Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

21. Sonntag nach Trinitatis, 20.10.2013

Die Geliebten Gottes sind befreit zur Liebe
Predigt zu Johannes 15:9-12, verfasst von Wolfgang Schmidt


 

"Die Geliebten Gottes sind befreit zur Liebe"

„Das sage ich euch, damit ihr euch mit mir freut und eure Freude vollkommen werde!" Jesus will uns eine Freude machen, liebe Gemeinde! Eine große Freude will er uns machen, eine riesengroße Freude!

Ich finde, das kann man nicht laut genug sagen, nicht kräftig genug unterstreichen und betonen: Er will uns etwas Gutes tun, will uns einfach froh machen in unseren Herzen mit dem, was er da seinen Jüngern sagt, mit diesem Gebot, das er ihnen und damit uns ans Herz legt: „Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe!" Und man muss es deshalb so laut sagen und betonen mit der Freude, weil das Wort „Gebot" in unseren Ohren ja zunächst keinen so guten Klang hat. „Gebot" klingt nach Müssen und Sollen, nach auferlegtem Zwang und verbindlichen Regeln, die uns von außen aufgedrückt werden.

Und eben darum geht es bei dem Gebot Jesu ja überhaupt nicht! Es geht ihm vielmehr um Freude! Um unser Wohlergehen geht es ihm, um unsere Zufriedenheit. „Liebet euch untereinander, wie euch liebe!" Wo Liebe den Ton angibt, schweigen Hass und Zwietracht. Wo Liebe den Ton angibt, verstummen Gewalt und Ungerechtigkeit. Wo Liebe den Ton angibt, wachsen Achtung und Respekt, Toleranz und Hilfsbereitschaft. Wo die Liebe blüht, reift wahre Gemeinschaft.

„Das sage ich euch, damit ihr euch mit mir freut und eure Freude vollkommen werde!"Jesus weiß welcher Segen auf der Liebe liegt. Er weiß: es eine wahre Freude, wenn es gelingt aus Liebe das Leben miteinander zu gestalten.

„Zu schön um wahr zu sein!" möchte man da sagen! Schau doch nur, wie hier in Jerusalem die verschiedenen Konfessionen um jeden Zentimeter in der Grabskirche ringen! Oder erinnert euch an Nordirland, wo sich Protestanten und Katholiken bis vor wenigen Jahren noch bis aufs Blut bekriegt haben. Und habt ihr etwa schon vergessen, wie katholische Kroaten und serbisch-orthodoxe Christen auf dem Balkan die Waffen aufeinander gerichtet haben? Oder wie in den Achtziger-Jahren Christen aus Argentinien und Christen aus Großbritannien vor den Falkland-Inseln aufeinander schossen und noch zuvor solche aus Deutschland gegen solche aus Frankreich und mit ihnen andere gegen andere - alles weithin Christen, Jünger Jesu, der ihnen durch die Heilige Schrift doch aufträgt: „Liebt euch untereinander!"

Wenn wir uns einmal ansehen, wie oft in der Vergangenheit und bis in die Gegenwart hinein Christen verschiedener Nation, verschiedener Konfession, verschiedener Rasse oder sozialer Herkunft aufeinander eingeschlagen haben - wenn wir uns das ansehen, müssen wir feststellen, dass die gemeinsame Zugehörigkeit zu Christus allzu oft überdeckt wurde und übertrumpft von der Zugehörigkeit zur Nation, Rasse, oder sozialen Gruppe. Ob ich ein Deutscher oder ein Franzose war, war im 2 Weltkrieg wichtiger als dass der eine wie der andere Christen waren. Ob ich weiß war oder schwarz, war in Südafrika z.B. wichtiger als, dass der eine wie der andere Christ war. So haben Christen im anderen oft zuerst den Feind gesehen und nicht den Bundesgenossen im Herrn, für den das Gebot gilt: „Liebt euch untereinander!"

Wenn Christen ihre Heilige Schrift ernst nehmen würden und in der Vergangenheit ernst genommen hätten, dürfte es eines jedenfalls nicht geben: dass Christen die Waffe gegeneinander erheben.

Diese Erkenntnis finde ich gerade in unseren Tagen so wichtig, wo viel über die Gewaltbereitschaft des Islam gesprochen wird. Dabei habe ich verschiedentlich Muslime erlebt, die fast verzweifelt darauf hinwiesen, dass solche Gewalt aus dem Koran nicht zu rechtfertigen sei und dem Geist des Islam zuwiderlaufe. Uns begegnet hier doch eine Erfahrung, die wir auf unsere Weise genauso machen müssen: dass der Heiligen Schrift widersprechend gelebt und gehandelt wird: dass auf den Koppelschlössern der Soldaten „Gott mit uns" stand - wo es doch der gleiche Gott ist, auf den die Feinde diesseits und jenseits des Grabens getauft waren. Die Nation galt mehr im Zweiten Weltkrieg als der gemeinsame Glaube. Und wenn wir das Leben und Handeln vieler Christen mit der Bibel rechtfertigen sollten, müssten wir ebenso scheitern, wie ein Muslim, der das Leben und Handeln vieler Muslime mit dem Koran rechtfertigen sollte.

