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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

23. Sonntag nach Trinitatis, 03.11.2013

In der Wahrheit leben dürfen
Predigt zu Matthäus 5:33-37, verfasst von Reiner Kalmbach


Die Gnade Gottes unseres Vaters, die Liebe Jesu unseres Herrn und die lebensspendende Kraft des Heiligen Geistes seien mit uns allen. Amen.


Gibt es jemanden unter uns der noch nie in seinem Leben gelogen hat? Das ist wohl eine rhetorische Frage. Wir leben mit der Lüge, ob wir wollen, oder nicht. Und manchmal schwören wir, dies oder jenes nicht getan zu haben, nur um die kleinere Lüge mit der „Extremlüge" zuzudecken. Aus der Seelsorge weiss ich, dass der Teufelskreis der Lüge einen Menschen in die Verzweiflung treiben kann. Und wenn wir schon vom Teufel sprechen: die Lüge ist sein Reich, die Lüge ist sein Wesen, die Lüge schafft Misstrauen, die Lüge hat immer auch mit Angst zu tun, die Lüge entzweit Menschen, Familien, Freunde, Ehepaare..., ja sogar christliche Gemeinden. Die Lüge bringt alles durcheinander...Und das ist ja gerade die „Mission" des Teufels: alles durcheinander zu bringen, Chaos entstehen zu lassen. Übrigends: die schlimmsten Lügen sind die „Halbwahrheiten"!
Während der Schöpfergott am Anfang Ordnung und Licht in das herrschende Chaos brachte, ist der Teufel für die Unordnung verantwortlich und all dessen, was uns das Zusammenleben so schwer macht.
Wenn Paulus sagt, dass niemand ohne Sünde ist, so bezieht sich das auch auf die Lüge.
Und Jesus hat dazu ein absolut klares Wort, das keinerlei Spielraum für menschliche Interpretationen lässt. Es ist ein Abschnitt aus der Bergpredigt, d.h. wir sollten dieses Wort mit besonderer Aufmerksamkeit hören und bedenken.

Wir hören aus dem 5. Kapitel des Matthäusevangeliums, die Verse 33 bis 37

Diese Predigt entsteht im argentinischen Süden, hoch in den Anden. Seit zwanzig Jahren sind wir im Land, im Dienst einer kleinen protestantischen Kirche. Es gibt Dinge die mir, selbst nach so vielen Jahren, immer noch schwer fallen zu verstehen. Dazu gehört auch die Leichtfertigkeit mit der viele Menschen Dinge versprechen, von denen sie wissen, dass sie diese niemals einlösen werden. Deshalb ist unser Predigttext so etwas wie „Wasser auf meine Mühlen".

Der „Wertverlust" des menschlichen Wortes ist in unserer Gesellschaft so weit fortgeschritten, dass man besser daran tut, überhaupt nichts mehr zu sagen. Einem Menschen Vertrauen schenken, ist praktisch nur noch auf den engsten Familien oder Freundeskreis beschränkt. Und alle Menschen scheinen dies zu wissen, oder zumindest unterbewusst zu spüren. Deshalb greift man einfach auf den Schwur zurück: „...ich schwörs dir..., bei meiner Mutter, bei meiner Ehre, bei...Gott...". Die Sozialkontakte werden mit Versprechungen aufrechterhalten: „...kommst du, kann ich mit dir rechnen?, aber natürlich! Ich komme auf jeden Fall...!" Man organisiert eine Veranstaltung, ein Gemeindeseminar, lädt dazu ein, alle sagen „ja, ich werde da sein, du kannst mit mir rechnen...", dann stehst du da, oft genug alleine...Warum fällt es uns so schwer „ja" oder „nein" zu sagen und in die Tat umzusetzen...?

In schmerzlichen Lektionen musste ich lernen, dass das Wort eines Menschen, selbst wenn es mit einem Versprechen untermauert ist, noch gar nichts bedeutet. Ob jemand sein Versprechen einhält, oder ob, wieder einmal, alles nur Schall und Rauch war, das kann man erst im Nachhinein beurteilen. Also, ich kann mich auf das Wort meines Nächsten nicht (mehr) verlassen.

