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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

11. Sonntag nach Trinitatis, 11.08.2013

Predigt zu Lukas 7:36-50, verfasst von Marc Wischnowsky



Es bat ihn aber einer der Pharisäer, bei ihm zu essen. Und er ging hinein in das Haus des Pharisäers und setzte sich zu Tisch. Und siehe, eine Frau war in der Stadt, die war eine Sünderin. Als die vernahm, dass er zu Tisch saß im Haus des Pharisäers, brachte sie ein Glas mit Salböl und trat von hinten zu seinen Füßen, weinte und fing an, seine Füße mit Tränen zu benetzen und mit den Haaren ihres Hauptes zu trocknen, und küsste seine Füße und salbte sie mit Salböl.

Als aber das der Pharisäer sah, der ihn eingeladen hatte, sprach er bei sich selbst und sagte: Wenn dieser ein Prophet wäre, so wüsste er, wer und was für eine Frau das ist, die ihn anrührt; denn sie ist eine Sünderin. Jesus antwortete und sprach zu ihm: Simon, ich habe dir etwas zu sagen. Er aber sprach: Meister, sag es!

Ein Gläubiger hatte zwei Schuldner. Einer war fünfhundert Silbergroschen schuldig, der andere fünfzig. Da sie aber nicht bezahlen konnten, schenkte er's beiden. Wer von ihnen wird ihn am meisten lieben?

Simon antwortete und sprach: Ich denke, der, dem er am meisten geschenkt hat. Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geurteilt. Und er wandte sich zu der Frau und sprach zu Simon: Siehst du diese Frau? Ich bin in dein Haus gekommen; du hast mir kein Wasser für meine Füße gegeben; diese aber hat meine Füße mit Tränen benetzt und mit ihren Haaren getrocknet. Du hast mir keinen Kuss gegeben; diese aber hat, seit ich hereingekommen bin, nicht abgelassen, meine Füße zu küssen. Du hast mein Haupt nicht mit Öl gesalbt; sie aber hat meine Füße mit Salböl gesalbt. Deshalb sage ich dir: Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel Liebe gezeigt; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig.

Und er sprach zu ihr: Dir sind deine Sünden vergeben.

Da fingen die an, die mit zu Tisch saßen, und sprachen bei sich selbst: Wer ist dieser, der auch die Sünden vergibt?

Er aber sprach zu der Frau: Dein Glaube hat dir geholfen; geh hin in Frieden!


Liebe Gemeinde,

eine eigentümliche Szene, die Lukas uns da vor Augen malt: Eine Tischgesellschaft, ein theologisches Symposion, Jesus und der Pharisäer und eine stadtbekannte Prostituierte, die Jesus die Füße salbt.

Nehmen wir zunächst mal die Perspektive des Simon ein. Ein Pharisäer, sagt Lukas. Also ein frommer Jude, einer derjenigen, die in den Evangelien als theologische Gegner Jesu dargestellt werden. Aber dieser Simon scheint ein offener, interessierter Mensch zu sein. Anders als bei manchem seiner Glaubensbrüder steht sein Urteil über Jesus noch nicht fest. Deshalb lädt er ihn in sein Haus. Um gemeinsam zu Tisch zu liegen, wie man das damals so tat, und in gepflegtem Streitgespräch der Wahrheit auf den Grund zu gehen. Simon will mehr über Jesus erfahren, will ihn prüfen und sich ein eigenes Urteil bilden.

Gut. - Ich jedenfalls finde ich so ein Vorgehen sympathisch.

Jesus ist also bei ihm. Sie reden. Ein paar ausgesuchte Gäste, so dürfen wir annehmen, sitzen, oder besser: liegen mit am Tisch. Eine Frau kommt herein. Verschlossene Türen sind damaligen Privathäusern noch fremd. Diese Frau ist eine stadtbekannte „Sünderin", womit vermutlich eine Prostituierte bezeichnet ist. Und sie besitzt die Unverfrorenheit, hier in Simons Tischgesellschaft alle Regeln zu verletzen. Ohne Einladung dringt sie ein. Zielstrebig geht sie auf seinen Gast zu. Sie belästigt ihn, verschmutzt seine Füße mit ihren Tränen, löst in aller Öffentlichkeit ihre Haare um diese damit zu reinigen. Und dann küsst und salbt sie auch noch seine Füße mit dem Öl, das sie mitgebracht hat. Empörend. Aber Simon wirft sie nicht hinaus. Er scheint das eher für einen Test zu nehmen. Wenn Jesus ein Prophet ist, so denkt Simon und er denkt es laut, dann muss er merken, was das für eine ist. Und dann wird er sie fortjagen.

