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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

13. Sonntag nach Trinitatis, 25.08.2013

Predigt zu Matthäus 6:1-4, verfasst von Angela Rinn

 


Von absurden Ratschlägen und der Kunst des Lebens

Vom Almosengeben

Habt acht auf eure Frömmigkeit, daß ihr die nicht übt vor den Leuten, um von ihnen gesehen zu werden; ihr habt sonst keinen Lohn bei eurem Vater im Himmel. Wenn du nun Almosen gibst, sollst du es nicht vor dir ausposaunen lassen, wie es die Heuchler tun in den Synagogen und auf den Gassen, damit sie von den Leuten gepriesen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt.

Wenn du aber Almosen gibst, so laß deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut, damit dein Almosen verborgen bleibe; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten.

HERR, segne unser Reden und Hören.

 

Liebe Gemeinde,

es kann nicht funktionieren, nichts von dem, was er sagt kann funktionieren. Weder das: Liebet eure Feinde, noch das: bittet für die, die Euch verfluchen, noch das Sorget nicht. Und ich möchte auch den sehen, der es schafft, niemals jemanden begehrlich anzusehen, um Ehebruch zu vermeiden. Absurd sind seine Hinweise, gefährlich gar: Es ist schon ganz sinnvoll, dass meine rechte Hand weiß, was die linke tut, sonst könnte das schon beim Tee-Einschenken am Frühstückstisch fatale Auswirkungen haben. Lass deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut - das kann nicht funktionieren.

Trotzdem hat sich das jemand gemerkt. Und aufgeschrieben. Dabei hat es doch mit unserer Wirklichkeit - scheinbar - gar nichts zu tun.

Oder doch?

Jesus redet von Almosen, und da bekommt die Rede davon, dass die linke Hand nicht weiß, was die rechte tut und umgekehrt ein gewisses Geschmäckle. Jesus - der ideale Geldwäscher? War Helmut Kohl damals deshalb so schweigsam, weil ihm Jesus wichtiger war als die deutsche Gerichtsbarkeit, die mehr über die CDU-Spenden erfahren wollte? Wie schade eigentlich, dass die Schweizer Banken nicht darauf gekommen sind, Matthäus 6 als Argument für ihr Bankgeheimnis anzuführen, vielleicht hätte das gegenüber der USA funktioniert. So aber ließen sie sich unter Druck setzen mit dem Erfolg, dass erfolgreiche Menschen zittern müssen: Am Ende geht es ihnen so wie Uli Hoeneß, beschämt, vorgeführt vor allen Menschen.

Erstaunlich: Jesus verwendet Vokabular aus dem Geschäftsleben: Es geht um Lohn und Quittung. Und um Gerechtigkeit. Die ist eng mit der Spende verknüpft, für die ersten Zuhörer Jesu war das schon sprachlich ganz klar: Die Armenspende ist eine Konkretion der Gerechtigkeit. Spende und Gerechtigkeit gehören zusammen. Ist das so?

Da gehen die Empfindungen von Menschen sehr auseinander.

Auf dem Kirchentag wurde über eine garantierte Grundversorgung für alle Menschen diskutiert. Selbstverständlich prallten da die Meinungen kontrovers aufeinander. Von „Schmarotzertum" war die Rede, von „Wer soll das bezahlen", von „notwendiger Umdenke", von „Teilhabe an der Gesellschaft".

Nach einer Untersuchung eines Darmstädter Professors haben viele reiche Menschen überhaupt kein schlechtes Gewissen beim Steuerbetrug. Sie lernen von Kindesbeinen an, dass der Staat mit Geld nicht umgehen könne und ihnen ihr hart verdientes Geld wegnehme, um es willkürlich zu verschleudern. Der Professor meint, dass diese Personengruppe nur durch Druck dazu gebracht wird, ehrlich Steuern zu zahlen, so wie die Schweiz nur durch Druck der USA dazu gebracht wurde, ihre Konten offenzulegen. Ohne Druck, meint der Professor, geht es gar nicht. Denn die Betroffenen empfinden ihr Handeln nicht als ungerecht, im Gegenteil.

Wer entscheidet, was gerecht und ungerecht ist? Wird das erst im Himmel entschieden?

