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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

10. Sonntag nach Trinitatis (Israelsonntag), 04.08.2013

Predigt zu Römer 9:1–8,14-16, verfasst von Ulrich Kappes

 

 

Die Weichen stellen wir aber nicht

Acht Jahre ist es her, als der damalige evangelische Bischof Huber eine These veröffentlichte, die das ökumenische Verhältnis der Kirchen künftig prägen sollte. Der damalige Papst Benedikt XVI. besuchte Deutschland anlässlich des Weltjugendtages in Köln. - Wie wird es mit der Ökumene zwischen der katholischen und evangelischen Kirche in Zukunft weiter gehen? Diese Frage stand angesichts des ersten neugewählten Papstes sozusagen zum Greifen im Raum.

Bischof Huber stellte die These auf, die Ökumene der Zukunft werde eine „Ökumene der Profile" sein. Es gehe nicht darum, das eigene Profil auf Kosten der anderen Konfession zu schärfen, sondern hier und jetzt zu sagen, was die eigene Kirche und Frömmigkeit ausmache, um so gerade in ein intensives Gespräch miteinander zu kommen.

Was macht aus einer Kirche eine Kirche mit evangelischem Profil?

Ich möchte am Schluss der Predigt auf dieses Eingangsfrage zurück kommen und meine, dass der Predigttext des Israelsonntages dazu helfen kann.

Text Röm. 9, 1 - 8 + 14 - 16

Die verlesenen Verse sind ein Teil der Kapitel 9 - 11 im Römerbrief, in denen sich Paulus intensiv mit dem Verhältnis von Juden und Christen befasst.

Wie sehr Paulus die Frage nach dem Verhältnis von Juden und Christen bewegt, ist der Einleitung des Textes zu entnehmen.
Sagte er im Kapitel zuvor, im 8. Kapitel, „dass weder Trübsal noch Angst, weder Hunger noch Blöße ... uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus ist", pries er in hymnischen Worten die Gottesliebe, die durch Christus zu uns kommt, so heißt es jetzt:
„Ich selber möchte verflucht und von Christus geschieden sein meinen Brüdern zugute, die meine Stammverwandten sind nach dem Fleisch." -‚Ich, Paulus; ließe mein höchstes Gut, die Gottesliebe, dahin gehen, wenn das der Preis wäre, dass sich Israeliten zu Christus bekehrten.'

Was machte seine Stammesverwandten für ihn so wertvoll?
Er antwortet ganz klassisch mit der Siebenzahl von Gaben, die das Volk Israel erhalten habe. Drei sollen wiederholt sein:

1. Sie haben das Gesetz, mit dem Gott ihr Leben lenkt.
2. Es gibt, folgend aus dem Gesetz, den Gottesdienst am Sabbat und an den Feiertagen, der in ihre Seele als ein großer Frieden einzieht und sie alle untereinander verbindet.
3. Sie haben die Verheißungen, wonach Gott sich wie ein Guter Hirte um sie kümmert und durch die Zeiten leitet.

Warum aber, warum ist es so gekommen, dass Israel sich nicht zu Christus bekehrte?
Warum waren es nur einige wenige, die sich als Juden taufen ließen und nun in ihrer Person zu dem alten Sinaibund den neuen Bund hinzufügten?
Warum ‚ kam Christus in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf'?

Das ist eine Frage, die zu Jesu Lebzeiten aufbrach. Sie steht vor Paulus im Römerbrief mit aller Macht.
Paulus greift weit in Israels Geschichte zurück, verweist auf Jacob und Esau und fügt hinzu, dass noch vor ihrer Geburt, noch bevor sie weder Gutes noch Böses getan hatten, es von Gott heißt: „Jakob habe ich mehr geliebt, aber Esau habe ich gehasst."

Durch die ganze Geschichte Israels, so Paulus, ziehe es sich wie ein roter Faden, dass Gott den einen liebt und erwählt und den anderen zurück stellt.
‚Saul war zwar der erste König Israels, aber seinen Nachfolger David liebte und segnete er.'
‚Das Weltreich der Babylonier unter Nebukadnezar ließ Gott untergehen, den Perserkönig Cyrus hingegen nennt die Schrift „Gottes Hirten und Gesalbten" (Jes. 44, 28 und 45, 1 - 4)

Ist die Antwort auf die Weigerung der Juden, sich taufen zu lassen, von Gott verfügt und darum gar nicht zuerst die Weigerung von Menschen?
Das steht im Raum. Paulus fragt stellvertretend für seine Leser:

„Was sollen wir denn hierzu sagen? Ist Gott denn ungerecht?"
Und er antwortet: „Das sei ferne!"

Der Predigttext hat seinen - wohl schockierenden - Höhepunkt in dem letzten Satz: „So liegt es denn nicht an jemandes Wollen und Laufen, sondern an Gottes Erbarmen."

Wir blicken auf das eben Dargestellte in Kurzfassung zurück.
Warum sind es nur wenige Juden, die Christen wurden? Warum findet das mit außergewöhnlichen Gaben von Gott gesegnete Volk nicht zu Christus?

