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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

5. Sonntag nach Trinitatis, 30.06.2013

Predigt zu Lukas 14:25-33, verfasst von Sven Evers

Liebe Gemeinde,

Ein toller Text, oder? Natürlich fallen mir sofort viele Dinge ein, die ich jetzt über den Berliner Hauptstadtflughafen erzählen könnte; oder über die Elbphilharmonie; oder über unbemannte Dronen, die dann doch nicht fliegen dürfen; oder bestimmt auch über das ein oder andere Projekt in unserer Kirche – mit viel Enthusiasmus aber vielleicht zu wenig rationaler Überlegung angefangen und dann unfertig liegen gelassen... Aber über all diese Dinge will ich nicht sprechen. Es wären reine Fensterpredigten, die doch ohnehin nur jene beträfen, die heute nicht hier mit uns im Gottesdienst sitzen. Meine Lust an der Schadenfreude könnte ich damit wohl befriedigen, aber ganz sicher ginge ich damit wohl dem aus, dem Weg, wo die Worte Jesu mir selber wehtun, mich selber aufrütteln, mir selber in den Hintern treten und den Spiegel vorhalten wollen.

Es sind ja harte Worte, die Jesus hier spricht. Vater und Mutter, Bruder und Schwester verlassen, um Nachfolger Jesu zu sein? Ist das nicht ein bisschen zu hart? Ist das nicht ein bisschen zu viel verlangt? Ist das nicht ein bisschen zu extrem für unsere Welt, in der wir immer – und immer wieder ja auch zu recht – skeptisch werden, wenn da jemand mit so radikalen „Entweder – oder“ Forderungen auftritt?

Und predigen und hören wir nicht auch viel lieber von dem großen Versprechen des Glaubens, von – ich will dieses wirtschaftliche Wort einmal verwenden – seinem Nutzen? Von dem Sinn, den das Vertrauen auf Gott selbst in den dunkelsten und scheinbar sinnlosesten Situationen des Leben zu schenken vermag? Von der Hoffnung, die das Vertrauen auf Gott in hoffnungsloser Zeit zu schaffen vermag; von den neuen, lebenseröffnenden Perspektiven, die es uns ermöglichen, auch in eine kritische Distanz zu dem zu treten, was „man“ in der Welt so tut; von der neuen Gemeinschaft, in die der Glaube uns stellt und die ja nicht von ungefähr auch als Familie, als Gottes Familie sogar, bezeichnet wird?

Aber wenn ich jetzt einmal in dieser wirtschaftlichen Terminologie bleibe, dann kann ich vielleicht am treffendsten sagen: Ja, der Glaube hat ganz sicher seinen Nutzen. Einen geradezu himmlischen Nutzen sogar. Aber, wenn das so ist, dann sind die Worte Jesu hier und heute vielleicht am ehesten so zu verstehen, dass wir sagen können: Hier spricht Jesus nun auch einmal von den Kosten des Glaubens; von dem Einsatz, den es einzusetzen gilt, wenn wir den großen Gewinn des Himmelreiches davon tragen wollen.

Ja, sagt Jesus, Gott schenkt Euch alles – nicht nur dieses oder jenes, sondern nicht weniger als Teilhabe am Himmelreich. Aber so ganz umsonst gibt es das nicht. Ihr könnt nicht das Himmelreich haben und dann auch noch in gleichem Maße am Reich der Welt anteil haben. Ihr könnt nicht das ewige Leben ergreifen wollen und dann zugleich auch noch festhalten wollen, was doch in Wahrheit kein Leben ist. Ihr könnt nicht Gott dienen und dann auch noch gleichzeitig und weil es ja so gewohnt und so bequem ist in gleichem Maße auch noch den Göttern dieser Welt.

Ganz radikal ist der Schnitt zwischen Gott und Welt, zwischen Himmelreich und irdischen Reichen. Bis in die Familie, bis in die engsten Bezüge hinein kann die Trennung gehen, die die Mitgliedschaft in dem einen Reich für das andere bedeutet.

Wahrscheinlich haben Menschen in einer Situation, in der Christinnen und Christen um ihres Glaubens willen verfolgt wurden und gar um ihr Leben fürchten müssen, besser verstanden als die meisten von uns heute.

Vielleicht verstehen jene, die z. B. in der DDR groß geworden sind, besser als die meisten von uns, daß es manchmal in der Tat um so radikale Abgrenzungen geht. Wenn sogar Vater oder Mutter oder Bruder oder Schwester diejenigen sind, die mit einem Wort das eigene Leben in Gefahr bringen können, dann leuchtet die Schärfe in den Worten Jesu vielleicht ein.

