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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

7. Sonntag nach Trinitatis, 14.07.2013

Predigt zu Lukas 9:10-17, verfasst von Wolfgang Petrak



10 Und die Apostel kamen zurück und erzählten Jesus, wie große Dinge sie getan hatten. Und er nahm sie zu sich, und er zog sich mit ihnen allein in die Stadt zurück, die heißt Betsaida.11 Als die Menge das merkte, zog sie ihm nach. Und er ließ sie zu sich und sprach zu ihnen vom Reich Gottes und machte gesund, die der Heilung bedurften.12 Aber der Tag fing an, sich zu neigen. Da traten die Zwölf zu ihm und sprachen: Lass das Volk gehen, damit sie hingehen in die Dörfer und Höfe ringsum und Herberge und Essen finden; denn wir sind hier in der Wüste.13 Er aber sprach zu ihnen: Gebt ihr ihnen zu essen. Sie sprachen: Wir haben nicht mehr als fünf Brote und zwei Fische, es sei denn, dass wir hingehen sollen und für alle diese Leute Essen kaufen.14 Denn es waren etwa fünftausend Mann. Er sprach aber zu seinen Jüngern: Lasst sie sich setzen in Gruppen zu je fünfzig.15 Und sie taten das und ließen alle sich setzen.16 Da nahm er die fünf Brote und zwei Fische und sah auf zum Himmel und dankte, brach sie und gab sie den Jüngern, damit sie dem Volk austeilten.17 Und sie aßen und wurden alle satt; und es wurde aufgesammelt, was sie an Brocken übrig ließen, zwölf Körbe voll.

 

Liebe Gemeinde!

„Draußen schmeckt‘s am Besten". Mit dieser Zeile führte die ‚Süddeutsche Zeitung' in das vergangene Wochenende ein, das nun endlich zum sommerlichen Grillen angetan war, auch zum Ausprobieren der internationalen Rippchen-Rezepte: Thai- Rippchen, Currasco Costela, Kassler in Schmalz, Riesling und Kraut, über Olivenholz gegarte Rosmarin-Rippchen, Cajun Ribs, Koreanische Kalbi Rippchen: So viel. Eine Welt zum Schmecken. Wunderbar. Und welche Beilage nimmt man dazu?

Auch in der Wüste war Zeit zum Essen gewesen. Brot und Fisch, und das noch im Verhältnis 5:2. Ob es schmeckt? Weiß ja nicht. Aber es ist auch eine andere Welt. Ohne Beilage. Eine Welt des Wunders. Eine andere Zeit.

Kenne ich sie? Weiß ja noch, wie ich als Kind, ziemlich groß mit Fünf, neben dem Vater herlief, nicht durch die Wüste, sondern, wie der Vater gesagt hatte, durch die Steinwüste Hannovers vorbei an Trümmerfeldern und dunklen Hausruinen mit schwarzen Löchern, zum Welfenplatz. „Hier haben wir exerciert", hatte er mir erklärt, dann aber geschwiegen und ich hatte auch nicht weiter nachgefragt, weil ich alles schon zu kennen glaubte, seine Geschichten von den abgeschossenen amerikanischen Flugzeugen und der Gefangenschaft und der Schuld der anderen. An der Kaserne bekommen wir ein großes Paket, mein Vater hatte es auf den Schlitten gelegt und eine Decke darüber gedeckt. „Damit keiner was sieht". Zurück, den Schlitten gemeinsam ziehend über die Alte Celler Heerstraße und durch die Unterführung, dann die Treppen hoch in unsere Wohnung. Das Paket wurde auf den Küchentisch gelegt. alle standen herum. Und dann packte mein Vater aus. Dosen mit englischer Sprache beschriftet. „Das ist Käse. Und das wohl Butter. Und das ist ,ham‘, so nennen die Amis das. Und das sind ja Zigaretten. Sie sind die besten. Und Kaffee. Und Brot, auch in der Dose. Und hier. das hier hast du noch nie gesehen, das Gelbe hier sind Bananen". Eine gab es dann zum Abendbrot. Zum Probieren. Und auch ein bisschen Käse. Es wurde auch gebetet. Wie immer: „Komm Herr Jesus, sei du unser Gast und segne was du uns bescheret...". Ja, es war schon so schön wie die Bescherung zu Weihnachten, einige Wochen zuvor. Die Bananen: etwas so schmecken zu können, so neu, so aufregend, so... von so weit weg. Der Käse, naja, streng und salzig. Butter aß ich sowie so nicht. Aber diese Banane. Das Wunder auf der Zunge und im Herzen. Und dieser Jesus, der mir eigentlich nur als Kind in der Krippe vertraut war, ziemlich nah und wirklich. Ja komm. „Papa", fragte ich, „warum haben uns die Amerikaner eigentlich was zu essen gegeben"?

„Gebt ihr ihnen zu essen".

