Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Michaelistag, 29.09.2013

Predigt zu Matthäus 18:1–6.10 "werden wie die Kinder", verfasst von Michael Plathow

 

 

Engel in unserem Leben

  Liebe Gemeinde am Michaelstag und aller Engel, der in diesem Jahr mit dem Sonntag zusammenfällt, der die Auferstehung Jesu Christi er-innert. Der Tag des Erzengels Michael ist ein Christusfest, im liturgischen Weiß gehalten, das Jesus Christus, "wer wie Gott", bekennt als Überwinder der Macht der Sünde, des Bösen und des Todes, und die Möglichkeiten der Wirklichkeit Gottes anzeigt (Offb. 12, 7 - 12).

1. Liebe Gemeinde, von Engeln - wie hier in unserem Bibelabschnitt aus dem Mathäus-Evangelium - wird in den biblischen Zeugnissen oft und vielstimmig berichtet: Gottes Gegenwart in menschlichen Gestalten und eben auch ganz anders.

Heute wird nicht selten mit einer gewissen Selbstverständlichkeit unreflektiert und unkritisch von den Engeln gehandelt: "Engel auf Erden", "Wir sind keine Engel", "Engel über Berlin" lauten bekannte Filmtitel. In der Volks- und Schlagermusik erwecken sie sentimentale Gefühle. In der bildenden und lyrischen Kunst erfahren sie ästhetischen Ausdruck und Gestalt als Farb- und Sprachsymbole. Zugleich haben weder verniedlichender Kitsch, religionskritisches Zurückstutzen auf "metaphysische Fledermäuse", Erklärungen als personifizierte Ideen oder zu hinterfragende Religionspoesie sie aus unseren Herzen und unseren Lebenswelten beseitigen können.

Wenn die alt- und neutestamentlichen Schriften der Bibel von Engel reden, so deuten sie darauf hin: Unser Leben geht nicht im Berechenbaren auf, beschränkt sich nicht auf die Frage: Was nützt mit das? Es erschöpft sich nicht im Dreieck von Mittel - Zweck - Ziel, sondern es wird reich in seinem Nicht-Selbstverständlichen, auch in seinen Abgründen, wo unkalkulierte Liebe und geschenkte Zuwendung uns mit F. Mendelssohn-Bartholdys "Elias" erfahrbar machen: "Er hat seinen Engel befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest" (Ps 91, 11) auf unsere Bitte: "Bleibt ,ihr Engel, bleibt bei mir, führet mich auf beiden Seiten". Leben ist mehr und die Wirklichkeit Gottes mehr als menschlich erkenn- und machbare Realität.

Engel als "dienstbare Geister" (Hebr 1, 14) und Begleiter Gottes, sanft oder streng, erweisen sich als Boten von Gottes leben erhaltendem und Zukunft erschließendem Handeln, von seiner Liebe uns zum Heil, von seiner Gegenwart in der Gemeinde durch den heiligen Geist. Sie verkünden den offen Himmel des Reiches Gottes hier, der höher ist als unser Verstand, der weiter ist als unser von Raum und Zeit begrenzter Realitätssinn. Der heilige Gott, fern und nah, ist da durch seine Aura von "guten Mächten wunderbar geborgen".

Letztlich gibt auch die bildende, tönende und lyrische Kunst darauf Antwort. Die weichen und die herben Gestalten, die zarten und die donnernden Töne, die schwingende und die kantige Metrik der Dichtung und eben der Gesang der Gemeinde preisen mit dem "himmlischen Heer" den lebendigen Gott, der uns zum Heil Mensch wurde und uns in seinen Boten nah ist. Glauben, Sehen und Hören nimmt da noch mehr auf als ästhetischer Geschmack und seelisches Gefühl.

Liebe Gemeinde, im Alten und Neuen Testament wird auch von Engeln erzählt, die Menschen zum Verwechseln ähnlich sind (Gal 4, 14). Es wird erzählt von Menschen wie von Engeln, weil sie anderen Helfer, Tröster, Begleiter, Botschafter sind, wie eine Mutter, die das Töchterchen mit "Mein Engel" selig umarmt, wie der Patient der Schwester dankt: "Sie sind ein Engel", wie jemandem, der mir in bedrängender Situation half, der das befreiende oder weisende Wort sprach, der mit seinem Vertrauen und seiner Liebe Freude bereitete und Liebe weckte, der Engelname zugesprochen wird. "Es müssen nicht Männer mit Flügeln sein"; "wirst du für mich, werd ich für dich ein Engel sein?"; Engel "für andere", Engel als Nächste für nahe und ferne, die Trost und Begleitung, Liebe und Freude brauchen in angebrochenen und anbrechenden Reich Gottes.

2. Liebe Gemeinde, in der Beispielerzählung Jesu vom Reich Gottes dienen die Engel der Wertschätzung der Kinder; die Engel sind als himmlische Repräsentanten der Kinder gedacht. Vielstimmig wie von den Engeln wird auch von Kindern in der Bibel erzählt: die gegen alle Regeln späte Geburt eines Kindes (Gen 18; 1. Sam 1), der Bevorzugte (Gen 37 - 50), das Nesthäkchen (Gen 43 - 45), die Geschwisterrivalen (Gen 25;24ff), der Draufgänger (Ri 13), der Gottesfürchtige (Dan 1), der Begleitete (Tob 1), der Vorläufer (Lk 1, 41), die Spielverderber (Mt 11, 16f), Gottes eingeborener Sohn unser erstgeborener Bruder (Röm 8, 29; Hebr 1 u. 2). Hier in der Predigt Jesu wird das Kind als Vorbild des Glaubens hingestellt, wie auch die Glaubenden Kinder Gottes genannt werden (Gal 4, 4 - 7).