Und machen wir uns nichts vor: auch heute gibt es viele Menschen in vielen Ländern, die um ihr Leben fürchten müssen um ihres Glaubens willen; für die wahrscheinlich vollkommen einleuchtend – wenn auch schmerzhaft einleuchtend – ist, dass die Zugehörigkeit zur Familie Gottes sämtliche irdischen Bindungen radikal in Frage stellt; dass eben nicht „sowohl als auch“ geht, sondern der Glaube immer wieder vor die Frage des „Entweder – oder“ stellt.

Und hier und heute sind ja in der Regel solche radikalen Reden eher fremd. Sie stimmen uns eher misstrauisch, weil wir natürlich auch um die Gefahren, solcher fundamentalen (fundamentalistischen?) Abgrenzungen wissen.

Aber könnte es nicht sein, dass gerade die Skepsis gegenüber solchen Worten, wie Jesus sie hier spricht, es uns dann oft so schwer macht, seine Worte wirklich ernst zu nehmen? Ich höre schon viele möglichen Auslegungen dieses Textes: Natürlich meint Jesus nicht, dass wir uns von unserer Familie trennen sollen – er will mit seinen Worten nur deutlich machen, wie wichtig und wie groß und wie anders das Himmelreich gegenüber allen irdischen Bindungen ist. Wenn wir uns das bewußt machen, dann muß sich – natürlich – nichts ändern in den alltäglichen Bezügen, in denen wir leben... Das erinnert mich an ein schönes Gedankenspiel, das Dietrich Bonhoeffer in seinem Buch von der Nachfolge in Anlehnung an solche Auslegungsversuche anstellt: Das Kind ist müde. Der Vater sagt: Geh ins Bett. Das Kind legt dann jetzt einmal diesen Satz aus: Papa sagt, ich soll ins Bett gehen. Er sagt, ich sei müde. Er will nicht, dass ich müde bin. Aber ich bin auch nicht müde, wenn ich spiele. Also sagt Papa: Geh ins Bett. Aber will er mir nicht eigentlich sagen: Geh spielen? Seien wir ehrlich: So gehen wir oft mit biblischen Texten um, die uns unbequem sind. Wir können oder wollen die Radikalität mancher Worte nicht ertragen, weil sie nicht in unsere Welt paßt. Wir nehmen den Worten die Schärfe – und nehmen ihnen damit alles.

Und vielleicht ist es ja so, dass wir, die wir jedem „Entweder – oder“ so skeptisch gegenüber stehen, es damit umso schwerer haben, die wahre Bedeutung dessen zu verstehen, was Jesus hier von seinen Nachfolgerinnen und Nachfolgern fordert?

Natürlich – Gott sei Dank! – müssen wir nicht um unser Leben fürchten, wenn wir uns zu dem Gott Jesu Christi bekennen. Aber warum wird unser Bekenntnis dafür dann oft so schal, so belanglos, so wenig begeistert, so... belanglos? Wir gehen sonntags in den Gottesdienst und handeln am Montag, als gäbe es den Gott der Bibel nicht mehr... zumindest manchmal ist das doch so, oder...?

Jesus sagt ganz deutlich: Ihr könnt nicht alles haben!

Ihr könnt nicht das ewige Leben haben wollen und zugleich festhalten an dem, was letztlich nichts anderes ist als der Tod!

Ihr könnt nicht den Sinn haben wollen, den das Vertrauen auf Gott stiftet und zugleich festhalten wollen an der Sinnlosigkeit der Welt oder den vielen Sinnen (dem wirtschaftlichen zum Beispiel, der ist ja bei uns hier besonders mächtig), die die Regeln dieser Welt Euch bieten.

Ihr könnt nicht die Zukunft des Himmelreiches ergreifen und zugleich festhalten wollen an der Vergangenheit, die Euch an so vieles fesselt.

Ihr könnt nicht das Himmelreich haben wollen und zugleich das Reich des Geldes oder des Fortschritts oder des Egoismus – kurz: der Welt.

Und wenn das so ist, dann hat die Zugehörigkeit zu Gott doch wohl ganz konkrete Konsequenzen für die Bindungen, in denen wir stehen, oder? Wenn es so ist, dass das Himmelreich immer wieder das genaue Gegenteil dessen ist, was „man“ in unserer Welt so tut, dann muss es doch immer wieder auch einmal auffallen, welchem Reich wir angehören; dann muss es doch immer wieder auch einmal zu einer ganz deutlichen Abgrenzungen des einen von dem anderen kommen? Gewiss, nicht so radikal vielleicht, dass wir Vater und Mutter und Bruder und Schwester verlassen müssten. Gott sei Dank nicht! Aber lassen wir uns dadurch, dass so scharfe Brüche um des Glaubens willen in unserem Leben nicht notwendig sind nicht blind werden für die Brüche und Abbrüche, die es gleichwohl braucht, wenn wir die Gemeinschaft der Familie Gottes, wenn wir es mit dem Himmelreich wirklich ernst meinen!

Ein paar ganz kurze Beispiele nur, die die Abgrenzung des Himmelreiches von dem Reich veranschaulichen mögen, das meiner Einschätzung nach das mächtigste ist, in dem wir in unseren weltlichen Bezügen leben: von dem Reich des Geldes.

