Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

5. Sonntag nach Trinitatis, 30.06.2013

Predigt zu Lukas 5:1-11 (dän. Perikopenordn.), verfasst von Michael Wagner Brautsch

 

 

 

Sinnlosigkeit hat viele Gesichter. Manchmal starrt sie einen aus einem unfassbaren Terroranschlag an, andere Male gafftt die Sinnlosigkeit uns aus unserem eigenen Inneren an. Was ist der Sinn meines Lebens? Ja, es gibt Katastrophen da draußen in der großen Welt und auch drüben beim Nachbarn, aber mir fehlt die Kraft, es mit der Welt aufzunehmen. Mein Leben! Meine Möglichkeiten! Meine Hoffnung und meine Träume - wo sind sie abgeblieben? Ich gebe auf. Ich glaube nicht mehr daran; es nützt doch alles nichts. Weiterzumachen wäre vergebliche Mühe. Ich habe ihm so viele Chancen gegeben, aber ich bin nur enttäuscht worden. Und jetzt bin ich am Ende meiner Kraft.

Simon Petrus und die anderen künftigen Jünger spülen die Netze und geben auf; sie haben hart gearbeitet, aber nichts gefangen - eine schöne vergebliche Mühe. Und alle kennen das: harte Arbeit ist nicht immer eine Garantie für Ausbeute.

Petrus arbeitet für das tägliche Brot, aber er arbeitet auch für seine Daseinsberechtigung und seine Identität. Wenn man nichts fängt und das endlos so weitergeht, dann muss man aufhören, Fischer zu sein. Dann nützen die täglichen Anstrengungen nichts. Und wenn der Fischfang das Einzige ist, was er kann, dann muss er ein neues Handwerk lernen. Ein Fischer, der keine Fische fängt, ist kein Fischer mehr.

„Ich kann nicht sehen, wer ich im Grunde bin", sagen manche. „Meine Arbeit und wie ich meine Stunden, Tage, Wochen und mein Leben gebrauche, das alles gefällt mir nicht richtig. Es ist, wie wenn mein Leben und ich nicht im selben Takt tanzen, nicht ordentlich die Spur halten."

Wo sind die Träume, die du geträumt hast, wo der große Appetit aufs Leben, den du gehabt hast? Wo der Mut und der Wunsch, alles anders zu machen, wenn du einmal die Möglichkeit dazu bekämst? Wenn du mehr Zeit hättest, mehr Geld bekämst, Familie bekämst, den richtigen Job bekämst, die richtigen Freunde, alle die richtigen Dinge, sie um sich zu versammeln! Vielleicht glauben wir immer noch, es sei der richtige Schlüssel für ein glückliches Leben, vielleicht haben wir erreicht, wovon wir träumten, aber die Ruhe und die tiefe Freude sind ausgeblieben.

Petrus wirft sein Netz auf dem offenem Meer aus, aber er fängt nichts, denn er hat seinen Glauben und seine Hoffnung verloren. Zu Hause wartet seine Familie, aber er hat nichts für sie, denn in seinem Inneren hat er aufgegeben. Der Traum ist schon vor langer Zeit zerstoben, und er wagt es nicht, Überlegungen anzustellen, wozu er im Grunde sein Leben gebrauchen will. Die Fischerinnung von Genezareth veranstaltet keine Kurse für Selbstentwicklung, und wenn ein paar Handbücher für Selbsthilfe in der Bibliothek von Tiberias oder Kapernaum - den beiden größten Orten in dieser Gegend - stehen sollten, dann hätte Simon Petrus trotzdem gar nicht die Kraft, sie aus dem Regal zu nehmen und sein Leben zu ändern.

Vielleicht kann er sich nicht einmal dazu überwinden, in die Kirche zu gehen; „denn das sind doch bloß alte Geschichten und verstaubte Routinebräuche; es geht doch wohl nicht um mich und meine Probleme?" Oder vielleicht geht er sogar ab und an dorthin, aber Gott ist ihm abhanden gekommen, denn das alles ist für ihn zu oberflächlichen Ritualen und zur Macht der Gewohnheit geworden.

Petrus hat einen soliden und gründlichen Bedarf, dass er gefunden wird, dass er erlöst wird. „Betet, so wird auch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan" - sagt Jesus, aber Petrus kann den Weg zu Gott nicht finden; denn so einfach kann es doch wohl nicht sein? Er kann nicht einfach so beten und anklopfen.

Ja, es ist schwer, darauf zu vertrauen, dass man trotz allem geliebt ist, und dass man nicht immer alles selbst machen muss und dass man in den entscheidenden Augenblicken nie der Schmied seines eigenen Lebensglücks ist. Und wenn dem Menschen die Kraft, der Mut oder die Energie fehlen, sich Gott zuzuwenden, dann muss Gott dem Menschen entgegenkommen. Jesus muss Simon Petrus finden. Und das passiert nicht an dem Tag, wo alles wie am Schnürchen geht; wo er mit seinem Neugeborenen auf dem Arm dasitzt, wo die Freude an einem schönen Sommertag nur so hervorsprudelt und wo alles bestens funktioniert. Für Petrus kommt das Heil an dem Tag, an dem nichts gelingt, an dem Tag, an dem das Netz leer bleibt und zu Hause nur Streit auf ihn wartet.

