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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Erntedanktag, 06.10.2013

Predigt zu Matthäus 6:19-23, verfasst von Ulrich Kappes

 

Vom Sog eines Strudels und seiner Überwindung

Am Erntedanktag werden Worte verlesen, die uns vor dem „Ernten" warnen. Ausgerechnet an diesem Tag hören wir in schroffer Alternative: Besitz oder Gott? Geld oder Gott? Gott gegen Geld, Gott gegen den Mammon. Unser Predigttext kann als eine Fortsetzung des Evangeliums vom reichen Kornbauern angesehen werden, dessen schreckliches Ende die Konsequenz eines Lebens allein mit vielen Gütern ist.

„Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo sie die Motten und der Rost fressen ..."

Das griechische Wort für Schätze heißt „Thesauros". Das waren in Athen kleine Behälter zum Aufbewahren von Münzen. I1I
Das Bankwesen unserer Tage hat sich den klangvollen Namen „Thesauros" zu Nutze gemacht und lädt ein, „Thesaurierungsfonds" zu kaufen. (Hier wird der Gewinn nicht jährlich ausgeschüttet, sondern „thesauriert" - gesammelt.)

Verstehen wir Jesu Worte als eine Mahnung, ja ein Verbot, keine Sparbüchsen anzulegen oder gar Geld auf die Sparkasse zu tragen oder Erspartes in Investmentfonds zu vermehren?

„Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo sie die Motten und der Rost fressen ..."
Einige Einwände, die in uns gegen diese pauschale Forderung aufsteigen, sollen benannt werden.

Erster Einwand.

Carl Améry war ein jüdischer Gefangener in einem Konzentrationslager und überlebte. Rückblickend erinnert er sich, dass jeder Häftling, der nichts besaß als vielleicht seine Mütze, seinen Löffel und seine Gabel mit aller Leidenschaft diesen kleinen Besitz hütete.
Wer bin ich, der Lagerhäftling 2345? ‚Ich bin der mit dieser und gar keiner anderen Mütze und diesem bestimmten Löffel.' I2I

Carl Améry fragte nach der Befreiung aus dem KZ nach dem Verhältnis von Person und Besitz: Wie viele „Schätze", die von „Motten und Rost gefressen werden", braucht der Mensch, um Ich zu sein? Gehört es dazu, ein Individuum nur dann zu sein, wenn ich bestimmte Dinge mein eigen nenne? Macht es die Person des Menschen aus, dass er sich über sein Haus, seinen Garten, sein Monatseinkommen ... versteht? Améry antwortete mit dem Blick auf sein Haus und seinen Pool: Unbedingt.

Zweiter Einwand.

Wir leben in einer Gesellschaft, in der im weltweiten Wettbewerb Leistung und Qualität gefordert sind. Wer das nicht bringt, verliert gegen den, der Leistung und Qualität bringt. Die Frage an die Worte Jesu heißt: Kann man auf das System von Lohn und Leistung verzichten? Arbeitet einer auch dann so, dass er Höchstleistungen vollbringt, wenn es egal ist, wie er dafür belohnt wird? Hat der, der mehr arbeitet, Anspruch auf „Schätze und Besitz" und ist das nur gerecht?

Und schließlich der 3. Einwand.

Spätestens von Menschen, die das Rentenalter überschritten haben, wird erwartet, dass sie Vorsorge für sich treffen. Es können schwere und teure Zeiten einer Altenpflege kommen. Menschen haben Sicherheitsbedürfnis. Um das zu stillen, müssen sie Geld sammeln. Sollen sie darauf verzichten? I3I

„Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo sie die Motten und der Rost fressen ..."
Heißt unsere Antwort: Lieber Herr, es geht aber gar nicht anders?

Nach der Mahnung, sich keine irdischen Sätze zu sammeln, folgen in unserem Predigtabschnitt die Worte von Auge und Licht: „Das Auge ist das Licht des Leibes. Wenn dein Auge lauter ist, so wird dein ganzer Leib licht sein."
Hier wird gesagt, dass ein Auge, das immer zu auf das Lichte und Schöne sieht, den ganzen Leib verwandelt und ihn licht und schön macht.
Die biologische Erforschung des Auges, die „Sehoptik des Auges", sagt nach dem gegenwärtigen Wissensstand, dass unser Auge nur darauf ausgerichtet ist, die Sonne und das Licht zu sehen und das an die Sinne weiter zu geben. Das Auge will Sonne, nur Sonne.

I4I Ich verstehe diese Worte von Auge und Licht im Anschluss an die Mahnung, sich keine Schätze zu sammeln als einen Appell, wie das Auge zu leben: ausgerichtet zu sein, unablässig auf den hin zu leben, den die Schrift „Sonne und Schild" nennt.

Und so setze ich fort:
Nur der, der unablässig auf Gott sieht, wird die scharfen Worte Jesu „Entweder Gott oder der Mammon" annehmen und leben können. Fehlt der Blick auf Gott, dann fehlt es an der Kraft, sich gegen den Mammon zu entscheiden.
Gott und der Mammon sind Gegensätze, die sich ausschließen.

