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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

13. Sonntag nach Trinitatis, 25.08.2013

Predigt zu Matthäus 6:1-4, verfasst von Ralf Hoburg

 

Die Gabe des Gebens

Geschenke nimmt jeder gerne an. Eine „milde Gabe" hat oftmals in unseren Augen etwas peinlich Berührendes. Man möchte den Beschenkten nicht beschämen oder ihn in Verlegenheit bringen, so dass erkennbar wird: Der Andere ist auf finanzielle Hilfe Fremder angewiesen. Das Almosen ist in gewisser Weise schon lange in Verruf geraten. Es passt nicht in einen Sozialstaat, der seinem Selbstverständnis nach sozial benachteiligten Menschen finanzielle Hilfen gewährt. Das Wort des „Almosen" wird dementsprechend auch kaum noch, vielleicht gar nicht mehr in der Alltagssprache der Gegenwart verwendet. Es scheint im angewandten deutschen Sprachschatz auszusterben ebenso wie das parallele Wort der „Mildtätigkeit", obwohl gerade dieses Wort auch einen ästhetisch schönen Klang besitzt. Während die Spende von Geld oder die Sachspende ohne einen erkennbaren sprachlichen Makel verwendet wird und es geradezu einen Spenden-Markt in Deutschland gibt, haftet dem Wort „Almosen" ein weithin vernehmbarer negativer Klang an. Gespendet wird viel in Deutschland - jedes Jahr sind es etwa 5 Milliarden Euro, die an Stiftungen, Vereine oder Hilfsorganisationen von Privatpersonen oder Unternehmen zum Wohl Dritter fließen. Aber als „Almosen" wird dies in den seltensten Fällen verstanden. Vielmehr nehmen viele die Not Anderer wahr und wollen aus Betroffenheit helfen. Wie vor 11 Jahren bei der Elbeüberflutung war auch in diesem Jahr 2013 die Bereitschaft sehr groß ohne wenn und aber Geld und Hilfsgüter sowie Sachspenden zur Verfügung zu stellen. Über 8 Millionen Euro kamen seit Juni 2013 über die Hilfsplattform „Deutschland hilft" zusammen und auch die kirchlichen Wohlfahrtsverbände wie Caritas und Diakonie sind unter den Spendenorganisationen. Wenn dies auch von der Summe her weniger ist als 2002, so ist dennoch die Spendenbereitschaft hoch. Dabei ist der Vorteil der Spende, dass der Spender anonym bleibt. Anders ist es da schon mit den professionellen Spendern, d.h. den Unternehmen, die gerne als Spender auch in der Öffentlichkeit auftreten. Die Firmenspende ist trotz des guten Zweckes fast immer ein Instrument des Verkaufs. Das Unternehmen macht sich bekannt, indem es damit wirbt „wohltätig" zu sein. Auch hier hat die Spende nicht den negativen Klang, wie er dem Wort „Almosen" anhaftet, und erhält das Wort „Wohltätigkeit" etwas ehrenvolles, ja mithin Verdienstvolles. Ein Unternehmen, das „wohltätig" ist, macht sich um das Gemeinwohl der Gesellschaft verdient. Aber woran liegt es, dass das Wort „Almosen" so dauerhaft beschädigt ist und wohl unwiederbringlich einen negativen Klang hat?

