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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Erntedanktag, 06.10.2013

Predigt zu Matthäus 6:19-21, verfasst von Sven Keppler


I. „Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz." Zu diesem Satz würde ich gerne einmal eine Umfrage starten: Was fällt Ihnen dazu ein: „Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz"? Ich stelle mir vor, dass ganz bewegende Antworten kommen würden.

„Mein Schatz ist zur Zeit auf Montage. In Nigeria. In Gedanken bin ich ständig bei ihm. Besonders, wenn es dort wieder einen Anschlag gab. Hoffentlich passiert ihm nichts."

„Als wir damals Russland verlassen wollten, bin ich mit den Kindern erst noch dort geblieben. Mein Mann war schon nach Deutschland gegangen. Mit dem Herzen war ich immer bei ihm. Als wir ihm dann nachgezogen sind, war es für mich ein bisschen wie Nachhausekommen. Weil ich endlich wieder bei meinem Schatz war."

„Mein Schatz geht seit zwei Wochen in den Kindergarten. Ich staune ja nur, wie leicht ihr das fällt. Beim Gruppenraum dreht sie sich nur noch mal kurz um und ruft ,Tschü-üß!‘ - und ist verschwunden. Ich dagegen bin den ganzen Morgen mit dem Herzen bei ihr. Loslassen ist ganz schön schwer."

Vielleicht würde ein kritischer Geist auch an Onkel Dagobert denken, dessen Herz in seinem Goldspeicher gefangen ist. Aber für die meisten gilt ganz ungebrochen: Mein Schatz - das sind die Menschen, die ich liebe. Bei denen ist mein Herz.

Dieser schöne Satz ist der Höhepunkt unseres heutigen Predigttextes. Er steht in der Bergpredigt bei Matthäus [lesen: Mt 6,19-21].

II. Liebe Gemeinde, so wundervoll ich diesen Text und seinen Hauptsatz finde - zu Erntedank irritiert er mich. Heute wollen wir doch dankbar sein für all die Schätze der Erde, die wir ernten durften. Ist es da nicht reichlich spielverderberisch, ausgerechnet an Motten und Rost zu erinnern?

Und der Text ist kein Einzelfall. Die Auswahl der Lesungen zum Erntedank folgt durchweg dem Motto „Ja - aber...". Ja, wir wollen für die Ernte danken und das auch feiern - aber gebt bitte den Erträgen nicht zu viel Bedeutung!

Das alte Evangelium zu Erntedank ist die Geschichte vom reichen Kornbauern. Einem Mann, der nach einer reichen Ernte seine alten Scheunen abriss, um größere zu bauen. Der sich auf seinem Erfolg ausruhen und seinen Wohlstand genießen wollte.

Aber weil es um seine Frömmigkeit nicht so gut bestellt war wie um seinen Acker, hatte er das Wichtigste vergessen: dass er sein Leben nicht selbst in der Hand hatte. Er starb. Und seine Angehörigen mussten erkennen, dass ihm die reiche Ernte vor Gott nichts nützen würde.

Heute haben wir die freundlichere Lesung von den Vögeln gehört, die nicht säen und nicht ernten. Sie ist zwar positiver gestimmt als die herbe Geschichte vom Kornbauern. Aber die Bauern wirken doch ein bisschen dumm neben den pfiffigen Vögelchen, die in den Tag hinein leben und trotzdem satt werden.

Warum ausgerechnet heute dieses „Ja - aber ..."? Eigentlich würde ich heute viel lieber uneingeschränkt für die Ernte danken: Danke, guter Gott, dass wir es trotz allem auch dieses Jahr wieder geschafft haben! Trotz endlosem Winter und trockener Sommerhitze, trotz Gegenwind aus Berlin und Brüssel! Danke für die Vielfalt unserer Produkte, für den Luxus der freien Wahl zwischen Bio und Konventionell, zwischen Selbstgekocht und Fertiggericht. Danke für die gute Qualität unserer heimischen Nahrung. Und danke, dass es in unserem Land dass in unserem Land jeder satt zu essen haben könnte!

III. Ist es da nicht grausam, gerade heute von Motten, Rost und Dieben zu sprechen? Klar, wenn die Schätze aus Stoff und Eisen sind, dann passt das. Wenn das Herz zu sehr an der Kleidung hängt, kann ein kleiner Hinweis auf die Motten nicht schaden. Und wenn das Auto das Wichtigste im Leben ist, dann lockt es mich auch, vom Rost zu reden. Von der Begrenztheit solcher Schätze.

Aber wer würde schon sagen, dass der neue Blazer sein liebster Schatz ist? Selbst die leidenschaftlichsten Autoschrauber würden für Ihre Herzdame wahrscheinlich das Hobby drangeben.

Es stimmt zwar: Auch die Menschen, die mein größter Schatz sind, sind sterblich. Irgendwann werde ich mich von ihnen verabschieden müssen - oder sie sich von mir. Aber deshalb keine Liebe mehr zu wagen, das hieße: Vor dem Tod zu kapitulieren.

Stattdessen haben wir die Sehnsucht, dass unsere Bindungen möglichst lange halten. Bei der Trauung verspricht ein Paar, ein Leben lang beieinander zu bleiben. In guten und in schlechten Tagen. Bis der Tod Euch scheidet. Und oft gibt es sogar die Hoffnung, dass die Verbundenheit über den Tod hinaus hält. Dass es auch bei Gott eine Form des Wiedersehens geben möge.