Offenbar scheitern Menschen daran, Gerechtigkeit freiwillig umzusetzen. Wer eine Sache nicht liebt, wird sie nicht mit Herzblut verfolgen. Wer die Gerechtigkeit nicht liebt, wird sich nicht für sie einsetzen. Und was schert viele Menschen heute schon der Lohn des Himmels?

Lass deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut - es wird immer absurder. Denn wir könnten doch dankbar sein für jeden, der wenigstens ein bisschen spendet, ein wenig tut für die Armen. Warum soll das heimlich geschehen?

Es ist, unzweifelhaft, und jenseits jeder Debatte, ein Skandal, dass es Menschen gibt, die auf Almosen angewiesen sind. Es war schon ein Skandal zu Jesu Zeiten. Das öffentlich präsentierte Almosen ist heuchlerisch, weil es die Ungerechtigkeit unterstreicht und sie gerade nicht beseitigt. Jesus kontrastiert das Offenbare der Ungerechtigkeit mit dem Verborgenen, in dem das Almosen gegeben werden soll.

Auch das erscheint absurd. Absurd wie die Vorstellung einer Gesellschaft, in der es gerecht zugeht. Für alle Menschen.
Verborgen ereignet sich Gerechtigkeit. Eine Hand weiß nicht, was die andere tut.
Das kann nicht funktionieren, nichts von dem, was er sagt kann funktionieren.

Wenn etwas so absurd klingt ist zu fragen, ob es Ausnahmen gibt - und in der Tat: Mir fällt eine Ausnahme ein. Eine Situation, in der es wichtig, ja unabdingbar ist, dass die rechte Hand nicht weiß, was die linke tut. Und umgekehrt. Wer eine vierstimmige Bach-Fuge aus dem Wohltemperierten Klavier spielen möchte, der ist sogar darauf angewiesen, dass jeder einzelne Finger nicht weiß, was der andere tut. Alle Finger müssen unabhängig voneinander agieren, sonst wird die Fuge misslingen. Die Musik ereignet sich nur, wenn die rechte Hand nicht weiß, was die linke tut. Offenbar gibt es eine Schnittstelle zwischen der Bach´schen Musik und den Worten Jesu.

Mir scheint, bei Beidem geht es ums Himmelreich. Bach komponierte zur Ehre Gottes, soli deo gloria, so steht es unter jeder seiner Kompositionen. Er erweist nicht sich, sondern Gott die Ehre. Das durchdringt seine Musik: Eine Hand weiß nicht, was die linke tut. Da ist ein Horizont, der weiter reicht als mein morgendlicher Frühstückstisch. Bachs Musik: Sie öffnet mir den Himmel. Wenn die Rechte nicht weiß, was die Linke tut, ereignet sich Kunst. Und eine Ahnung des Himmelreichs.

Und was hat das mit Gerechtigkeit zu tun?

Für mich bedeutet das, ganz pragmatisch, dass Kinder die Möglichkeit haben müssen, diesen Zusammenhang wahrzunehmen, und das geht nur, wenn sie Musik kennenlernen dürfen, wenn ihre Eltern Mittel haben, ihnen Musikunterricht zu ermöglichen. Jedes Kind, das zu arm ist, um Bachs Musik kennen zu lernen, ist eine lebende Anklage. Die Quittung dafür, den Lohn, von dem Jesus spricht, diese Quittung stellen uns dann andere aus. Unsere Gesellschaft wird die Quittung für Ungerechtigkeit bekommen, da bin ich sicher.

Mag sein, dass es absurd ist sich eine Gesellschaft vorzustellen, in der es gerecht zugeht. Für alle Menschen. In der alle teilhaben können. An dem, was man zum Leben braucht.
Verborgen ereignet sich Gerechtigkeit. Eine Hand weiß nicht, was die andere tut.

Eine vierstimmige Fuge öffnet den Blick in den Himmel. Vielleicht ahne ich, hörend, staunend, dass sich mitten in der Ungerechtigkeit dieser Welt seine göttliche Gerechtigkeit verwirklicht, ein Ton in der Musik, für die einen klingt er hoffnungsvoll, für die anderen drohend. Eine Quittung kann so oder so empfangen werden.

Lass deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut.
Es klingt absurd, doch nur und gerade so funktioniert es - die Kunst des Lebens.

Amen.

 



Pfarrerin Dr. Angela Rinn
55124 Mainz
E-Mail: AngelaRinn@t-online.de

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