Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

11. Sonntag nach Trinitatis, 11.08.2013

Predigt zu Lukas 7:36-50, verfasst von Peter Schuchardt


Aus der Vergebung wächst Liebe

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! Amen

Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht bei Lukas im 7. Kapitel, VV. 36-50:

36 Es bat Jesus aber einer der Pharisäer, bei ihm zu essen. Und er ging hinein in das Haus des Pharisäers und setzte sich zu Tisch. 37Und siehe, eine Frau war in der Stadt, die war eine Sünderin. Als die vernahm, dass er zu Tisch saß im Haus des Pharisäers, brachte sie ein Glas mit Salböl 38und trat von hinten zu seinen Füßen, weinte und fing an, seine Füße mit Tränen zu benetzen und mit den Haaren ihres Hauptes zu trocknen, und küsste seine Füße und salbte sie mit Salböl. 39Als aber das der Pharisäer sah, der ihn eingeladen hatte, sprach er bei sich selbst und sagte: Wenn dieser ein Prophet wäre, so wüsste er, wer und was für eine Frau das ist, die ihn anrührt; denn sie ist eine Sünderin. 40Jesus antwortete und sprach zu ihm: Simon, ich habe dir etwas zu sagen. Er aber sprach: Meister, sag es! 41Ein Gläubiger hatte zwei Schuldner. Einer war fünfhundert Silbergroschen schuldig, der andere fünfzig. 42Da sie aber nicht bezahlen konnten, schenkte er's beiden. Wer von ihnen wird ihn am meisten lieben?

43Simon antwortete und sprach: Ich denke, der, dem er am meisten geschenkt hat. Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geurteilt.

44Und er wandte sich zu der Frau und sprach zu Simon: Siehst du diese Frau? Ich bin in dein Haus gekommen; du hast mir kein Wasser für meine Füße gegeben; diese aber hat meine Füße mit Tränen benetzt und mit ihren Haaren getrocknet. 45Du hast mir keinen Kuss gegeben; diese aber hat, seit ich hereingekommen bin, nicht abgelassen, meine Füße zu küssen. 46Du hast mein Haupt nicht mit Öl gesalbt; sie aber hat meine Füße mit Salböl gesalbt. 47Deshalb sage ich dir: Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel Liebe gezeigt; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig. 48Und er sprach zu ihr: Dir sind deine Sünden vergeben. 49Da fingen die an, die mit zu Tisch saßen, und sprachen bei sich selbst: Wer ist dieser, der auch die Sünden vergibt? 50Er aber sprach zu der Frau: Dein Glaube hat dir geholfen; geh hin in Frieden!


Liebe Schwestern und Brüder!

Diese Geschichte ist voller Dankbarkeit und tiefer Freude. Sie ist voller Hochmut und Berechnung. Sie ist eine Geschichte von Vorurteil und Verurteilen, voller Barmherzigkeit und Gnade - und sie ist voller Fragen an uns.

Bevor uns Lukas diese Geschichte erzählt, berichtet er von eindrucksvollen Ereignissen auf dem Weg, den Jesus geht. Er weckt einen Toten jungen Mann in Nain auf. Er antwortet auf die Anfrage des Täufers: „Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?", und er regt sich auf über das zweierlei Maß, mit dem die Menschen urteilen. Johannes der Täufer lebte asketisch, die Leute sagen: „Er ist besessen." Jesus selbst isst und trinkt mit den Menschen, darauf wird ihm vorgeworfen: „Er ist ein Fresser und Weinsäufer, ein Freund der Zöllner und Sünder." Diesen Fresser und Freund der Sünder lädt Simon, der Pharisäer, in sein Haus ein. Gastfreundschaft wird in Israel groß geschrieben. Es ist eine Ehre, eingeladen zu werden, und es ist eine Ehre, dass Jesus dieser Einladung folgt. Natürlich lädt Simon noch andere dazu. Denn diesen Jesus, von dem man so unglaubliche Sachen hört, kriegt man ja nicht alle Tage zu Gesicht. Mal sehen, was das für einer ist, so denken viele, als sie sich in Simons Haus an den Tisch setzen. Jesus selbst ist schon da. Unerwartet kommt eine stadtbekannte Frau dazu, eine Sünderin, erzählt Lukas. Worin ihre Sünde besteht, bleibt offen. Eine Prostituierte, eine Ehebrecherin, so vermuten manche, aber das ist überhaupt nicht wichtig. Sie ist eine Sünderin, und das reicht, um sie zu kennzeichnen. Sie tritt zu seinen Füßen, sagt kein einziges Wort, aber sie weint ohne Ende, trocknet mit ihren Haaren seine Füße, küsst und salbt sie. Diese Geschichte ist voller Dankbarkeit und tiefer Freude.

