Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

5. Sonntag nach Trinitatis, 30.06.2013

Predigt zu Lukas 14:25 ff, verfasst von Wolfgang Schmidt


 

Den Weg Jesu gehen: bewusst und wohl bedacht

Liebe Gemeinde!

Haben Sie sich schon losgesagt von allem was Sie haben? Hassen Sie Vater und Mutter, Frau und Kinder, Schwestern und Brüder und dazu sich selbst? Oder wollen Sie etwa gar nicht Jesus nachfolgen, gar nicht Jesu Jünger sein?

 Ich frage provozierend, weil die Worte Jesu dazu provozieren! Es ist schon ein harter Brocken, den er da den Menschen, den er uns da vorwirft mit dem heutigen Predigttext. Und wenn wir nicht einfach unbesehen daran vorbei gehen wollen, dann müssen wir ihn zerkleinern und bekömmliche Portionen daraus machen, die man verdauen kann.

 Und dazu will ich mit Ihnen zunächst einmal die beiden kleinen Vergleiche betrachten, mit denen Jesus seine Rede untermauert. Sie sind so etwas wie der Schlüssel des ganzen Abschnitts.

„Wer ist unter euch, der einen Turm bauen will und setzt sich nicht zuvor hin und überschlägt die Kosten, ob er genug habe, um es auszuführen?"

„Keiner!" wird die Antwort sein. Keine Immobiliengesellschaft wird so dumm sein, ein großes Bauprojekt zu beginnen, ohne zuvor das Risiko dieses Unternehmens zu kalkulieren. Wer sich unbedacht in ein solches Projekt stürzt erntet den Spott der Bevölkerung, wie es in diesen Tagen mit dem Bau der Elbphilharmonie in Hamburg zu erleben ist. Der Ärger ist vorprogrammiert. Vom finanziellen Verlust ganz zu schweigen.

Und Gleiches gilt für einen Staatslenker, der seine Truppen aufs Schlachtfeld schickt, obwohl er beim Gegner mit der doppelten Truppenstärke rechnen muß: „Welcher König will sich auf einen solchen Krieg einlassen?"

Antwort: „Keiner!" Der kluge Politiker wird die Konsequenzen eines solchen Einsatzes ernsthaft bedenken. Und wenn er das Risiko kalkuliert hat, wird er schlauerweise das Wagnis des Kriegs nicht eingehen.

Das Risiko kalkulieren! Damit konfrontiert Jesus die Leute, zu denen er spricht. „Es ging aber eine große Menge mit ihm" heißt es. „Und er wandte sich um und sprach zu ihnen." Die Leute laufen ihm nach; Jesus stellt sich ihnen entgegen: „er wandte sich um", er stellt sich gegen den Strom, gegen die Masse, um ihnen zu sagen, dass das noch nicht Nachfolge ist. Nachfolge stützt sich vielmehr auf eine klar durchdachte Entscheidung, auf ein bewusstes Erwägen der Konsequenzen, auf ein vernünftiges Kalkulieren des Risikos. Und dieses Risiko ist damals offensichtlich. Wer sich zu Jesus hält, bekommt Ärger zu Hause. So war das. Wer sich von der angestammten Religion der Väter lossagte, riskierte den Familienkrach. Aussteiger sind nie gern gelitten. Aussteiger werden Außenseiter. Was meinen Sie, wie viele Mädchen aus ihrer Familie geflogen sind, weil sie einen Schwarzen geheiratet haben, wie viele Christinnen zu Hause rausgeflogen sind, weil sie einen Muslim geheiratet haben, wie viele Katholiken, weil sie eine Evangelische geheiratet haben?! Nicht anders war es, wenn damals einer Christ wurde.

Das Risiko kalkulieren! Darauf kommt es Jesus an. Nur wer sich der Folgen bewusst ist, soll seinen Weg mitgehen. Und dazu gehört nicht nur der Ärger zu Hause. Dazu gehört auch der Ärger mit dem Kaiser. Wer Jesu Weg damals mitgeht, muss damit rechnen, dass schon irgendwo im römischen Reich ein Balken in die Erde gerammt ist, an dem man ihn einmal hochziehen wird. Wer also mit Jesus geht, kann gleich den Querbalken fürs eigene Kreuz in sein Gepäck stecken. Mit einem Fuß steht er schon im Gefängnis. Tausende und Abertausende haben in den ersten drei Jahrhunderten das Martyrium erlitten, weil sie sich weigerten vor dem römischen Kaiser die Knie zu beugen. Das war der Preis der Nachfolge. Damit musste man rechnen. Wer das eigene Leben nicht hergeben konnte, wer es mehr liebte als Jesus, oder um es mit Jesus zu sagen: wer das eigene Leben nicht hasste, der sollte also lieber erst gar nicht auf diesem Weg gehen. Und das Gleiche galt für die materiellen Güter. Wer mit Jesus zog, konnte keinen Möbelwagen hinter sich her ziehen. Darüber musste man sich im Klaren sein. „Wer sich nicht lossagt von allem, was er hat, der kann nicht mein Jünger sein!" Sie zogen ja durchs Land, die Jesusleute, ohne Wohnung, ohne Dach über dem Kopf, heute hier, morgen dort.

