Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

9. Sonntag nach Trinitatis, 28.07.2013

Predigt zu Matthäus 13:44-46, verfasst von Martin Schewe


 

Kleine Geschichten vom großen Glück

 (1) „Schach!", liebe Gemeinde. Sven zieht den weißen Turm auf die vierte Reihe, wo er den schwarzen König bedroht. „Schach!", sagt Sven und hofft, dass seine Stimme ruhig klingt. In Wirklichkeit ist er aufgeregt. Jetzt nur keinen Fehler machen! Für seine vierzehn Jahre ist Sven ein ausgezeichneter Schachspieler. Jeden Tag sitzt er am Brett, auch wenn kein Turnier ist. Dann studiert Sven die Partien der Großmeister und trainiert Strategie und Taktik, Eröffnungen und Endspiele.

 „Schach!", sagt er wieder. Diesmal zieht er den Läufer. Das Spiel steht kurz vor der Entscheidung. Stundenlang hat es gedauert. Das tut es meistens. Schach braucht viel Zeit. An der nötigen Ausdauer fehlt es Sven nicht. Er träumt davon, Schachprofi zu werden. Dafür tut Sven alles. Fast alles - denn er muss ja auch in die Schule gehen und möchte außerdem seine Freunde treffen. Wie er das schaffen will? Daran denkt Sven im Moment nicht. Im Moment ist es etwas anderes wichtig.

 „Schach!", noch einmal mit dem Turm. Svens Gegner legt den König um. Das bedeutet, er gibt die Partie auf. Sven hat es wieder geschafft. Ein tolles Gefühl. Sven wird sich entscheiden müssen, wie viel ihm solche Augenblicke wert sind.

 (2) Lara hat sich entschieden. Sie gibt das Reiten auf, eröffnet sie ihren Eltern. Lara hat neuerdings einen Freund, zum erstenmal, und Lukas interessiert sich nicht für Pferde. Laras Pferd bleibt deshalb immer häufiger im Stall. Lukas möchte, dass Lara die Nachmittage mit ihm verbringt, und Lara ist auch lieber mit ihm zusammen als mit Cosimo. So heißt das Pferd. Jahrelang hat sie sich eins gewünscht. Im vorigen Jahr haben ihr die Eltern endlich Cosimo geschenkt. Jetzt will Lara das Reiten aufgeben. Die Eltern sind nicht gerade begeistert. Lara versteht, warum. Sie findet es selber nicht richtig, dass Lukas verlangt, sie soll sich nur um ihn kümmern. Andererseits kann er so nett sein. Und er sieht so gut aus. „Überleg es dir genau", sagen die Eltern schließlich. „Überleg dir, was dir wirklich wichtig ist."

 „Glück", überlegt sich Lara. „Ich möchte glücklich werden. Das ist das Wichtigste im Leben, und Lukas macht mich glücklich." Eine überzeugende Antwort, denkt Lara zunächst. Dann kommen ihr wieder Zweifel. Was, wenn die Liebe zu Lukas in die Brüche geht? Dann ist das Glück zu Ende, und Cosimo ist auch weg. Lara merkt: „Glück" ist nicht die Antwort auf ihre Frage, sondern selbst die Frage. Denn Glück - was ist das überhaupt?

 (3) Ihr Konfirmandinnen und Konfirmanden wisst natürlich, was das Wort „Glück" bedeutet; und was das Wort für euch bedeutet - was euch glücklich macht -, wisst ihr hoffentlich auch. Ungefähr jedenfalls. „Das Wichtigste im Leben" hat Lara das Glück genannt. Aber die Schwierigkeiten mit dem Glück, die Lara hat, und zuvor Sven, der Schachspieler, die kennt ihr wahrscheinlich genauso gut wie die beiden. Sven ist glücklich, wenn er gegen immer stärkere Gegner gewinnt. Auch auf die Dauer? Lohnt es sich, fürs Schachspielen die Freunde zu vernachlässigen und die Schule? Früher war Lara mit ihrem Pferd glücklich, heute mit Lukas, morgen vielleicht mit einem Beruf, der sie ausfüllt.

Wie wir uns das Glück vorstellen, ändert sich im Laufe der Zeit; ich glaube, bei euch Jugendlichen noch schneller als bei uns Erwachsenen. Und was die Sache zusätzlich kompliziert: Für jede und jeden von euch bedeutet „Glück" etwas anderes. Eure Entscheidungen, was euch wirklich wichtig ist, kann euch deshalb niemand abnehmen. Das wäre auch ein starkes Stück: wenn andere darüber bestimmen wollten, was ihr von eurem Leben erwarten dürft. Schließlich ist es euer eigenes Leben. Nur helfen können euch die anderen bei euren Entscheidungen - mit viel Verständnis und mit guten Ratschlägen. Was ihr daraus macht, ist dann eure Sache.

