht glauben, dass man seinen Kopf auf einem silbernen Tablett präsentiert hat. Von der Gewalt, der Menschen bis heute zum Opfer fallen, redet der Evangelist jedoch unverblümt:  „Aber von den Tagen Johannes des Täufers bis heute leidet das Himmelreich Gewalt, und die Gewalttätigen reißen es an sich.“ – Originalton Matthäus. Ist das eine Klage – oder vielleicht auch ein Aufruf zur Umkehr? Ist das eine pessimistische Sicht auf die Geschichte der Menschen – oder vielleicht auch ein Aufruf, neu anzufangen? Weil Menschen immerfort laufen, mal im Geschirr, mal neben sich, fallen sie ihrer eigenen Gewalttätigkeit zum Opfer. Und die Welt bleibt, wie sie ist. Den Originalton kenne ich doch auch …?

Für einen Augenblick müssen wir noch einmal an den Jordan zurück. Johannes predigt. Jesus kommt zu ihm. Wie mit einem Scheinwerfer leuchtet der Evangelist die Szene aus: Jesus möchte sich von Johannes taufen lassen. Wie, du bei mir?  – hören wir den Täufer überrascht ausrufen. Ich merke, wie wenig ich weiß. Was wusste Johannes von Jesus, was Jesus von Johannes? Wie gut kannten sie sich? Wir hören eine Stimme aus dem Himmel: „Das ist mein geliebter Sohn, den sollt ihr hören.“ Jetzt wird Jesus vorgestellt. Seine öffentliche Wirksamkeit beginnt. Hier – bei Johannes. Zufall ist das nicht. Eine neue Zeit beginnt, wo die alte sich selbst noch einmal entdeckt – in der Umkehr.

Johannes wird tatsächlich der Kleinste im Himmelreich!

Eine andere Geschichte erzählt, wie Johannes Jesus sieht – und zu sehen lehrt. „Siehe, das ist das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünde der Welt!“  So fremdartig und archaisch sich die Worte anhören: Wir sehen, wie einer, der unschuldig ist, nicht nur in die Schuldverstrickungen der Menschen gerät, sondern sie wegnimmt.

Ganz pointiert: Siehe, das ist! Er ist! Matthias Grünewald hat in seinem „Isenheimer Altar“ versucht, der Szene Raum und Farben zu geben. Johannes weist mit einem übergroßen Finger auf den gekreuzigten Jesus. Zu ihm sollen auch die Menschen schauen, die immer wieder zu diesem Altarbild pilgern. Damals stand der Altar in einem Krankensaal. Viel Elend, aber auch ein großes Zutrauen. Der Altar war weniger Schmuck als Blickfang – und die große Einladung, auf Christus zu schauen.

Johannes wird tatsächlich der Kleinste im Himmelreich!

Johannes Größe ist nicht, überzeugend, authentisch, großartig reden zu können. Seine Größe ist auch nicht, das Image eines Asketen oder Gurus zu pflegen. Seine Größe ist – klein zu werden. Klein werden zu können.  Der andere wird das letzte Wort haben:

Kommet her zu mir alle,
die ihr mühselig und beladen seid –
ich will euch erquicken!

Das ist Jesu Wort. Dieses Wort macht Menschen groß. Im Himmelreich sind viele große Menschen.
Unter ihnen – Johannes. Ganz klein.

 

Groß ist klein, klein ist groß

Ein Rätselwort am 24. Juni! Wer hätte das gedacht! Größer als alle Menschen – und kleiner als der Kleinste im Himmelreich!
Wer soll das sein? Größer und kleiner zugleich?

Am 24. Juni, heute, feiern wir den Johannistag. Vor einem halben Jahr freuten wir auf den Hl. Abend. Die Kinder waren aufgeregt. Die Älteren auch. Irgendwie. In sechs Monaten ist wieder Hl. Abend. Wir wissen nicht, wo die Zeit bleibt. Wie schnell doch der  24. Dezember 2013 kommt. Der Johannistag liegt mitten drin. Er ist wie ein Brückenpfeiler. Ohne weihnachtliche Hektik und auch ohne weihnachtliche Stimmung: Was macht uns groß, was klein? Was menschlich, was unmenschlich?  

Was erniedrigt uns, was trägt uns?

Wir haben uns daran gewöhnt, Johannes einen Vorläufer zu nennen. Mag sein, dass er es auch war, auch sein sollte, vielleicht auch sein musste. Aber vorläufig war nicht, was er sagte. Auf der Höhe der Zeit gab er ihr eine neue Richtung – und Jesus ließ sich von ihm taufen! Wer von den beiden war groß? Wer klein? Unsere Zuschreibungen und Bilder verfließen, verlaufen ineinander. Von Jesus sagen wir auch, er sei der Größte, aber er hat  sich selbst entäußert. Klein fing er an – in einer Krippe. Klein endete er – am Kreuz.

Der 24. Juni ist für ein Rätselwort gut: was ist groß? Was ist klein? Nur Große sind im Himmelreich, die aber sind sehr klein – nur Kleine kommen in das Himmelreich, aber die sind sehr groß.

Ab heute werden wir auch über menschliche Größe noch einmal nachdenken müssen. Wir sind aus den Begriffen herausgewachsen. Unsere Worte lassen sich nicht mehr zuknöpfen.

Aus dem Gefängnis stellt Johannes Jesus die Frage, ob er der Messias sei – oder ob wir auf einen anderen warten sollen.  Jesus lässt ihm ausrichten:

Sagt Johannes:
Blinde sehen,
Lahme gehen
und Armen wird das Evangelium verkündigt.

Wer Ohren hat, der höre!

 

Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.



Manfred Wussow
Aachen
E-Mail: M.Wussow@gmx.de

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