Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

7. Sonntag nach Trinitatis, 14.07.2013

Predigt zu Lukas 19:1-10 (dän. Perikopenordn.), verfasst von Poul Joachim Stender


DA IST NOCH MEHR.

Vor einem Jahr sah ich in Kalifornien eine Tuschzeichnung, die mir nicht aus dem Kopf gehen will. Es war ein sehr schönes Bild von einer Landschaft mit Bäumen, Seen und einem einzigen kleinen Haus. Etwas Unergründliches und Tiefes lag über dem Bild. Es faszinierte mich. Der Mann, dem es gehörte, sagte zu mir: „Da ist noch mehr." Er nahm das Bild von der Wand. Was ich für die beiden Seitenrahmen des Bildes gehalten hatte, entpuppte sich als zwei Zylinder. Der Mann begann, das Bild auf beiden Seiten herauszuziehen, und langsam wuchs das kleine Bild auf zehn Meter an und konnte kaum noch in dem Zimmer sein, in dem wir uns aufhielten. Eine riesige Landschaft mit Bergen, Städten, Seen, Menschen breitete sich vor meinen Augen aus. Der Besitzer des Bildes war ein Amerikaner aus Dänemark; seine Bemerkung „da ist noch mehr" kann ich einfach nicht vergessen. - Es gibt Menschen, denen man begegnet, die man kleinlich findet wie Zachäus in unserem Text. Aber vielleicht sollte man sich selber sagen: „Es gibt noch mehr." Würde man sie öffnen, würden manche wunderbare Seiten zum Vorschein kommen.

Alle diese Tage in einem Leben, die sich monoton wiederholen. Man macht oft jeden Tag dasselbe. Der eine Tag geht wie der andre. Alle diese Tage, die kommen und gehen, sind in Wirklichkeit unser Leben. Vielleicht wäre es an der Zeit, einmal einzuhalten und sich zu sagen: „Da ist noch mehr." Man könnte sich sein Leben vorstellen wie das Bild, das der Amerikaner mit seinen dänischen Wurzeln an der Wand hängen hatte. Man glaubt, man sieht alles. Und dann gibt es da sehr viel mehr, wenn man einhält und genau hinsieht.

Ich habe vor einiger Zeit ein Smartphone bekommen. Mit dem kann ich telefonieren, Emails verschicken, googeln, SMS verschicken, einen Rutenplaner befragen und vieles andere mehr. Aber ich habe das Gefühl, dass ich nur etwa 40 bis 50 Prozent von dem ausnutze, was das Smartphone kann. Da gibt es mehr - wenn ich Lust dazu habe, es zu untersuchen. Und genauso ist es mit dem Rechner, den man hat. Die Kirche hat einen Webmaster. Er kommt ab und zu und bringt das eine oder andere an meinem Rechner in Ordnung. Er ist IT-Fachmann und kann sofort etwas aus dem Rechner holen, wovon ich kaum geahnt hätte, dass es das gibt. Oder mit anderen Worten. Es gibt in dem Rechner mehr als das, was ich brauche, und ich könnte enorm viel Freude daran haben, wenn ich versuchen würde, mich damit vertraut zu machen, wozu dieses mehr zu gebrauchen ist.

DANKE NEIN ZU EINEM FEST?

Als Gott vor 2000 Jahren, zu Weihnachten, in Jesus Christus Mensch wurde, war es ein wenig wie mit dem Bild, das ich bei dem Amerikaner mit den dänischen Wurzeln gesehen habe und das man ausziehen konnte. Ein bisschen auch wie bei dem Smartphone und beim Rechner, den ich bestimmt nicht gänzlich ausnutze, ein bisschen wie bei den Menschen, denen ich begegne und die ich überhaupt nicht ganz sehe, ein bisschen wie bei dem Leben, das ich lebe und von dem ich nur einen Teil sehe. Da ist noch mehr. Sehr viel mehr. Was tat Jesus in der Zeit, als er sich in Israel offenbarte? Er entfaltete unser Leben und zeigte uns, dass darin sehr viel mehr Inhalt, Freude, Sinn ist, als wir uns vorstellen. Er entfaltete die Welt und machte uns darauf aufmerksam, dass die Welt nicht nur die Welt ist, die wir mit unseren fünf Sinnen registrieren. Da gibt es mehr. Nämlich die Ewigkeit, aus der er kam und die wir im Glauben entfaltet bekommen können und die schon jetzt dazu beitragen kann, unser Leben zu erweitern.