Ein solche Hilfe, ein verständnisvoller, guter Ratschlag steckt in zwei Gleichnissen, die Jesus im Matthäusevangelium erzählt, zwei kleinen Geschichten vom großen Glück. Die Gleichnisse handeln also auch vom Schach und von der ersten Liebe, von Sven und Lara und von euch Konfirmandinnen und Konfirmanden. Die beiden Gleichnisse handeln von uns allen, liebe Gemeinde. Jesus erzählt: „Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Schatz, der im Acker vergraben war; den fand einer und vergrub ihn wieder. Und in seiner Freude geht er hin und verkauft alles, was er hat, und kauft jenen Acker. Weiter: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Händler, der schöne Perlen suchte. Als er aber eine besonders kostbare Perle fand, ging er hin, verkaufte alles, was er hatte, und kaufte sie."

 (4) Das Erste, was wir aus den beiden kurzen Geschichten erfahren, haben wir uns schon vorher überlegt: Wie viel uns eine Sache bedeutet, haben wir überlegt, zeigt sich daran, was wir dafür zu tun bereit sind. Oder zu opfern. Für ihren Freund ist Lara bereit, ihr Pferd und das Reiten zu opfern; und wenn Sven wirklich Schachprofi werden will, muss er auf bessere Noten in der Schule verzichten und darf seine Freunde nur selten treffen. Sollten ihm diese Opfer zu groß sein, so liegt Svens Glück nicht im Schach, wenigstens nicht dort allein. Schach kann sein Hobby bleiben. Das ist nicht wenig. Auch ein spannendes Hobby gehört zum Glück. Was noch dazu gehört, wird Sven herausfinden.

 Die Männer dagegen, von denen Jesus erzählt, scheinen schon ihr ganzes Glück gefunden zu haben. Sie setzen alles auf eine Karte. Der Mann im ersten Gleichnis gräbt im Acker eines anderen einen Schatz aus, gräbt ihn wieder ein und verkauft seinen gesamten Besitz. Mit dem Erlös erwirbt er den Acker - und zugleich Schatz, und zwar ohne dem Besitzer etwas davon zu verraten. Ist das nicht kriminell, der Mann also ein Betrüger? Darauf will Jesus nicht hinaus. Worauf es ihm ankommt, wird mit dem zweiten Gleichnis deutlicher. Der Perlenhändler dort macht ebenfalls alles, was er hat, zu Geld und kauft sich dafür eine einzige schöne Perle, ganz für sich allein. Ganz schön verrückt. Womit der Händler in Zukunft handeln und wovon er leben will, lässt Jesus offen. Genauso verrückt müsst ihr sein, sagt er stattdessen, wenn es um euer Glück geht. So wichtig ist, dass ihr euch konsequent entscheidet und die Gelegenheit beim Schopf ergreift, wenn sie sich bietet. Sonst verpasst ihr das Glück.

 (5) Das klingt ein bisschen beängstigend, wie eine schwierige Aufgabe. Wir werden noch merken, dass Jesus uns nicht unter Druck setzen oder verunsichern will. Im Gegenteil. Die beiden Gleichnisse sollen uns ermutigen. Auf den ersten Blick ist allerdings nicht klar, wie sie Sven und Lara bei ihren Entscheidungen helfen können. Der Schatzsucher und der verrückte Perlenhändler setzen alles auf eine Karte. Das machen sie richtig, sagt Jesus, denn es geht um viel. Aber was die richtige Karte ist, sagt Jesus damit noch nicht; und das ist es doch, was Sven und Lara erfahren wollen.

Wenn man die Zeitung liest oder die Nachrichten im Internet, bekommt man womöglich den Eindruck, als gehörten zum Glück vor allem Geld und Macht. Für manche Leute scheint das Glück darin zu bestehen, dass sie möglichst reich werden. Eine seltsame Idee, die zeigt, wie leicht wir uns über unser Glück täuschen können. Ich habe gesagt, dass jeder selbst herausfinden muss, was ihm wirklich wichtig ist. Das heißt nicht, dass es egal ist, wofür er sich entscheidet. Reichtum ist kein besonders geeigneter Kandidat. Reichtum als solcher ist gar nichts wert. Solange man nichts Sinnvolles damit anfängt, besteht er nur in einer Zahl auf dem Kontoauszug. Andere Leute halten es schon für ihr Glück, dass sie mächtig sind und über andere bestimmen können. Noch ein Irrtum. Denn auch Macht muss zu etwas gut sein. Man muss etwas daraus machen, wieder etwas möglichst Sinnvolles. Die anderen bloß herumzukommandieren, ist ein sehr dürftiges Glück.

