Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

15. Sonntag nach Trinitatis, 08.09.2013

Predigt zu Lukas 17:5-6, verfasst von Wolfgang Petrak

 5) Und es sagten die Apostel dem Herrn: Vermehre uns Glauben. 6)Es sagte aber der Herr: Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn und habt immer zu dem Maulbeerfeigenbaum gesagt: Reiß dich mit der Wurzel aus und pflanze dich in dem Meer an- und so hat er euch gehorcht.

Liebe Gemeinde,

Was alles möglich ist. Oder -eher gedacht als gesagt- : Ist es denn die Möglichkeit?! Ich könnte ihn...Aber da gibt es eine Grenze. Und so steht es unausgesprochen im Raum.

Wir waren spät dran gewesen bei der Geburtstagsfeier; ziemlich peinlich also, zumal wir dort zum ersten Mal eingeladen waren. Doch ich hatte mal wieder gemeint, zuvor noch dies und das tun zu müssen (nicht nur die mails chatten und so). Also gab es beim Klingeln das eheübliche beiderseitige Schweigen. Doch dann hörten wir fröhliches Hundegebell, die Tür wurde geöffnet und mit einem hellen Lachen begrüßte uns das Geburtstagskind. Die knallgelbe Jeans, die langen Haare und das kräftig geschminkte Gesicht passten genau zu ihrer Stimme. Küsschen hier und Küsschen da, für die meinerseits gemurmelten Entschuldigungen blieb kein Platz: „Erst einmal reinkommen, nehmt ein Glas in die Hand- Sekt oder Selter"? Natürlich Sekt, in so einer Stimmung. Der schnelle Blick vom Buffet aus erfasste Bilder und Bücher, viele Kerzen, auch Räucherkerzen, ein dunkler Buddha in der Ecke, davor zwei Congas. „Wir sind auf der Terrasse". Kurzes Vorstellen, dann Einreihen in die Konversation, es ging natürlich um die Wahlen, die Profile und die prekären Arbeitsverhältnisse und was alles möglich sein müsste: die Unterhaltung veränderte sich also, sie wurde ernster. Sprang über zu dem, der einmal gesagt hatte: „Yes, we can" und von dem wir jetzt nicht wissen, was er machen kann. Tiefe Sorge, Ohnmacht und die Fragen nach den Flüchtlingen und was wir tun können, auch das Wissen, das wir so anders leben, scheinbar so weit weg und gesichert. „So, jetzt muss ich euch in eurer Unterhaltung stören; ihr könnt jetzt zu Tisch kommen. Aber vor dem Essen wird noch gebetet. Komm Herr Jesus, sei du unser Gast, und segne, was du uns bescheret hast". Wir alle sagten „Amen".

Ich aber dachte: Das hätte ich nicht gedacht, hier, in dieser Situation. Und niemand störte sich daran, sondern beteiligte sich mit dieser zustimmenden Vergewisserung, die in dem „Amen" liegt, die über den Zeiten und Kulturen steht und genauso alt ist wie jene Bitte um das Kommen des Herrn: „Marana tha". Dieses Tischgebet, für alle wahrscheinlich aus Kinderzeiten vertraut, nimmt die Bitte der aramäisch sprechenden christlichen Urgemeinde auf und überträgt sie auf die alltägliche Situation, lädt ihn, der kommen soll, ein wie zu einem fröhlichen Geburtstagsfest, dankt für seine Gabe und bittet, das davon der Segen für uns alle ausgeht. Braucht man noch mehr?

Was alles möglich ist. Doch ich hätte nie gedacht, dass bei so einer Fete gebetet wird. Und: hätte es auch nicht gekonnt. Weil ich mich nicht getraut hätte. Weil ich es noch nie gemacht habe, in so einer Situation. ‚Von Amts wegen' ist was anderes. Der öffentliche Raum ist säkular. Man kann da ja scheinbar alles machen und sagen. Aber nur nicht durch die Äußerung des Glaubens stören. Also Vorsicht. Rücksicht nehmen. Den Glauben als Privatsache verstehen, denn dieser Sphäre kann einen keiner angreifen. Oder ihn an den institutionellen Raum der Kirche binden, in dem sie als innerlich gleiche aufgehoben und geschützt sind. Doch in die geht ja heutzutage sowieso...

