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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Erntedanktag, 06.10.2013

Predigt zu Matthäus 6:19-23 , verfasst von Uland Spahlinger


 

Vom Schätzesammeln und Sorgen

19 Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo sie die Motten und der Rost fressen und wo die Diebe einbrechen und stehlen.
20 Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo sie weder Motten noch Rost fressen und wo die Die­be nicht einbrechen und stehlen.
21 Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.
22 Das Auge ist das Licht des Leibes. Wenn dein Auge lauter ist, so wird dein ganzer Leib licht sein.
23 Wenn aber dein Auge böse ist, so wird dein ganzer Leib finster sein. Wenn nun das Licht, das in dir ist, Finsternis ist, wie groß wird dann die Finsternis sein!

 

Liebe Gemeinde!

Mein Religionslehrer im Gymnasium in Münster, das mag nun vielleicht vierzig Jahre her sein, er­zählte einmal von einem Krankenhausaufenthalt, bei dem ihm eine Schwester besonders freundlich und umsorgend begegnete. Auf seine Frage, warum sie so aufmerksam sei, habe sie ihm geantwor­tet: Ich arbeite für meine Perle in der himmlischen Krone. Er habe sich, so erinnere ich mich, da­nach nicht mehr so recht über den Dienst dieser Schwester freuen können.

Schätze im Himmel sammeln: das klingt nach geistlichem Egoismus, nach Eigennutz und nach der Übertragung einer höchst diesseitigen menschlichen Eigenschaft auf die Ewigkeit Gottes. An die Stelle des materialen Gewinnstrebens tritt ein geistliches, aber ebenso energisches. So zumindest kann man die Worte Jesu verstehen. So hat sie wohl damals jene fromme Krankenschwester ver­standen.

Aus einer Vorlesung über das Matthäusevangelium erinnere ich mich daran, dass gerade die Berg­predigt sich in wesentlichen Teilen einer Wanderpredigertradition verdankt: dort wurde auf alle Ab­sicherung des Lebens verzichtet um des Reiches Gottes willen. Ganz auf Gott zu vertrauen und das in der Lebensführung sichtbar werden zu lassen - das war die Absicht. Jesus war, das dürfen wir an­nehmen, eng mit dieser Bewegung verbunden - nicht umsonst finden sich solche Gedanken an zen­traler Stelle seiner Verkündigung. Ohne das Wissen um die frommen, besitzlosen Wanderer werden wir dem, worum es Jesus geht, kaum auf die Spur kommen.

Zunächst einmal kann man festhalten: Jesus kannte sich offenbar im Wesen des Menschen gut aus. „Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz," (V.21) - das scheint mir der Schlüsselsatz unseres Tex­tes zu sein. Er leuchtet sofort ein, so sehr, dass es schon fast banal klingt. Davor die Mahnung, nicht vergängliche Schätze aufzuhäufen, sondern unvergängliche. Danach spricht Jesus über das Auge - doch meint er offenbar den „ganzen Menschen". Ihn scheint also die Frage zu bewegen, worauf wir in welcher Weise und in welcher Absicht unser Auge werfen - und woran wir - dem entsprechend - unser Herz hängen.

Denn es ist ja nun einmal so: wenn wir Besitz sammeln, dann bindet das unsere Aufmerksamkeit. „Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz." Oft geht das mit Sorgen einher: Wird das Aktienbündel stabile Zuwächse haben? Werde ich die Raten für die Eigentumswohnung aufbringen können? Bin ich im Alter hinreichend gesichert? Gegen wen muss ich das alles schützen und verteidigen? In den meisten Fällen sind das ja berechtigte Fragen und Sorgen - aber richtig ist auch: Sie binden unsere Gedanken, sie schaffen Unruhe und Sorgen. Wir möchten unsere Zukunft absichern. Dahinter ver­birgt sich zum einen die sehnsuchtsvolle Illusion, wir könnten das irdische Leben immer weiter in Richtung Ewigkeit schieben (nicht unähnlich etwa dem grassiernden Anti-Aging-Wahn: immer älter zu werden und dabei immer jünger aussehen zu wollen); zum anderen - und darauf hat mich ein Radiokommentar von Norbert Reck in Bayern 2 aufmerksam gemacht - tappen wir damit in eine innerweltliche Falle, denn unser Lebenskonzept häuft ja nicht nur Schätze auf:

Was wir in die Welt bringen, bleibt in der Welt. Das ist eines der wichtigsten Gesetze der Ökologie. Die Erde ist ein nahezu geschlossenes System. Bis auf das Sonnenlicht und ein bisschen Meteoritenstaub stammt alles von unserer Erde und verbleibt auch auf ihr. Nichts verschwindet wieder. Und was wir aus den Rohstoffen der Erde herstellen - Kunststoffe, Schwermetallverbindungen, Uranbrennstäbe -, das bleibt uns erhalten, in all seiner Giftig­keit. Wenn wir uns nicht darum kümmern.

Früher glaubten wir, wir könnten unendlich viele Abgase in den Himmel blasen, der sei ja grenzenlos. Das ist lange vorbei. Wir haben längst gelernt, dass die Atmosphäre der Erde nicht endlos ist. Und auch Plastikflaschen verschwinden nicht, wenn sie ins Meer geworfen werden. Sie werden nur zu kleinen Teilchen zerrieben, bis die Fische sie fressen. Die Fische wiederum landen duftend auf unseren Tellern. Die chemischen Bestandteile der Plastikfla­schen sind längst in unserem Blut nachweisbar".1

Ich spinne Norbert Recks Gedanken weiter, wieder in Verbindung mit dem Jesuswort „wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz." Es ist ja eigentümlich: all das Wissen um die großen ökologi­schen Zusammenhänge, um die Notwendigkeit von Nachhaltigkeit und Behutsamkeit - das ist alles da. Und dennoch sind die kleinen Egoismen so stark: ich will mein Leben sicher und bequem ha­ben, ohne Krankheit und Schmerzen und Vergänglichkeit. Daran hänge ich mein Herz, darauf richte ich meine Energien: das Sammeln vergänglicher Schätze zur Absicherung des eigenen Lebens. Und verschließe die Augen davor, dass es so nicht funktioniert. weil ich auf vielfältige Weise in Kreis­läufe eingebunden bin, in denen zu uns zurückkommt, was wir in die Welt setzen.

Paulus sagt dazu einmal ganz trocken: „Gott läßt sich nicht spotten. Denn was der Mensch sät, das wird er ernten" (Gal. 6, 7). Manche halten das für eine Drohung - man könnte es auch als nüchterne Feststellung lesen. Es liefe auf einen Appell gegen den Wachstumswahn und das ökonomische Wachstumscredo „Nur weiter so!" hinaus. Wir wissen, dass es nicht „weiter so" gehen kann. Nur: wie dann?

Wanderprediger haben es da einfacher - besitzlos und ohne Ballast von Ort zu Ort ziehend und einen anderen Blick auf die Welt wagend. Worum also geht es Jesus, dem Wanderprediger, wenn er uns vorschlägt, unser Herz an einen anderen Schatz zu hängen, einen unvergänglichen? Worauf weist er uns eigentlich hin?

Mir scheint, es geht ihm nicht so sehr um den Gegensatz zwischen vergänglich und unvergänglich, sondern mehr um das Auge und das Herz. Es ist ja auffällig, wie er im zweiten Teil unseres Textes über das Auge und den Körper spricht: „Das Auge ist das Licht des Leibes. Wenn dein Auge lauter ist, so wird dein ganzer Leib licht sein. Wenn aber dein Auge böse ist, so wird dein ganzer Leib finster sein. Wenn nun das Licht, das in dir ist, Finsternis ist, wie groß wird dann die Finsternis sein!" (Vv. 22.23). Was für einen Blick wirfst du auf die Welt, in der du dich bewegst? Wie schaust du die Menschen an, wie das Leben, wie die Schöpfung, wie die Aufgaben, die dir gestellt sind? Wie das, was dir anvertraut ist?