Immer wieder wird der Glaube der Menschen gefangen genommen und besetzt von glaubensfremden Interessen, von sozialen, wirtschaftlichen oder politischen Motiven, die die Religion überlagern oder gar für sich in Anspruch nehmen. Dabei ist die Heilige Schrift so eindeutig: „Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe. Das sage ich euch, damit eure Freude vollkommen werde."

Warum klappt es bloß so oft nicht mit der Freude, die uns Jesus machen will? Vielleicht, liebe Gemeinde, liegt es daran, dass wir etwas Entscheidendes übersehen, wenn wir dieses Gebot hören. Für mich ist es die Grundlage des Ganzen: „Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch. Bleibt in meiner Liebe!"

„Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch!" Das Ja Gottes zu unserer Person, das Ja Gottes zu einem Jeden und einer Jeden von uns - dieses Ja Gottes, die Bibel nennt es Liebe - dieses Ja Gottes ist die Grundlage und die Voraussetzung für das Ja, das wir zueinander sprechen können. Es ist ein Ja, das ganz tief reicht, das tiefer reicht als alles, was wir tun und haben. Und damit meine ich vor allem: dieses Ja Gottes umgreift unsere eigenen dunklen Seiten, unsere feindseligen Strebungen, unsere Schuld und selbst unsere Gottferne. Nicht dass er es billigen würde, nicht, dass er darüber hinweg gehen und darüber hinweg sehen würde - aber er verwirft uns nicht, er läßt uns nicht fallen deswegen. Das ist Liebe! Nicht alles gutheißen, was nicht gut ist. Aber das Schlechte nicht zum Anlass nehmen für den endgültigen Bruch.

Ich bin in Jesus Christus von Gott geliebt - nicht weil ich mich so vorbildlich wäre! Sondern weil er sich für mich entschieden hat - und zwar trotz meiner Unzulänglichkeit! Ich brauche mich vor ihm nicht zu verstecken und verleugnen, was in mir ruht an dunklen, an bösen Strebungen. Ich muss die Schattenseiten meiner Existenz nicht vor ihm verbergen. Im Gegenteil: seine Liebe öffnet den Raum, dass ich ungeschminkt in den Spiegel schaue. Bräuchten wir ein Schuldbekenntnis im Gottesdienst, wenn wir nicht wagen dürften, so offen vor Gott zu treten, immer im Vertrauen auf Barmherzigkeit, Gnade, im Vertrauen auf seine Liebe? Doch wer das Böse in sich selbst sehen kann und weiß, dass Gott dennoch Ja zu ihm sagt, braucht es dem anderen nicht mehr in die Schuhe zu schieben. Wer die Schuld bei sich erkennt, und weiß, dass Gott dennoch Ja zu ihm sagt, braucht nicht mehr den anderen zum Sündenbock zu stempeln. Wer sich von Gott akzeptiert weiß, auch mit seinen dunklen Seiten, muss sie nicht mehr im anderen bekämpfen. Ich muss mich nicht ins rechte Licht rücken indem ich andere in den Schatten stelle. Ich darf der Liebe Gottes gewiss sein. Er stellt mich ins Licht.

„Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch. Bleibt in meiner Liebe!" Ich stelle mir diese Liebe Gottes wie ein Kraftfeld vor. Indem ich mich darauf einlasse, indem ich mich auf sein Ja einlasse, trete ich ein in dieses Kraftfeld, setze ich mich diesem Kraftfeld aus. Und vielleicht fehlt es einfach daran oft. Ja, es fehlt am Entscheidenden, wenn ich das Gebot, dass wir einander lieben sollen, isoliert betrachte und es als eine moralische Anweisung nehme. Das greift zu kurz. Der Weg geht anders herum. Nicht dass ich liebe, sondern dass ich geliebt bin - das ist das Erste. Auch übrigens auf unserem Entwicklungsweg vom Säugling über das Kind zum Erwachsenen. Nicht dass ich liebe, sondern dass ich geliebt bin - das ist das Erste. Und dafür danke ich meinem Herrgott. Und daraus entspringt das Zweite: „...dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe." Daraus entspringt die Kraft zum Frieden.

Dazu abschließend der folgende Text aus einem Gebetbuch:

„Friede beginnt da, wo ich auch mal auf mein gutes Recht verzichte, statt es unter allen Umständen durchzusetzen.
Friede beginnt da, wo ich die Hand zur Versöhnung ausstrecke, statt sie zur Faust zu ballen.
Friede beginnt da, wo ich das erste Wort suche, statt das letzte zu behalten.
Friede beginnt da, wo ich den eigenen Irrtum zugebe, statt ständig Recht behalten zu wollen. Friede beginnt da, wo ich offen zu meiner Überzeugung stehe, statt mich hinter der Meinung der anderen zu verstecken.
Friede beginnt da, wo ich dem anderen auf die Beine helfe, statt ihm ein Bein zu stellen.
Friede beginnt da, wo ich dem anderen zulächele, statt ihn totzuschweigen.
Friede beginnt mit vielen kleinen Schritten und nicht mit vielen großen Worten."

 



Propst Wolfgang Schmidt
91140 JERUSALEM
E-Mail: propst@redeemer-jerusalem.com

(zurück zum Seitenanfang)