(Ausführen anhand des konziliaren Prozesses – Frieden – Gerechtigkeit – Bewahrung der Schöpfung; Bsp. entsprechend konkreter Gemeinde)

Deutschland ist nach wie vor der drittgrößte Waffenexporteur der Welt. An fast jeder kriegerischen Auseinandersetzung verdienen wir Geld. Paßt das zu der Botschaft des Friedens, die unser Gott uns zuruft? Warum ist der Aufschrei unserer Kirchen nicht viel größer als er es ist, wenn es darum geht, den Frieden gegen die Macht des Geldes ins Feld zu führen? Warum schweigen wir immer wieder und nehmen diesen Umstand einfach so hin – er bringt ja schließlich Arbeitsplätze...

Warum schweigen wir immer wieder, wenn wir sehen, wie die Armen in unserem Lande immer ärmer und die Reichen immer reicher werden? Nein, es geht mir hier nicht um Neid – auch den mag es geben, aber das wäre ein anderes Thema. Aber ist es gerecht, dass wir es nur um unseres Geldbeutels willen in Kauf nehmen, dass Leiharbeiter aus anderen Ländern hier bei uns – ja auch hier und gar nicht weit weg – ausgebeutet werden und unter unmenschlichen Bedingungen leben und arbeiten müssen? Ist es gerecht, dass wir mit dem Argument, das mache ja jeder so, bei jeder Steuererklärung zu schummeln versuchen, um noch den ein oder anderen Euro herauszuschlagen? Paßt es zu unserer Mitgliedschaft im Himmelreich, dass wir scheinbar ganz selbstverständlich Menschen aus unserer Mitte ausgrenzen, weil sie ja so merkwürdig, so fremd, so .... anders sind als es zu unserer kirchlichen Gemütlichkeit passt?

Ja, sagen wir, die Bewahrung der Schöpfung ist uns natürlich wichtig. Und natürlich sind wir gegen CO2-Ausstoß und gegen Ausbeutung der Natur. Aber warum greifen wir dann immer wieder ins unterste Regal im Supermarkt, dort, wo die billigen Waren liegen, die nicht nur Menschen, sondern auch Gottes Schöpfung ausbeuten? Natürlich wollen wir sauberen Strom – aber die Stromleitungen dann bitte frei nach St. Florian bitte nicht in unserem, sondern lieber im Nachbardorf. Natürlich ist uns der Schutz der Umwelt wichtig, aber im Auto ist es ja so schön trocken und warm...

Verstehen Sie mich nicht falsch – es geht mir nicht um platte Alternativen. Und manchmal ist die Welt ja auch recht kompliziert, so daß wir gar nicht ohne weiteres Wissen, welches Verhalten denn eigentlich das wäre, das dem Frieden, das der Gerechtigkeit, das der Bewahrung der Schöpfung wirklich dient. Aber ist das ein Grund dafür, den Kopf in den Sand zu stecken und weiter zu machen wir bisher, einfach weil es ja alle tun? Ist das ein Grund dafür, aus lauter Resignation über die angebliche Folgenlosigkeit individueller Schritte lieber gar nichts zu tun und dann doch wieder nur den eigenen Geldbeutel im Blick zu haben, weil „man“ das ja in unsrer Zeit eben so tut oder gar so tun müsse?

Es geht nicht um platte Alternativen – aber es geht eben doch immer wieder darum zu fragen, wo Himmelreich und das Reich der Welt oder des ominösen „Man“ nicht zusammenpassen. Gerade weil es mit platten oder vielleicht besser: einfachen oder klaren Alternativen heute nicht getan ist, ist diese Frage umso wichtiger. Im Hinterkopf immer wieder die klaren und deutlichen und harten Worte Jesu:

Ihr könnt nicht das Leben haben und den Tod.

Ihr könnt nicht den Gott der Bibel haben und den Gott des Geldes.

Ihr könnt nicht das Himmelreich haben und das Reich der Welt.

Darum: Überlegt Euch genau, was Ihr tut, wenn Ihr ins Himmelreich eintreten wollt, damit Ihr nicht zum Spott der Leute werden wir der Erbauer des Turmes, der die Kosten nicht kalkuliert und dann eine Ruine stehen lassen muss. Überlegt Euch, worauf Ihr Euch einlasst, wenn Ihr Euch auf Gott einlasst. Ihr bekommt: das Himmelreich, Lebensfülle, Familie – alles. Aber Ihr könnt nicht alles haben und dann auch noch das Gegenteil davon. Darum: Jeder von Euch, der sich nicht lossagt von allem, was er hat, der kann nicht mein Jünger sein.

Amen.



Landesjugendpfarrer Dr. Sven Evers
Oldenburg i. Oldenburg
E-Mail: sven.evers@ejo.de

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