Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Erntedanktag, 06.10.2013

Predigt zu Matthäus 6:19-21 (-23), verfasst von Thomas Jabs

 


Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des
Heiligen Geistes sei mit euch allen.


Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo sie die Motten und der Rost fressen
und wo Diebe einbrechen und stehlen.
Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo sie weder Motten noch Rost fressen und wo
Diebe nicht einbrechen und stehlen.
Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.
(Das Auge ist das Licht des Leibes. Wenn dein Auge lauter ist, so wird dein ganzer Leib
licht sein. Wenn aber dein Auge böse ist, so wird dein ganzer Leib finster sein. Wenn nun
das Licht, das in dir ist, Finsternis ist, wie groß wird dann die Finsternis sein!)


Liebe Gemeinde!

Eine kleine Erzählung.
Schrill dringt das Telefonklingeln in ihr Ohr. Wer ruft denn so spät noch an?
Gerade hat sie sich hingelegt. Verdiente Ruhe nach einem aufreibenden Tag.
"Vielleicht ist es ja nicht so wichtig.", denkt sie und bleibt liegen. Es gibt lange keine Ruhe.
Als das Klingeln endlich aufhört, ist sie viel zu wach um einzuschlafen.

"Wer mag das nur gewesen sein?" Doch endlich, vielleicht nach einer halben Stunde
schweigt auch diese Frage. In den ersten Dämmerzustand hinein, klingelt es wieder.
Benommen geht sie zum Telefon, benommen hört sie die Nachricht.
Die alte Tante ist im Krankenhaus. Es war sehr schnell gegangen. Die Schwester sollte
anrufen. Vorher gab die Tante keine Ruhe. Immer wieder hatte sie gefragt. "Ja, die Tante.
Sie hat ja hier niemanden außer mich."

Sachen soll ich ihr bringen und noch dies und das. "Den Schlüssel hast du ja.", lässt die
Tante ausrichten.
"Ja, den Schlüssel, den habe ich schon seit zwei Jahren." Damals war eine
Schulkameradin der Tante schwer gefallen. Anrufen konnte sie noch, aber die Tür musste
aufgebrochen werden. "Was das gekostet hat.", hatte die Tante gesagt und ihr den
Schlüssel gegeben.
Über diesen Gedanken war sie endlich eingeschlafen. Den Wecker hatte sie noch gestellt.
1 1/2 Stunden früher als gewöhnlich.
Im Dunkeln ging sie die paar Ecken bis zur Wohnung der Tante. Die Kinder waren
versorgt. Das Frühstück stand auf dem Tisch. Die Schulbrote waren gemacht und die
Wecker schon am Abend gestellt. Wann war sie das letzte Mal diesen Weg gegangen? Es
muss schon wieder ein paar Wochen her sein.

Als erstes gleich in den Keller. Dort stand das Eingeweckte. Die Birnen aß die Tante so
gern. Doch wo standen sie? Vorn war eine ganze Reihe Pflaumen, die ersten mussten
wohl schon an die fünf Jahre hier stehen. "Erst mal das alte verbrauchen, bevor es
schlecht wird.", hatte die Tante immer gesagt.

Allerhand war hier unten zusammengekommen über die Jahre. Ob das überhaupt noch
alles gut war? Mit zwei Gläsern Birnen hoch in die Wohnung.
Den Morgenmantel wird sie noch brauchen. Er hängt ganz hinten im Schrank, ist schon
zweimal geflickt. "Ich hätte mir schon längst einen neuen gekauft", und dabei dachte Sie
an den schönen flauschigen Bademantel, den sie beim Sommerschlussverkauf ergattert
hatte und packte den geflickten oben auf die Tasche.

Nach den Sachen noch die Papiere. In der Eile rutscht ihr der Alte Schuhkarton aus der
Hand. Alles liegt verstreut auf dem Boden. Was sich da alles findet.
Zwischen einigen Fotos liegt eine alte Urkunde. Der Konfirmationsschein der Tante:
Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo sie die Motten und der Rost fressen
und wo Diebe einbrechen und stehlen.

"Den hätte die Tante mal lesen sollen", denkt sie bei sich. Und stopft alles zurück in den
Karton. Dann geht's schnell ins Krankenhaus, ist nicht so schlimm mit der Tante und gleich
weiter zur Arbeit.
Hoffentlich hat zu Hause alles geklappt.

Wieder zu Hause morgen kommen die Maler. Das Wohnzimmer muss ausgeräumt
werden. Die Kinder helfen mit. Doch die Papiere packt sie lieber selbst weg. Darin hat sie
ihre Ordnung. Einen Ordner für die ganzen Versicherungsangelegenheiten, einen für die
Miete, und dann noch einen mit Zeugnissen Bewerbungen und solchen Dingen. Die drei
Ordner passen nicht in einen Schuhkarton.

Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo sie die Motten und der Rost fressen
und wo Diebe einbrechen und stehlen.

"Den hätte die Tante mal lesen sollen" hatte Sie das gedacht? Sie, deren Papiere nicht
mehr in einen Schuhkarton passten, geschweige denn die Fotoalben. Sie, die nicht soviel
alte Sachen im Schrank hatte aber wie viele neue und noch nicht so alte.
Sie, die den Kindern jede Woche mit dem Taschengeld auch den guten Rat gab: „Haltet
euer Geld zusammen."

Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo sie die Motten und der Rost fressen
und wo Diebe einbrechen und stehlen.

So einfach war der Spruch doch nicht der Tante auf die Nase zu binden.
Daran dachte sie noch als sie am Krankenbett saß. Sie hatte sich Zeit mitgebracht. Zeit in
der das Gespräch auch darauf kam:
"Ich habe deinen Konfirmationsspruch zufällig gesehen, Tante."

Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo sie die Motten und der Rost fressen
und wo Diebe einbrechen und stehlen.

Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo sie weder Motten noch Rost fressen und wo Diebe nicht einbrechen und stehlen
Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz"

Die Tante hatte nicht einmal nachdenken müssen. Als hätte Sie nur darauf gewartet den
Spruch auswendig herzusagen. Zwanzig mal habe Sie es aufschreiben müssen, erzählte
sie. Weil sie ihn nicht konnte, die Woche vor der Konfirmandenprüfung. Aber dann hatte
sie gepaukt. Seitdem konnte Sie ihn zu jeder Tages- und Nachtzeit her sagen.
"Ja so war das zu unsrer Zeit"

"Auswendig lernen bringt doch nichts, wenn es nicht erklärt wird." Entgegnet sie der Tante.
"Manchmal doch." Dabei klang die Stimme der Tante so fest und überzeugend wie sie es
selten empfunden hatte.
Schon unsicher hielt sie dennoch dagegen, "Wann denn zum Beispiel?"
"Dieser Spruch begleitet mich jetzt schon einige Jahrzehnte. Du hast Recht. Richtig erklärt
wurde es mir nicht. Ich hatte zu lernen. Doch der Spruch hat sich selbst erklärt mit der
Zeit. Das kam einfach so.

45 hatte ich Hunger, großen Hunger. Zuerst war ich nur darauf aus, irgendwo etwas zu
Essen zu kriegen. Damals gab es in der Nähe eine Kirche, dort gab es eine Nothilfe. Man
bekam ein Stückchen Brot und manchmal Schmalz dazu. Es wurde gleich dort gegessen.
Dann sprach der Pfarrer ein Gebet und las auch hin und wieder aus der Bibel. Wir
unterhielten uns auch. Das hat mir viel geholfen. Später dann habe ich das begriffen."

"Was hat du begriffen,", fragt sie dazwischen, "Dass man den Keller voll haben muss,
damit man nicht Hungern braucht?"

 "Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo sie die Motten und der Rost fressen
und wo Diebe einbrechen und stehlen." Auch Eingewecktes wird schlecht?

"Du hast recht. Vielleicht wecke ich zu viel ein. Vielleicht stelle ich mir auch etwas mehr in
den Keller weil ich Hunger hatte. Aber denk doch mal. Das habe ich dir doch auch erzählt.
Wir mussten sogar den Schinken hängen lassen damals bei der Flucht.

Nein die Vorräte haben uns wirklich nicht geholfen. Damals habe ich angefangen zu lernen
was es mit dem anderen Satz auf sich hat.
Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo sie weder Motten noch Rost fressen und wo
Diebe nicht einbrechen und stehlen.

Hunger, so wenig ich ihn jemandem wünsche, kann manchmal ganz gut sein. Oder
besser, der Hunger kann Verschiedenes bewirken. Ich habe aus Hunger gelernt. Damals
habe ich überlebt, weil es Menschen gab, die mir geholfen haben. Es war gut nicht nur
einen guten Rat, sondern auch ein Brot zu bekommen.

Ich kann den Menschen, die heute hungern nachfühlen. Dann wird mir manchmal Angst,
wenn ich daran denke, dass ich spare und andere hungern. Dann gebe ich und doch ist
der Hunger nicht vorbei. Aber ich weiß, dass ich nicht vergeblich gegeben habe. Damals
sind auch viele verhungert. Doch die paar Schnitten, die gegeben werden konnten, haben
mir das Leben gerettet. Ich kann die Welt nicht ändern. Aber was Gott mir schenkt, davon
kann ich das meine zum Leben nehmen und habe noch das Meine zu tun gegen die Not.
Und es war gut nicht nur Brot sondern auch guten Rat zu bekommen damals. Manche
sind von Stelle zu Stelle gejagt, haben besorgt was nur ging, haben auf dem
Schwarzmarkt gehandelt, haben es sogar in schweren Zeiten zu etwas gebracht. Darüber
haben sie das Wichtige im Leben verpasst.
Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.

Sieh, ich habe keine Kinder und bin auch nicht reich. Was habe ich also? Eine Frau im
Nachbarzimmer hat Kinder, und hat ihnen reichlich geben können. Sie liegt den ganzen
Tag im Bett und klagt, über die Kinder, über die Rente, über den Verkehr, über das Wetter,
über ihre Krankheit.
Vielleicht hat ihr nie einer gesagt, das all das, noch lange nicht alles ist im Leben. Vielleicht
hat sie kein Spruch durchs Leben begleitet. Vielleicht kennt sie nicht den Trost im Gebet,
Vielleicht hat sie niemanden wie dich, der sie besucht, einfach so.

Ich habe so manchen Schatz sammeln können in den Jahren, unvergänglich. Du bist einer
davon. Schön dass du mich besucht hast."

Auf dem Weg nach Hause wuchs ihre Achtung vor der Tante und langsam wurde ihr klar:
Heute hatte auch Sie einen Schatz gesammelt unvergänglich einen Schatz im Himmel.
Und vielleicht hatte Sie heute von der Tante gelernt, was man denn so alles sammeln
sollte.

Amen

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne
in Christus Jesus unserem Herrn.

 



Pfarrer Thomas Jabs
12623 Berlin
E-Mail: Pfarrer.Jabs@kirche-mahlsdorf.de

Bemerkung:
Predigtlied 494,(1-2)3-6


(zurück zum Seitenanfang)