Mich beschlich dieses Gefühl wieder von Neuem, als ich den Text aus Matthäus 6,1-4 mit den Augen desjenigen, der sich beruflich seit langem mit der Diakonie und den Entwicklungen des Sozialstaates befasst, las. Es handelt sich um einen Teil der Bergpredigt, die als Ganzes (Mt 5-7) eine berühmte Passage des Matthäusevangeliums darstellt. Der kleine Text aus Mt 6,1-4 wird in der Lutherbibel mit der Überschrift „Vom Almosengeben" überschrieben. In der Reformationszeit oder dem Mittelalter, ja noch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein hätte ich kein Problem damit gehabt, unbefangen und aus einer christlichen Frömmigkeit heraus, die sich dem Gedanken der Nächstenliebe und Barmherzigkeit verpflichtet sieht, vom „Almosengeben" zu predigen. Aber heute? Irgendwie sperrt sich in mir etwas. Ist es der „Pathos" der Selbstlosigkeit, der an der Geschichte des christlichen Gedankens der Barmherzigkeit klebt wie ein Kaugummi, das sich nicht von der Schuhsohle lösen lässt? Wir wissen oder ahnen es doch alle: so selbstlos war und ist die Nächstenliebe nie und wenn ich dem Anderen Gutes tue, tue ich mir auch immer selber ein Stückchen Gutes. Und so barmherzig und demütig waren selbst die frömmsten Diakonissen nicht und gab es und gibt inmitten aller Barmherzigkeit der Kirche viel Macht und Gezänk. Und wo die soziale Hilfe heute in der Gesellschaft professionell geworden ist und heute von Sozialministerien, einer breit verästelten Sozialbürokratie und Wohlfahrtsverbänden mit mächtigen Organisationsstrukturen verwaltet wird, wird der Gedanke des Almosens rechtlos und hohl. Es existiert doch so etwas wie ein Rechtsanspruch auf soziale Hilfe - es gibt das Sozialgesetzbuch ... Was soll da ein Almosen? Entrechtet dies nicht den Mittellosen und Armen und degradiert ihn zum willenlosen Hilfeempfänger, dessen Antwort nur die Pose der demütigen Dankbarkeit sein kann? Das ist des Anderen im wahrsten Sinne des Wortes unwürdig. Im Gespräch mit den Kolleginnen und Kollegen im Studiengang Soziale Arbeit höre ich oftmals, dass der christliche Gedanke des Almosen eher eine Würdelosigkeit auf der Seite des Hilfeempfängers schafft und das hierarische Machtverhältnis von Geben und nehmen den Hilfeempfänger in die Rolle des Opfers drängt und ihn dort gefangen hält. Was ist dran an diesem Gedanken? Die Kritik des Almosens setzt hier an der Rolle des Empfangenden an. Aus dieser Perspektive blicke ich nun auf den Bibeltext Mt 6,1-4 und stelle fest, dass der Empfangende dort scheinbar überhaupt nicht im Blick ist.


Vom Gebrauch der Regeln bis das Reich Gottes kommt

Die Bergpredigt, die Jesus von Nazareth wohl authentisch, aber wahrscheinlich mit anderen Worten als sie im Matthäusevangelium erzählt ist, vor einem mehr oder weniger großen Publikum gehalten haben wird, bietet eine Umformulierung und Aktualisierung der jüdischen 10 Gebote, die in der Tora als Verhaltensregeln dem Volk Israel mit auf den Weg gegeben wurden. Der Alttestamentler Frank Crüsemann nannte die zehn Gebote als Sozialgebote in einem kleinen Büchlein einmal „Regeln der Freiheit". Neben den sog. Seligpreisungen (Mt 5,1-12) enthält die Bergpredigt Anweisungen für das Leben der Jüngerschaft in der Nachfolge des Herrn. Wenn man so will enthält die Bergpredigt das Testament Jesu von Nazareth, das für die Zwischen-Zeit gelten soll bis das Himmelreich, d.h. das Reich Gottes endgültig anbrechen wird. So heißt es denn auch programmatisch in Mt. 5,19: „wer es tut und lehrt, der wird groß heißen im Himmelreich". Wie alle Texte der Evangelien, so setzt auch die Bergpredigt das Ostergeschehen voraus und richtet sich an die nachösterliche Gemeinde. Die Adressatinnen und Adressaten der Bergpredigt sind nun auf der einen Seite die Jüngerinnen und Jünger und auf der anderen Seite diejenigen, die es vielleicht noch werden wollen. Wer es aber nicht werden will, der hat sich vermutlich bei dem Text der Bergpredigt schon immer ein bisschen die Ohren zugehalten. Die britische Comikergruppe „Monty Python‘s" wollte in dem Film „Das Leben des Brian" diese Regeln überhaupt nicht hören und ließ darum den Protagonisten des Films bei den Szenen der Bergpredigt demonstrativ weghören. Und so empfinde ich diesen Film dann auch weder als das „Salz" der Comic noch als das „Licht" der Filmgeschichte und kann herzlich wenig darüber lachen, vermutlich weil ich weiß, dass das Lachen das Angeld für das Reich Gottes ist.