Es ist ein schicksalsschwerer Tag, denn der Tag wird der letzte sein in seinem alten Leben - und die Veränderung geschieht grundlegend nicht um seinetwillen - sie soll einem weitaus größeren Ziel dienen. Er begegnet Gott, nicht zu einem Leben, das auf Rosen gebettet ist, sondern zu einem neuen Leben in Ernst und Freude, in einem unaufhörlichen Fragen nach dem, was wichtig ist, einem Leben, in dem er in großen Schimmern (wie in einem Spiegel) plötzlich den eigentlichen Sinn des Lebens erkennen kann.

Früher gab es Schimmer von Licht in der Finsternis; jetzt hat das Licht mehr Macht gewonnen. Er wird Gott verleugnen an dem Abend, an dem das Urteil über Jesus gefällt werden wird (Gründonnerstag), er ist fortgesetzt nur eine Mensch, aber dennoch ist nichts wie vorher - an dem Tag, da Jesus zu ihm spricht. Er geht wieder an Bord des Schiffes, und er gibt dem Leben eine weitere Chance. Und an dem Tag kommen der Glaube, die Hoffnung und die Liebe zu Petrus.

Denn er wird berufen. Um eine Berufung hören zu können, kann es nötig sein, dass der Lärm um dich herum gedämpft wird, es kann nötig sein, dass du geduldig darauf bestehst, zu hören und nach innen zu schauen - aber dann kann es auch geschehen, dass der Sinn des Lebens von einem einfachen, unkomplizierten Ort in unserem Inneren aus zu uns spricht.

Der Fischer Petrus geht von zu Hause fort und verlässt sein bisheriges Leben, das nichts Solides einbrachte. Sein Leben war zu stumpfer Routine geworden, jetzt aber war jeder einzelne Tag der wichtigste Tag in seinem Leben. Er verließ seine Familie auf eine gewisse Zeit, nahm sie aber später mit auf die Reisen, nachdem Jesus gekreuzigt worden war.

Der italienische Filmregisseur Zeffirelli machte in den 70ern einen großen Film über Leben, Tod und Auferstehung Jesu. Darin gibt es eine Szene, in der sich Zeffirelli vorstellt, was Petrus zu seiner Familie sagt, als er nach diesem epochalen Erlebnis nach Hause gekommen und berufen worden ist, Jesus nachzufolgen. Petrus hat gerade eine Auseinandersetzung mit seiner Frau hinter sich und versucht, sie davon zu überzeugen, dass er im Frühling wieder nach Hause kommt. Und ein weiterer künftiger Jünger, Levi, sagt zu ihm: „Das wirst du nicht tun. Und das weißt du auch. Du kommst nie mehr nach Hause, du wirst nie mehr auf Fischfang gehen."

Petrus wird von Gott berufen, und er macht einen wunderbaren Fang. Und auch wir sind berufen, und zwar nicht nur in unserer Taufe. Jesus geht, wenn man so sagen darf, an Bord in unserem Boot und bittet uns, auf Sein Wort hin loszufahren - und damit mit in die Geschichte Gottes zu kommen. Nicht als Statisten, sondern als solche, die die Hauptrolle spielen.

Nicht unsertwegen, sondern um der Ganzheit willen. Und wenn wir in einer Geschichte mit dabeisind, dann bestimmen wir nicht selbst, was geschieht. Wir müssen auf die Aufgaben und Herausforderungen reagieren, denen wir gegenüberstehen, mit den Möglichkeiten, die wir nun einmal haben. Nicht alle sehen sich mit Herausforderungen wie Hunger, Dürre und Krieg und Armut oder Krankheit konfrontiert. Aber dann haben wir andre Herausforderungen.

Petrus bekommt eine Aufgave: er wird gefangen, damit er Menschenfischer wird. Er ist gefangen worden, um andere zu fangen. Es ist eine Doppelheit von Freiheit und Gebundenheit, die wir alle erleben, wenn wir uns in einen anderen Menschen verlieben. Wir sind auf dieselbe Weise frei und gebunden.

Peter ist entsetzt, dennoch lässt er alles stehen und liegen. Eine Berufung hat nämlich immer eine Konsequenz. Auf manches müssen wir verzichten, und anderes müssen wir tun. Einmal muss alles in unserem Leben ganz und gar anders sein. Einmal hat es ein Ende, dass wir auf dieser Erde wandern, und dann wird alles neu. „Siehe, ich mache alles neu", sagt Gott in der Offenbarung des Johannes, der letzten Schrift im NT. Aber schon in diesem Leben können wir das ganz Neue erleben und sehen, dass unser altes Leben vergeht und zunichte wird.

Jesus ging in Leben und Arbeit und Familie des Petrus an Bord. Er brachte Petrus dazu, dass er auf's hohe Meer fuhr, und weil er alles einsetzte und riskierte, geschah das Wunder. „Fürchte dich nicht, folge mir nach", sagte Jesus, und Petrus glaubte und hoffte und fühlte die Liebe, vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben.

Sinnlosigkeit hat viele Gesichter - Petrus war ihr oft begegnet. Manchmal starrt sie einen aus einem unfassbaren Terroranschlag an, andre Male aus der Brutalität der Natur oder aus den finstersten Winkeln unseres eigenen Lebens. Manchmal können wir etwas tun, andere Male ist das ganz unmöglich. Und dann können wir nur Gott um Trost und Erlösung bitten und darum, von IHM eingefangen zu werden, damit wir nützlich sein und Freude verbreiten können in diesem Leben in dieser Welt, solange wir hier sind.

Amen



Pastor Michael Wagner Brautsch
DK 6700 Darum v/Esbjerg
E-Mail: mwb@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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