Mir kommt hier das Doppelgebot der Liebe in den Sinn, das Jesus in bester Tradition des jüdischen Glaubens ins Zentrum der Gottesbeziehung stellt: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst" (Lk. 10,29, vgl. auch Mt. 22,37-39). Es gibt, heißt das doch, eine unlösbare Verbin­dung zwischen deiner Gottesbeziehung und den Beziehungen zu den Menschen um dich herum. Du lebst nicht aus dir selbst. Dein Leben ist nicht deine Leistung, es ist dir geschenkt und anvertraut. Es ist prinzipiell gleich wertvoll wie jedes andere Leben, das geschenkt wurde. Und deshalb kannst und sollst du auch nicht für dich allein leben wollen.

Jesus lenkt den Blick also gerade weg von einer geistlichen Selbstgenügsamkeit, die sich bis zu Gottes Ewigkeit hindehnt. Im Gegenteil: Der Gegenwart Gottes kannst du schon hier und jetzt be­gegnen, nämlich in dem, wie du mit deinen Schwestern und Brüdern zusammenlebst. Leben heißt teilen, dem abgeben, der wenig hat und Not leidet. Den anderen so für so wertvoll halten wie Gott und dich selbst. Wenn ich unter dieser Überschrift unseren Text lese, dann entfaltet sich ein ganz neuer Klang: „'Schätze im Himmel' sind nichts Zusätzliches, sondern das Unentbehrliche: von ihnen leben die, die sich ihr Leben nicht selbst gegeben haben und es nicht aus eigener Kraft vollenden können, also: alle."2 Und: „Schätze im Himmel erwachsen aus irdischen Taten. Sie sind der Ertrag konsequenter Diesseitigkeit. Das vergängliche und vergehende Leben setzt die Maßstäbe für das, was wichtig und wahr ist."3

Der niederrheinische Kabarettist Hanns Dieter Hüsch schrieb einmal über den Heiligen Geist:

Gott „schickt seit Jahrtausenden
Den Heiligen Geist in die Welt
Daß wir zuversichtlich sind
Daß wir uns freuen
Daß wir aufrecht gehen ohne Hochmut
Daß wir jedem die Hand reichen ohne Hintergedanken
Daß wir im Namen Gottes Kinder sind 
In allen Teilen der Welt
Eins und einig sind
Und Phantasten dem Herrn werden 
von zartem Gemüt
von fassungsloser Großzügigkeit
und von leichtem Geist
4

 

Ich glaube fest, dass es um diese Leichtigkeit des Lebens geht; kein Zufall auch, dass Jesus der Wanderprediger zum heutigen Tag zu uns spricht.

Genau so, mit dieser großzügigen Leichtigkeit, möchte ich Erntedankfest feiern. Ich möchte Gott dafür danken, dass die Arbeit der Bauern und die Rahmenbedingungen dafür günstig sind, dass ge­nug zum Leben da ist. Und ich möchte mit anderen zusammen feiern, dass auch ihnen leicht ums Herz werden kann und dass wir so miteinander teilen, dass genug für alle da ist. So kann und will das Reich Gottes unter uns seinen Anfang nehmen.

Und so sehr es stimmt, dass nicht egal ist, was mit „unserem Geld" geschieht oder was wir damit tun - es sind nicht die Gold- oder Währungsreserven, die das Leben erhalten. Nein, es sind Auge und Herz, auf die es ankommt. Und das fröhlich-bescheidenes Wissen darum, dass du und ich und alle anderen nicht aus uns selbst kommen - aber aneinander gewiesen sind. Oder mit einer schönen Zuspitzung von Klaus Eulenburg gesagt: „Vor Gott zählt der Glaube - und die Liebe, die aus ihm hervorgeht. Gold ist Dreck, Glaube und Liebe (aber) sind Gold wert."5

Amen.



Bischof Uland Spahlinger
Odessa/Ukraine
E-Mail: spahlinger.uland@gmx.de

Bemerkung:
Herr Spahlinger ist Bischof der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche der Ukraine, Odessa,


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