Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

5. Sonntag nach Trinitatis, 30.06.2013

Predigt zu Lukas 14:25-33, verfasst von Ludwig Schmidt


 

25 Es ging eine große Menge mit Jesus; und er wandte sich um und sprach zu ihnen: 26 Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein. 27 Und wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein. 28 Denn wer ist unter euch, der einen Turm bauen will und setzt sich nicht zuvor hin und überschlägt die Kosten, ob er genug habe, um es auszuführen? 29 damit nicht, wenn er den Grund gelegt hat und kann es nicht ausführen, alle, die es sehen, anfangen, über ihn zu spotten, 30 und sagen: Dieser Mensch hat angefangen zu bauen und kann es nicht ausführen. 31 Oder welcher König will sich auf einen Krieg einlassen gegen einen anderen König und setzt sich nicht zuvor hin und hält Rat, ob er mit Zehntausend dem begegnen kann, der über ihn kommt mit Zwanzigtausend? 32 Wenn nicht, so schickt er eine Gesandtschaft, solange jener noch fern ist, und bittet um Frieden. 33 So auch jeder unter euch, der sich nicht lossagt von allem, was er hat, der kann nicht mein Jünger sein.


Liebe Gemeinde!

Hass statt Liebe, das kann Jesus doch nicht im Ernst von seinen Anhängern verlangen. Wer einen anderen hasst, bricht nicht nur die Beziehung zu ihm ab, sondern er wünscht ihm auch alles Schlechte und fügt ihm Schaden zu, wenn er dazu die Gelegenheit hat. Erst recht zerstört jemand, der sich selbst hasst, sein eigenes Leben, auch wenn er sich nicht umbringt. Hass schädigt oder zerstört Leben, das eigene und das anderer Menschen. Deshalb hat Jesus an dem alttestamentlichen Gebot „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst" festgehalten und es sogar auf die Feinde ausgedehnt. Wir sollen selbst die lieben, die uns Böses getan haben oder es gegen uns planen. Jesus kann doch nicht wollen, dass wir unsere Feinde lieben, aber unsere Angehörigen und uns selbst hassen. Schon wegen des Gebots der Nächstenliebe kann Jesus in unserem Predigttext nicht der Meinung sein, dass wir dem Gefühl des Hasses in uns Raum geben sollen. Wenn wir an Jesus glauben, müssen wir also unsere Angehörigen nicht in dem Sinn hassen, den wir in der Regel mit diesem Wort verbinden.

Wer sich Jesus anschließt, muss aber bereit sein, die Konsequenzen auf sich zu nehmen, die sich daraus ergeben. Das macht Jesus in unserem Predigttext deutlich. Jesus weist niemand ab, der zu ihm gehören will. Es gibt auch keine Bedingungen, die man dafür vorher erfüllen muss. Er freut sich über jede und jeden, die an ihn glauben. Aber dadurch verändert sich die Einschätzung, was im Leben wichtig und unwichtig ist. Der Glaube an Jesus bedeutet, dass man ihm in seinem Leben den ersten Platz einräumt. Dass fällt uns oft schwer. Deshalb warnt Jesus davor, sich ihm leichtfertig anzuschließen. Dafür nennt er zwei Beispiele. In dem ersten geht es um ein Bauwerk. Wer nicht sorgfältig berechnet, ob die Finanzierung stimmt, wird eine Bauruine zurücklassen. Das ist heute nicht anders. Vielleicht wird das Haus noch fertig gestellt, aber es wird spätestens nach einigen Jahren zwangsversteigert werden. Auch das zweite Beispiel leuchtet wohl sofort ein. Wenn ein Staat militärisch angegriffen wird, müssen sich die Regierenden überlegen, ob ihre Armee stark genug ist, den Angriff abzuwehren. Wenn sie es nicht ist, ist es vernünftig, mit dem Gegner rechtzeitig über einen Frieden zu verhandeln. Wer sich auf finanzielle oder militärische Abenteuer einlässt, scheitert. So wird auch jeder scheitern, der zu Jesus gehören will und dabei nicht bedenkt, dass er dann Jesus den ersten Platz in seinem Leben einräumen muss. Das möchte Jesus mit unserem Predigttext verhindern. Jesus will nicht überreden sondern überzeugen. Niemand soll sich ihm anschließen, der dann feststellen muss: So habe ich mir mein Leben mit Jesus nicht vorgestellt. Jeder soll wissen, auf was er sich einlässt, wenn er an Jesus glaubt.

Es hat ja seinen guten Grund, warum Jesus bei allen, die an ihn glauben, den ersten Platz beansprucht. In der Beziehung zu ihm erhalten wir von ihm, was wir uns nicht selbst verschaffen können und was uns auch niemand sonst geben kann. Jesus ist dafür am Kreuz gestorben und von den Toten auferstanden, damit er immer bei uns sein kann. Unsere Beziehung zu anderen Menschen besteht nur für eine begrenzte Zeit. Sie endet spätestens dann, wenn sie oder wir sterben. Dann bleiben lediglich Erinnerungen zurück. Unsere Verbindung mit Jesus wird dagegen niemals enden. Er wird in unserem ganzen Leben bei uns sein, und er wird uns nach unserem Tod in das ewige Leben bringen, in dem er bereits lebt. Wir sind also bei ihm gut aufgehoben, wenn wir uns seiner Führung anvertrauen. Deshalb kommt ihm im Leben eines Christen der erste Platz zu.