In der Mitte der Bergpredigt steht die theologische Auseinandersetzung Jesu von Nazareth mit der jüdischen Gesetzlichkeit, d.h. der Tora. Das Glaubensleben Israels baut auf dem Fundament der Gebote auf. Das religiöse Leben, aber eben auch das soziale Leben ist im biblischen Israel geprägt vom Halten der Tora, die Gottes Willen repräsentiert. Jesus von Nazareth sieht sein Wirken in dieser Tradition - ja vielmehr in seiner Person wird die Tora erfüllt (Mt 5,17). Von dieser Mitte aus, dass Jesus Christus als Sohn Gottes auch die Erfüllung der Tora ist, leiten sich die Glaubensregeln ab. Die Bergpredigt bildet somit eine Komprimierung jüdischer Sozialregeln vor einem neuen und ganz andersartigen Hintergrund. Ihre Mitte bildet die Gnade der Versöhnung, die in Jesus Christus und seiner Auferstehung erst ermöglicht wird. Will man also über die Passage des „Almosengebens" (Mt 6,1-4) nachdenken, so muss man den gesamten Duktus der Bergpredigt hierbei im Auge haben. Es geht um das eigene Verhalten im Angesicht des Reiches Gottes, das uns allen durch die Auferstehung verheißen ist. Darin - nämlich in der Focussierung auf das Reich Gottes - ist der Unterschied zur jüdischen Glaubensauffassung im Sinne Jesu von Nazareth markiert, wobei die Seligpreisungen konzentrisch die inhaltlichen Punkte beschreiben, die das Gesetz im Sinne Jesu markieren und dabei aber sehr dicht an der jüdischen Sozialvorstellung bleiben: In den Seligpreisungen geht es um die Gerechtigkeit und die Barmherzigkeit. Beides sind die Gaben, die denjenigen zu teil werden, die den Geboten entsprechend leben und handeln. Aber beides sind Gaben, die von „Jenseits", nämlich von Gott zugesprochen werden.


Die soziale Tat als Ausdruck des Glaubens

So kommt man bei der Suche nach einem Zugang zu den Versen aus Mt 6,1-4 über das Almosengeben, wenn man diese von der Gesamtsicht der Bergpredigt aus betrachtet, auf das sog. Doppelgebot der Liebe, das sich auf Lev. 19,18 bezieht und hier im Matthäusevangelium aufgenommen wird. Die Feindesliebe (Mt 5,44) dient dem Zweck, im Himmel als Kinder des Vaters angenommen zu werden. Die Nächstenliebe und die Fürsorge für den Anderen sind im Sinne des jüdischen Glaubens zwei Seiten derselben Münze. Die Fürsorge für den Anderen ist Aufgabe und Gebot gleichermaßen und mit ihr entspricht der Gläubige der Gerechtigkeit Gottes. Das Judentum kannte eine vorbildliche Wohltätigkeit unter dem Begriff der „zedaka" und schon damals gab es eine öffentliche Armenfürsorge. Einem Bibelkommentar zum Matthäusevangelium entnehme ich, dass bereits in jüdischer Zeit sog. Armenkästen existierten und Armen- und Almosenpfleger dort wöchentlich Geld- und Naturalleistungen einzogen, die dann verteilt wurden. Martin Luther hat dies dann während der Reformation aufgenommen und einen Armenkasten in den Kirchen an die Stelle des katholischen Ablasskastens gestellt. Wenn man so will, ist die Gesellschaft im biblischen Israel das Urmodell und die Wurzel des heutigen Sozialstaates und kann dieser nicht ohne die religiöse Grundlage verstanden werden, die das Judentum gelegt hat und die in den sozialen Vorstellungen des Christentums und des Islam gleichermaßen weiterwirken.