Und sie ist voller Hochmut, voller Vorurteil und Verurteilen. Simon, der Pharisäer, sieht das Ganze mit entsetzten Augen an. Er ärgert sich maßlos über Jesus: „Wenn er ein Prophet wäre, dann wüsste er doch, was diese Frau für eine ist." Und dann, das bleibt unausgesprochen, würde er diese Frau doch wegstoßen und sich niemals mit ihr abgeben. Denn für einen frommen Pharisäer ist klar: Ein Mensch, der die Gebote Gottes nicht hält, ist ein Sünder. Wir heute denken bei Sünde sofort an den Bereich der Sexualität, vielleicht noch an die Verkehrssünder. Für einen frommen Juden, und das ist Simon, geht Sünde viel tiefer. Die Sünde trennt mich von Gott. Und darum ist er so empört, dass Jesus diese Frau gewähren lässt. „Mit so jemandem gebe ich mich nicht ab. Ich möchte rein vor Gott dastehen. Und wenn Jesus wirklich etwas mit Gott zu tun hätte, dann würde er diese Sünderin meiden. Also doch nur ein religiöser Spinner, dieser Freund der Sünder und Zöllner." Simon hat die Brille mit den Gläsern Vorurteil und Verurteilen auf. Eine Sünderin ist und bleibt eine Sünderin, und ein Pharisäer ist und bleibt gut und gerecht. Aber Jesus weiß genau, wer da weinend zu seinen Füßen liegt. Und darum spricht er Simon nun direkt an. Das direkte Gespräch ist ja immer viel besser als das Grummeln und Ärgern im Herzen. „Simon", so sagt er, „Simon, ich habe dir etwas zu sagen." Jesus spricht Simon bei seinem Namen an, und damit allein schon verlässt er das Ineinander von Vorurteil und Verurteilen. Und Simon hört zu. Er weiß: Jesus ist jemand, der ihm etwas zu sagen hat. „Meister, sag es!". Vielleicht hofft er auf ein lobendes Wort, einen Sinnspruch für das Gästebuch. Doch nun öffnet Jesus Simons Augen mit seinem Gleichnis: „Ein Mensch hatte zwei Männern Geld geliehen, dem einen 500, dem anderen 50 Silbergroschen. Beide können es nicht zurückzahlen. Da schenkt dieser Mensch es den beiden Schuldnern. Ihr braucht es nicht zurückzuzahlen. Und nun", fragt Jesus: „Wer von den beiden wird ihn am meisten lieben?" Simon antwortet fast ein wenig zögernd: „Ich denke, der, dem er am meisten geschenkt hat." Ob er schon ahnt, dass es in dieser Geschichte um ihn selbst geht? Jesus gibt ihm zurück: „Du hast richtig geurteilt. Jetzt ja, aber was diese Frau angeht, nicht." Und dann wendet sich Jesus zu der Frau (Lukas sagt nicht: zu der Sünderin!) und fragt Simon, den Pharisäer, den Guten und Gerechten: „Siehst du diese Frau? Ständig kreisen deine Gedanken um sie, weil sie dir den Abend hier kaputt macht, aber du würdigst sie keines Blickes." Ja, es ist ein Ausdruck von Würde, jemanden anzusehen, ihm ins Gesicht zu sehen, ihn wahrzunehmen als Mensch und eben nicht als Sünder, wie dein Vorurteil es sagt. Und nun vergleicht Jesus Simons Verhalten mit dem der Frau, das der Sünderin mit dem vermeintlich so tollen Pharisäer. Simon hatte sich das so toll ausgedacht, so berechnend, als er Jesus einlud, aber er erweist sich als schlechter Gastgeber. Kein Wasser, keine freundliche Begrüßung, kein Öl für die wunden Füße. Sie aber hat für Jesus ihre Tränen, Küsse ohne Ende und Salböl. Natürlich weiß Jesus, was das für eine Frau ist, was ihr Herz beschwert, was sie von den anderen trennt. Doch nun sagt er: „Ihre vielen Sünden sind ihr vergeben, denn sie hat viel Liebe gezeigt. Wem aber wenig vergeben wird, der liebt auch wenig. Das, Simon, hast du eben doch selbst gesagt mit deiner Antwort auf mein Gleichnis. Das ist wie mit den beiden Schuldnern. Und du, mit deiner korrekten Lebensweise, mit dem Halten von Gottes Geboten, hast du denn schon erfahren, was Vergebung ist, was wirkliche Vergebung ist? Wem wenig vergeben wird, der liebt auch wenig, das hast du selbst gesagt, Simon. Kannst du denn lieben, du in deiner Selbstgerechtigkeit? Denn erst aus der Vergebung wächst die Liebe, auch die Liebe zu Gott!" Und nun wendet sich Jesus der Frau zu. Warum sie gekommen ist? Ihr Kommen ist einfach der Dank dafür, dass Jesus da ist, der Freund der Zöllner und Sünder. Endlich einer, der nicht verurteilt, endlich einer, der nicht ausgrenzt, endlich einer, zu dem ich kommen darf mit meinem schweren Herzen, mit den Fehlern, mit der Schuld, die mich so quält. Diese Frau ist voll Vertrauen, und dieses Vertrauen heißt in der Bibel: Glaube. „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen", sagt Jesus. Und nun sagt er ihr das befreiende Wort: „Deine Sünden sind dir vergeben. Du bist frei. Deine Sünden stehen nicht mehr zwischen dir und Gott."