Halt. Vielleicht ist das genau die Erfahrung derer gewesen, die Lukas Apostel nennt. Sie sind also nicht Jünger, die gleichsam unfertig sind und noch zu lernen und zu studieren haben, um mit ihren Fragen und Zweifeln klar kommen zu können. Sondern Apostel. Die mit allem fix und fertig ausgestattet sind, und zwar von ihm, dem Herrn selbst. Damit sie in seinem Namen das Kommen des Reiches Gottes ansagen. Stark und in sich ruhend, sicheren Schrittes, offenen Blickes und entschiedener Miene: genau also, wie sie gemalt worden sind, stelle ich sie mir vor, also anders als ich. Nicht so vorsichtig. Doch sieh, wie klein sie sind. Sodass sie ihn bitten müssen: „Vermehre uns Glauben". Nicht, dass sie gänzlich leer und ausgebrannt sind. Da ist noch etwas in ihnen drinnen, vielleicht so, dass sie es noch nicht einmal benennen und zur Sprache bringen können. Und das angesichts der Erwartungen und Anforderungen, der Konkurrenzen. Und wohl auch angesichts derer, von denen man im Stillen sagt: Den könnte ich. Und wenn er dann alle sieben Tage ankommt und immer wieder und ich soll dann auch immer wieder, siebenmal sieben: Oh ne, das reicht nicht, was in mir ist; und was Menschen machen -da kann ich nicht mit. Was für ein Widerspruch: Bin gesandt in die Welt und komme an meine Grenze. Doch sieh auch, dass da etwas drinnen ist, das wachsen kann. Sodass der Glaube vermehrt wird. Bei einem selbst. Und bei den anderen auch. Sieh und hör deshalb auch, was draußen ist.

Wenn ich an dieser Stelle schon von mir rede (wie könnte es auch anders sein), dann muss ich auch sagen, dass beim Sehen nach Draußen bei mir das Fernsehen dazugehört, genauer am 6. Tag der Woche die Talkshow, seit gefühlten siebenmal sieben Jahren 3 nach 9, oder auch anderes, einfach nur, um in einen anderen Raum hineinzusehen und zu hören, was andere machen und können und wie sie Grenzen begegnen. So auch in der letzen Woche mit zunächst gewöhnlichem Beginn, nämlich der üblichen Klage über den scheinbar profillosen Wahlkampf. Und dass das mit der Kirche auch nicht mehr so ist. Dann konnte eine davon erzählen, wie sie gelernt hat, in Beziehungsstörungen zu Trennungen zu raten, und hielt ihr entsprechendes Buch hoch, das man kaufen kann. Der andere erzählte davon, wie er ein Interview mit dem Tod geführt hat, und wie man es lernen kann, selbstbestimmt zu sterben, ohne medizinischen oder gar geistlichen Beistand. Und hielt sein entsprechendes Buch hoch, das man zu diesem Zweck kaufen kann, erwähnte aber nicht den Umsatz, den Gesellschaften für scheinbar selbstbestimmtes Sterben erzielen. Die dritte aber sang ein Lied. Auch ihre CD wurde hochgehalten, doch es war anders. Sie gang ihr Lied für ihre Freundin, die neben ihr saß und eine schwere Lebenskrise durchgemacht hatte: „Wirf ein Puzzle in den Himmel". Das, was man nicht zusammen bringen kann, diese zerbröselten Lebensphasen, die Splitter und unendlichen zusammenhanglos gewordenen Teile nicht einfach wegzuschmeißen, sondern einem anderen, eigentlich unerreichbaren Ort anzuvertrauen und zu wissen, das es dort neu erfunden wird und von dort zurück kommt, so das es zu finden und zu sehen ist, nicht verloren sondern aufgehoben: der Ort der Versöhnung, den wir theologisch in den Gedanken Augustins und Hegels entdeckt zu haben glaubten, ist spielerisch zu finden. Wirf ein Puzzle in den Himmel. Einfach so. Ohne was zu können. Ohne was zu kaufen. Ohne was Großes zu sein. Das Reich Gottes „ist einem Senfkorn gleich, welches ein Mensch nahm und warf es in seinen Garten, und es wuchs und wurde ein großer Baum, und die Vögel wohnten unter seinen Zweigen"(Lk 13,19). Siehst du: so klein, und dann noch geworfen, und was ist daraus geworden: ein Raum des Lebens mit Nischen, in denen anderes Leben Platz hat, sodass es eine Lust ist hinzusehen und hinzuhören.

Gehört habe ich in diesen Tagen, wie eine Mutter ihrem Kind zum Einschlafen über den Tränen immer wieder vorsummte, ohne Worte: Weißt du wie viel Sternlein stehen. Es braucht nur ganz wenig, um dieses eine zu vermitteln: Kennt auch dich und hat dich lieb. Vielleicht wird dieses Kind dann im Traum sehen, was alles möglich ist. Wie weit es den Gummiball werfen kann, so dass er hüpft und springt und von der Mutter aufgefangen wird. Ja, wie sogar ein Baum sich selbst wirft, bis in den Himmel, und sich dann dort einpflanzt, wo er gar nicht hingehört. Im Meer hervorragend wachsen kann. Und später, wenn es richtig sprechen kann, wird es vielleicht sagen: „Sieh mal, was ich alles kann. Und weißt Du was: Es gibt einen, der sogar alles kann. Der sorgt für mich. Und meine Sorgen- die werfe ich einfach auf ihn.

Du, können wir nicht mal wieder beten?

Amen.

 



Pastor i.R. Wolfgang Petrak
37077 Göttingen
E-Mail: w.petrak@gmx.de

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