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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

21. Sonntag nach Trinitatis, 20.10.2013

Eine Bleibe für die Liebe
Predigt zu Johannes 15:9-12 (13-17), verfasst von Dörte Gebhard

 

"Eine Bleibe für die Liebe"

Gnade sei mit Euch von dem der da ist, der da war und der da kommt. Amen.

Der Predigttext für diesen Festgottesdienst steht im Evangelium des Johannes, im 15. Kapitel. Johannes schrieb auf, was Jesus Christus einst sprach:

9 Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch. Bleibt in meiner Liebe! 10 Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe, wie ich meines Vaters Gebote halte und bleibe in seiner Liebe. 11 Das sage ich euch, damit meine Freude in euch bleibe und eure Freude vollkommen werde. 12 Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe.

13 Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde. 14 Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete. 15 Ich sage hinfort nicht, dass ihr Knechte seid; denn ein Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Euch aber habe ich gesagt, dass ihr Freunde seid; denn alles, was ich von meinem Vater gehört habe, habe ich euch kundgetan. 16 Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibt, damit, wenn ihr den Vater bittet in meinem Namen, er's euch gebe. 17 Das gebiete ich euch, dass ihr euch untereinander liebt.

Liebe Gemeinde,

Vor sich hinmurmelnd und eine Sonnenblume zerpfückend, einstimmig und eintönig:

„Er liebt mich, er liebt mich nicht, er liebt mich, er liebt mich nicht ...“

Zweistimmig: „Die Frage aller Fragen?“

„Eine vorläufige Frage!“

„Nicht die entscheidende Frage?“

„Ja, aber eine vergängliche Frage – nicht für die Ewigkeit gemacht.“

Die Frage!“

„Viel zu viele, andere Fragen!“ – müsste Johannes sagen.

Viel zu viele Fragen hat Johannes im Ohr, wenn er an Jesus denkt, der die Liebe seinen engsten Freunden so streng und immer wieder und eindrücklich gebot, solange er auf Erden war.

Erst recht viel zu viele Fragen hat Johannes im Ohr, wenn er an die Menschen seiner Gemeinde denkt, für die er das Evangelium schreibt. Sie sehnen sich nach Liebe. Oder sie hoffen auf schlichte Anerkennung. Wenn schon das nicht möglich ist, dann wünschen sie sich wohl, endlich und einfach in Ruhe gelassen zu werden. Aber real erleben müssen sie immer dasselbe. Es ist mehr als genug und das Gegenteil von Liebe: Ablehnung und Verachtung, Hass und Verfolgung, Verrat und Verleumdung, Verzweiflung und Tod in der Welt.

Da liest einer vor, da hören sie:

Bleibt in der Liebe?!
Damit meine Freude in euch bleibe ...?!
Geht es eigentlich noch? Das mag Jesus Christus gesagt haben, aber:
Ging es noch weltferner für die johanneische Gemeinde?
Auch für die Holziker Gemeinde wirkt es noch weltfremd, wenn ihr zu Ohren kommt:
Das gebiete ich euch, dass ihr euch untereinander liebt!

Als ob sich Liebe einfach so befehlen ließe!
Damals schon nicht.
Heute immer noch nicht.
Dennoch: Bleibt in der Liebe. 
Bleiben wir bei diesen Worten vom Bleiben!
Denn alles soll – um Gottes Willen – bleiben: 
die Liebe, die Freude und die Frucht, die beides bringt.

I Ehe

Die Liebe kommt von Gott, dem Vater, und gilt der ganzen Welt.
Die Liebe wird vom Sohn in der Welt gezeigt – aber sie ist schon lange da und sie bleibt um Gottes Willen in der Welt.
Die Liebe hat eine Bleibe in der Welt, lange bevor und unabhängig davon, ob sie auch zu sehen ist. Alles begann einst aus Liebe.
Sie war schon da, ehe wir anfingen jemanden oder etwas zu lieben.
Sie war schon da, ehe wir überhaupt eine Ahnung davon hatten.
Sie ist schon da, ehe wir dann zuletzt solche Fragen stellen wie am Anfang, ob oder ob nicht oder doch oder vielleicht doch nicht oder ...