Gerade am Schatz können wir lernen, was die Sehnsucht nach Ewigkeit ist. Nach einem Leben, das sogar den Tod überdauert. Nur wenn Dagobert das auch von seinem Goldschatz erhofft, ist das eine falsche Entwicklung. Die Leidenschaft ist gesund, wenn sie sich auf Lebendiges richtet. Dagobert dagegen überträgt sie auf totes Gold. Davor warnt Jesus mit Recht.

IV. „Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz." Denken Sie an die Frauen, deren Herz in Nigeria war. Oder beim Mann in Deutschland. Oder beim Kind in der Kita. Sie machen alle die Erfahrung: Mein Herz schlägt nicht nur in meiner Brust. Es ist gleichzeitig auch noch ganz woanders. Nämlich beim geliebten Menschen.

Liebe Gemeinde, dass ist eine ganz außerordentliche Erfahrung. Eine Erfahrung, in der die höchste Würde von uns Menschen zum Ausdruck kommt: Wir können unser Herz verschenken. Wir können mit unserem Herzen anderswo sein als bei uns selbst.

Diese Anlage kann sich verirren. Kann zweitrangige Schätze zur Hauptsache machen. Auch da sollte man sich mit Verurteilungen zurückhalten. Wer weiß, warum ein Mensch sein Herz lieber Katzen schenkt als anderen Menschen? Warum er seine Kraft lieber in eine Bierdeckelsammlung investiert? Welche Verletzungen oder Enttäuschungen mögen ihn dazu gebracht haben?

Die Erinnerung daran, dass nicht jeder Schatz es wert ist, zum Herzensort zu werden - diese Erinnerung ist heilsam. Aber das Heilsamste ist, sich diese Gabe überhaupt vor Augen zu führen: Wir können unser Herz verschenken. Wir können etwas anderes, jemand anderes wichtiger nehmen als uns selbst. Und wir können mit unserem Herzen ganz bei ihm sein.

Darin lag ja auch die wahre Menschlichkeit Jesu. Ganz bei anderen zu sein. Für andere da zu sein. Auf sie zuzugehen. Die anzunehmen, die von den Meinungsmachern verworfen wurden. In dieser Menschenfreundlichkeit Jesu wurde die Liebe Gottes sichtbar. Des Gottes, der auch nicht bei sich selbst bleiben wollte. Sondern der Mensch wurde, weil sein Herz bei uns Menschen war.

Liebe Gemeinde, ich glaube, das ist gemeint, wenn wir Schätze im Himmel sammeln sollen: Mit dem Herzen bei anderen Menschen zu sein. Für sie da zu sein. Für sie zu sorgen und sie zu lieben. So wie der Gott des Himmels uns geliebt hat. Wie Jesus den Zachäus geliebt hat und zu ihm gegangen ist.

V. So gesehen ist der schöne Satz auch zu Erntedank nicht mehr ärgerlich: „Wo dein Schatz ist, ist auch dein Herz." Er sagt dann nämlich gar nicht mehr, dass wir die Ernte nicht so wichtig nehmen sollen, weil sie vergänglich ist.

Sondern er lehrt uns darauf zu achten, wo wir eigentlich mit unserem Herzen sind. Wir können es so machen wie der reiche Kornbauer. Der dachte vor allem an sich selbst. Er wollte seine Ernte horten, um sich durch sie ein selbstbezügliches Leben leisten zu können. Nicht mehr arbeiten müssen. Es sich gut gehen lassen. Und von den Zinsen seiner Erträge leben. Ein Urahn von Dagobert Duck. Seinen Schatz wollte er für sich, um in seinem Gold baden zu können. Und das heißt: Sein Herz war bei sich selbst.

Wie anders ist es dagegen, wenn man mit seinem Herzen bei anderen Menschen ist! Wenn man bei der Ernte nicht denkt, was man an ihr alles verdienen kann. Sondern wenn sie Fantasien freisetzt, wem man mit dem Gewinn etwas Gutes tun kann: den vielen Menschen, die von der Ernte leben: denen, die die Rohstoffe weiterverarbeiten. Denen, die an ihrem Verkauf verdienen. Und denen, die die Waren verzehren.

Vielleicht auch denen, die man mit einem Teil des Ertrags beschenken kann. Denn Viele in unserem Land sind nicht mit ihrer eigenen Kraft am Kreislauf der Wirtschaft beteiligt. Auch sie an den Erträgen teilhaben zu lassen, kann das Herz glücklich machen. Und natürlich darf man auch an seine liebsten Schätze denken. Wenn die Ernte groß war, ist es wunderbar, auch sie mit dem Gewinn zu beschenken.

Das heißt: Schätze im Himmel zu sammeln. Wenn ich mit dem Herzen nicht nur bei mir selbst bin. Sondern bei denen, die ich mit dem Schatz der Ernte beschenken kann. Erntedank ist dann wie Weihnachten. Nicht nur beschenkt werden. Sondern vor allem auch selber schenken. Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz. Amen.

 



Pfarrer Dr. Sven Keppler
33775 Versmold
E-Mail: sven.keppler@kk-ekvw.de

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