Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Michaelistag, 29.09.2013

Predigt zu Matthäus 18:1-6.10, verfasst von Andreas Schwarz


Liebe Gemeinde,

als wir zu Beginn der Sommerferien mit Jugendlichen in Hamburg waren, haben wir uns auch eine der sogenannten fünf Hauptkirchen der Stadt angesehen. Und zwar die bekannteste und größte, im Stadtteil St. Pauli: den Michel. Genauer: die Hauptkirche St. Michaelis mit der beeindruckenden Darstellung des Kampfes zwischen dem Erzengel Michael und dem Drachen. Die Geschichte dazu haben wir als Epistellesung vorhin gehört. Diese Skulptur war schon einige Male auf dem Gottesdienstblatt zum Michaelisfest abgedruckt.
Es ist eine besondere Kirche, mit fünf Orgeln, sehr reich geschmückt, sehr hell, riesengroß - und sie ist, wie alle Hauptkirchen in Hamburg, evangelisch. Und sie heißt St. Michaelis, nach dem Erzengel Michael.
12 Jahre bin ich nun hier in der Gemeinde in Pforzheim und wurde am Sonntag Michaelis 2001 hier eingeführt. 76 Taufen haben wir seitdem hier feiern dürfen und allein 12 mal haben die Eltern als Taufspruch einen Vers aus Psalm 91 ausgewählt: „Der Herr hat seinen Engeln befohlen".
Die Macht des Erzengels Michael, das Böse zu besiegen und die Zusage Gottes, seine Menschen zu schützen, prägen diesen Feiertag. Ich habe mich also darauf eingestellt, über Engel zu predigen und lese das Gotteswort für den Tag des Erzengels Michael und aller Engel:

Zu derselben Stunde traten die Jünger zu Jesus und fragten: Wer ist doch der Größte im Himmelreich?
Jesus rief ein Kind zu sich und stellte es mitten unter sie und sprach: Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.
Wer nun sich selbst erniedrigt und wird wie dies Kind, der ist der Größte im Himmelreich. Und wer ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf.
 Wer aber einen dieser Kleinen, die an mich glauben, zum Abfall verführt, für den wäre es besser, dass ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ersäuft würde im Meer, wo es am tiefsten ist.
Seht zu, dass ihr nicht einen von diesen Kleinen verachtet. Denn ich sage euch: Ihre Engel im Himmel sehen allezeit das Angesicht meines Vaters im Himmel

Es geht also gar nicht zuerst um Engel, sondern um Kinder. Ob das ein Widerspruch ist? Oder doch zusammengehört?
Wenn es um die besten Plätze geht, um Macht und Ansehen, dann spielen die Kinder keine Rolle, natürlich nicht. Politiker sind gefragt, Wirtschaftsbosse und vielleicht Kirchenführer - aber nicht Kinder. Die müssen nur so erzogen und geführt werden von den Großen, damit sie bald in deren System passen und irgendwann deren Plätze einnehmen. Aber als Kinder spielen sie keine Rolle.

Unvergessen in der Debatte um die Verkürzung der Schulzeit im Gymnasium von neun auf acht Jahre das Argument eines damaligen Parteivorsitzenden: wir müssen dafür sorgen, dass die jungen Menschen der Wirtschaft so schnell wie möglich zur Verfügung stehen.
Da offenbart sich deutlich, wo die Interessen liegen. Jedenfalls nicht bei den Kindern und dem, was sie für ihr Leben brauchen und was ihnen gut tut, sondern allein bei dem, was der Wirtschaft Nutzen bringt.

