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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

13. Sonntag nach Trinitatis, 02.09.2007

Predigt zu Matthäus 6:1-4, verfasst von Sylvia Hartmann

Liebe Gemeinde!

Große Erleichterung erfasste vor zwei, drei Wochen alle, die eine größere Bahnreise geplant hatten oder sogar täglich vom Schienenverkehr abhängig sind: Der Streik der Lokführer war zunächst einmal abgewendet. Ihre Forderung nach mehr Lohn für ihren verantwortungsvollen und schlecht bezahlten Dienst - den können allerdings viele von uns gut nachvollziehen.

Auch in anderer Weise bestimmte das Thema „Lohn" in den letzten Wochen die öffentlichen Diskussionen - nämlich in Form von Bemühungen, für einige Berufsbranchen einen gesetzlichen Mindestlohn festzulegen. Einerseits erscheint es verabscheuungswürdig, wenn Arbeitgeber die Not von Arbeitsuchenden ausnutzen, indem sie ihnen Arbeit zu jämmerlicher Bezahlung anbieten. Die Gegner eines Mindestlohns dagegen befürchten, dass bei seiner Einführung noch mehr Arbeitsplätze verloren gehen, weil sich Arbeitgeber den Lohn nicht leisten können oder wollen.

Lohn - wir sind daran gewöhnt, dass dieses Thema regelmäßig in den Medien verhandelt wird. Aber im Predigttext am Sonntag morgen? Ist das Thema „Lohn" ein Thema für die Kirche? Viele mögen sagen: Lass mich wenigstens am Sonntag mit solch weltlichen Themen in Frieden, über die ich täglich etwas in der Zeitung lese.

Ja, lange Zeit ist das Thema „Lohn" in der Kirche nicht besprochen worden. Die Zeiten, in denen die Pfarrer für ihren Dienst noch mit Naturalien entlohnt wurden und Glück hatten, wenn sie ihre Familie satt bekamen, liegen zwar zum Glück schon lange zurück. Aber in wie vielen Gemeinden wird es bis heute als selbstverständlich erachtet, dass bei der Kirche Beschäftigte rund um die Uhr verfügbar sind - ganz egal, wie viel Arbeit sie an einem Tag oder in einem Monat schon für ihren Lohn geleistet haben. Ihr fragloser Einsatz über jede normale Arbeitszeit hinaus wird als selbstverständlich erachtet - ebenso wie der Einsatz der vielen Ehrenamtlichen in unseren Kirchengemeinden, die dort oft mehr Stunden in der Woche verbringen als ein Werktätiger an seinem Arbeitsplatz.

In der Gemeinde Gottes hat man für „Gottes Lohn" zu arbeiten - dieses Vorurteil ist weit verbreitet. Unterschwellig ist der Wunsch nach Belohnung oder Anerkennung für besondere Dienste trotzdem vorhanden. So schleicht sich denn so etwas wie eine andere „Währung" ein, in der dieser Lohn eingefordert wird. Das war anscheinend in den Gemeinden zur Zeit Jesu ganz ähnlich - unser heutiger Predigttext lässt darauf schließen. Er benennt uns die Währung, in der manche gläubige Menschen ihren Lohn für frommen Einsatz bis heute einfordern: nämlich in Form von  Ehre und Anerkennung.

Jesus karikiert mit seinen Worten, was er in den Gemeinden seiner Zeit erlebt, wenn er davon spricht, dass manche am liebsten mit Posaunenfanfaren auf ihre Spenden hinweisen würden. Aber ich erleben an manch Gläubigem von heute, ja, an mir selber, ein vergleichbares Verhalten, wenn auch vielleicht nicht in bezug auf das, was ich finanziell, sondern eher in bezug auf das, was ich kräftemäßig investiere. Sicher bin ich gerne bereit, mich in der Gemeinde Jesu Christi zu engagieren, hier und da auch über das normale Maß hinaus. Ich verlange dafür kein Überstundengeld und keine Nachtzuschläge. Aber es tut mir doch gut, dabei gesehen und gehört zu werden. Das Bedürfnis danach ist wohl ziemlich menschlich.

Menschlich, aber auch gefährlich. Weil der Wunsch nach Lohn als Motivation für besonderen Einsatz nicht ausreicht. Bei uns im Rheinland werfen schon jetzt die nächsten Wahlen für das Presbyterium ihre Schatten voraus. Obwohl die Wahlen erst Ende Februar stattfinden, kann die Ausschau nach geeigneten Kandidaten nicht früh genug beginnen. Wer ist denn geeignet, um für einen Sitz im Presbyterium zu kandidieren? Leichter finde ich es zu sagen, wen ich für ungeeignet halte: Menschen, die sich von diesem Posten viel Ruhm erhoffen. Die dieses Amt vor allem deshalb anstreben, weil man dadurch in der Gemeinde gehört und gesehen wird. Gehört und gesehen zu werden - das ist die Währung, in der manche den Lohn für ihren Einsatz in der Gemeinde bemessen. Leider habe ich öfter miterlebt, dass gerade die, die so denken, früher oder später ihren Posten hinwerfen und sich von der Gemeinde abwenden, weil sie innerlich ausgebrannt sind. Weil sie eben nicht die erwartete Anerkennung bekommen haben.

