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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

16. Sonntag nach Trinitatis, 15.09.2013

Predigt zu Lukas 7:11-16, verfasst von Eberhard Busch


„Und er gab ihn seiner Mutter", so heißt es am Ende dieser Jesusgeschichte. Offenbar ist das seine Art - oder sagen wir es so: das ist seine Mission, seine Sendung, Menschen zusammenzuführen, Auseinander-Geratene zu vereinen, Unterschiedliche zu verbinden. Noch in seiner Todesstunde am Kreuz, so wird uns berichtet, ist er dieser seiner Sendung treu geblieben und sagte zu seiner Mutter: „Siehe, das ist dein Sohn" und zu dem Jünger Johannes: „Siehe, das ist deine Mutter". So manche haben sich im Lauf der Geschichte der Christenheit dieser Art des Verbindens angeschlossen. Der Leiter der Herrnhuter Brüdergemeine, Nikolaus von Zinzendorf, hat im Lied gedichtet, in dem darum gebetet wird: „Lass uns so vereinigt werden, wie du mit dem Vater bist, / bis schon hier auf der Erden / kein getrenntes Glied mehr ist ..." Der Maler Wilhelm Steinhausen, der im letzten Jahrhundert in Frankfurt wirkte, hat ein eindrucksvolles Bild gemalt, auf dem ein Knabe seiner Mutter neu geschenkt worden ist.

Dieses Bild hat die Geschichte zur Vorlage, die unserer heutigen Predigt zugrunde liegt. Die erzählt von einer armen Witwe, die vor längerer Zeit ihren Mann verloren hat; und sie ist nun auch von ihrem einzigen Sohn getrennt worden. Er ist gestorben. Er wird zu Grabe getragen. Es gibt in unserem Leben und in unsrer Welt so viele Gründe, traurig zu sein und zu weinen. Es gibt sicher auch Unnötiges, worüber manche Tränen vergießen. Aber dies ist das aller Ärgste an Herzeleid, bei dem einen der Jammer schier zerreißt - dies, wenn einem ein Geliebter geraubt wird, wenn einer genommen wird, den man als Helfer und Gefährte doch noch weiter braucht - wo man nicht mehr darüber hinaussieht, wie es ohne den Beistand von ihm, ohne sein Geleit und ohne das Gespräch mit ihm einsam weitergehen soll. Es ist bitter, wenn man es erlebt, wie es von Johann Gottfried Herder überliefert ist in einem Volkslied, in dem es heißt: „Bin ich gleich weit von dir,/ bin doch im Traum bei dir / und red mit dir. / Wenn ich erwachen tu, / bin ich allein."

Ein Sprichwort, das auf den römischen Feldherrn Cäsar zurückgehen soll, lautet: „Ich kam, ich sah, ich siegte". Von Jesus muss es in der Geschichte seiner Begegnung mit jener Witwe umgekehrt gesagt werden: Er kam, er sah und ihn „jammerte". Es ergriff ihn Erbarmen mit ihr. Der Jammer dieser Frau geht ihm zu Herzen. Jesus macht sich deren Last zu eigen, er stellt sich mit darunter und will sie so von dieser Last befreien. Wohlgemerkt, er tut es als der von Gott Gesandte, der mit seinem himmlischen Vater unmittelbar in Verbindung steht. Sein „Jammern" bringt zum Ausdruck, dass solches Leid Gott selbst zu Herzen geht. Aber gerade so vollbringt er, was sonst keiner von uns zustande bringt. Sagen wir es mit dem Lied von Paul Gerhardt: „Sein Heil und Gnaden, die nehmen nicht Schaden, heilen im Herzen die tödlichen Schmerzen, halten uns zeitlich und ewig gesund." Oder sagen wir es mit dem 450 Jahre alten Heidelberger Katechismus: „Das ist mein einziger Trost im Leben und im Sterben, dass ich mit Leib und Seele, im Leben und im Sterben nicht mir, sondern meinem getreuen Heiland Jesus Christus gehöre." Ihm dürfen wir uns anvertrauen - in guten wie in bösen Tagen, auch wenn es mit uns zuende geht. Seiner gütigen, starken Hand entfallen wir dann nicht. Er hält uns mit ihr fest.