Da sitzen ja noch die anderen am Tisch, Freunde von Simon. Sie murren, meckern, staunen: „Wer ist dieser, der auch die Sünden vergibt?" Was ist das überhaupt für einer? Weiß Simon eigentlich, wer da in sein Haus gekommen ist? Zachäus wird später den Herrn mit Freuden aufnehmen. Simon weiß es noch nicht, wer da bei ihm ist. Dieser ist Gottes Sohn. Es ist Gott selbst, der sich so klein macht, ein Mensch wird, um uns nahe zu sein, um uns zu sagen: Deine Sünden sind dir vergeben. Gott macht sich so klein, damit er bei uns sein kann, wenn wir im Staub liegen und vor Angst nur noch kriechen können. So wendet er sich der Frau zu: „Dein Glaube hat dir geholfen. Geh hin in Frieden." Und ich kann sie sehen, wie sie aufsteht, mit den verweinten Augen, die nun strahlen. Sie wischt sich die letzten Tränen ab, die nun vor Freude kommen, dankt Jesus noch einmal mit einem Blick und geht - in Frieden. Jesus verurteilt nicht, er richtet nicht, er richtet auf. Er wird auch uns, wenn wir so voller Vertrauen zu ihm kommen, aufrichten aus all unserer Fehlern, unserer Schuld und unseren Tränen.

Diese Frau, die nun in Frieden ihren Weg gehen darf, ist zutiefst demütig. Sie weiß um ihre Schuld, und darum kommt sie voller Vertrauen zu Jesus, dem Freund der Sünder. Diese Geschichte ist voller Fragen an uns. Wissen wir auch um unserer Schuld? Oder sind wir wie Simon: „Ja, Jesus, schön, dass du kommst, such dir einen Platz, ich komme gleich." Nein, Jesus ist kein religiöser Exot, mit dem man sich mal nett unterhalten kann. Er ist kein besonderer Mensch, der mit klugen Worten den Kalender schmückt. Er ist der, der die Sünden vergibt. Er ist, der unser Leben frei machen kann, von aller Last, aller Angst und Schuld. Er ist der, der unser so ausgeklügeltes System von Vorurteil und Verurteilen durchbricht. Er ist der, der uns aus Gnade das Leben schenkt. Die Frau, die als Sünderin kam und nun mit einem Herzen voller Frieden geht, sie zeigt uns, wer er ist. Jesus ist der Gesalbte - und das heißt: der Christus. Ihr ganzes Tun ein einziges Glaubensbekenntnis. So dürfen auch wir zu ihm kommen, mit aller Schuld, aber eben auch mit allem Vertrauen, zu ihm, dem Christus, der unser Leben heil macht. Und er wird uns nicht hinausstoßen. Denn er ist voll Barmherzigkeit und Gnade. Amen





Pastor Peter Schuchardt
25821 Bredstedt
E-Mail: pw-schuchardt@versanet.de

(zurück zum Seitenanfang)