Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

7. Sonntag nach Trinitatis, 14.07.2013

Predigt zu Lukas 9:10-17, verfasst von Elisabeth Tobaben

 

 

 

„Lasst uns eine Welt erträumen..."

 

10. Die Apostel kehrten wieder zu Jesus zurück.
Sie berichteten ihm, was sie getan hatten.
Dann nahm er sie mit sich.
Er brachte sie in die Gegend bei der Stadt Betsaida,
um mit ihnen allein zu sein.

11. Als die Leute davon erfuhren,
zogen sie ihm nach.
Jesus wies sie nicht ab.
Er erzählte ihnen vom Reich Gottes
Und machte alle gesund, die Heilung brauchten.

12. Als es Abend wurde,
kamen die Zwölf zu Jesus und sagten:
„Lass doch die Volksmenge gehen.
Dann können die Leute zu den umliegenden Dörfern und Höfen ziehen.
Dort finden sie eine Unterkunft und etwas zu essen,
denn wir sind hier in einer einsamen Gegend."

13. Jesus antwortete ihnen:
„Gebt ihr ihnen doch etwas zu essen!"
Da sagten sie: „Wir haben nicht mehr als fünf Brote
Und zwei Fische.
Oder sollen wir etwa losgehen
Und für das ganze Volk etwas zu essen kaufen?"

14. Es waren nämlich ungefähr 5000 Männer.
Da sagte Jesus zu seinen Jüngern:
„Sorgt dafür, dass sich die Leute zum Essen niederlassen -
in Gruppen zu etwa fünfzig."

15. So machten es die Jünger
und alle ließen sich nieder.

16. Dann nahm Jesus die fünf Brote
und die zwei Fische.
Er blickte zum Himmel auf
Und sprach das Dankgebet dafür.
Dann brach er sie in Stücke
Und gab sie den Jüngern.
Die sollten sie dem Volk austeilen.

17. Die Leute aßen, und alle wurden satt.
Dann wurden die Reste eingesammelt,
die sie übrig gelassen hatten - zwölf Körbe voll.

 

Liebe Gemeinde!

 

Fünf sind geladen, zehn sind gekommen,
gieß Wasser zur Suppe, heiß' alle willkommen!"

Schön gestickt - meist mit blauem Garn mit Kreuzstich auf weißem Stoff-
So hing diese Lebensweisheit früher in so mancher Bauernküche, auch bei uns im Dorf,  oft als Vorhang über den Hand- und Geschirrtüchern, damit es immer schön ordentlich aussah in der Küche; ich meine, meine Oma hätte auch so einen gehabt.

In einem Heftchen mit „Lebensweisheiten" fand ich den Vers überschrieben mit „friesische Gastfreundschaft".

Und eine Erklärung dazu betont die angeblich ausgeprägte geizige Lebenshaltung vor allem der Ostfriesen:
Man verdünnt lieber, als dass man Gemüse oder Kartoffeln dazu gibt, damit alle satt werden.
Ich war ganz erschrocken über diese Erklärung, denn ich mochte den Spruch als Kind, ich fand es völlig in Ordnung, dass man teilt, wenn plötzlich mehr Leute zum Essen da sind, als man einkalkuliert hatte, und ggf. auch „verdünnt" wenn grad nicht mehr da ist!
Das kannten wir Kinder, weil es z.B. in der Ernte oft genug vorkam, dass plötzlich drei oder fünf Mitarbeiter oder Erntehelfer mehr da waren, die auch noch satt werden sollten.
Die Leute dann einfach wegzuschicken, wäre undenkbar gewesen, da wurde dann oft wirklich schnell improvisiert und noch ein paar Kartoffeln mehr geschnippelt, notfalls sogar mit Wasser.
Natürlich weiß ich, dass der Spruch in vielen modernen Ohren
einigermaßen ironisch klingt.

Denn wer bietet schon gern verdünnte Suppe an, oder bekommt gar solche serviert! Außerdem: wenn unerwarteter Besuch kommt, ist das heute - zumindest in unseren Breiten- kein Problem mehr, man schiebt heute schnell etwas aus der Tiefkühltruhe in die Mikrowelle oder macht ein paar Fertigpackungen auf oder hat die berühmte Praline mit der Nuss parat.

Der Spruch klingt aber für mich eher so, als käme er aus einer Zeit, in der alle nichts oder nur wenig hatten und trotzdem geteilt wurde.
Vielleicht fällt er mir deswegen gerade zur Geschichte von der Speisung der Fünftausend ein!