Das sagt Herr gesagt. In der Wüste, an einsamen Ort, in stiller Zeit. Die Zwölf, die er ausgesandt hatte, um in seinem Namen, mit seiner Vollmacht ausgestattet das Reich Gottes zu predigen und Kranke zu heilen: diese Zeit also, in der für die Menschen alles anders sein wird. Die Zwölf aber waren zurückgekommen und hatten ihm erzählt, was für „große Dinge sie getan hatten". Nichts aber wird gesagt über die Abgründe der Zeit, die hinter allem liegt, über das, was Johannes erlitten hat - und man ahnt, was kommen wird. Doch es ist wohl auch nicht die Zeit, das anzusprechen. eigentlich scheint nie dafür Zeit zu sein. Erinnere mich an die Zeit der Pfarrkonferenzen, wo so viel zu bereden war. In den Pausen standen wir in kleinen Grüppchen und fragten, während wir in der einen Hand das Mettbrötchen, in der anderen Hand die Kaffeetasse hielten, unser jeweiliges Gegenüber: „ Na, und? Wie ist es, was machst Du so?", um dann gleich selbst zu erzählen, was ‚man halt so macht', große Dinge also, dem Veranstaltungskalender des Gemeindebriefes gleich, nur noch ein bisschen ausgeschmückter. Gegenseitige Verständigung wurde erzielt durch die Kritik an scheinbar ineffektiver Leitung und umständlicher Verwaltung, wie Kirche eben so ist. Ansonsten: Schweigen. Wie Menschen in ihren Zeiten eben so sind: sich abgrenzend, weil absichernd und sich selbst rechtfertigend.

Der Herr aber steht für die ganz neue Zeit, sagt nichts zu dem, was die Zwölf gesagt haben, sondern wendet sich dem Volk zu, sagt ihnen das ganz andere, das Reich Gottes, und macht gesund, die es bedürfen. „Aber der Tag fing an, sich zu neigen"(Lk 9,12).

Das ist seine Zeit. Der Abend. Nicht die Zeit des Lichtes und des Schattens, der Vernunft und der abwägenden, kalkulierenden Entscheidung, sondern die Zeit seiner Erkenntnis, des Wunders seiner Offenbarung. Später werden zwei der Jünger, die gefangen sind in dem, was Menschen anderen angetan haben, einen Unbekannten bitten zu bleiben, weil sich der Tag geneigt hat. Dann erst wird er das Brot brechen und teilen. Sie aber werden erkennen (Lk 24,13-31). Jetzt jedoch sind sie ganz ihrer Zeit verhaftet und rechnen dem Predigenden, der das Reich dessen ansagt, der Anfang und Ende ist, -also dem rechnen sie vor, dass es nun endlich Zeit ist, die vielen Menschen, die in der Wüste sind, in ihre heimatlichen Dörfer zurückzuschicken; auch argumentieren sie mit der Marktlage und den knappen Ressourcen (sofern man überhaupt bei fünf Broten und zwei Fischen und 5000 zu versorgenden Leuten noch von Ressourcen sprechen kann). Nicht ausgeschlossen werden die Möglichkeiten der zusätzlicher Finanzierung: "Es sei denn, dass wir hingehen sollen und für alle Leute Essen kaufen" (Lk. 9,13).

Muss bei den argumentierenden Zwölfen an Mutter Courage denken, die ihrer festlich gekleideten Kathrin sagt: „Kannst deine Sachen wieder ausziehen, wir gehen nicht in die Kirche, wir gehen zum Markt". Das Kleid der Religion ist für die Markt- Zeit unschicklich, um nicht zu sagen: daneben, weil die Ökonomie die Zeit bestimmt. Sagen nicht nur die Zwölf. Oder Mutter Courage. Doch der Herr hat den Mut, ach, was sage ich: er hat die die Macht, etwas anderes zu sagen, draußen, gegen die Zeit „Gebt ihr ihnen zu essen".

So wie er sie ausgesandt hat, so übergibt er ihnen das Zeichen, mit dem er selbst als der Auferstandene und sie als seine Gemeinde erkannt werden (vgl Act.2,46). Sein Blick zum Himmel ist die Alternative zum kalkulierenden Blick der Ökonomie und der sorgenden Angst, es könne nicht reichen. Sein Dank und sein Teilen des Brotes wird durch die Zeiten hindurch daran erinnern, dass wir von dem leben, was er uns gibt. Seine Gabe steht des Erwerbens, Sicherns und Besitzens gegenüber. Aus ihr allein können wir leben. Dieses ist das eigentliche Wunder und dieses sollen die ungenannten Zwölf den anonymen 5000 weitergeben. Das Teilen selbst ist ein bloßer Vorgang der Organisation, man kann darin sehen, wie sich die Welt des Wunders mit der Welt der Rationalität verbindet. Der Herr weist wie in einem modernen Management klare Handlungsziele an und weiß Aufgaben zu delegieren. Dabei wird die schier unübersehbare Zahl der Menschen in der Wüste in überschaubare Gruppen untergliedert. Aus 5000 werden 100 Gruppen à 50...Man mag bei diesen Zahlenverhältnissen das Vorbild einer römischen Legion sehen mit der Zenturie als kleinster Einheit; man mag auch aus der exegetischen Literatur entnehmen, dass sich radikale religiöse Gruppen in kleinste Einheiten untergliederten, um als Kinder des Lichtes den Kampf gegen die Kinder der Finsternis aufzunehmen; man auch, sehr liberal, auf Max Webers Einsicht verweisen, dass Werte der Institutionalisierung bedürfen, um vermittelt werden zu können. Doch es geht weder um Kampf noch um Zweckrationalität. Es geht darum, dass der Herr sich Menschen in wüsten Zeiten konkret zu erkennen geben will: er kopiert nicht die Organisationsformen und Sicherungskonzepte der Welt und ihrer Zeiten -nicht umsonst hat er einen bösen Geist namens Legion ausgetrieben( vgl Lk 8,30) ; es gelten nicht die Abgrenzungen zwischen rechts und links, drinnen und draußen, vertraut und fremd; stattdessen nimmt er seine Dimension in Anspruch, sieht zum Himmel aufs, dankt und bricht das Brot (Lk.9,16, vgl. Lk 24,30).