Wir können nicht, was er kann. Er schafft es, der Mutter das nach aller unserer Kenntnis ihr endgültig entrissene Kind wieder nahe zu bringen. Wir dürfen glauben, dass er dergleichen vermag, er, der dann für uns am Karfreitag Hingegebene und der am Ostertag als der Lebendige Erwiesene. Es ist damit klargestellt, dass er Leben und Tod tatsächlich in seinen Händen hat. Der Tod ist die Grenze unseres Lebens. Aber er ist die Grenze auch unseres Todes. Er „ist unsere Hoffnung", wie es im Neuen Testament heißt (1. Tim. 1,1). Wir können darum aufatmen und dürfen hinter dem Dunkel ein Licht aufgehen sehen. Was er getan hat und was wir nicht tun können, das will uns dabei nicht entmutigen, es wird uns anspornen, das zu tun, was wir doch zu tun vermögen. Wir können Betrübte trösten und Mutlose aufrichten und Verirrten den rechten Weg weisen. Wir können es tun gewissermaßen als Gesellen solcher Hoffnung, als solche, die Hoffnung verbreiten, in soviel Dunkelheiten und trotz vieler Sackgassen. Wir dürfen es tun im Licht dessen, was er getan hat und tut, und in der Zuversicht, dass es darum recht getan ist.

„Und Jesus gab ihn seiner Mutter." Die Witwe wird hinfort mit ihrem ihr von ihm neu geschenkten Sohn umgehen dürfen im Wissen, dass er solche Gabe ist, eine wunderbare Zuwendung des Heilands und Erlösers zu ihrem Trost und ihrer Freude. Er, von dem sie definitiv getrennt war, ist aufs neue bei ihr. Die Wiedervereinigung ist für sie ein wunderbares Himmelsgeschenk. Wie wird sie sich nun zu diesem Sohn verhalten? Wie wird sie nun sich selbst verstehen? Man kann es sich nicht anders denken als so, dass Dankbarkeit die Grundmelodie ihres Lebens wird, selbst wenn wieder aufs neue dunkle Wolken über ihrem Leben aufziehen, selbst dann wenn der Tod erneut in ihrer Hütte eintreten wird. Und bis dahin wird sie ihrem Sohn ganz im Frieden in die Augen sehen. Jochen Klepper hat 1938 in seinem Adventslied gedichtet: „Noch manche Nacht wird fallen / auf Menschenleid und -schuld. / Doch wandert nun mit allen / der Stern der Gotteshuld. / Beglänzt von seinem Lichte, / hält euch kein Dunkel mehr, / von Gottes Angesichte /kam euch die Rettung her." Wenn wir dies singen, so mögen wir an jene Witwe denken, der der Sohn neu gegeben wurde. Sie hört ihn wieder sprechen und sie anreden, und er hört seine Mutter und spricht mit ihr. Was hier geschehen ist, taucht in manchen Vornamen auf: Nathanael, Theodor oder, wie der Kirchenvater Augustin seinen Sohn nannte: Adeodat - diese Namen heißen in verschiedenen Sprachen alle eben dies: Gottesgeschenk. Diese Namen spiegeln das Wunder wieder, das der armen Witwe durch Jesus widerfuhr. Und sie drücken den Wunsch aus, dass die derart genannten Menschen mitsamt all ihren Mitmenschen sich in diesem Sinn verstehen.

