Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

15. Sonntag nach Trinitatis, 08.09.2013

Predigt zu Lukas 17:5-6, verfasst von Christian-Erdmann Schott


Von der Kraft des Glaubens

Und die Apostel sprachen zu dem Herrn: Stärke uns den Glauben!
Der Herr aber sprach: Wenn ihr Glauben hättet so groß wie ein Senfkorn, dann könntet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Reiß dich aus und versetze dich ins Meer!, und er würde euch gehorchen".

Liebe Gemeinde,

dieser Predigtabschnitt ist auffallend kurz und lässt viele Fragen offen - vor allem die Frage: Warum wollen die Jünger, dass ihr Glaube stärker sein möchte? Was steckt hinter diesem Wunsch? Mögliche Gründe wären:

Es könnte sein, dass sie sich als Nachwuchskräfte sehen, die dazu bestimmt sind, später einmal die Sache Jesu, das Evangelium in die Welt zu tragen. Wenn sie an diese große Aufgabe denken, zweifeln sie, ob sie dazu die richtigen Leute sind, ob sie zum Beispiel einen so kraftvollen, mitreißenden Glauben haben, um dem Evangelium Gehör und Anerkennung zu verschaffen?

Es könnte aber auch sein, dass sie einen stärkeren Glauben haben wollen, weil

sie sich persönlich klein und unbedeutend vorkommen - etwa im Vergleich mit Jesus oder den Propheten oder anderen Gottesmännern. Gegen die eigene Schwachheit und Mittelmäßigkeit bitten sie um Belebung ihres Glaubens, um Vergewisserung, um eine innere Aufrüstung, die sich auch auf ihre Ausstrahlung auswirkt, ihnen ein bisschen von Gottes Glanz verleiht und sie mit Begeisterung erfüllt, so dass sie sich sieghaft und gewinnend der Welt stellen können.

Es könnte auch sein, dass sie befürchten, ihr Glaube könnte in den kommenden Verfolgungen nicht standhalten, sie könnten aus Mangel an Glauben zu Verleugnern und Verrätern werden. Darum wenden sie sich an Jesus und bitten, dass er sie gegen diese dunklen Möglichkeiten in sich selbst durch Stärkung ihres Glaubens für die kommenden Bedrängnisse stützen, festigen, zurüsten möge.

Es könnte schließlich sein, dass sie mit Zweifeln zu kämpfen haben und mitunter sogar fürchten, sich der falschen Sache verschrieben zu haben. Die Ablehnung, auf die Jesus ja auch stieß, die Feindschaft der Pharisäer, der Römer, der Priester - damit müssen die Jünger leben und umgehen. Dass sie dann gelegentlich auch selbst Zweifel haben, ist verständlich. Dann ist aber auch nachvollziehbar, dass sie Jesus bitten, er möchte sie im Glauben an die gute Sache, an seine gute Sache stärken.

Nicht auszuschließen ist, dass die Jünger noch ganz andere Gründe für ihre Bitte haben. Wir wissen es nicht. Und Jesus fragt nicht danach. Der Hintergrund oder die Veranlassung der Bitte interessieren ihn nicht. Die Art, wie er den Jüngern antwortet, zeigt, dass die Quantifizierung, die Einteilung in größer oder kleiner, stärker oder schwächer beim Glauben seine Sache nicht ist. Trotzdem stellt er sich auf das Niveau der Jünger ein und antwortet in ihrer Denkart: Nehmen wir einmal an, ihr habt nur einen kleinen, schwachen Glauben, dann ist das kein Grund zur Besorgnis. Ich meine sogar, dass er noch viel kleiner sein könnte, nämlich so klein wie ein Senfkorn, dann wäre er immer noch fähig, Gewaltiges zu tun, sogar Maulbeerbäume zu versetzen. Dabei könnte Jesus an den schwarzen Senf gedacht haben. Dessen Körner sind so klein, dass 700 Stück auf 1 Gramm gehen. Das heißt, diese Körner kann man vor Kleinheit einzeln fast nicht sehen. Im Gegensatz zum Maubeerbaum, den kann man gut sehen, aber man kann ihn nur sehr schwer aus der Erde rausreißen. Nach damaliger Anschauung hatte er die am tiefsten sitzenden Wurzeln von allen Bäumen, die man kannte: Einen solchen Maulbeerbaum aus der Erde zu reißen und dann im Meer einzupflanzen, das sind zwei Unmöglichkeiten auf einem Haufen.

Offensichtlich war den Aposteln dieses Wort sehr wichtig. Gleich vier Mal haben sie es im Neuen Testament überliefert, allerdings nicht immer im gleichen Wortlaut: Drei Mal heißt es, wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn, konntet ihr Berge versetzen. Im Grunde sagen beide Bilder das Gleiche: Berge und Maulbeerbäume lassen sich nur schwer oder gar nicht herausreißen und verschieben. Jesus meint, dass ein Glaube - selbst wenn er so klein wie ein schwarzes Senfkörnchen wäre -, solche unglaublichen Taten tun könnte.