Paulus antwortet: Wie es die ganze Geschichte Israels hindurch war, so auch jetzt - Es ist Gottes Vorsatz und Ratschluss. Manche Juden und viele Heiden führt er zu Christus - andere nicht.

Diese Worte gehen weit über die Frage nach dem Verhältnis von Juden und Christen hinaus. Es geht, beginnend bei der für Paulus so brennenden Frage, um eine Grundfrage des Lebens.

Die hier von Paulus begründete Lehre von der Erwählung ist so kompakt, dass ich nur einige wenige Anmerkungen dazu machen kann. Man kann nur warnen, sie wie eine Philosophie zu verstehen. Behandelt man sie philosophisch, prasseln nur so die Fragen herunter:

Warum gibt es dann ein Gericht nach Werken, wenn Gott alles verfügt?
Weshalb etwas anpacken und nicht viel mehr laufen lassen?
Wo bleibt die Freiheit des menschlichen Willens?

Wer so fragt, verlässt den Zirkel des Glaubens, in den allein diese Worte gehören.

Wiederum drei Anmerkungen.
1. Es beginnt bei Gott und seiner Souveränität. Er ist der Herr des Menschen. Es steht ihm frei, dieses oder das ganz andere zu tun. - Wer will das bestreiten?

2. Weiß der Mensch, was Gott mit ihm tun will? Nein, er weiß es nicht.
Ob er von Gott geliebt wird wie Jacob, wie David, wie Cyrus weiß er nicht.
Es gibt keine Sicherheit bis zum Jüngsten Tag. Es gibt die Hoffnung, aber keine Sicherheit.
Darum spricht die Schrift von der Rechtfertigung ohne Werke.

Das Dritte und Entscheidende: Wenn Paulus recht hat, dann gibt es eine Berufung Gottes uns gegenüber, die geht unserer Entscheidung für Gott voraus. Wir meinen, uns für Gott entschieden zu haben, aber Gott war es vorher, der unsere Herzen anrührte.

Ob ein Mensch eine Christin oder ein Christ wird, ich führe den Faden weiter, ob und wie lange er lebt, ob und wie gesund oder krank er ist, ob und wie glücklich er in seinem Leben ist - es gibt etwas, das seinem „Wollen und Laufen" voraus geht.

Menschen des Glaubens spüren dieses Vorausgehende bisweilen und sagen: „Ich wurde geführt." Oder: „Ich habe mich zwar für Gott entschieden und tue das täglich, warum das so ist, weiß ich nicht. Ich habe das Gefühl, gehalten zu sein."

Oder: „Ich habe lange gebraucht, bis ich mich für einen Beruf entschied. Nun weiß ich aber, dass Gott mich hier und nirgendwo anders wollte."

Wenn das ein ganz klein wenig geglaubt werden kann, dass Gott mit seinen Entscheidungen zeitlich vor unseren Entscheidungen steht, werden Spannungen und Sorgen abgebaut. Bei allem Einsatz und aller Mühe, klingt das immer wieder durch wie ein starker Unterton:
„So liegt es nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen."

Wir sind wie ein Eisenbahnzug auf der Schiene. Wir haben zu fahren und unser Bestes für eine gute Fahrt zu tun. Die Weichen stellen wir aber nicht.

Was macht aus einer Kirche eine Kirche mit evangelischem Profil? Was ist Erkennungsmerkmal einer evangelischen Christin oder eines evangelischen Christen?
So hatten wir eingangs gefragt.
Eines sei hervor gehoben.
Evangelisch zu sein, das heißt, unter allen Umständen mit der Schrift verbunden und verwachsen zu sein. Es steht nichts gleichwertig neben der Schrift. Sie ist sozusagen die Verfassung, die uns gegeben ist.
Wie es nun mit einer Verfassung ist, ist es mit der Schrift. Ich kann sie nicht nach Belieben ändern und mich von Teilen distanzieren.
Ich kann sagen, dass ich diesen und jenen Text der Verfassung nicht verstehe, dass ich ihn nicht für zeitgemäß halte, streichen kann ich ihn aber nicht.

Ja, meine wirkliche Treue zur Schrift bewahrheitet sich gerade gegenüber den schwierigen Passagen.
Eine Verfassung ist eben etwas anderes als eine Anleitung zur Benutzung irgendeines Instrumentes. Wenn es mir nicht passt, lege ich Anleitung und Instrument zur Seite.

Was ist evangelisch? So fragen wir nicht ohne Grund am Israelsonntag. Was ist unser Profil?

Es gibt eine ganz starke Nähe zwischen den frommen Juden, die ihre Thora täglich lesen und Christinnen und Christen, deren Lebensverfassung die Schrift ist. Fromme Juden, die nach der Schrift und aus der Schrift leben, können unsere Vorbilder sein, die wir am Israelsonntag in großer Dankbarkeit grüßen.

 



Pfr. em., Dr. Ulrich Kappes
14943 Luckenwalde
E-Mail: ulrich.kappes@gmx.de

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