Die Liebe Gottes hat schon lange vor uns und wird noch lange nach uns eine Bleibe in der Welt haben. Wir schaffen nicht die Bleibe für die Liebe – das wäre wahrlich weltfremd, wenn das einer von uns verlangen sollte! Aber unser Gott ist eben alles andere als weltfremd.
Gott lässt die Liebe in der Welt daheim sein und wir sollen eine Bleibe in der Liebe suchen und finden.

Das ist ein ungewohnter Gedanke, daher möchte ich gern noch etwas bei ihm bleiben, bei dieser Vorstellung noch eine Weile Unterschlupf suchen.
Denn normalerweise denken wir uns die Liebe inwendig, im Herzen eines Menschen, so als wohnte sie dort. Erst einmal unmerklich, verborgen vor aller Augen, weshalb wir dann Blüten zerpflücken oder ganz andere, aber auch verrückte Dinge tun, um die Liebe ans Licht zu locken. Im Herzen aber wohnen eigentlich Gefühle, viele und kräftige und manchmal schier unbezwingbare, aber nicht die Liebe an sich. Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber hat dem nachgedacht: „Gefühle werden ‚gehabt’; die Liebe geschieht. Gefühle wohnen im Menschen; aber der Mensch wohnt in seiner Liebe.“1

Die Liebe ist viel grösser, als dass wir sie wirklich erfassen könnten. Sie steht nicht in unserer Macht. Manchmal haben wir darunter wohl schon mit ganzem, aber zerbrochenen Herzen gelitten – wenn die Liebe einseitig und unerwidert blieb. Aber es soll ein Segen sein, dass die Liebe so unbegreiflich viel grösser ist als wir, dass wir in ihr sogar wohnen können.

Johannes liebt dieses Bild vom Wohnen in der Liebe: Die Liebe Gottes sei wie eine grosse Herberge für uns alle – in meines Vaters Hause sind viele Wohnungen (Joh 14,2), so schreibt er vorher.

Diese besondere Herberge ist nicht einfach langweilig riesig, sondern hat für jeden und jede eine verheissungsvolle Bleibe. Denken sie nur an die unterschiedlichen Wünsche der Menschen, je nachdem, wo sie auf der Welt zu Hause sind: die einen haben gern ein dauerhaftes Domizil, mit schmiedeeisernem Gartentor sozusagen und die anderen wären schon selig, wenn sie nur ein Nachtquartier hätten, nicht zu kalt, zu feucht, zu windig, die einen suchen ein gemütliches Heim, die anderen wären nur schon froh um einen allerersten Zufluchtsort, wahrscheinlich nur vorübergehend, aber immerhin – nach der Flucht über das Mittelmeer.

Maria und Josef sind die Berühmtesten, aber leider nicht die Letzten gewesen, die das nötig hatten! Solche wie sie ziehen bis heute durch die Welt, nicht nur in Palästina-Israel.

Die Liebe ist gedacht als ein grosses Obdach für uns alle, darunter mag sie sich dann in vielen Wohnungen und Unterkünften und Nachtasylen einquartieren, in ihrer ganzen Fülle und Vielfalt und Überschwänglichkeit und mit aller Lust und Kraft, die wiederum in ihr wohnt.

Es ist genügend Platz für alle Sorten der Liebe unter uns Menschen, niemand müsste ihr im Wege sein. Sie ist zwischen uns und um uns her, Buber betont das in seinem Buch über „Ich und Du“: „... die Liebe haftet dem Ich nicht an, so dass sie das Du nur zum ‚Inhalt’, zum Gegenstand hätte; sie ist zwischen Ich und Du.“2

II Zwischen

Liebe Gemeinde,
die Liebe kommt immer dazwischen, das macht sie interessant, im wahrsten Sinne des Wortes. „Interessant“ heisst auf deutsch nichts anderes als „dazwischensein“.