Aber offensichtlich gab es in Israel auch einen Missbrauch in der Mentalität sozialer Fürsorge. Wie überall „menschelt" es und wird die soziale Fürsorge als wohltätige Leistung verstanden, deren man sich rühmen kann. „Tue Gutes und rede drüber" - diese Devise ist keine Erfindung moderner Werbestrategen, sondern schon eine Untugend in biblischer Zeit. Diesen Missstand hat offensichtlich Jesus von Nazareth im Blick, wenn er die gängige Almosenpraxis der Pharisäer und der Heuchler anprangert. Der Zuspruch, den Jesus an seine Zuhörerinnen und Zuhörer adressiert, indem er ihnen das Doppelte zusagt, nämlich „Salz der Erde" (Mt 5,13) und „Licht der Welt" (Mt. 5,14) zu sein, basiert allein auf der Zusage, im Glauben die Kinder Gottes zu sein. Aus dieser Grunderkenntnis heraus, dass sich die Lebenspraxis aus dem Glauben heraus ergibt, formulierten die Mütter und Väter der Diakonie wie Johann Hinrich Wichern und andere die Formel, die das Lebenselexier der Diakonie bis heute ist: „Die Liebe gehört mir wie der Glaube". Aus dem Glauben heraus erwächst die Lust, sozial tätig zu werden. Es ist geradezu das religiöse Mandat gegenüber der Gesellschaft, nicht die Augen vor der sozialen Notlage zu verschließen, sondern um Gottes Willen tätig zu werden. Das soziale Element des jüdisch-christlichen Glaubenskontextes bildet den Wurzelgrund aller säkularen Sozialvorstellungen. Bei allem Pathos und aller Eitelkeit, die hier in der christlichen und religiösen Barmherzigkeitskultur in Geschichte und Gegenwart durchaus mitschwingen mögen, ist von der Bergpredigt aus erkennbar zu machen: Der Himmel und das Reich Gottes bilden das Gegenüber zur Welt. Wer sozial ist und sozial handelt, der entspricht damit dem Willen Gottes, dessen Gerechtigkeit sich im Reich Gottes ausbreiten wird.


Die Gabe für Gerechtigkeit

Der Blick der Bergpredigt ist unter der Perspektive von neuen Lebensregeln des Glaubens scheinbar zunächst allein auf die Gebenden gerichtet und interessiert sich dem ersten Blick nach nicht so sehr für die Empfangenden. Von diesem Blickwinkel aus gesehen hat die kleine Textpassage in Mt. 6,1-4 durchaus etwas Technokratisches an sich und kann als eine Art Gebrauchsanweisung für richtiges Spenden verstanden werden. Hier habe ich in der Tat Schwierigkeiten, wenn ich lese: „Wenn Du aber Almosen gibst, sollst Du..." Will die Bergpredigt hier eine Vorschrift für korrektes Almosengeben aufstellen? Haben wir in diesem kleinen Text die Vorlage einer landeskirchlichen Broschüre für Fundraising vor uns liegen? In der inneren Verbindung mit der angemahnten Frömmigkeit (Mt 6,1) ahne ich, dass hier der moralischen Gesetzlichkeit, die dem Katholizismus wie auch einem eifernden pietistischen Protestantismus gleichermaßen zu Eigen sind, Tür und Tor geöffnet wird. Vor dem inneren Auge sehe ich die vor Pathos triefenden selbstgefälligen kirchlichen Gut-Menschen und ich kann dann meine Kolleginnen und Kollegen verstehen, die mit dem Blick professioneller Sozialer Arbeit mahnen: Das ist es, was wir meinen! So eben nicht! Blicke ich ganz nüchtern von seiner Textgestalt her auf den Text, stimmt die Vermutung der Kritiker: Nicht die Notleidenden sind im Focus des Handelns, sondern die scheinbare Selbstgefälligkeit der Gebenden, die im Pathos der Bescheidenheit geradezu die feucht-klebrige Masse des Kaugummis bildet, das sich unter den Schuhen so hartnäckig abgesetzt hat. Gibt es angesichts der Massivität des moralischen Imperatives, den die Textpassage Mt. 6,1-4 zweifelsohne in gewisser Weise vor sich her trägt, eine Möglichkeit zu entfliehen? Welche theologischen Kniffe sind notwendig, um die gedankliche Kurve aus dem Gesetz des Richtigen heraus - so mußt Du es tun und nicht anders - und dann in die vorauseilende Gnade Gottes hinein zu finden? Oder anders gefragt: wie machen wir den so massiv gesetzlichen Bibeltext des Matthäusevangeliums reformatorisch?