Warum ist der Mammon das Gegenteil von Gott und wir haben die alles andere als schiedlich-friedliche Wahl zwischen beiden?
In meiner Zeit als Pfarrer in Berlin kam vor einigen Jahren ein junger Mann zu mir. Er hatte Geld, viel Geld von seinem Vater geerbt, war aus Neuköln nach Pankow gezogen. Als er auch hier keine Arbeit bekam, finge er an, das Erbe des Vaters in Aktienpapieren anzulegen. Das ging eine Zeit gut. Ihm fehlte aber das Insiderwissen und das Glück. Er setzte auf diese Aktie und jene, kaufte und verkaufte ... und stand am Ende mit nichts da. Hartz IV.

Ich höre es noch wie heute: „Ich konnte nicht anders. Ich musste kaufen und verkaufen."

Es war im Jahr 2008. Er war ein Mosaikstein eines weltweiten Zusammenbrauchs von Banken. Eine der größten Banken der USA, die Lehmann-Brothers wurde insolvent. Eine Weltkatastrophe, darin bestehend, dass Banken nicht mehr zahlungsfähig sind, zeichnete sich am Horizont ab.

Was der junge Mann im Kleinen bekannte, wurde als weltweite Manie offenbar. Unendlich viele Banker hatten ihr Geld auf ungesicherte Immobilien gesetzt, haben auf Pleiten gewettet und in höchst fragwürdige Industrien investiert. Sie waren wie in einem Rausch und man sagt, manche könnten das bis heute nicht ablegen.

Was ist das Problem von Geld? Was ist das hervorstechende Merkmal des Mammons, den Jesus Gott gegenüber stellt wie den Tod dem Leben?
Geld und Besitz können das einzige im Leben eines Menschen werden, das ihn beschäftigt. Er lebt, aber er lebt im Grunde nur für seinen Besitz. Ist das so, dann ist Geld ein Strudel, der gandenlose in die Tiefe zieht. Keine Chance. Wer dem Mammon die Hand reicht, ihn im Herzen nicht verabscheut, wird ihm erliegen, wie es gegen einen Strudel keine Hilfe gibt.
Und wer ist in diesem Bild Gott? Er ist das Boot, das über den Strudel hinweg trägt, weit und breit das einzige Boot, das dem Strudel nicht erliegt.
Die Gegenüberstellung von Geld und Mammon und dazwischen ist nichts, heißt zugleich, dass der Dienst an Gott das einzige ist, was den tödlichen Strudel überwinden hilft.

Was bedeuten diese Worte nun für uns?

Es bleibt ja trotz allem, trotz der Bejahung der geradezu satanischen Macht des Geldes dabei, dass wir Freude an unserem Besitz, unseren „Schätzen" haben, denn sie sind ein Teil von uns selbst.

Wir können uns eine Welt nicht vorstellen, in der ein „normaler" Mensch mehr arbeitet als andere, aber dafür nicht mehr Geld erhält, einen größeren „Schatz" eben nach Haus trägt.
Und wir wissen, dass es ohne eine Sammlung von „Schätzen" für die Tage des Alters nicht geht, wollen wir doch unseren Kindern nicht zur Last fallen.

Noch einmal: Was bedeuten diese Worte, die in der Mitte der Bergpredigt stehen und auch dadurch eine zentrale Beschreibung eines christlichen Lebens sind, nun für uns?

Ich kann nicht anders als mit Martin Luther antworten und sagen, dass die Bergpredigt Jesu sich an jeden einzelnen richtet, aber nicht eine soziale Gesellschaftslehre ist.I5I
Jesus sagte den Hörerinnen und Hörern damals auf einem Berg in Israel und er sagt es über die Zeiten hinweg zu einem jeden und einer jeden von uns:

‚Entweder du liebst Gott über alle Dinge oder du liebst das Geld. Gott zu lieben, heißt, ein Mensch bleiben, das Geld zu lieben, bedeutet, das menschliche Angesicht zu verlieren. Ein Drittes, dazwischen Stehendes gibt es nicht.

„Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon."
Ist das eine Privatlehre, die für den privaten Lebensbereich gilt, darüber hinaus aber untauglich ist? Wird jetzt „Religion zur Privatsache" und nicht mehr?

Versteht man Luther recht, so bedeuten die Worte „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon!", dass ein Mensch dieses unter gar keinen Umständen auf seine private Existenz beschränkt, sondern immer und überall, so gut es geht, zu leben versucht.
„Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon", ist eine einzige Kampfesansage. Dem Mammon ist immer und überall zu widerstehen. Dieser Widerstand hat aber Grenzen, die nicht ich setze, sondern die vorgegeben sind. Jesus kannte sie sehr wohl. Er wollte keine Weltrevolution, wohl aber die Umkehr des einzelnen.
An mir ist es, in der Welt, in die ich hineingestellt bin, im Rahmen des Möglichen, eine Abkehr vom Mammon zu erreichen und immer von neuem, Gott und seine Ewigkeit als das wahre Ziel allen Lebens vor Augen zu haben.

 



Pfr. em. Ulrich Kappes
14943 Luckenwalde
E-Mail: ulrich.kappes@gmx.de

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