Die Liebe bleibt interessant, denn nun bemerkt man, was alles erstaunlicherweise nicht gesagt wird.
Das Bleiben in der Liebe wird geboten, aber es gibt keinerlei Versprechen dazu, gar keine Werbung im Stile von:

„Wenn ihr in der Liebe bleibt, dann - - - werdet ihr Wunder erleben!“
„Wenn ihr in der Liebe bleibt, dann - - - wird alles gut oder wenigstens besser.“
„Wenn ihr in der Liebe bleibt, dann wird eure Gemeinde wachsen und gedeihen ...“ Nicht einmal das! Und das ist das Mindeste, was heute in kirchlichen Kreisen erwartet wird.

Das Blaue vom Himmel wird nicht versprochen. Es wird gar nichts verheissen von all dem, was wir an Reklame gewöhnt sind: weder Glück noch Erfolg noch Zufriedenheit, auch nicht, dass der Liebende auf Gegenliebe stossen wird.
Jesus Christus war illusionslos vertraut mit der Welt: Er gebot die Nächsten- und die Feindesliebe, aber er versprach nichts dazu.

Das Liebesgebot ist nicht mehr so weltfremd, wie es auf den ersten Blick schien.

Unser Gott, der die Welt zuerst geliebt hat, weiss noch genauer als wir alle zusammen, was es heisst, wenn Liebe einseitig bleibt.
Er kennt unser Scheitern, er macht keine Versprechungen, die wir nicht halten können.

Kurz: Gott ‚verspricht’ sich nicht, aber er bleibt treu.

Dass sich die Christen untereinander lieben sollen, wird ziemlich scharf gefordert, aber nicht begründet. Diese Versuche sind von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Sie sollen sich nicht lieben, weil sie so schön liebenswert sind. Es heisst sehr nüchtern und unromantisch:

„Wenn ihr in der Liebe bleibt, dann - - - haltet ihr meine Gebote.“

An dieser Stelle fingen früher die endlosen Moralpredigten an, aber dazu besteht keinerlei Anlass. Ich kann mich kurz fassen wie Kirchenvater Augustin: „Liebe und tu, was du willst.“ (Dilige, et quod vis fac.)

Ganz pingelig übersetzt heisst das: Hab Ehrfurcht und tu, was du willst.

Geboten ist nicht mehr und nicht weniger als in der Liebe zu bleiben. Gott ist die Liebe und in des grossen Vaters grossem Haus sind viele Wohnungen. Die vielen Sorten der Liebe sind die tragenden Wände, die Pfeiler, die Säulen und das Dach dieses Domizils. Die Bleibe der Liebe ist mit bleibender Liebe gebaut und schon so oft renoviert worden, wie sie kaputt ging.

III Immerhin

Freunde sollen die Jünger und alle nach ihnen sein. Aber kann das gelingen? Immer waren alle Sorten Liebe und auch alle Sorten Menschen in der Christenheit anzutreffen, schon unter den allerersten Christen, schon unter den 12 Jüngern. Ein oberflächlicher Blick in die Kirchengeschichte, aber auch in die Gegenwart unserer Gemeinden zeigt, dass sich bei den Christen gerade nicht die von vornherein Gleichgesinnten, immer schon Sympathischen versammeln, sondern durchaus auch die Fremden fanden und finden eine Bleibe.

Noch einmal Martin Buber:

„... die wahre Gemeinde entsteht nicht dadurch, daß Leute Gefühle füreinander haben (wiewohl freilich auch nicht ohne das), sondern durch diese zwei Dinge: daß sie alle zu einer lebendigen Mitte in lebendig gegenseitiger Beziehung stehen und daß sie untereinander in lebendig gegenseitiger Beziehung stehen. ... Lebendig gegenseitige Beziehung schliesst Gefühle ein, aber sie stammt nicht von ihnen.“3

Mit unseren flüchtigen Gefühlen – „er liebt mich, er liebt mich nicht, er liebt mich ...“ schaffen wir der Liebe keine Bleibe.
Aber mit Gottes Hilfe können wir es schaffen, in der Liebe zu bleiben.

Immerhin.
Mehr als genug.
Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der stärke unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, Amen.




PD Dr. Dörte Gebhard
CH-5742 Kölliken/Schweiz
E-Mail: doerte.gebhard@web.de

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