Aber das tut Jesus nicht. Obwohl er scheinbar genau weiß, wer diese Frau ist. Er hört Simons Gemurmel und sehr vertraulich spricht er ihn an: Simon, ich habe dir etwas zu sagen. Und dann erzählt ihm Jesus eine Art Beispielgeschichte von zwei Gläubigern, denen die Schuld erlassen wird und fragt: „Wer ist dankbarer? Der, dem die kleine oder der, dem die große Schuld vergeben wurde?" Natürlich eine rhetorische Frage, die Simon entsprechend beantwortet. Und so klingt Jesu Rückmeldung ein wenig oberlehrerhaft: Du hast recht geurteilt.

Aber dann kommt, was ich als richtigen Affront empfinde: Jesus stellt ihm als Gastgeber diese Frau zum Vorbild hin. Du hast mir kein Wasser für meine Füße gegeben; diese aber ... Du hast mir keinen Kuss gegeben; diese aber hat nicht abgelassen, meine Füße zu küssen. Du hast mein Haupt nicht mit Öl gesalbt; sie aber salbt meine Füße. Wie geht Simon damit um? Ist er schockiert? Enttäuscht? Fühlt er sich bestätigt in seinem Urteil über diesen Jesus? Ich wäre vermutlich sprachlos gewesen an seiner Stelle. Einen Gast behandeln wie diese Fremde es tut? Wie eine Frau ihren Liebhaber? Wie ein Sklave seinen Herrn? Wie ein Untertan seinen König? ---

O ja! Vielleicht von alledem auch etwas, aber vor allem dies: Wie eine Glaubende ihren Messias. Denn erst vom Ende her ergibt diese Geschichte Sinn. Ob Simon das verstehen kann?

Jesus entwickelt den Gedanken aus seinem Beispiel weiter: Aus Erfahrung wissen wir, dass jemand umso dankbarer und liebevoller ist, je größer die Vergebung, die er erfahren hat. Und so liebevoll und dankbar wie diese Frau sich zeigt, muss sie sehr viel Vergebung erfahren haben. Und also kann Jesus der Frau zusagen: „Deine Sünden sind dir vergeben."

Wohlgemerkt: Jesus bezweifelt ihre Sündhaftigkeit nicht. Im Gegenteil, darauf kommt es ihm an: Ihr Angewiesensein auf Vergebung. Das verbindet ihr Schicksal mit dem des Simon und mit uns. Und sie erfährt Vergebung. Nicht durch ihr Verhalten, nein, Jesus deutet das anders herum: Ihr liebevolles Verhalten zeigt, dass sie schon erlöst ist aus ihrer Sünde, aus ihrer Verstrickung, aus ihrem Elend. „Dein Glaube hat dich gerettet", sagt Jesus. 'Und nicht dein Tun', können wir uns dazu denken.

„Dein Glaube hat dich gerettet" - das kennen wir aus anderen Heilungsgeschichten. Menschen die Jesus vertrauen, die auf seine Vollmacht trauen ohne Prüfung, ohne Beweise. Im Unterschied zu Simon erkennt diese Frau Jesus als den, in dessen Gegenwart Vergebung geschieht, Versöhnung mit Gott. Ganz unwillkürlich tut sie deshalb das Richtige, indem sie ihm huldigt, sehr persönlich und auf ihre Art.

So stellt Lukas auch uns diese Frau vor Augen als Vorbild in unserer Verstrickung, unserer Angewiesenheit auf Erlösung. Mit ihrer Verzweiflung und ihrer Sehnsucht. Und ihrem großen Glauben. Ich empfinde Respekt vor ihrem Mut, sich in diese Gesellschaft zu begeben, obwohl ihr doch klar ist, dass sie da nichts zu suchen hat. Vor ihrer Kraft, sich nicht abschrecken zu lassen von den Blicken, dem Gemurmel der Männer. Dass sie einfach tut, wovon sie spürt, dass es das richtige ist. Wahrscheinlich wollte sie ihm ja das Haupt salben, mit dem teuren Öl, das sie mitgebracht hat. Dann fängt sie an zu weinen, seine Füße werden nass und sie weiß sich nicht anders zu helfen, als sie mit den eigenen Haaren zu trockenen - auch wenn das eine viel zu intime Geste ist hier. Und schließlich salbt sie ihm gar und küsst ihm die Füße. Das ist ein ganz unsicherer Auftritt. Und doch, so wie Lukas die Szene hier ausmalt, bildet diese Frau das Stärkezentrum des Bildes. In ihrer Gewissheit lässt sie sich letztlich nicht beirren. Sie glaubt.

Das ist die Botschaft des Lukas: Siehst du diese Frau? Sie hat verstanden. Ihre Haltung und ihr Verhalten entspricht dem, was hier geschieht: Der Messias ist zu Gast.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft bewahre uns alle im Glauben an Jesus Christus und seine Vergebung. Amen



Pastor Dr. Marc Wischnowsky
37085 Göttingen
E-Mail: mwischnowsky@arcor.de

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