Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

9. Sonntag nach Trinitatis, 28.07.2013

Predigt zu Matthäus 13:44-46, verfasst von Gert-Axel Reuß


 

Schatzsuche - Spurensuche

Liebe Gemeinde,

„Hast Du Dich schon bei „Wer wird Millionär?" beworben?" So haben mich Freunde bedrängt, als die Sendung noch verhältnismäßig neu und ziemlich populär war. Auch ich habe bei Günther Jauch im Fernsehen gerne mitgeraten Und manches Mal gedacht: „Die Lösung ist doch ganz einfach. Das weiß doch wirklich jeder." Aber die Kandidatin, der Kandidat verbrauchte Joker um Joker, ohne der Lösung näherzukommen.

Wen würde ich fragen, mich als Telefonjoker zu unterstützen? Im Bereich Unterhaltung und Musik habe ich echte Lücken. Auch für die sportlichen Themen bräuchte ich Unterstützung. ‚Wenn ich es in der Sendung erst einmal auf den Stuhl geschafft hätte, dann müssten 16.000 Euro, mit etwas Glück auch 32.000 Euro zu schaffen sein,' so dachte ich öfter in meinem Fernsehsessel.

Was würde ich mit dem Gewinn machen? Irgendwann im Lauf der Sendung stellt der Quizmaster diese Frage. Was darauf antworten? Auch auf diese Frage habe ich mich zusammen mit Millionen Fernsehzuschauern schon einige Male vorbereitet: ein neues Auto, die Schulden für das Haus abbezahlen, eine große Reise, den Kindern eine Freude machen.

Beim Zusammenrechnen stellte sich schnell heraus, dass mein Gewinn nicht ausreicht, alle diese gar nicht so großen Wünsche zu erfüllen. Aber ein Zocker bin ich nicht, der alles auf eine Karte setzt. Die Million ist außer Reichweite. Vielleicht sollte ich meine Wünsche überprüfen und nach etwas ganz Besonderem suchen, das möglicherweise auch für etwas weniger Geld zu haben ist: Eine Safari mit den Kindern in Afrika, einmal Elefanten, Löwen und Giraffen in freier Natur sehen. Ein „echtes" Bild oder eine kleine Plastik, welche im Wohnzimmer einen der gerahmten Drucke ersetzen könnte. Oder eine England-begeisterte Freundin zur „Last Night of the Proms" in die „Royal Albert Hall" nach London einladen, mit dem Patenkind zur Fußball-Weltmeisterschaft nach Brasilien reisen, mit einem Freund einen Kochkurs bei einem Meisterkoch buchen.

Nicht nur das Mitraten macht Spaß. Wünsche zu finden ist mehr als das halbe Vergnügen, denn manchmal sind unsere Wünsche gar nicht so unerfüllbar wie wir denken. Dass ich meinen Kindern vorgelesen habe, ist nun auch schon einige Zeit her, aber ich kann mich noch gut an eine Geschichte erinnern, die meiner Phantasie auf die Sprünge geholfen hat: Weil das Geld zum Urlaub in der Südsee nicht reichte, haben die Kinder für ihre Eltern eine Strandparty im Wohnzimmer ausgerichtet. Natürlich haben sie sorgfältig eine feste Plastikplane ausgelegt, bevor sie den feinen Sand auf dem Wohnzimmerteppich verteilt haben. Vater und Mutter waren nicht gleichermaßen begeistert, als sie nach Hause kamen. Aber als wenig später einige Freunde der Eltern mit Früchten und Getränken vor der Tür standen, wurde es doch noch eine schöne Überraschungsparty.

Als Kinder haben wir noch ganz unbefangen von sagenhaften Schätzen geträumt und manchmal auch danach gesucht. Dann konnten auch Muscheln und besondere Steine, alte, abgelegte Kleider in einer Kiste auf dem Dachboden und eigentlich wertlose Geldscheine aus der Inflationszeit zu Kostbarkeiten werden. Der materielle Wert spielte eigentlich keine Rolle, entscheidend war vielmehr, dass sich für uns mit diesen Schätzen eine neue Welt auftat und wir unsere Träume spielerisch in die Tat umsetzten.

Genau aus diesem Grund - so meine ich - erzählt Jesus Gleichnisse, ganz verschieden in ihrer Art und unterschiedlich in ihrer Bilderwelt. Ihnen gemeinsam ist, dass Jesus uns mit ihnen Wege in das Reich Gottes öffnet. Und die Zuhörenden dazu anstiftet, die neuen Ideen in die Tat umzusetzen.

„Geh hin und tue desgleichen!" Manche Beispielgeschichten wie das Gleichnis vom barmherzigen Samariter sind auch für uns heute völlig eindeutig und einleuchtend. Andere wie das Gleichnis von den Arbeitenden im Weinberg fordern uns heraus. Immer wieder. „Das ist doch ungerecht, dass alle den gleichen Lohn bekommen." Es nutzt nichts, den Ärger der Saisonarbeiter zu übergehen und sich der Willkür des Großgrundbesitzers zu fügen. Die starken Gefühle der Betroffenen lassen sich wie die Frage nach der Gerechtigkeit nicht aus der Geschichte herauslösen. Jesus will keine Streitfragen abschließend entscheiden, sondern die Menschen in Bewegung bringen.

Von etwas anderer Art sind diese beiden kleinen Gleichnisse (Mt 13, 44-46): „44 Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch fand und verbarg; und in seiner Freude ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte den Acker.
45 Wiederum gleicht das Himmelreich einem Kaufmann, der gute Perlen suchte, 46 und als er eine kostbare Perle fand, ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte sie."