„Ist euch das klar, liebe Leute?" Jesus will, dass die Leute das Risiko kalkulieren und nicht aus lauter Begeisterung sich in ein Abenteuer stürzen, dessen Ausgang sie nicht gewachsen sind. Und damit zeigt er sich als der Gegentyp eines Volksverführers. Jesus verführt keinen. Nachfolge ist kein Sonntagsspaziergang. Jesus verführt keinen dazu. Er mahnt vielmehr zur Bedachtsamkeit, zur realistischen Einschätzung der Konsequenzen, zum selbstkritischen Urteil. „Bin ich dazu in der Lage, die Folgen zu tragen? Bin ich dazu in der Lage, den Preis zu bezahlen?"

Gott sei Dank müssen wir heute, am 30. Juni 2013 nicht damit rechnen, aufgeknüpft zu werden, wenn wir sagen, dass wir an Jesus Christus glauben. Nicht hier in Jerusalem und nicht daheim in der Bundesrepublik Deutschland. Wir wissen wohl, dass das nicht überall auf dieser Welt so ist. Doch wo wir zur Zeit leben, sind wir darin frei und unbedroht. Und Gott sei Dank müssen wir auch nicht mit einer dauerhaften Spaltung der Familie rechnen, wenn wir uns entscheiden, unsere Kinder zur Taufe zu bringen - zumindest, wenn sich Vater und Mutter einige sind in dieser Entscheidung. Und Gott sei Dank brauchen wir auch unser Auto und unseren Fernseher nicht herzugeben, wenn wir unser Leben auf den dreieinigen Gott hin ausrichten wollen. Ob wir's überhaupt könnten, ist eine andere Frage, eine Frage, die uns Gott sei Dank nicht gestellt wird, die - wenn wir sie uns dennoch selbst beantworten wollten, natürlich etwas über die Gewissheit und die Festigkeit ausdrücken würde, mit der wir im Glauben verwurzelt sind. Doch Tatsache ist, dass ich, der ich heute diesen Bibeltext hier lese, nicht vor den gleichen Herausforderungen stehe, mit meinem Leben, mit meinem Hab und Gut, mit meinen familiären Beziehungen für den Glauben einzustehen, wie es zu anderen Zeiten der Fall war und an anderen Orten dieser Erde auch heutzutage der Fall ist.

Wann und wo entscheiden wir uns denn heute eigentlich, den Weg Jesu zu gehen, ihm nachzufolgen, wie die Bibel sagt? Die Entscheidung wird im allgemeinen von anderen für uns getroffen. Vater und Mutter haben wohl bei den meisten von uns über die Taufe entschieden. Und wenn wir selbst einmal als Vater und Mutter gefragt waren oder gefragt sind, dann entscheiden wir darüber, ob unsere Kinder den Weg Jesu gehen. Ob sie ihm nachfolgen.

Auf welches Risiko würde uns da Jesus heute hinweisen, welche Folgen würde er uns auffordern zu bedenken? Ich denke die Frage ist die Gleiche wie damals: „Bist du dazu in der Lage, die Konsequenzen der Entscheidung zu tragen? Willst du, wenn z.B. die Konfirmandenzeit einmal kommt, deinem Kind ein Begleiter sein oder gibst du's nur ab an der Kirchentür? Was bist du bereit hinzugeben dafür, dass dein Kind den Weg Jesu geht? Willst du dir die Mühe machen, ihm aus dem Bibelbilderbuch Jesusgeschichten zu erzählen? Was bist du bereit zu investieren? Nimmst du dir die Zeit mit ihm über Gott zu reden und dich selbst kundig zu machen, damit du antworten kannst auf seine Fragen? Was bist du bereit zu opfern? Wirst du die Stunde zum Ausschlafen am Sonntagmorgen opfern können und dein Kind zum Kindergottesdienst der Gemeinde mitnehmen?" Das Risiko, auf das uns Jesus heute hinweisen würde ist ein anderes als damals: nicht die negativen Folgen der Entscheidung zum Glauben, sondern im Gegenteil: dass diese Entscheidung gänzlich folgenlos bleibt - das ist heute das Risiko, wenn jemand sich entschließt, sein Kind zu taufen.