Noch einmal: „Gebt ihr ihnen doch zu essen".

Weiß noch, wie ich 1990 in dem Film „Der Marsch" Menschen gesehen habe, die in ihrer Not der verlorenen Arbeit und des Hungers sich unter einem charismatischen Anführen versammelten und durch die Sahara zogen, um nach Europa zu kommen. Und wie die aufgebotenen Waffen der Festung Europa dieses verhinderten. Am nächsten Tag sagte mir ein Student aus Mali: „Genau so ist es". 1993 wurde im Zusammenhang mit der Vereinheitlichung der Einwanderungsgesetze der EU das Grundgesetz verändert. In Artikel 16, der das Grundrecht auf Asyl sichert, heißt es:

Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist.... In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden".

Wie soll es dann möglich sein, dem Elend zu entkommen? Mit Flugzeugen? Oder mit Unterseebooten? Seit 2004 koordiniert die FRONTEX die Außensicherung der EU. Doch welche Moral, welches Recht kann Menschen zwingen, im Leiden zu bleiben?

Sehe noch, wie wir in Hamburg auf dem Kirchentag Abendmahl feiern konnten. An Tischen. Im Stehen in kleinen Gruppen. Sehe auch die kleinen Gruppen Afrikaner am Hauptbahnhof und in Parks. Wusste nicht, dass ihnen unter Ghaddafi in Libyen Arbeit versprochen worden war und die nach den Kriegswirren über Italien nach Deutschland gekommen sind. Ohne je ein Recht auf Asyl zu haben. Gut, dass ihn Kirchengemeinden und Moscheen Unterkunft und Verpflegung organisieren. Doch ein Recht gibt es für sie, die nichts haben. nicht. Sehe auch immer noch die Bilder der 50 Hungerstreikenden in München. Durch Wüsten, durch Kriegsgebiete sind sie gekommen, geflohen vor den Kindersoldaten in Sierra Leone, den Rebellen in Mali, dem Krieg in Afghanistan. Ihr hilflos-radikaler Versuch, durch einen konsequenten, d.h. sich selbst gefährdenden Hungerstreik eine Aufenthaltsgenehmigung zu erzwingen. „Gebt ihnen doch zu essen" konnte bei der gültigen Rechtslage nur die Zwangsernährung bedeuten. Und ihre wahrscheinliche Abschiebung. Sehe heute, am Dienstag, im ‚Göttinger Tageblatt' ein Foto von Franziskus mit Afrikanern. Statt einen Staat zu besuchen, was in dieser Welt immer ansteht, besucht er afrikanische Flüchtlinge auf Lampedusa, der italienischen Insel vor der Küste Afrikas. Er beklagt offen die Globalisierung der Gleichgültigkeit. Und die Orientierungslosigkeit. Seine Gebete dort benennen vor Gott über 19 000 Flüchtlinge, die in den letzten 25 Jahren bei dem Versuch der Flucht über das Meer ihr Leben verloren haben. Und die 200 00000, die darauf hoffen, dass sie in irgendwann in Europa leben können. Irgendwo dort, wo sie arbeiten können. Wo ihre Landwirtschaft nicht durch Krieg und Unruhen, durch Handelszonen und Überschussexporte bedroht wird. Dort, wo es eine medizinische Versorgung gibt. Weiß nicht, ob Franziskus in Lampedusa Wege dazu genannt hat.

Weiß aber, das eins gesagt werden muss: „Gebt ihnen doch ein Aufenthaltsrecht". Damit aus Glauben Leben gestaltet werden kann. Denn es geht darum, dass wir uns in unserer Welt des Konsums und Profites nicht absichern können. Dass wir alle aus der Gabe des Lebens leben müssen. Brot für die Welt ist der richtige Weg. Und vielleicht ist auch das Wunder einer Gesetzesnovelle, die das Schengener Abkommen hinter sich lässt und die Begegnung mit dem, der Brot und Leben teilt, vor sich weiß und die Trennung von Draußen und Drinnen überwindet.

 



Pastor i. R. Wolfgang Petrak
37077 Göttingen
E-Mail: w.petrak@gmx.de

Bemerkung:
Lied nach der Predigt: Das sollt ihr , Jesu Jünger, nie vergessen (EG 221)


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