Glück ist außerdem keine Privatangelegenheit. Zwar darf euch Konfirmandinnen und Konfirmanden niemand anders vorschreiben, was ihr von eurem Leben erwartet. Ich kann mir aber auch nicht vorstellen, dass ihr damit zufrieden wärt, eure Ziele ohne Rücksicht auf eure Mitmenschen durchzusetzen. Ein Egoist mag sehr erfolgreich sein. Glücklich ist er nicht. Dazu fehlt ihm zu viel. Es kommt daher nicht nur darauf an, die Gelegenheit beim Schopf zu ergreifen, um das Glück nicht zu verpassen. Bevor wir zugreifen können, müssen wir wissen, wo es sich überhaupt lohnt, nach dem Glück zu suchen, und wo lieber nicht.

 (6) Zum Glück lässt uns Jesus mit diesem Problem nicht allein, liebe Gemeinde. Sie erinnern sich, dass die Gleichnisse, die er erzählt, beide mit dem Wort „Himmelreich" beginnen. „Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Schatz, der im Acker vergraben war", erzählt Jesus im ersten Gleichnis; und im zweiten: „Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Händler, der schöne Perlen suchte." Dann folgen die zwei kleinen Geschichten vom großen Glück. Im Himmelreich sollen wir danach suchen, schlägt Jesus vor. Dann geht es uns wie den beiden Männern, die alles andere aufgeben, als ihnen das Glück in den Schoß fällt. Denn im Himmelreich, verspricht Jesus, finden wir Frieden und Gerechtigkeit, Mitmenschlichkeit und Toleranz. Das sind die Dinge, die bei Gott zählen. Ohne sie, sagt Jesus, gibt es kein Glück.

Frieden und Gerechtigkeit, Mitmenschlichkeit und Toleranz sind schon sehr viel. Zum Himmelreich gehört noch mehr. Auch eure höchstpersönlichen Wünsche, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, zählen bei Gott. Anerkennung, Geborgenheit und Liebe, ein spannendes Hobby und später ein erfüllender Beruf: Was ihr euch erträumt - Gott gönnt es euch. Er ermutigt euch, eure Lebenspläne zu verwirklichen, und steht auch dann auf eurer Seite, wenn ihr euch auf eurem Weg ins Glück verlaufen habt.

Stellen wir uns das Himmelreich nicht als ein fernes Jenseits vor. Es kommt nicht erst irgendwann. Das Himmelreich hat schon angefangen: überall dort, wo wir so glücklich sind, wie Gott es uns wünscht - im Einklang mit ihm, mit uns selbst und den anderen. Und das ist immer noch nicht alles. Gott ist erst glücklich, wenn alle Menschen glücklich sind. Darum wird er die Erde neu machen. Darauf können wir uns jetzt schon freuen, solange wir das Glück noch auf der alten Erde suchen. Auch die Vorfreude gehört zum Himmelreich.

So viel erzählt Jesus, obwohl er so wenige Worte macht. Die beiden kurzen Gleichnisse scheinen vom glücklichen Zufall zu handeln. In Wirklichkeit handeln sie von Gottes Menschenfreundlichkeit. Jesus weiß, wovon er spricht. In ihm ist der menschenfreundliche Gott selbst zu uns gekommen. Das Himmelreich hat er uns mitgebracht.

 (7) Kehren wir zum Schluss zu Sven und Lara zurück. Die Entscheidungen, die sie treffen müssen, nimmt ihnen Jesus nicht ab. Schachprofi oder nicht, der erste Freund oder das Pferd - was ihnen wirklich wichtig ist, das müssen, das dürfen die beiden herausfinden. Dabei bleibt es. Vielleicht entscheiden sie sich falsch. Das werden sie erst hinterher feststellen. Ihr Glück steht dennoch nicht mehr auf dem Spiel. Denn wie auch immer Sven und Lara sich entscheiden: Gott ist für sie da. Und für euch, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, und uns alle.

 



Pfarrer Dr. Martin Schewe
33330 Gütersloh
E-Mail: marschewe@yahoo.de

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