Aber neben der Taufe gibt es ja dann schließlich noch das andere. Ich nenne es die alltägliche Entscheidung für den Weg Jesu. Das geschieht dann, wenn wir gefragt werden, wenn wir gefragt sind, unseren religiösen Standpunkt zu benennen und uns zu irgendetwas zu bekennen - nein, nicht zu irgendetwas, sondern zu Jesus und seinem Weg. Wenn ich zum Beispiel erlebe, wie einer zusammengeschlagen wird und im Geiste Jesu dazwischen treten müsste. Bin ich bereit das Risiko zu tragen, dass ich ebenfalls zusammengeschlagen werde? Wenn ich zum Beispiel erlebe, dass man im Kollegenkreis die Vorteile des Kirchenaustritts bespricht und ich sagen müsste, dass ich aber drin bleibe und zwar aus Überzeugung. Bin ich bereit das Risiko zu tragen, dass man mich belächelt und hinter vorgehaltener Hand über mich redet? Wenn ich zum Beispiel erlebe, dass einer meiner Mitpatienten in der Klinik nur mitleidig grinst, wenn ich sage, dass ich heute den Gottesdienst im Fernehn schauen möchte... - steh ich dann noch dazu und sag ich's am nächsten Sonntag wieder? Und sag ich, dass ich mich in der Kirche engagiere auch dort, wo man so was nicht schick findet? Das Urteil fällt heute nicht mehr der römische Kaiser, sondern der säkulare Geist der Gesellschaft und das materialistische Denken, das allenthalben herrscht. Es ist zwar kein Todesurteil, aber manchen bringt es auch so zum Schweigen.

Und schließlich gibt es noch anderes, gibt es noch andere Risiken, auf die ich mich einlasse beim Glauben. Z.B. das Risiko, nicht immer auf alles eine Antwort zu haben. Wer glaubt, vertraut auf Gott - oft gegen den Augenschein. Warum lässt er so viel Unglück zu? Ich habe keine schlüssige Antwort. Und doch vertraue ich auf ihn. Oder wenn es mir selbst schlecht geht: ich riskiere zu beten, auch wenn ich womöglich befürchten muss, dass nicht geschieht, was ich mir erhoffe. Ich glaube an das ewige Leben, auch wenn noch keiner aus dem Jenseits zurück kam und mir davon erzählt hat. Ich riskiere es. Ich glaube an die Kraft des Heiligen Geistes, auch wenn ich noch so viel Ungeist erlebe. Ich riskiere es. Im Vertrauen auf Gott lasse ich mich auf Entwicklungen ein und manchmal auf unbekannte Wege, die mir zugemutet werden. Wo führt er mich hin?

Nun kann einer natürlich sagen, dass die genannten Risiken doch eher gering sind, wenn ich sie vergleiche mit dem Ausgestoßenwerden aus der Familie, mit dem Verlust des eigenen Lebens am Kreuz oder mit der Aufgabe des materiellen Besitzes. Und nicht umsonst hat es ja auch immer wieder Menschen gegeben, die absichtlich solche Herausforderungen gesucht haben oder suchen, um ihre Unabhängigkeit im Glauben zu bewähren, zu beweisen, und vollkommener zu leben. Asketen zum Beispiel, Eremiten oder Ordensleute in ihren Klöstern, die ihre Familie und ihren Besitz verließen. Leute wie Franz von Assisi. Es ist gut, dass es sie gibt und gab. Aber wir brauchen nicht werden wie sie, um dennoch den Weg Jesu zu gehen. Das einzige, was er von uns erwartet: dass wir seinen Weg bewusst und wohl bedacht gehen - dass wir ihm nicht hinterher rennen wie einem Leithammel, sondern uns für seinen Weg entscheiden, wohl bewusst dass er Konsequenzen für unser Leben hat. „Denn wer ist unter euch, der einen Turm bauen will und setzt sich nicht zuvor hin und überschlägt die Kosten, ob er genug habe, um es auszuführen?"

 



Propst Wolfgang Schmidt
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