Ganz weit weg ist der Erwachsenengedanke in der Kirche auch nicht. Immer wieder war und ist bei den Debatten auf Synoden, wenn es um die Jugendarbeit geht, zu hören, wie wichtig diese Arbeit sei und zu unterstützen und zu begrüßen. Denn - so das Argument - die Jugend sei die Zukunft der Kirche. Als Beauftragter für Jugendarbeit war und ist es mir dann immer ein Anliegen, darauf hinzuweisen, dass das höchstens die halbe Wahrheit ist. Jugend ist auch die Gegenwart der Kirche. Kinder und Jugendliche sind wichtig jetzt, so wie sie sind und nicht erst dann, wenn sie erwachsen sind.
Erwachsen, ausgebildet, reif, erfahren zu sein, ist nicht der einzige Maßstab für das Wesen von Kirche.
Auch wenn das menschlichen Postionen widerspricht. Zur Zeit Jesu in besonders drastischer Weise. Kinder waren unbedeutend, machtlos, missachtet. Sie waren rechtlich und auch im Blick auf die medizinische Versorgung an den untersten Rand der Gesellschaft gestellt - noch unter den Frauen. In der griechischen Sprache wird das noch dadurch verstärkt, dass für Kind und Sklave das gleiche Wort benutzt wird. Kinder wurden wertvoller, wenn sie arbeiten konnten, wenn man sie gebrauchen konnte.
Sie waren also in jeder Hinsicht abhängig von den Erwachsenen, auf deren Gunst angewiesen und oftmals deren Macht schutzlos ausgeliefert.

Auf die Frage der Jünger nach den Größten im Himmelreich stellt Jesus ein Kind in ihre Mitte. Das muss irritierend für sie gewesen sein, und wir können das sicher nachvollziehen.
Kinder als Teil, sogar Vorbild für den Platz im Himmelreich? Die wissen doch noch nichts, können nichts, sind vielleicht niedlich und in einigen Jahren von Bedeutung. Aber jetzt, als Kinder? Kleine Kinder sogar, wie Matthäus betont.

Nun wissen wir sehr wohl, dass es mit den Kindern auch eine andere Erfahrung gibt. Dass sie fordernd sein können, auch rücksichtslos und brutal. Dass sie große Wünsche haben, die sie hemmungslos durchsetzen wollen. Dabei geraten Eltern oft gehörig unter Druck, wenn sie nicht für die neuste Elektronik oder die angesagte Modemarke sorgen. Da können die Erwartungen ganz schön unverschämt, der Umgangston ziemlich rau und respektlos werden.

Kinder sind sicher nicht die guten Menschen, etwa von der Sünde verschont und darum aufgrund ihrer Kleinheit geborene Anwärter auf einen Platz im Himmel.

Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, sagt Jesus trotzdem und weiß sehr wohl, dass Erwachsene in ihrer Entwicklung nicht wieder Kinder werden können und auch nicht kindisch werden sollen.
Wer nun sich selbst erniedrigt und wird wie dieses Kind, der ist der Größte im Himmelreich.

Sich erniedrigen, klein sein wie ein Kind, das steht der Frage der Jünger nach dem Größten im Himmelreich gegenüber. Das Streben nach Größe, nach Ansehen, nach Position, nach Macht ist es, was die Menschen antreibt. Bestätigung, Auszeichnung, Lob, Ehre, Wertschätzung - das offensichtlich braucht der Mensch, um zufrieden zu sein. Groß zu sein im Vergleich zu anderen, also: besser, größer zu sein, um sich gut zu fühlen - auch in Fragen des Glaubens, auch gegenüber dem himmlischen Vater.
Darum verweist Jesus auf ein kleines Kind, denn das kann da nicht mithalten, beim besten Willen nicht. Es bleibt bei diesem Wettkampf immer hinten, natürlich.

Aber genau das ist die Eintrittskarte in den Himmel: im Kampf um vordere Plätze keine Chance zu haben und darum am Streit gar nicht erst teilzunehmen.
Es gibt den Platz im Himmelreich entweder unverdient, geschenkt oder es gibt ihn gar nicht. Wer ihn sich verdienen will mit dem Hinweis: ich bin gut, ich bin besser als andere, ich beziehe im Frömmigkeitswettbewerb garantiert einen vorderen Platz, der wird nicht hineinkommen.