Was das bedeutet, macht Jesus in unserem Predigttext an dem Verhalten zu den nächsten Verwandten deutlich. Die Angehörigen einer Familie lebten damals an demselben Ort oder höchstens wenige Kilometer voneinander entfernt. Die Familie war die engste soziale Beziehung, die jemand hatte. Alle nächsten Verwandten waren sich bewusst, dass sie zusammengehörten. Da es damals keine Kranken- oder Rentenversicherung gab, war man bei Krankheit oder im Alter auf die Unterstützung der Angehörigen angewiesen. Sie waren auch in anderen Notlagen verpflichtet zu helfen. Wenn ich nun das in unserem Predigttext missverständliche Wort „hassen" durch „gering achten" ersetze, wird deutlich, was Jesus meint. Er sagt: „Wenn jemand zu mir kommt und achtet nicht gering seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein." Das sind harte Worte. Aber wenn wir der Beziehung zu Jesus nicht deutlich den Vorrang vor allen familiären Verbindungen und Verpflichtungen geben, wird unser Verhältnis zu Jesus für uns nur eine untergeordnete Rolle spielen, und das darf nicht sein. Dazu wird es schon deshalb kommen, weil wir zu unseren Angehörigen einen direkten Kontakt haben. Jesus ist aber für uns nicht sichtbar und wir erleben ihn nicht unmittelbar.

Nun sind heute für viele Menschen die Verwandten weniger wichtig als zur Zeit Jesu, weil sie weit verstreut wohnen. Die persönlichen Begegnungen können Telefon und Internet nur teilweise ersetzen. Dafür sind aber heute die Ansprüche an Ehe oder Partnerschaft erheblich größer als früher. Viele meinen, man müsse die gesamte freie Zeit miteinander verbringen. Der Partner oder die Partnerin sollen immer gut drauf sein, wenn man zusammen ist. Es darf auch keine Krisen geben, in denen man sich zusammenraufen muss. Ich könnte diese Aufzählung fortsetzen. Gelegentlich frage ich mich, ob solche hohen Ansprüche eine Beziehung nicht mehr belasten als fördern. Aber das muss jeder für sich entscheiden. Jedenfalls kann es dann Konflikte zwischen den Partnern geben, wenn sich einer von den beiden zu Jesus hält, und der andere von Jesus nichts oder nicht viel hält. Wie jede Beziehung muss ja auch die Beziehung zu Jesus gepflegt werden, damit sie Bestand hat. Das kostet zum Beispiel Zeit. Dadurch kann es dazu kommen, dass sich der Partner, dem Jesus nicht wichtig ist, über den anderen ärgert, weil er zum Gottesdienst und zu Veranstaltungen in der Gemeinde geht. Er sagt dann vielleicht: „Du hast Jesus lieber als mich" oder: „Ich werde von dir vernachlässigt, ich bin ja dauernd allein." Nun kann es sein, dass Christen so in der Gemeinde aufgehen, dass sie für ihre Partner keine Zeit mehr haben. Das ist nicht gut, weil dann die Verbindung meistens nicht mehr funktioniert, und die beiden Partner nur noch nebeneinander her leben. Aber das ist heute doch eher eine Ausnahme. In aller Regel lieben ja Christen ihren Partner oder ihre Partnerin. Sie wissen, dass sie den oder die andere nicht vernachlässigen dürfen. Hinter der Kritik, dass sie das tun, steht doch oft, dass der Partner oder die Partnerin selbst den ersten Platz im Leben des anderen beanspruchen. Sie sind unzufrieden, weil der andere eine Beziehung zu Jesus hat, zu der sie keinen Zugang haben und auch nicht haben wollen. Aber den ersten Platz können ihnen Christen nicht einräumen, weil sie sonst ihre Verbindung zu Jesus abschneiden. Da sie auf dem Spiel steht, dürfen Christen hier nicht um des lieben Friedens willen nachgeben.

Es sind in einer Familie freilich nicht nur die Ansprüche anderer, mit denen Jesus der erste Platz im Leben eines Christen bestritten wird. Auch uns Christen fällt es immer wieder schwer, die Beziehung zu Partnern und Kindern hinter unsere Verbindung mit Jesus einzuordnen. Wir wollen ja gute Ehepartner und gute Eltern sein. Deshalb können uns Probleme und Sorgen in der Familie so stark beschäftigen, dass Jesus für uns nicht mehr an erster Stelle steht. Gerade in der Erziehung der Kinder sind heute Eltern sehr gefordert. Sie geben sich meist große Mühe, weil sie für ihre Kinder das Beste wollen. Aber ist es nicht das Beste, das wir unseren Kindern oder auch unseren Enkeln geben können, wenn wir es ihnen vorleben: Jesus steht für mich auf dem ersten Platz. Bei ihm bin ich auch dann gut aufgehoben, wenn es mir schlecht geht. Deshalb vertraue ich mich seiner Führung an. Ob unsere Kinder oder Enkel ihren Lebensweg mit Jesus gehen, müssen sie dann selbst entscheiden.

Allerdings werden wir selbst nicht die Kraft haben, den Anspruch Jesu zu erfüllen, auch wenn wir es eigentlich wollen. Wir werden doch oft den Stimmen in uns und um uns nachgeben, die sagen: Nun übertreibe es mal nicht mit Jesus. Andere und Anderes sind mindestens genauso wichtig. Aber wenn wir immer wieder Jesus darum bitten, wird er uns die Kraft und den Mut geben, dass wir ihm in unserem Leben den ersten Platz einräumen. Jesus hat ja ein Interesse daran, dass wir bei ihm bleiben, denn er ist auch für Sie und für mich am Kreuz gestorben und von den Toten auferstanden. Amen.



Prof. i. R. Dr. Ludwig Schmidt
91056 Erlangen
E-Mail: gi_schmidt@t-online.de

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