Zachäus war ein Mensch, von dem man wirklich sagen kann, dass mehr in ihm war, als dass er von kleinem Wuchs und ein Oberer der Zöllner für die römische Besatzungsmacht war. Als Jesus ihn in dem Baum entdeckte, rief er: „Zachäus, beeil dich und steig herunter. Denn ich muss heute in deinem Haus zu Gast sein." Er hätte genauso gut rufen können: „Zachäus, ich kann sehen, dass mehr in dir ist als das, wozu dich andere machen und was du dir selbst vorstellst." Und als Jesus in das Haus des Zachäus kam, öffnete er dieses Mehr, so dass Zachäus eine neue Seite an sich selbst entdeckte. Freigebigkeit und Mitgefühl für die Armen. Im Grunde muss er plötzlich begriffen haben, dass er ein Mensch war, der von Jesus zu dem Fest eingeladen war, das das Leben sein soll. Wenn man sein Leben ausschließlich zu der Arbeit abwertet, die man hat, und wenn wir vergessen, das wir etwas anderes und mehr sind als die verschiedenen Rollen und Beziehungen und Beschäftigungen, die unseren Alltag ausmachen, werden wir zu Arbeitstieren und Krüppeln und selbstgenügsam.

SU

SU (staatens uddanneslesstøtte oder svar usbedes) kann für zweierlei stehen, entweder für das, was in Deutschland etwa dem BaföG entspricht, oder für u.A.w.g., um Antwort wird gebeten. Heute, an diesem Sonntag, soll es u.A.w.g. bedeuten. Heute sollen wir auf die Frage antworten, ob wir an dem Fest teilnehmen wollen, zu dem Jesus uns einlädt. U.A.w.g. Man bemerke, dass nicht Zachäus Jesus einlud, sondern umgekehrt Jesus den Zachäus. Das ist eine andere Aussage als der Satz „da ist noch mehr". Es ist vielmehr diese Aussage „es ist zu spät". Eines Tages wird es zu spät sein, um ein Fest zu feiern und die Freude zu teilen, die der Herr mit uns teilen will. Darum: Sind wir bereit, begreifen zu wollen, dass es in dieser Welt mehr gibt als uns selbst, unsere Tätigkeiten, unsere engstirnigen Vorstellungen von dem einen oder anderen? U.A.w.g. Wagen wir, einander und das Leben und uns selbst zu entfalten? Oder wollen wir uns mit einer allzu engen Menschenauffassung begnügen, die unsere Gegenwart zu prägen begonnen hat, in der sich alles nur um Finanzen und Wachstum dreht? Wollen wir „mehr" als das, was wir im Augenblick gerade denken und tun, oder halten wir eine Entschuldigung bereit, dass sich das nicht machen lässt, weil wir mit unserer Arbeit zu viel zu tun haben oder mit unseren Kindern oder mit unserem Garten oder, womit wir uns sonst immer zu entschuldigen pflegen, wenn wir anderen Menschen erklären sollen, dass wir unser Leben auf ein Sperrkonto überwiesen haben. Ich sage bestimmt nicht Amen nach dieser Predigt. Ich sage zu mir, zu euch: U.A.w.g.! Um Antwort wird gebeten.





Pastor Poul Joachim Stender
4060 Kirke Saaby og Kisserup Sogn på Midtsjælland
E-Mail: pjs@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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