Die Kirchengeschichte ist voll von Beispielen, die das bestätigen. Diese Beispiele zeigen allerdings auch, dass der Glaube besonders wirkungsvoll, ja erfolgreich ist, wenn er mit Ausdauer und Mut kombiniert wird. Das lässt sich sehr schön zeigen an einem Beispiel aus den Zeiten der Christenverfolgungen, wie sie die Alte Kirche durchmachen musste. Man spürt heute noch die Angst, die die Gläubigen erfasste, wenn sie in die Arenen getrieben wurden, in denen ausgehungerte, wilde Tiere darauf warteten, rudelweise über sie herzufallen, sie niederzureißen, zu zerfleischen und aufzufressen. Die Römer, die gut abgesichert auf den Bänken im Halbkreis um die Arena saßen, sahen sich dieses grausame Schauspiel an und amüsierten sich. Es ist verständlich, .dass die Gläubigen auf die Tiere mit Panik reagierten, das heißt, sie schrieen, versuchten wegzulaufen, wehrten sich, aber - es war aussichtslos. Ein Entkommen war nicht möglich. Am Ende war die Arena rot, rot vom Blut der getöteten Christen. Und die Furcht vor diesen Veranstaltungen breitete sich in den Gemeinden aus - bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Gläubigen ihr Verhalten in den Arenen änderten. Durch ihren Glauben bekamen sie den Mut, ihre Angst zu überwinden und bei der Tierhatz nicht in blinde Panik zu verfallen, nicht wegzulaufen, nicht zu schreien, sondern ruhig zu bleiben, still zu stehen und gemeinsam leise und friedvoll ihre Glaubenslieder zu summen oder zu singen. Es breitete sich eine ganz unbekannte Ruhe aus, die auch auf die Tiere überging. Sie umkreisten die Gefangenen, aber griffen sie nicht an, während die Gläubigen nicht aufhörten, zu singen, um ihr Leben zu singen. Die Zuschauer fingen an, sich zu langweilen. Auf die Dauer hatten sie an der Christenhatz keinen Spaß mehr. Eine alte Tradition mit großem Unterhaltungswert, im kulturellen Bewusstsein der Antike tief verwurzelt wie ein Maulbeerbaum, brach plötzlich zusammen, hörte auf, vom Glauben der Christen vertrieben.

Die Gläubigen aller Epochen der Kirchengeschichte liebten solche Geschichten, und diese und viele andere haben sie immer wieder erzählt, weil sie spürten, dass von diesen Erzählungen und von den Menschen, von denen sie handelten, etwas ausging, das ihnen wohl tat, sie tröstete, erfreute, ermutigte. Darin hatten sie sicher Recht.

Blicken wir von hier aus noch einmal zurück auf die Antwort, die Jesus den Jüngern im Evangelium gegeben hat. Sie erscheint nun noch eindrucksvoller als sie ohnehin schon ist, wenn wir uns klar machen, dass Jesus seinen Jüngern solchen Glauben ohne wenn und aber zutraut. Es ist ja doch sehr bemerkenswert, dass er die Zwölf, die sich im Blick auf die Stärke ihres Glaubens für verbesserungsnotwendig halten, die weltweite Ausbreitung des Christentums zutraut. Er veranstaltet keine Sonderausbildung, keine Kaderschulung, kein Glaubenstraining mit ihnen, er schickt sie mit dem, was sie haben und was sie sind, in die Welt als Glaubenszeugen und Missionare. Und er hat Recht. Im entscheidenden Augenblick weiß der Gläubige, was er zu tun oder zu sagen hat, auch wenn die Situation bizarr und schwierig ist.

Am Anfang waren es gerade mal Jesus, die Zwölf und ein paar Frauen, die an das Evangelium glaubten. Auf der anderen Seite, zum Teil gut organisiert, die Gegner, die es sogar schafften, mit der Kreuzigung des Herrn ein bis heute weltweit unübersehbares Zeichen der Ablehnung und des Hasses aufzurichten. Trotzdem, trotz Ablehnung, trotz Verfolgung der Boten und der Botschaft, heute ist das Christentum eine der großen Weltreligionen. Daran haben viele mitgewirkt. Viele, die nicht mehr Glauben hatten als ein Senfkörnchen. Das aber reichte aus. Paulus hat es auf den Punkt gebracht:: "Gott aber sei gedankt, der uns allezeit Sieg gibt in Christo und offenbart den Geruch seiner Erkenntnis durch uns an allen Orten" (2. Kor. 2, 14).

Das bedeutet: Die Botschaft dieses heutigen Predigttextes ist für uns sehr ermutigend. Sie lautet: Ihr habt Glauben, - setzt ihn ein mit Mut - wendet ihn an mit Ausdauer- wie und wo ihr seid - und ihr werdet sehen, er ist stärker als alles. Machtkartelle und Diktaturen, Konzerne und Medien, Einrichtungen, Meinungen und Vorurteile, Umfragen und Stimmungen - allesamt scheinbar fest gefügt und gut aufgestellt wie Berge, unüberwindlich wie Maulbeerbäume - sie lösen sich auf - und das nicht nur im öffentlich-politischen, sondern auch im privat-persönlichen Bereich. Sie haben keine Zukunft. Zukunft hat allein Gott und der Glaube, der ihm vertraut. Und davon habt ihr genug. Ihr werdet es sehen! Worauf wartet ihr noch? Amen

 

 



Pfarrer em. Dr. Christian-Erdmann Schott
55124 Mainz-Gonsenheim
E-Mail: ce.schott@arcor.de

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