Seltsamerweise ist das, was für uns als Einzelne in der Gemeinde fragwürdig ist, für uns als Gesamtheit von großer Bedeutung: gehört und gesehen zu werden. Viel zu lange haben Kirchengemeinden nach der Aufforderung Jesu gelebt, die er in unserem Predigttext in seelsorgerlicher Weise an Einzelne ausrichtet: Tue Gutes im Verborgenen. Heute sind wir enttäuscht darüber, dass die Kirche so geringen gesellschaftlichen Einfluss hat. In einer lauten, kunterbunten Werbewelt lernen wir als Kirche erst langsam, wie wichtig es sein kann, bei seinen Wohltaten gesehen und gehört zuwerden: „Tue Gutes und rede darüber." Manchmal finde ich es aber auch belastend und ermüdend, bei einem Projekt fast mehr Kraft für die Öffentlichkeitsarbeit einzusetzen als für dessen qualitativ gute Gestaltung.

Jesus nimmt in den Worten unseres heutigen Predigttextes unser menschliches Bedürfnis nach Lohn ernst - und ermutig uns dennoch, mit unserem Verhalten andere Akzente zu setzen, als viele das tun.

Jesus nimmt das Wort „Lohn" ganz unbefangen in den Mund - eine Tatsache, die mich persönlich verwundert. Denn ich erlebe dieses Wort in der Kirche, wie gesagt, eher als Unwort. Jesus dagegen zeigt uns Gott als jemanden, der unser Bedürfnis nach Lohn kennt. Gott beantwortet unser Bedürfnis danach, gesehen und gehört zu werden, mit seinem liebevollen Blick. Er hat den Blick auf uns gerichtet, lange bevor wir das selbst tun konnten. „Deine Augen sahen mich, als ich noch nicht bereitet war", bezeugt der Beter von Psalm 139. Gottes Blick ist von Anfang unseres Lebens an auf uns gerichtet - noch lange bevor wir irgendetwas leisten konnten. Sein Blick geht in die Tiefe. Er sieht das Verborgene, sagt Jesus. Was mag er dabei entdecken?  Gut gemeinte Wohltaten sicher ebenso wie erkannte und unerkannte Schuld. Gott freut sich, wo er uns auf dem richtigen Weg entdeckt, und bringt uns zurecht, wo wir uns in Sackgassen verirren. Weder das eine noch das andere kann ihn davon abhalten, uns zu lieben. Es gut mit uns zu meinen. Uns gnädig zugewandt zu sein. Seine Liebe und Güte ist der Vorschuss, von dem wir als Christen leben. Mit dem, was wir leisten, und dem, was wir schuldig bleiben.

Als Christen leben wir nicht wie Werktätige, die sich einen Monat abrackern, um am Ende ihren Lohn dafür zu erhalten. Wir haben eher eine „Beamtenmentalität": Wir bekommen unsere „Versorgungsbezüge" im voraus, unseren Anteil an Gottes Zuwendung  und Anerkennung. Aller Einsatz unsererseits erfolgt erst im Nachhinein. Er lebt von Gottes Liebe und Güte, ist unsere dankbare Antwort darauf. „Von der Dankbarkeit" ist darum im Heidelberger Katechismus der Dritte Hauptteil überschrieben.. Der Teil, in dem es um unser Verhalten als Christen geht. Um unsere mehr oder minder „frommen Werke"

Keiner hat sich wohl besser als Jesus selber in Gottes liebevollem Blick aufgehoben gefühlt - und dennoch wagt er es, an dieser Stelle von Lohn zu reden. Denn er weiß, wie abhängig wir uns oft von der Anerkennung anderer machen. Und wie gut es uns tut, mit unserer mehr oder minder kärglichen Liste an Wohltaten gesehen und gehört zu werden. Gott sieht dich, sieht dein Bedürfnis nach Lohn und Anerkennung - das ist seine erste Antwort auf unsere Lohnforderungen. Eine Antwort, die in gewisser Weise schon unser Lohndenken hinter sich lässt. Und so macht er uns Mut, selbst anders mit dem Thema „Lohn" umzugehen, als wir das vielleicht bisher gewohnt sind.

