Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

13. Sonntag nach Trinitatis, 25.08.2013

Predigt zu Matthäus 6:1-6 + 16-18, verfasst von Thomas Oesterle


 

Von gelingender und misslingender Frömmigkeit

 

 Jesus spricht:

1 Gebt aber acht, eure Frömmigkeit nicht vor den Menschen zu üben,
um von ihnen beachtet zu werden.
Sonst habt ihr keinen Lohn bei eurem Vater in den Himmeln.

2 Wenn du also Wohltätigkeit übst, trompete es nicht vor dir her,
wie es die Heuchler tun in den Synagogen und auf den Gassen,
um von den Menschen gepriesen zu werden:
Amen, ich sage euch: Sie haben schon ihren Lohn.

3 Du aber, wenn du Wohltätigkeit übst,
soll deine Linke nicht wissen, was deine Rechte tut,

4 damit deine Wohltätigkeit im Verborgenen sei.
Und dein Vater, der ins Verborgene sieht, wird dir vergelten.

5 Und wenn ihr betet,
seid nicht wie die Heuchler:
denn sie stehen gern in den Synagogen und an den Straßenecken
und beten, um vor den Menschen angesehen zu sein.
Amen, ich sage euch: Sie haben schon ihren Lohn.

6 Du aber, wenn du betest,
geh in deine Kammer und schließ die Tür zu
um zu deinem Vater zu beten, der im Verborgenen ist.
Und dein Vater, der ins Verborgene sieht, wird dir vergelten.

 

16 Wenn ihr aber fastet,
werdet nicht wie die griesgrämigen Heuchler,
denn sie machen ihre Gesichter unansehnlich,
um vor den Menschen als Fastende angesehen zu sein.
Amen, ich sage euch: Sie haben schon ihren Lohn.

17 Du aber, beim Fasten, salbe deinen Kopf und wasche dein Gesicht,
18 damit du nicht von den Menschen als Fastender angesehen wirst, sondern von deinem Vater im Verborgenen.
Und dein Vater, der ins Verborgene sieht, wird dir vergelten. 1

 

Liebe Gemeinde,

dieser Predigttext verlangt von mir heute, dass ich mich einem heiklen Thema zuwende. Denn der Evangelist Matthäus verhandelt hier die „religiöse Heuchelei", eine Frömmigkeit, die sich nach draußen als gläubig darstellt, aber nicht so gläubig ist, wie sie tut. „Gebt aber acht, eure Frömmigkeit nicht vor den Menschen zu üben, um von ihnen beachtet zu werden." Mit diesem fulminanten Satz leitet Jesus eine Rede ein, in der dann wichtige Frömmigkeitsübungen beschrieben werden, die das Judentum zurzeit Jesu praktizierte und an denen wir uns auch noch heute als Christen orientieren. Frömmigkeit zeigt sich danach in Spendenfreudigkeit, in anhaltendem Gebet und im fasten, also in einem zeitweiligen Verzicht aufs essen, um sich auch körperlich darauf vorzubereiten, geistliche Inhalte ins Lebenszentrum zu rücken.

Ich selbst versuche meinen Glauben mithilfe solcher ganz praktischen Übungen zu leben und zu pflegen. Ich spende regelmäßige an christliche Hilfsorganisationen, ich versuche ein dauerhaftes Gebetsleben zu führen und in besonderen Zeiten des Kirchenjahrs faste ich auch regelmäßig.

Doch schon indem ich das hier auf dieser Kanzel sage,

habe ich mich als ein Mensch gezeigt, von dem Jesus wohl sagen würde: „Nehmt euch vor dem in Acht. Wer so öffentlich darüber reden muss wie fromm er doch ist, der wird eher ein Heuchler, ein Schauspieler sein, aber keine ehrliche Haut. Der sucht Ansehen bei den Menschen, aber nicht bei dem einen, wahren Gott."

