Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

16. Sonntag nach Trinitatis, 15.09.2013

Predigt zu Lukas 7:11-17 *, verfasst von Jochen Riepe

 

I

Das kennt fast jeder : Vor einer Aufgabe - sich wegducken. Vor einem Ruf - sich in der Ecke verstecken. Beim morgendlichen Wecken - nicht aufstehen wollen. Das ist menschlich. Wenn Christus kommt, liebe Gemeinde, uns berührt und ruft , ändert sich das.‘ Steh auf ! Komm, gehen wir !‘ und wir - stehen auf und loben Gott.

II

Wenn man nach langer Zeit einen Jungen oder ein Mädchen wieder sieht , dann kommt uns manchmal dieser Satz über die Lippen : ‚Na, der (oder die) hat sich aber gemacht.‘ ‚Du bist so vernünftig... schon fast erwachsen.‘ Die dabeistehenden Eltern freuen sich dann in der Regel : ‚...endlich aus dem Gröbsten heraus‘. Die jungen Leute selbst aber können etwas betreten , gar beschämt oder peinlich berührt sein ... so als wollten sie sagen : ‚War ich denn vorher so unvernünftig - so ungemacht?‘

III

Jesus kommt mit seinen Jüngern nach Nain , einer Stadt in Galiläa, die übersetzt ‚die Liebliche‘ heißt. Aber unser erstes Bild ist - erschreckend oder zumindest verstörend. Am späten Nachmittag. Am Stadttor begegnet uns ein Trauerzug. Der Tote , fast ein Kind noch, der vielleicht sechzehnjährige einzige Sohn seiner Mutter, die selbst Witwe ist. Es wird in den Ohren weh getan haben. Sie weint , sie schreit und alle, die dabei sind, weinen mit. Auch die Fremden, völlig überrascht, wie benommen, werden von der Trauer erfaßt worden sein. Man muß diese Szene des Schmerzes nicht ausmalen. Wie konnte das geschehen? Warum hat Gott das zugelassen ?

IV

Alle weinen mit . Aber wie bei jedem Trauerzug : Es wird auch geredet, um nicht zu sagen : getratscht oder gar gelästert. ‚Das konnte doch nicht gutgehen mit den beiden. Da fehlte der Mann im Haus. Tagelang blieb der Junge im Bett und verweigerte das Essen. Kein Wort kriegte er mehr heraus. Das konnte doch nicht gut gehen‘. Was war geschehen? Wir wissen das nicht, man kann nur ahnen oder spekulieren .** Fehlte dem Jungen der Elan, der Mumm, die Körperspannung sozusagen? Fühlte er sich überfordert ? Wurde die Mutter mit der Situation nicht fertig ? Machte sie ihrem Sohn Druck ? Überhäufte sie ihn mit Vorwürfen? ‘Groß genug war er doch‘, sagen die Leute. ‚Aber irgendwie - die Seele eines Kindes im Körper eines Heranwachsenden‘.

V

Das kennt (fast) jeder : Der Wecker klingelt. Noch einmal umdrehen. Der andere ruft. Wieder umdrehen. Vorwürfe. Schimpfen. Mahnungen. Noch einmal unter die Decke kriechen. ‚Ja, gleich. Später . Nachher‘. ‚Was ist bloß mit mir los?!‘ fragen , klagen wir dann ... ‚schlapp, antriebslos, so lethargisch wie ich bin‘. So kann es jedem von uns gehen - auch euch jungen, quirligen Konfirmanden . Wenn junge Leute so schläfrig werden, liebe Eltern , ist das in der Regel eine begrenzte Phase und die Psychologen sagen : eine notwendige Zeit, in der eine Menge unbewußt , gleichsam hinter unserem Rücken passiert. Was aber, wenn aus der Phase eine Haltung, Gewohnheit, ja Krankheit wird? ‚Mir schmeckt nichts. Mich reizt nichts. Es ist alles so sterbenslangweilig‘. Lebensverdruß noch bevor man gelebt hat , ‚untot‘ wie es in der Jugendsprache heißt; nicht tot, aber auch nicht lebendig.

VI

Jüngling! Junger Mann , steh auf!‘ Jesus berührt den Sarg und spricht in Vollmacht in diese Situation hinein. ‚ Weine nicht!‘, sagt er der Mutter und unterbricht damit den unendlichen Strom der Klagen, der Vorhaltungen , Vorwürfe , der Schuld und der Schuldgefühle. Er berührt den Sarg und nennt dieses leblose Kind einen - Mann. Durch den Trauerzug geht ein Murmeln, Raunen , Schimpfen. Wie unsensibel! Wie kann er der Frau ihre Trauer verbieten ? Was Jesus, liebe Gemeinde , anders macht als wir, ist dieses : Er macht aus dem , über den alle nur gesprochen oder eben gelästert haben, der gleichsam in einer Grabeshöhle aus Erwartungen und Enttäuschungen eingekerkert war , ein Gegenüber , eine Person , die ernstgenommen wird - an dem Ort , an dem sie steht oder eben - liegt. Er holt durch seinen Ruf gleichsam in diesen ja schon erwachsenen Körper den Geist , die Seele eines Erwachsenen hinein , so daß das Kindliche weichen kann. Der Junge ‚richtet sich auf‘ und fängt an zu ‚reden‘ - endlich !

VII

Wie geht die Geschichte aus ? Jesus schickt den jungen Mann nicht weg oder rät ihm , nun ganz woanders neu anzufangen. Jesus gibt ihn seiner Mutter zurück, so heißt es schließlich, aber wir wissen jetzt : Er gibt ihn zurück als einen - erwachsenen Mann. Damals bedeutete das : Er wird nun die Mutter seiner Pflicht entsprechend nach außen vertreten. Er wird für sie sorgen, wenn sie es selbst nicht mehr kann. Es hieß aber auch : Sie wird ihn in seiner neuen Position in der Familie anerkennen und ihn nicht bevormunden. Furcht und Jubel vor dem Stadttor und unter lautem Gotteslob kehrt man in die Stadt , nach Nain , ‚der Lieblichen‘, zurück. Was für ein Besuch ! Jetzt hat die Stadt ihren Namen verdient. Erwachsenwerden bedeutet : um den Tod wissen, um die Begrenztheit und Verletzbarkeit von Leib und Leben. In Christus erwachsen werden heißt mehr : durch den Tod ins Leben , in ein neues - aufgerichtetes - Leben gehen.

VIII

Am Ende , ich sagte es schon : Wenn man ein Mädchen oder einen Jungen nach vielen Jahren wiedersieht, dann kommt einem dieser - eher unschöne - Satz schon über die Lippen :‘Na, der hat sich aber herausgemacht‘. Für die jungen Leute kann das peinlich sein : War ich denn vorher so ‚ungemacht‘? Ja, sagen wir , wir sind nicht , wir werden und das mitunter unter großen Schmerzen. Nicht wahr , liebe Eltern, so klug wie heute waren auch wir früher nicht . Auch wir sind geworden ,sogar andere geworden- und wir werden weiter. Gott sei Dank ! Wer weiß , wohin Er uns noch bringen wird ! 

 



Pfarrer Jochen Riepe
44137 Dortmund
E-Mail: Jochen.Riepe@gmx.net

Bemerkung:
* Predigt in einem Gottesdienst, in dem die neuen Konfirmanden und ihre Eltern begrüßt werden.

** Bezogen auf den Kasus war hilfreich für den Prediger (und Katecheten): F. Dolto, Von den Schwierigkeiten , erwachsen zu werden. Stuttgart(Klett-Cotta) 4. Auflage 1992


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