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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Erntedank und der afrikanische Bruder, 06.10.2013

Predigt zu Lukas 12:15-21, verfasst von Ulrich Nembach

Wo ist dein afrikanischer Bruder?

 

Liebe Gemeinde,

den Predigttext kennen Sie. Sie haben ihn eben gehört.  Es ist das Evangelium des Erntedankfestes. Seit Jahren, Jahrzehnten wird es in unseren Kirchen am Erntedanktag gelesen. Ich lese es noch einmal, weil wir beim Vorlesen schon gar nicht mehr hinhören. Wir kennen den Text – meinen wir.

Also ich lese:

15 Und er – Jesus - sprach zu ihnen: Seht zu und hütet euch vor aller Habgier; denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat.

 16 Und er sagte ihnen ein Gleichnis und sprach: Es war ein reicher Mensch, dessen Feld hatte gut getragen.

 17 Und er dachte bei sich selbst und sprach: Was soll ich tun? Ich habe nichts, wohin ich meine Früchte sammle.

 18 Und sprach: Das will ich tun: ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen, und will darin sammeln all mein Korn und meine Vorräte

 19 und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut!

 20 Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast?

 21 So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich bei Gott.

Kennen wir den Text wirklich? Ihn zu kennen, in dem Sinne, dass wir ihn  sogar auswendig kennen, ist kein Kennen in vollen Sinn des Wortes. Kennen im eigentlichen Sinn meint, den Text zu leben.

Ich lese den Text noch einmal allerdings in einer modernen Übertragung, nicht nur Übersetzung.

Die reichen Europäer hatten gut verdient. Die Aktienkurse waren gestiegen. Zwar gab es auch Arme, aber diese waren weniger arm als Menschen in Afrika. Während die Europäer ihren Erfolg feierten, ertranken Hunderte Afrikaner, weil sie auch gut verdienen, weil sie mit feiern wollten, aber mit Gewalt von den Küsten Europas fern gehalten wurden. Und Gott sprach – so heißt es in dem Evangelium - Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast?

 21 So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich bei Gott.

Sie meinen: Das ist hart, zu hart, was ich sage. Gegenfrage: Was meinen Sie, warum Jesus dieses Gleichnis erzählte? Er wollte ändern, helfen, den Reichen und den Armen. Sehen Sie, unsere Kirchen sind zum Gottesdienst geöffnet. Die Türen bleiben offen. Jede und jeder kann eintreten, Platz nehmen, den Gottesdienst zusammen mit den anderen feiern. Das praktizierten bereits die ersten Christen. Da saßen Reiche und Sklaven zusammen und brachen das Brot, feierten das Abendmahl. Das war unerhört in einer Gesellschaft, die auf Sklavenwirtschaft aufgebaut war. Die Christen störte das nicht. Warum stört das uns? Weil Sie ein weniger dickes Auto dann fahren müssten? Weil weniger Geld auf Ihrem Konto wäre?

Ja, das wäre für manche schlimm. Wir bekommen es als Deutsche noch immer nicht hin, dass Arbeitnehmer mindestens einen Mindestlohn verdienen.

Entschuldigen Sie bitte: was tun wir eigentlich? Wie feiern wir Erntedank? Das heißt doch letztlich nichts anderes als: wir danken Gott, dass wir zu essen haben, dass er die Ernte reifen ließ – ich könnte hinzufügen: trotz der Klimakatastrophe. Matthias Claudius dichtete:

Wir pflügen, und wir streuen den Samen auf das Land,

doch Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand.

Ich staune, dass wir in diesem Jahr eine gute Ernte einholen konnten. Der Winter war lang, das Frühjahr kam spät, und dennoch trugen unsere Felder gut. Ich weiß nicht, vielleicht können Agra- Wissenschaftler eine Erklärung geben. Ich staune.

Ich frage, warum wir dann nicht teilen? Stattdessen exportieren wir Lebensmittel und schädigen damit die Bauern in Afrika. Wir exportieren nämlich und subventionieren noch die Exporte, so dass die kleinen Bauernbetriebe in Afrika nicht konkurrieren können.

Wenn dann junge Leute nach Europa kommen wollen, halten wir sie von unseren Grenzen fern. Wir unterhalten als EU eine effektive Grenzpolizei. Sie ist auch gut mit technischen Hilfsmitteln ausgerüstet, um eben effektiv sein zu können. Was bleibt dann denen, die nach Europa kommen wollen? Sie müssen sich Gaunern anvertrauen. Diese verladen sie auf alte Kähne, die nicht selten kentern.

Der fast schon dezent zu nennende Hinweis auf den Tod in Jesu Gleichnis ist anscheinend zu dezent für unsere rauhen Sitten. Ich habe deshalb lange überlegt, ob ich das Evangelium für den heutigen Sonntag als Text meiner Predigt zu Grunde legen soll, zu Grunde legen kann, oder ob ich nicht die Frage Gottes nehmen müsste: Kain, wo ist dein Bruder Abel? Was meinen Sie? Sie sind ja auch gefragt. Sie leben wie ich in Europa. Wir schlagen zwar die Afrikaner auf ihrem Weg nach Europa nicht tot, aber wir dulden es, dass Gauner die Afrikaner auf schlechten Booten nach Europa schicken und damit nicht selten in den Tod senden. Wir wissen das alles. Die Aufregung darüber überlassen wir aber Kabarettisten und Predigern wie mir. Können wir wirklich unsere Verantwortung delegieren?

Der Papst hat völlig Recht, wenn er beklagt, dass wir verlernt haben, mitzuleiden. Das zitierte Lied von Matthias Claudius hat einen Kehrvers. Der lautet:
Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn,

drum dankt ihm, dankt drum dankt ihm,

dankt und hofft auf ihn!

Wir haben, denke ich auch, das Danken verlernt. Da gehe ich noch weiter als der Papst. Wir haben verlernt zu danken.  In dem kurzen Text von Matthias Claudius kommt gleich 4x das Wort dankt vor. 4x werden wir im Imperativ aufgerufen zu danken, Gott zu danken.

Und dann steht noch ein Imperativ da. Ganz plötzlich, völlig unvermutet taucht er auf: hofft, hofft auf ihn, auf Gott. Wir haben nicht nur das Mitleiden und das Danken, sondern auch das Hoffen, das Hoffen auf Gott verlernt. Auf Gott zu bauen, hatte auch jener reiche Kornbauer vergessen, von dem Jesus in seinem Gleichnis erzählt. Er baute auf Scheunen, größere Scheunen und seine Ernte.

Lassen Sie darum uns auf Gott hoffen, ihm für die Ernte danken und mitleiden.

Amen

 

Lassen Sie uns auf Gott hoffen und darum singend ihn bitten, uns zu helfen, unsere Aufgaben zu tun.

Wir singen das Lied von Johann Heermann, das er, der von zahlreichen Leiden heimgesucht wurde, 1630 mitten im 30-jährigen Krieg dichtete:

O Gott, du frommer Gott,

du Brunnquell guter Gaben,

 ohn den nichts ist, was ist,

von dem wir alles haben. (EG 495, 1-8)



Prof. Dr. Dr Ulrich Nembach
Göttingen
E-Mail: ulrich.nembach@theologie.uni-goettingen.de

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