An dieser Frage: setze ich beim Zugang zum Himmelreich auf mich, meine Fähigkeiten, meine Frömmigkeit, mein Tun oder setze ich allein auf Jesus Christus, entscheidet sich alles. Da entscheidet sich das Leben, denn es ist Jesus Christus, der mir den Himmel aufschließt, der mir Sünde vergibt, mich annimmt, mich mit hineinnimmt in sein Reich.

Da gibt es tatsächlich nur ein entweder-oder, kein sowohl-als auch, oder ein bisschen vielleicht doch.
Kinder sind Menschen, die grundsätzlich beschenkt werden müssen, sonst können sie nicht leben. Sie sind nicht in der Lage, für sich selber zu sorgen.
Darum dienen sie als Vorbild für die Frage, wer denn einen Platz im Himmel bekommt.
Das ist uns auch liturgisch bekannt, denn bei jeder Taufe wird dieser Hinweis Jesu als Evangelium gelesen.
Aber hier geht Jesus noch einen Schritt weiter. Und da kommen dann auch doch noch die Engel ins Spiel.
Die Kinder bekommen nicht nur die sichere Zusage von Jesus, einen Platz im Himmel zu erhalten. Sie stehen auch mit ihrem Leben hier unter besonderem Schutz und besonderer Aufmerksamkeit.

Erwachsene werden in die Verantwortung genommen, Kinder nicht zum Abfall zu verführen. Kinder also nicht in das erwachsene Schema zu erziehen, dass jeder das bekommt, was er verdient und nur das im Leben zählt, was man sich selbst erarbeitet hat.
Wir Erwachsene sind beauftragt, Kinder dahingehend zu erziehen, dass das wichtigste im Leben ein Geschenk ist und wir eben nicht von dem leben, was wir uns verdienen, sondern was uns gegeben wird, ohne dass wir einen Anspruch oder ein Recht darauf hätten.

Der Wert des Lebens bemisst sich nicht nach seinem zählbaren Nutzen und darum ist es Verführung, Kinder nach den Gesetzen der Marktwirtschaft zu erziehen. Kinder sind wertvoller als das Bruttosozialprodukt eines Staates.
Sie dienen überhaupt nicht der Erfüllung erwachsener Interessen - weder als billige Arbeitskräfte, noch für persönliche, gar sexuelle Befriedigung.

Und wer meint, Kinder seien so machtlos, mit denen könne man hinter verschlossenen Türen machen, was man wolle, das gehe niemanden etwas an, sieht auch keiner, bekommt hier einen anderen Hinweis: Ihre Engel sehen allezeit das Angesicht meines Vaters im Himmel.

Es gibt immer jemanden, der die Kinder sieht, nämlich der persönliche, der Schutzengel. Und der tritt bei Gott selbst für die Kinder ein. „Der Herr hat seinen Engeln befohlen ...‘ Nichts bleibt unentdeckt und unbeobachtet. Vielleicht wird hier jemand nicht zur Rechenschaft gezogen, der ein Kind verführt oder missbraucht, die Engel sind da und stehen in enger Verbindung zu Jesu und unserem himmlischen Vater.

Alle Kinder Gottes - und dazu gehören auch wir Erwachsene - stehen unter seinem persönlichen Schutz. Dafür sind die Engel da, als Diener und Boten Gottes einzutreten gegen das Böse und für das Leben.

Denn das ist Gottes Wille, dass wir alle seine Kinder sind und bleiben und uns beschenken lassen mit dem Leben. Dem darf sich niemand entgegenstellen. Dafür sorgt er selbst, mit Michael und allen seinen Engeln. Dank sei Gott dafür durch Jesus Christus, unseren Herrn. Amen.

 



Pfarrer Andreas Schwarz
Pforzheim
E-Mail: p.andreas.schwarz@gmail.com

(zurück zum Seitenanfang)