Einen ersten Impuls eigener moralischer Entlastung und ein kleiner Hoffnungsschimmer des Aufatmens entdecke ich in dem Zusammenhang der Verborgenheit des Almosens. Aus der Sicht der Bergpredigt wiederspricht jede Form der Selbstgefälligkeit und des Rühmens dem Gedanken des Almosens. Der Evangelist wird selbst zum Moralisten, indem er Jesus von Nazareth in durchaus drastischem Wort sagen lässt, dass man das Almosen-Geben nicht unter dem Werbemotto des „Herausposaunens" tätigen soll. Vielmehr soll das Almosen-Geben verborgen bleiben und nur dem Blick Gottes geöffnet sein (Mt. 6,4). Es geht also nicht um den Selbstruhm, Gutes zu tun, sondern - verstehe ich diesen Gedanken des Evangelisten richtig - allein um die Sache. Und die Sache, das ist für mich die eigentliche moralische Befreiung. Und die Sache ist es auch, die es verhindert, dass sich der wohlmeinende christliche Gut-Mensch mit seinem Almosen auch noch seiner Bescheidenheit in der Art der Diakonissen rühmt. Wie schrecklich überheblich ist der demütige Ausruf berufsmäßiger Bescheidenheit, die da sagt: „Mein Lohn ist es, dass ich dienen darf". Von der Sache her kann ich dann aber auch die Kritiker der Sozialarbeit mit ihren Argumenten packen, die dem Almosen eben jenen negativen Touch geben.

Einen zweiten und deshalb den entscheidenden Impuls der Entlastung entdecke ich dann nämlich in dem Zusammenhang zwischen der Gabe des Almosen und Gott. Ist Gott nicht der eigentliche Empfänger des Almosens? Das Almosen ist erst in zweiter Linie an den Bedürftigen gerichtet und eben primär an Gott. In der Tat: man muss die Gabe des Almosens geradezu um die Ecke denken oder vielmehr ein Dreieck konstruieren, dessen Ecken Gott, der Gebende und der Empfangende bilden. Hier kehrt der Text ganz ein in den jüdischen Kontext der Sozialvorstellungen, wonach Gottes Gerechtigkeit in der Mitte allen sozialen Tuns steht. Der Lohn des Almosens oder vielmehr sein Sinn ist die Gerechtigkeit, die der Gebende Gott schuldet, denn Gottes Gerechtigkeit ist ihrerseits die Gabe. Das Almosen ist die soziale Entsprechung der Gerechtigkeit. Die „milde Gabe" ist nun vollends von dem Aspekt des peinlich Berührenden enthoben, wie ich eingangs schrieb. Die Mildtätigkeit, deren Ausdruck das Almosen des Menschen ist, ist das Sein Gottes selbst, der in seiner Gerechtigkeit dem Menschen helfen will. So gesehen hat das Almosen des Menschen einen Symbol- oder Zeichencharakter, der weder auf den Gebenden noch den Empfangenen abhebt, sondern allein dazu dienen soll, Gottes Gerechtigkeit zu verstärken. Vom Fixpunkt des Reiche Gottes aus betrachtet, sind wir als Gebende und Nehmende gleichermaßen angewiesen auf das Almosen der Gerechtigkeit Gottes. Indem wir geben, werden wir zu Empfangenden. Das beschämt uns und den Anderen nicht.

Von hier aus betrachtet bekommt die Pointe des Witzes einen ganz anderen Sinn: Nach dem Gottesdienst treffen sich ein katholischer und evangelischer Pfarrer und ein jüdischer Rabbi und besprechen, wie sie es mit der Kollekte halten. Sagt der evangelische Pastor: ich ziehe vor dem Altar einen Strich, werfe das Geld nach oben und was rechts des Kreises fällt, bekommt der liebe Gott und was links liegen bleibt, nehme ich. Darauf sagt der katholische Pastor: Ich ziehe um mich einen kleinen Kreis, werfe auch das Geld hoch und was in den Kreis fällt gebe ich Gott und das andere behalte ich. Darauf sagt der jüdische Rabbi. Ich werfe das Geld einfach hoch - was oben ist bekommt Gott und was runter fällt, behalte ich. Der jüdische Rabbi hat den Sinn verstanden: Die eigentliche Gabe fällt immer von oben nach unten und wir sind die Beschenkten. Aus dem Gebenden wird der Nehmende. Das Almosen bekommt einen anderen Sinn, der uns entlastet. Aber am Ende gilt, was Mt 5,45 steht: „Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte." Amen.




Prof. Dr. Ralf Hoburg
Hochschule Hannover
E-Mail: Ralf.Hoburg@hs-hannover.de

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