Jesus ermutigt uns, auf die kommende Herrschaft Gottes zu vertrauen, in der Gott unseren Bedürfnissen besser gerecht werden wird, als wir das heute können, in der er uns von dem Bedürfnis nach zwanghafter Anerkennung befreien wird - und dazu,  schon heute aus dem Geist dieser Freiheit heraus zu leben. Für mich als Pfarrerin, als Dienerin der Kirche heißt das etwa, dass ich nicht zu einer Sklavin der Öffentlichkeitsarbeit werden muss. Sicher, im Normalfall liegt es in meinem eigenen Interesse, auf das, was in unserer Gemeinde geschieht, hinzuweisen - zumal es sich durchaus sehen lassen kann. Aber ich möchte mir doch hier und da die Freiheit nehmen, alle Sorgfalt in die inhaltliche Vorbereitung einer Veranstaltung zu legen - auch wenn es hinterher bei den zweien oder dreien bleibt, die sich im Namen Jesu versammeln. Eine gute Öffentlichkeitsarbeit ist sinnvoll und nützlich, aber nicht das alles bestimmende Gesetz meines Handelns. Denn Christus hat uns ja von der Herrschaft des Gesetzes befreit. Jesus führt mir im heutigen Predigttext auf verlockende Weise die Freiheit vor Augen, die darin besteht, Gutes im Verborgenen zu tun. 

So lese ich es dort ausdrücklich. Die andere Konsequenz, die ich aus seinen Worten ziehen möchte, ist nicht ausdrücklich formuliert, erscheint mir aber als eine logische Folge: Gott nimmt unser Bedürfnis nach Lohn ernst. Er geht respektvoll und wertschätzend mit uns und unseren mehr oder minder großen „Wohltaten" um - sollten wir das in der Gemeinde untereinander nicht ebenso halten?

Natürlich können wir besonderen Einsatz in der Gemeinde nicht finanziell entlohnen - schon ein Blick auf unseren Haushaltsplan verbietet das. Da würde unser Kirchmeister zurecht ganz schnell einschreiten. Aber die Ersatzwährung, die Jesus in unserem Predigttext erwähnt - der Wunsch, gesehen und gehört zu werden - die könnte unter uns noch besser in Umlauf kommen.

Auch das muss nicht auf besonders öffentlichkeitswirksame Weise geschehen - nicht durch Posaunenfanfaren, wie im Predigt überzeichnet dargestellt. Auch ein Händedruck im Verborgenen, ein Wort des Dankes im persönlichen Gespräch kann einsatzfreudigen Mitarbeitenden das Gefühl vermitteln, mit ihrem Engagement gesehen zu werden - bevor sie frustriert das Handtuch werfen. Was solch anerkennenden und respektvollen Umgang miteinander angeht, können wir vermutlich alle noch dazu lernen - auch ich. Es gilt besonders für den Umgang mit Ehrenamtlichen, aber nicht nur. Auch einem Küster oder einer Verwaltungskraft tut es gut, ein anerkennendes Wort für ihre Dienste zu hören.

Ein von Gottes Güte geprägter Umgang miteinander ist zunächst einmal etwas, was nach innen zu spüren ist - aber dabei muss es nicht bleiben. Das Krankenhaus, in dem ich den anderen Teil meines Dienstes verrichte, steht in kirchlicher Trägerschaft, und die Geschäftsführung  weiß sich christlichen Werten verpflichtet. Sie steht wie Geschäftsführungen in allen Krankenhäusern unter großem Sparzwang. Aber sie hat sich gegen eine schnelle Lösung durch Entlassungen und für einen langfristigen Sparplan entschieden, zu dessen Erfüllung allerdings viele beitragen müssen. Etwa durch Einbußen beim Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Verzicht vieler auf Lohn, um einigen die Härte des Arbeitsplatzverlustes zu ersparen - auch so kann ein Leben im Geist von Gottes Güte aussehen. Ein Leben im Sinne des Bergpredigers.

Kurzfristig profitieren einige wenige von dieser Lösung. Aber sie werden ihre positiven Erfahrungen nicht für sich behalten. Anerkennende Worte über einen christliche Arbeitgeber - sie erscheinen mir als eine nachhaltigere Reklame für die Sache Gottes als manches aufdringliche Plakat oder mancher Stapel von Flyern, der unbeachtet auf einem Regal verstaubt.

Lassen wir unser Leben vom Bergprediger auf das Fundament der Anerkennung Gottes setzen! Er will uns nicht um wohlverdienten Lohn bringen. Er will uns die Erleichterung spüren lassen, die ein Leben jenseits aller Lohngedanken in sich birgt! Amen. 



Sylvia Hartmann

E-Mail: syl.hartmann@web.de

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