Für jemanden, der mehr oder weniger in Überfluss und Wohlstand lebt, klingt so eine Geschichte natürlich ganz anders als für die, die morgens nicht weiß, wie sie ihre Kinder an diesem Tag satt kriegen soll!
In sattem Zustand sind wir mit Sicherheit viel eher bereit, die Erzählung theoretisch zu hinterfragen und Zusammenhänge zu analysieren.
Wir gehen dann vielleicht unter naturwissenschaftlichen Voraussetzungen an den Text heran und denken drüber nach, ob die „wunderbare Brotvermehrung" denn überhaupt möglich sei.
Wie kann das gehen, dass 5000 Männer -Frauen und Kinder selbstverständlich nicht mitgezählt- satt wurden, obwohl es anfangs offenbar wirklich nur 5 Brote und zwei Fische gab? Wer weiß, ob es dabei geblieben ist!

Kritische Fragen sind natürlich wichtig und nötig, sie schaffen aber auch eine Distanz zum Text, die allerdings dann auch dazu führen kann, dass man selber darin gar nicht mehr vorkommt.
Wer weiß, wie es ist, Hunger zu haben, wird vermutlich ganz anders hinhören, in eigener, direkter Betroffenheit, eigene Hoffnungen und Sehnsüchte wiederfinden in dem, was da erzählt wird.
Nun kann von einer extremen Notlage bei den Leuten damals in Galiläa eigentlich nicht wirklich geredet werden.
Gut, sie hatten sich hinreißen lassen, vielleicht ganz spontan, aus dem Augenblick heraus, hinter Jesus und den Jüngern her zu laufen, waren in der Einöde, in der Wüste gelandet.

Vielleicht hatten sie die Predigt der Jünger gehört, die Heilungen miterlebt und wollten jetzt den Meister persönlich kennen lernen?
Offenbar fanden sie ihn so faszinierend, waren hingerissen von seinen Geschichte, dass sie gar nicht merkten, wie weit sie schon gelaufen waren, dass es längst zu spät war, um umzukehren oder sich irgendwo was zu essen zu besorgen.
Sicher waren sie hungrig, aber verhungert wären sie so schnell sicher nicht an einem Tag!
Man darf also vermuten, dass es sich um ein Zeichen handelt, das Jesus da setzt! Warum tut er das?

Die Geschichte spielt vor einem ganz bestimmten Erwartungshorizont der Menschen. Wie ein Maler, der zuerst seine Leinwand grundiert, bevor er anfängt zu malen, so nimmt sich auch Lukas zuerst den Hintergrund vor, auf den er dann malen will; Er setzt voraus, dass seiner Leserinnen und Leser die Hoffnung kenne, die die Leute auf den kommenden Messias setzen!

Sie hofften, der Messias werde Erfahrungen der Vergangenheit erneuern,
die Rettungserfahrungen ihrer Väter und Mütter mit Mose in der Wüste werde durch ihn quasi noch einmal geschehen, damit sie ihn erkennen.
Und als sie auf so erstaunliche Weise satt werden, fällt ihnen natürlich sofort wieder ein, was ihre Vorfahren mit dem „Manna" in der Wüste erlebt hatten!
Damals, als sie wirklich am Verhungern waren und mit diesem unbekannten, fremden süßen Lebensmittel gerettet wurden, von dem sie den Eindruck hatten, es sei bestimmt irgendwie vom Himmel gefallen.

Und die logische Konsequenz musste für sie sein: Er ist es!
Der, auf den wir so lange gewartet haben, unser Retter!
Das Brot ist das Zeichen dafür!

Die leise Ahnung wird wohl vorher schon da gewesen sein,
es spricht sich ja immer schnell herum, wenn irgendwo außergewöhnliche Dinge passieren.
Und außergewöhnlich war das mit Sicherheit, was die Leute sich von Jesus erzählten.
Kein Wunder, dass erstmal alle losrannten, als es hieß: Jesus kommt in unsere Gegend!
Vielleicht laufen die Leute anfangs als Schaulustige herbei, die eine Sensation wittern und ihn, - gewissermaßen aus der Ferne beobachten, aus der sicheren Distanz.

Und nun kommt es darauf an,
für den Zuschauer damals wie für den heutigen Leser, ob er den Schritt wagt vom Mitläufer zum Nachfolger.
Mir kommt die Erzählung vor wie eine moderne Kurzgeschichte mit offenem Schluss.
Wir werden hineingezogen in das Geschehen, stehen mit den unmittelbar Beteiligten vor der Frage: Sollen wir ihm glauben?
Und dann sind da ja noch die anderen, die schon alles aufgegeben und einen Schritt weiter in seine Nähe gewagt hatten.
Wie stolz müssen die gewesen sein!