Diese Warnung Jesu, diese - für uns alle - heikle Thematisierung von geheuchelter Frömmigkeit, sollten wir nicht gering achten. Wenn ich mit Menschen rede, die sich vom Christentum abgewandt haben, dann ist ein immer wiederkehrendes Argument: „Mich stößt am Christentum am meisten die fromme Heuchelei ab!" Es gibt ja zwei Formen von frommer Heuchelei: man denkt da einerseits an Menschen, die anders reden als sie handeln, oder aber man denkt andererseits an Menschen, die zwar äußerlich irgendwelche Dinge tun z.B. regelmäßig den Gottesdienst besuchen, aber sich in ihrer Gesinnung dadurch nicht verändern lassen. Wir leben heute zwar in Zeiten, in denen Menschen gerne nach ihren Taten beurteilt werden. Aber für Jesus spielt in der Bergpredigt der innere Beweggrund hinter der Tat eine mindestens genauso große Rolle, wie die Tat selbst. Ein prominentes Beispiel, für das Missverhältnis zwischen Taten und Gesinnung, das manche Kritiker bei Gesprächen mit mir in den letzten Jahren immer wieder vorbrachten, war der letzte amerikanische Präsident2. George W. Bush charakterisierte sich selbst ja öffentlich als „wiedergeborenen Christen", aber zugleich hatte er im Irak einen Krieg auf der Basis von Lügen begonnen. Ein Krieg, der tausende von Todesopfern gefordert hat und nun als Spätfolge ein Land in Gewalt und Chaos versinken lässt. Und wie erklärt es ein „wiedergeborenen Christ", dass er anscheinend keinen Begriff davon hatte, dass „die Erde des Herrn" ist, wie es der Psalter sagt - und nicht das beliebig ausbeutbare Eigentum von ein paar amerikanischen Ölkonzernen?

Aber - solche prominenten Beispiele führen ja nur allzu schnell von uns selbst weg. Ich habe den Kritikern deshalb immer geantwortet: Wer mit einem Finger auf den Anderen zeigt, auf den zeigen drei Finger zurück. Ich muss mich also selbst fragen, wo meine angebliche Gerechtigkeit vor Gott geheuchelt, vorgeschoben und unecht ist. Wo ist die Art und Weise, wie ich meinen Glauben nach außen darstelle, nicht gedeckt von meinen innersten Beweggründen? Wo stimmt die Innenseite meiner Frömmigkeit nicht überein mit ihrer Außenseite? Wo ist hinter meinem nach außen gezeigten Glauben nur der geheime Wusch versteckt, mich durch mein frommes Tun selbst vor Gott zu rechtfertigen, oder vor meinen Mitmenschen gut dazustehen? Wo bin ich fromm, nicht um meines Nächsten oder um Gottes willen, sondern aus Gründen einer subtilen, aber höchst wirkungsvollen Selbstsucht? All' diese kritischen Rückfragen trägt Jesus an uns heran, vor allem mit dem dreimal wiederholten Argument, dass Gott in das Verborgene sieht und die Dinge am Ende so beurteilen wird, wie sie wirklich sind und nicht so, wie wir sie gerne darstellen würden.