Erinnern wir uns: da geht eine düster und starr vor sich hinschauende Greisin. Eine ihr bekannte Frau mit Kinderwagen kommt entgegen. Die alte Frau schaut hinein. Ein Lächeln verändert ihr Gesicht; die leuchtenden Augen des Kindes lassen die ihren erstrahlen, weil die Mutter es angelächelt und liebevoll angeredet hat.

In entsprechender Weise geht solch ein Blickwechsel in der Sehschule des Glaubens von Gott aus. Engel als Repräsentanten der Kinder erwidern den Augenkontakt Gottes. So schafft Gottes Augen-Blick das Sehen der Wirklichkeit mit den Augen des Glaubens. Wie die Kinder sind die Glaubenden Angesehene, Empfangende, Erwidernde, Vertrauende.

Das Kind - Vorbild des Glaubens: Kinder erfahren sich im sozialen Mutterleib lange als bedingungslos Beschenkte und Empfangende; ohne Unterlass können sie bitten wimmernd, weinend, schreiend; ihr ständiges Fragen und Weiterfragen öffnet Neues und lässt eigene Grenzen erkennen und anerkennen; versonnen und frei spielen Kinder in einer Wirklichkeit, unbegrenzt von Raum und Zeit.

Wenn Jesus in der Beispielerzählung vom "Werden wie die Kinder" spricht, so meint er keine infantile Zurückentwicklung; auch spricht er keinem irrealen Jugendwahn das Wort; weder einen unkritischen Autoritätsgehorsam noch die den Verstand ausschaltende Unmündigkeit meint er. Solche Arten von Kindsein, die ins Kindischsein verkehren, sind als erstes beim Erwachsenwerden abzustreifen.

Dem Glauben von Erwachsenen ist so alles Infantile und Kindische fern. Aber eben nicht selten sind Erwachsene in Glaubensdingen Zurückgebliebene, verharren und erstarren gar auf dem Entwicklungsstand von Kinder, die nicht erwachsen werden. Demgegenüber lässt der Glaube, dieses grundlegende, Leben bestimmende Vertrauen auf den, der uns gut ist, - demgegenüber lässt der Glaube das eigene Selbst, befreit vom verzweifelt ein Selbst oder nicht Selbst sein zu wollen, durchsichtig werden für den, der es in Freiheit gesetzt hat in der Wirklichkeit vor und mit Gott (S. Kierkegaard, Krankheit zum Tode). Diese Freiheit des Glaubens meint Jesus, wenn er vom Kindsein und Kindwerden spricht: das Selbstsein und Selbstwerden als freie und authentische Person mit und vor Gott durch den Glauben.

Glück bedeutet es, als Erwachsene das Kind in Mann und Frau leben zu können: nicht nur mit Elektroeisenbahn und im Fußballtor mit Sohnemann oder bei jauchzendem Tanz im Sommerregen nach drückender Schwüle. Glück des Glaubens, des Glaubens der Erwachsenen, bedeutet es, empfangend, betend, fragend, im selbstversonnenen Spiel des kosmischen Gesangs der Engel, hineingenommen sein in die Wirklichkeit Gottes "wie die Kinder", durch Diskrepanzerfahrungen hindurch getragen.

Da ist unser Leben im scheinbaren Realismus nicht auf Aufgaben, auf Haben und auf Ziele beschränkt, weil Kinder als Vorbild des Glaubens uns Pfad-Finder sind für ein Leben vor Gott und auf Gott hin. Darum: wer "groß sein will", der sei wie solch ein Kind. Und Christus, Gottes eingeborener Sohn unser erstgeborener Bruder, ist uns Urbild des Glaubens, des Glaubens an die Wirklichkeit Gottes, die er durch die Überwindung der Macht der Sünde, des Bösen und des Todes schon eröffnet hat, um sie als Reich Gottes zu vollenden.

3. Liebe Gemeinde dieses sonntäglichen Michaelstages, Engel als Repräsentanten der Kinder vor und auf Gott hin sind es, die die Nähe des fernen Gottes darstellen, die Aura seiner Heiligkeit anzeigen und seine Herrlichkeit in Jesus Christus, dem Urbild des Glaubens, durch den heiligen Geist je neu erschließen.

Mit M. Luther Morgen- und Abendsegen beten wir darum antwortend: "Dein heiliger Engel sei mit mir, dass der böse Feind keine Macht an mir finde". Und im "Beten, Tun des Gerechten und Warten auf die Zeit Gottes" setzen wir, "von guten Mächten wunderbar geborgen" trotz der Stolpersteine, die Leben zerstören und Zukunft verschließen wollen, trotz der Verstrickungen durch die todbringenden Kräfte der Sünde und des Bösen unsere Schritte an jedem neuen Tag (D. Bonhoeffer). Und in der Gemeinschaft des Abendmahl singen wir hier das "Heilig, heilig, heilig" zusammen mit den Chören der "dienstbaren Geister" im Himmel und auf Erden.

Kommt, Ihr seid geladen. Amen.

 



Prof., Pfr. i. R. Michael Plathow
69117 Heidelberg
E-Mail: michael@plathow.de

(zurück zum Seitenanfang)