„Sie berichteten ihm, was sie getan hatten" schreibt Lukas (V. 10), und sie kommen in der Tat mit ausgesprochenen Erfolgsmeldungen zurück!
Sie konnten Jesus berichten, dass es ihnen gelungen war, Menschen vom Glauben zu überzeugen und Kranke zu heilen.

Leider erzählt Lukas gar nichts darüber, wie Jesus auf ihren Bericht reagiert hat, vielleicht ist er gar nicht soweit gekommen, sie zu loben, ihnen ein freundliches oder kritisches Feedback zu geben.
Wir hören nur, dass er sich mit ihnen zurückziehen, mit ihnen allein sein möchte. Aber daraus wird nichts!
Prompt läuft die Menge ihnen schon wieder nach!
Sofort sind wieder Tausende um sie herum, alle wollen Hilfe und Rat, wollen Jesus erzählen hören und beachtet werden.

Keine Chance zum Ausspannen, zum neue Kräfte sammeln und Erholen!
Auch nicht zur internen Besprechung, für „Manöverkritik" oder Beratung.
Schade, ich hätte den Jüngern die Zeit allein mit ihrem Meister so gegönnt!
Ein bisschen ausspannen nach all den Anstrengungen,
Ihm einmal in aller Ruhe Fragen stellen können,
Antworten finden,
um dann mit neuen Kräften wieder aufbrechen zu können,
neue Projekte anpacken.

Wie man auf die Idee kommen kann, es auch noch zum Idealzustand hoch zu stilisieren, dass plötzlich schon wieder tausende von Menschen zu versorgen sind und keine Atempause möglich, das ist und ist mir schlechterdings schleierhaft!
Und wie man daraus auch noch Durchhalteparolen entwickeln kann, verstehe ich gar nicht mehr!

Mir kommt es eher so vor, als wollte Jesus sagen:
Wo das Problem nun mal da ist, können wir die Menschen nicht einfach unversorgt in der Wüste zurück lassen, also muss es eben gelöst werden!
Und er geht ja auch äußerst pragmatisch vor: er lässt die Menschn Kleingruppen à 50 Personen bilden, spricht das Dankgebet, und die Mahlzeit beginnt...

Die Brot-und-Fischgeschichte wird so vielmehr zum Anschauungsunterricht für die Jünger.
Als sie mit der Problemanzeige kommen: „Schick die Leute doch weg, wir haben keine Verpflegung für alle..." da löst Jesus das Problem nicht etwa souverän allein, sondern gibt den Auftrag an sie zurück: „Gebt ihr ihnen doch zu essen!"

Und als sie das tun und weitergeben, was sie haben, werden tatsächlich alle satt. Und nicht nur das, es ist immer noch im Überfluss da!
Und sie machen die verblüffende Erfahrung: „Es geht durch unsre Hände, kommt aber her von Gott..."

Ich wundere mich immer, dass mancher es fertig bringt, die Zeile beim Erntedankfest vollmundig mitzusingen, und trotzdem , wenn es um den Hunger in der Welt geht, zu fragen: „Wie kann Gott das denn zulassen?"

Wenn es so ist, dass Lebensmittel „durch unsere Hände" gehen, aber Gottes Gabe sind, dann muss man ja schon fragen dürfen: wieso bleibt dann oft so viel kleben an diesen Händen?
So provoziert die Geschichte für mich vor allem die Frage nach unserer Verantwortung für die Welt.

Erreicht uns der Auftrag Jesu: „Gebt ihr ihnen zu essen?" Und wie reagieren wir darauf?

So könnte man den Spruch von der friesischen Gastfreundschaft variieren:
Damals sind Fünftausend gekommen, haben geteilt, und alle wurden satt.
Und heute?

Gerd Schöne dichtet: „Lasst uns eine Welt erträumen, die den Krieg nicht kennt. Wo man Menschen aller Länder seine Freunde nennt. Wo man alles Brot der Erde teilt mit jedem Kind..."und „...darum lasst uns jetzt beginnen, dass es kein Traum bleibt."

Amen.

 



Inselpastiorin Elisabeth Tobaben
26571 Juist
E-Mail: Tobaben.Juist@t-online.de

Zusätzliche Medien:
Lukas 9, 10-17 (Basis-Bibel)


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