Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

11. Sonntag nach Trinitatis, 11.08.2013

Predigt zu Lukas 7:36-50, verfasst von Kira Busch-Wagner

 

 

Des Rätsels Lösung oder Der größere Zusammenhang

Sie mögen das Ratespiel kennen: man bekommt etwas gezeigt, ein Detail, einen Ausschnitt. Und es ist gar nicht so einfach heraus zu bekommen: was steckt dahinter?

Oder: Sie sehen nur einen kleinen Teil vom Foto eines Prominenten: Zug um Zug wird ein Abschnitt mehr aufgedeckt - ab wann hat man die Person erkannt?

Was schon bei einem Bild nicht ganz einfach ist, das gilt umso mehr für Begegnungen mit anderen Menschen. Man sieht einen winzigen Ausschnitt. Ob man da schon alles erkennt?

Weiß ich denn, was hinter dem Verhalten in einem kurzen Moment, hinter wenigen Sätzen, die wir austauschen, steckt? Weiß ich, welche Geschichte die Menschen jeweils mitbringen? Welche Erlebnisse, welche Schrecken, welche Erfolge, welche Liebe ihr Leben, ihr Verhalten geprägt haben? Verstehe ich wirklich, was andere meinen mit ihren Worten, was sie damit verbinden?

Auch in den Gemeinden müssen wir uns klar machen: wir haben Konfirmanden, hinter denen mehr Lebenserfahrung liegt als hinter manchen, die doppelt und dreimal so alt sind. Wir begegnen Menschen, die unbekannten Verlust erlitten haben. Wir treffen auf Jugendliche, die lange krank waren. Ich habe Schulkinder gehabt, die mehr Erfahrung hatten mit Sucht und Gewalt, als ich vermutlich mein ganzes Leben lang haben werde, und ich wusste das natürlich nicht im Moment unserer ersten Begegnung, sondern erst im Laufe längerer Zeit.

Was steckt hinter dem momentanen Verhalten eines Menschen, wie viel kann ich da erkennen?

Von solch einem Rätsel lesen wir auch im Evangelium nach Lukas.

Lukas 7, 36-50

Lassen Sie uns des Rätsels Lösung suchen.

Jesus ist eingeladen ins Haus eines Pharisäers. So berichtet es uns Lukas. Auch da können wir zunächst nur spekulieren, können nur versuchen, uns hineinzudenken. Wieviele sind eigentlich mit dabei? Eine größere Runde? Eine kleine unter guten Bekannten und Freunden?

Was das gedacht als ein Gespräch unter Männern? Unter Fachleuten für Bibel und Religion? War es ein Arbeitsessen? Eine Begegnung unter Freunden? Schließlich gehen die beiden ziemlich vertraut miteinander um. Für Jesus wird nicht der ganz große Bahnhof veranstaltet. Eher schein man sich gut zu kennen, scheint sich zu schätzen. Manches deutet am Ende drauf hin, dass es sich um eine Einladung aus Dankbarkeit handelt. Vielleicht will der Pharisäer Simon sich revanchieren, dankbar für Jesu Anwesenheit beim Lehrgespräch in der Synagoge, für gute Gedanken, gute Diskussion, zum Abschluss vielleicht gemeinsamer Stunden im Lehrhaus. So kommt man zusammen zu einem Gastmahl. Und man sitzt natürlich nicht, wie es die Lutherübersetzung nahe legt. Man liegt zu Tisch, wie es in der Antike bei einem gehobenen Essen der Fall ist.

Dann kommt die Frau. Sie tritt von hinten an Jesus heran, an seine Kline, seine Liege, dort, wo er die Füße hat. Nicht Jesus kann sie sehen, sondern eben wer Jesus gegenüber sitzt. Und man erkennt sie. Sie ist stadtbekannt. Sie ist Sünderin.

Worin ihre Sünden wohl bestanden? Hat sie als Unternehmerin einen anderen Betrieb in die Insolvenz getrieben, die Eigentümerfamilie in Armut, Obdachlosigkeit, Sklaverei?

Hat sie falsche Gewichte benutzt, Menschen übervorteilt? Hat sie in römische Rüstungsbetriebe investiert, ist sie reich geworden dadurch - immerhin kann sie es sich leisten, Salböl auszugießen. Oder war sie tatsächlich, wie seit Ewigkeiten die Ausleger vermuten, eine Prostituierte? Betrieb sie ein Bordell? Wobei dann natürlich spannend ist, wer sie aus solchen Zusammenhängen kennt und erkennt.