Um sie (die Gleichnisse) zu verstehen, müssen wir sie mit den Ohren von Kindern hören. Mit ihrer Begeisterung, mit ihren Träumen, mit ihrer Phantasie. Das sollte uns eigentlich gar nicht so schwer fallen, denn wir alle waren ja einmal Kinder und haben Erinnerungen. Ich sehe mich und meine Freunde als Kinder, die auf der Suche nach Schätzen Wiesen und Wälder, Dachböden und Kellerräume durchstöbert haben. Kinder, die sich verkleidet haben wie eine Prinzessinnen und Könige. In solch einer Rolle, in solch einem Spiel ist es ganz leicht, die Gleichnisse zu verstehen.

Die Frage, wem der Schatz, wem die kostbare Perle gehören, ist für Jesus völlig uninteressant. Ob der Vorbesitzer des Ackers möglicherweise betrogen worden ist, ob der verrückte Kaufmann einen niedrigeren Preis hätte erzielen können - das alles spielt für ihn und seine Zuhörer keine Rolle. Entscheidend ist das Handeln der glücklichen Finder: Sie verkaufen alles, was sie haben, um in den Besitz des Schatzes, um in den Besitz der Perle zu gelangen.

Der Weg in das Reich Gottes führt über diese Klippe: Die glücklichen Finder verkaufen alles, was sie haben, um zum Ziel zu kommen. Man kann das symbolisch verstehen, dann würde Jesus den unbedingten Willen unterstreichen, der nötig ist, um Gottes Reich nahezukommen. Man könnte auch sagen: Unendliche Liebe zu Gott, Hören auf sein Wort, Befolgen seiner Gebote und Weisungen.

Das alles ist sicher nicht falsch, denn in beiden Gleichnissen wird ein Streben der Finder nach dem Schatz und der Perle deutlich, dem sich alles andere unterordnet. Dennoch verstehe ich die beiden Gleichnisse besser, wenn ich an das selbstvergessene Spielen der Kinder denke. Wie von selbst kann ich mit ihnen (den Kindern) ins Reich Gottes gelangen, wenn ich hinter mir lassen kann, was mich sonst im Alltag bindet.

Dazu gehört auch die Sorge um meinen (kleinen) Besitz: ein altes Auto, ein noch nicht abbezahltes Haus, eine Arbeitsstelle mit regelmäßigem Einkommen. Für Matthäus (und ganz sicher auch für die Menschen, die Jesus hören) ist ganz klar, dass ein Reicher es unendlich viel schwerer hat, in das Reich Gottes zu kommen (vgl. Mt 13,22: „Die Sorge um die Welt und der Trug des Reichtums ersticken das Wort." - Übersetzung von Ulrich Luz, EKK, Das Evangelium nach Matthäus). Weil ihn die Güter dieser Welt nicht zum Leben befreien.

Vor wenigen Wochen bekam ich die Nachricht, dass ein Bekannter an Krebs erkrankt sei. Ich besuchte ihn und es stellte sich heraus, dass die Ärzte nicht mehr viel für ihn tun können. Sein Leben neigt sich zum Ende. Auch ohne viele Worte war zwischen uns die Frage im Raum, wie er die Zeit nutzen kann, die ihm noch bleibt. Oder - in den Bildern der Gleichnisse - welchen Schatz er findet, wenn ihm alles Irdische bald genommen werden wird.

Eine große Reise mit den Kindern wird sich nicht mehr realisieren lassen. Durch die Medikamente schmecken ihm auch der Zigarillo und das gute Glas Wein nicht mehr. Noch einmal auf den Reitplatz, um seine Tochter zuzusehen, vielleicht sogar bei einem Wettkampf - wie früher. Das wäre schön. Ein kleines Ziel. Ein großer Schatz?

Ziemlich direkt hat er mich gefragt, ob ich ihn beerdigen könne. Seitdem überlege ich: Was werde ich an seinem Grab sagen? - In der Zeit, die mir noch bleibt, möchte ich mit ihm über Schätze und Perlen sprechen. Über die, die er gefunden hat. Ich bin sicher, dass wir so dem Reich Gottes näherkommen. Oder genauer: Dass es uns näher kommt. Dass wir spielerisch-anstrengungslos plötzlich entdecken, dass es mitten unter uns ist. Das wünsche ich ihm und mir auch.

In den Gleichnissen müssen Menschen alle ihre Schätze verkaufen, um den einen Schatz zu finden. Wenn einer sein Leben dahingeben muss, wird er das Leben finden? Wenn dies wahr ist - und ich glaube daran, dass dies wahr sein kann - welches Leben wird er finden?

Ich verlasse die Welt seines Krankenzimmers und kehre in meinen Gedanken zurück in unseren Gottesdienst. Mitgenommen habe ich diese Frage: Wenn es zwischen dem Reich Gottes und unserem Leben gewisse Überschneidungen gibt, was könnten diese sein? Ich denke, die wird jede/jeder für sich selbst finden. Denn die einen suchen Schätze, die anderen tauchen nach Perlen. En detail kann ich Ihnen also diese Arbeit nicht abnehmen, aber ich vermute, dass, wenn wir unsere Funde zusammentragen, es doch gewisse Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen geben könnte:

 

Das Reich Gottes wird ganz gewiss viel farbiger, wenn wir uns über konkrete Einsichten und Erfahrungen austauschen könnten. Aber das würde den Rahmen meiner Predigt sprengen. Sie soll ja ein Anfang sein und Lust machen, sich auf Schatz- und auf Spurensuche zu begeben.

 

Amen.

 



Domprobst Gert-Axel Reuß
23909 Ratzeburg
E-Mail: gertaxel.reuss@ratzeburgerdom.de

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