Weil Gott aber auch das Verborgene sieht, empfiehlt Jesus uns, dass die rechte Hand beim spenden nicht weiß, was die linke tut, dass wir im stillen Kämmerlein beten, dass wir nicht ausposaunen, was wir bereit sind herzugeben, dass wir unser fasten nicht mit einem öffentlich zur Schau getragenen Leiden umkränzen. Das alles ist sehr deutlich gegen den Trend, den unsere Kirche seit geraumer Zeit fährt. Die evangelische Kirche hat ja seit einigen Jahren die Mission wieder entdeckten,3 und seither werden wir Christen von den Kirchenleitungen aufgefordert, viel offensiver als bisher unseren Glauben öffentlich einzubringen. Nein, nicht die manchmal komplizierte Selbstbefragung nach der Übereinstimmung von innerer Haltung und öffentlichem Auftreten ist gewünscht, sondern das mutige Bekenntnis. Auch für uns als Kirche soll insofern das schöne schwäbische Sprichwort gelten, dass sagt: „Kleppera ghört zom Gschäft". Denn Kirche soll sich künftig ja am Markt der Werteanbieter behaupten, und zur Marktbehauptung gehört nun einmal das Marketing. Zum Marketing las ich vor einigen Jahren ein interessantes Streitgespräch zwischen Marcel Loko, einem der erfolgreichsten deutschen Werbetexter und Fulbert Steffensky, einem bekannten Hamburger Theologieprofessor.4 Während der Werbemensch keine Probleme damit hatte, die 10 Gebote für eine Autowerbung zu instrumentalisieren, oder zugesteht, dass Firmenmarken heutzutage die Leitbilder sind, welche die Religion ersetzen und er auch der Kirche gerne eine neues Werbeoutfit verpassen würde, konnte Steffensky da jeweils nicht mit. Er hat im Gegensatz dazu Sätze formulieren, die unserem heutigen Predigttext nahe kommen und bleibende christliche Wahrheiten aufleuchten lassen. Es sind Sätze wie: „Die Kirche ist keine Werbeagentur. Es gibt die Frage der inneren Glaubwürdigkeit." Oder: „Es gibt eine Art religiöser Keuschheit, die mir verbietet, mit meiner Religion zu dick an die Öffentlichkeit zu gehen." Und zum neu entdeckten missionarischen Aufbruch kann Steffensky sagen: „Im Augenblick habe ich die Befürchtung, dass alles zu stark vereinfacht, zu niedrigschwellig gemacht wird. Dadurch wird der Kirche ihre Fremdheit genommen. Ich glaube nicht, dass Jeder jederzeit alles verstehen muss. Das wird nicht gelingen. Wir müssen aber alles so machen, dass wir es zunächst einmal selbst glauben."

Um es ganz deutlich zu markieren: Weder Steffensky noch ich selbst haben etwas gegen den missionarischen Charakter unserer Kirche. Mission ist uns von Jesus im Taufbefehl aufgetragen. Aber das werben der Kirche müsste eher an das werben eines jungen Mannes um ein geliebtes Mädchen erinnern - so gewinnen wir vielleicht Menschen für unsere Gemeinden. Mission sollte auf jeden Fall nicht an die gewalttätige Verkaufe erinnern, mit der Konzerne ihre Produkte auf den Markt drücken. Diese Art von unechtem Hochjubeln der eigenen Qualitäten passt zu meiner Kirche nicht. Der Werbetexter Marcel Loko sagt an einer Stelle, dass die zentrale - und das Geschäft bestimmende - amerikanische Werbephilosophie geleitet ist von einem „hochtunen der Wahrheit" (to pimp up the truth).

Ob das die Wahrheit mit sich machen lässt, beginnt da der studierte Philosoph in mir zu fragen?5 Wenn Wahrheit - Wahrheit bleiben soll, dann geht das wohl nicht. Deshalb ist eine Voraussetzung für Mission, die Reinigung der Christenheit von religiöser Heuchelei: Ein Sinn für Wirklichkeit sollte an die Stelle der Lüge treten. Dietrich Bonhoeffer hat das einmal die „intellektuelle Redlichkeit" genannt. Das heißt, dass auch unser theologisches Denken sich im Einvernehmen hält mit der Wirklichkeit. Wirklichkeitsnähe sollte zum Qualitätssigel unseres kirchlichen Handelns und theologischen Argumentierens werden. Oder um es mit Bonhoeffer zu sagen: „Was mich unablässig bewegt, ist die Frage was das Christentum ... heute eigentlich für uns ist."

Unser Herr selbst erzählt eine sprechende Geschichte über die religiöse Heuchelei, die will ich an den Schluss dieser Predigt setzen: In Lukas 18 lesen wir:

Jesus sagte aber zu einigen, die sich anmaßten, fromm zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis:

(10) Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner.
(11) Der Pharisäer stand für sich und betete so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher - oder auch wie dieser Zöllner.
(12) Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme. (13) Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig!
(14) Ich sage euch: Dieser Zöllner ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener Pharisäer. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden. AMEN

 



Pfarrer Thomas Oesterle
73614 Schorndorf
E-Mail: thomas.oesterle@elkw.de

Bemerkung:
Liedvorschlag: EG 430, 1-4


(zurück zum Seitenanfang)