Am Ende dieser Geschichte wird von den Leuten gesagt, dass sie darauf hin einen Lobgesang anstimmen auf den Text: „Ein großer Prophet ist unter uns aufgestanden und Gott hat sein Volk aufgesucht." Man kann es heute manches Mal erleben, dass Menschen etwas geschenkt wird, aber es ist, wie wenn die Gabe in ein dunkles Loch gefallen wäre: kein Echo, kein Dank! Es ist anscheinend als etwas Selbstverständliches eingeheimst worden. Und das ist nicht nur im menschlichen Bereich so. Auch im Blick auf Großes, was Gott an uns getan hat, bleiben allzu viele Empfänger still und stumm. Sie hocken gleichsam auf ihrer Zunge. Es ist wohl auch das ein Wunder: Indem der Sohn aus dem Dunkel des Todes hervorgeholt und seiner Mutter wiedergegeben ist, ist nun auch der verschlossene Mund der Leute geöffnet. Sie können auf einmal singen und jubeln. Damit sagen sie dem Geber des Lebens eben „danke". In den Psalmen (51,17) lesen wir das durchaus angebrachte Gebet: „Herr, tue meine Lippen auf, dass mein Mund deinen Ruhm verkündige." Das Gebet geht an die zuständige Adresse. Denn wie es in einem anderen Psalm heißt (8,2f.), kann er sich selbst aus dem Mund eines Säuglings Lob bereiten.

Aber worauf richtet sich dieser Jubel? Er bezieht sich nicht auf einen der da beteiligten Menschen - nicht so, wie man heute fortlaufend durch die Medien angeleitet wird, dieser oder jener erfolgreichen Person Beifall zu gaben. Sondern es heißt: „und sie priesen Gott." Angesichts des Wunders an der Mutter und ihrem Sonn priesen sie auch diese nicht, sie priesen Gott. „Soli Deo gloria", "Allein Gott in der Höh sei Ehr / - und Dank für seine Gnade ..." Seine Gnade ist es, dass er sich seines Volkes angenommen hat. Es geht so, wie es beim Propheten Jesaja (9,1) heißt: „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht." Das Wunder an der Witwe und ihrem Sohn ist ein Zeichen, das alle Beteiligten darauf hinweist: Ihr seid gewiss nicht wohl dran, Dunkelheit breitet sich aus, aber ihr seid ihr nicht preisgegeben. „Hebt eure Häupter empor; denn eure Erlösung naht." (Lk. 21,28). Sie kommt von dem einen, den die Leute in unserer Geschichte priesen.

Beachten wir das doch Auffallende! Die Leute singen nicht bloß: Gott ist in dieser Geschichte bei jener Witwe und ihrem Sohn eingekehrt, in diesem bloßen, besonderen Einzelfall. Mehr, viel mehr: Wie diese einzelne Geschichte zeigt, ist sie ein Beispiel und Beleg dafür, dass Gott sein Volk besucht. Sie ist ein Zeichen, wie sich Gott aller annimmt und annehmen wird. Ob die Teilnehmer an jenem Trauermarsch mehr oder weniger von jenem Trauerfall betroffen waren? So oder so, sie alle haben es nötig und sie alle sind damit erfreut und aufgerichtet, dass Gott sie samt und sonders besucht hat. Gott will gewiss hier und da diesen und jenen helfen, einem jedem und einer jeder so, wie sie es nötig haben. Aber er will keine Privatseligkeit, kein stilles Glück im Winkel. „Gott will, dass allen geholfen werde", wie es im 1. Timotheusbrief (2,4) heißt. Und das ist nach unserer Geschichte nicht nur den Vielen sozusagen über ihren Kopf hinweg, als bloß passiven Empfängern zugedacht worden. O nein, die Lippen der Empfänger öffnen sich. Gott will uns nicht nur geben. Er will, dass wir den Empfang in Wort und Tat bestätigen. Und so kommt es nun dankbar auf ihre Lippen. „Und sie priesen Gott", und zwar mit den Worten: „Gott hat sich seines Volkes angenommen." Dieser Gesang ist wie eine Vorwegnahme dessen, was im letzten Buch der Bibel uns allen und allen anderen verheißen ist, worauf wir hoffen dürfen: „Eine große Schar, welche niemand zählen konnte, aus allen Heiden und Völkern und Sprachen ..., betete Gott an und sprach: Lob und Ehre und Weisheit und Dank und Preis und Kraft und Stärke sei unserem Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen." (Offenb. 7,7.12)





Prof. Dr. Eberhard Busch
37133 Friedland bei Göttingen
E-Mail: ebusch@gwdg.de

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