Gleichwohl, es ist eine lautlose, stille Szene, die sich da im Hintergrund, hinter der Kline, der Liege abspielt. Möglicherweise fast unbemerkt im Trubel der Diener, die Speisen auf- oder abtragen, während um den Tisch Gespräch und Essen weitergehen mögen. Auch Jesus schaut offenbar gar nicht hin. Die Frau aber weiß, zu wem sie will. Sie ist tief bewegt in diesem Moment, sie weint heftig, während sie zu Jesu Füßen kniet. Dann scheint sie sich zu fassen. Sie trocknet die Tränen mit ihren Haaren und salbt Jesu Füße. Immer noch ist kein Wort in ihre Richtung gefallen. Nicht zu ihr. Nicht wegen ihr. Auch Simon äußert sich nicht. Nur zu sich selbst sagt er, denkt bei sich: Das müsste Jesus jetzt aber spüren. Das müsste er durchschauen. Mit einem Propheten kann man so etwas nicht machen.

Da greift Jesus tatsächlich das Gespräch auf. Er bleibt ganz in der Rolle des Austauschs unter Schriftgelehrten. Er führt das Tischgespräch fort. Immer noch geht er gar nicht ein auf die Frau. Jesus erzählt ein Gleichnis. Eine Geschichte vom Handeln Gottes. Der eine steht tief in der Schuld beim Gläubiger. Der andere weniger. Wenn beide die Schuld erlassen bekommen, wer spürt es mehr? Wer erlebt sich tiefer in Dankbarkeit? Und Simon gibt entsprechend die Antwort: natürlich ist es diejenige Person, die mehr erlassen bekam. Die von größerer Schuld befreit ist.

Das erst ist das Stichwort für Jesus, sich der Frau zuzuwenden. Das ist das Stichwort für Jesus, ihr Handeln zu erklären, verständlich zu machen. Alles, was sie tut, das ist Ausdruck ihrer übergroßen Dankbarkeit. Jesus durchschaut tatsächlich, was passiert. Er weiß mehr, als die anderen. Er weiß vor allem: ihre Schuld - was auch immer es war - ihre Schuld ist vergeben. So wie auch Simons Schuld vergeben ist vor Gott und der Vergebung bedarf, wie unbedeutend nach menschlichem Ermessen sie auch sei.

Und damit erweist Jesus tatsächlich sich als Prophet. Als einer, der die Dinge in rechter Weise zu deuten weiß.

Er versteht und erkennt die Gedanken Simons.

Und er erkennt und kennt die Frau tatsächlich. Aber nicht in ihrer Rolle als Sünderin. Er erkennt sie, wie sie von Gott angesehen ist. Und er erkennt sie als diejenige, die Gottes Vergebung in ihrem Leben spürt und darauf reagieren will.

Er löst das Rätsel, wie es zu ihrem Verhalten in dieser Runde kommt. Im Licht des Gottvertrauens und des Lobes Gottes kann er das Ganze erkennen. Und bestätigt aufs Neue: dir sind deine Sünden vergeben.

Schade, wie schade nur, dass die anderen Gäste - übrigens offenbar nicht Simon! - dass die anderen Gäste die Lösung des Rätsels gar nicht sehen wollen, dass sie den Zusammenhang vor Gott nicht annehmen können. Dass ihnen vielmehr nun rätselhaft wird, wie Jesus reagiert, wie Jesus redet. So dass sie sich nun über Jesus mokieren: Wie kommt er dazu, Sünden zu vergeben. Wie kann er nur. Dabei hat Jesus gar nicht von sich gesprochen. Er hat einfach nur Gottes Gabe, Gottes Geschenk, Gottes Wirken bezeugt und bekannt: Es sind deine Sünden vergeben. Er hat die Frau erkannt als die, von der alle, die wollen, lernen konnten. Er hat sie anerkannt in ihrem Glauben, in ihrem Gottvertrauen, in ihrer Dankbarkeit, in ihrer Liebe, in ihrer Antwort auf Gottes Gabe und Handeln. Offenbar ist das für manche mehr, als sie verkraften können.

Und wir?

Wir werden immer wieder auf Zusammenhänge stoßen, die wir nicht verstehen und nicht recht deuten können. Lassen Sie uns solches vor Gott bringen. Weil Gottes Augen mehr sehen als wir. Lassen Sie uns auf seine Gnade vertrauen. Und in solchem Vertrauen auch gnädig sein im Urteil über dieses oder jenes, was uns empört oder aufregt, gnädig im Urteil über andere Menschen, die uns unverständlich bleiben.

Und umgekehrt: auch wir sind in unserem Tun anderen bleibend ein Rätsel. Vieles, von dem was wir sagen oder handeln, ist missverständlich, undeutlich, doppeldeutig. Ist eben auch immer nur ein kleiner Ausschnitt. Und wir sind angewiesen darauf, dass jemand es anerkennt. Das Rätselhafte ins rechte Licht rückt. Bereit ist, für einen Moment uns mit Gottes Augen anzuschauen. Doch: von wem will man solches erwarten können.

Jesus hat es getan. Und verkündet es uns im Evangelium. Deine Schuld ist schon vergeben. Dein Glaube hat dir geholfen. Geh hin in Frieden.

 



Pfarrerin Kira Busch-Wagner
76275 Ettlingen
E-Mail: Kira.Busch-Wagner@kbz.ekiba.de

(zurück zum Seitenanfang)