Das klingt ziemlich hart, aber es ist unsere Wirklichkeit. Wer einmal einen (argentinischen) Politiker im Wahlkampf gehört hat, der weiss wovon ich spreche. Da wird der Himmel auf Erden versprochen. Vor einigen Jahren geriet ich zufällig in die Abschlussveranstaltung zur Wahl des Gouverneurs unserer Provinz (ähnlich eines Bundeslandes mit Ministerpräsident): „...wir werden diese Provinz in eine argentinische Schweiz verwandeln!", hörte ich da aus den Lautsprechern, die Antwort war tosender Beifall der Menge. Die Menge wusste, dass dieses Versprechen niemals eingelöst werden kann. Dennoch gewann er die Wahl. Heute sieht diese „Schweiz" so aus: wehe dem, der in ein öffentliches Krankenhaus eingeliefert wird!: es gibt praktisch nichts, keine Einwegspritzen (die muss man selbst kaufen), kein Verbandsmaterial, keine Krankenschwestern (die Familienangehörigen müssen dich rund um die Uhr pflegen...), in fast allen Ortschaften und Städten schiessen die Armensiedlungen wir Pilze aus dem Boden. Der Gouverneur ist zwei Mal wiedergewählt worden.

Zurück zu unserem Thema: die Menschen erleben es immer wieder: selbst das Wort wichtiger Leute hat jegliche Vertrauenswürdigkeit eingebüsst. Und wenn dann so ein Wahlversprecher in sein Amt eingeführt wird, dann schwört er mit der linken Hand auf der Bibel und die rechte Hand erhoben, im Namen Gottes und des Volkes. Dann gibt es noch einen interessanten Zusatz: sollte dieser Präsident, Minister oder Funktionär diesem Schwur nicht gerecht werden, so mögen ihn Gott und das Vaterland zur Rechenschaft ziehen...

Die Regierenden (und ihre Familien) füllen sich währenddessen ungeniert die Taschen mit Geld und haben aus der Lüge eine gute Gewohnheit gemacht..., aber nichts passiert, kein Volk ist da, um diese Leute zur Rechenschaft zu ziehen, kein Richter..., und Gott?, der greift auch nicht ein...

Es ist eben ein Teufelskreis: man kann dem Menschenwort nicht mehr vertrauen, deshalb lässt man sich alles schriftlich bestätigen, mit Unterschrift und Stempel.
Dabei sind alle Teil einer sogenannten „christlichen Gesellschaft", die eigentlich auf den biblischen Grundwerten funktionieren sollte.
Die Wahrheit sagen, die einfache Wahrheit, ohne „wenn und aber", ohne „Netz und doppelten Boden", hat doch auch mit dem Vertrauen auf Gott zu tun. Die Lüge bahnt sich ihren Weg, weil wir eben dieses Vertrauen verloren haben.

Den Konfirmandenkurs beginne ich immer mit der Berufungsgeschichte Abrahams: da geht es um ein Versprechen, das Gott einem Menschen gegenüber eingeht. Es ist ein Versprechen das ganz auf Zukunft ausgerichtet ist: „ich werde dich stets begleiten, ich werde dich (und deine Nachkommen) segnen, und du sollst ein Segen sein...". Die Bibel lehrt uns, dass sich dieses Versprechen, diese Verpflichtung, die Gott eingegangen ist, in der Geschichte des Volkes Gottes erfüllt hat und noch immer erfüllt. Es ist Gott selbst, der sich in diesem seinem Wort gibt: Er ist das Wort!, man kann den Schöpfer des Himmels und der Erden nicht von seinem Wort trennen! Wer seine Bibel kennt, der weiss, dass er sich auf dieses Wort verlassen kann, in aller Ruhe, ohne wenn und aber, ohne Angst, ohne Zukunftsangst...

Da sollte es eigentlich nicht so schwer sein, „angstfrei" mit dem Nächsten zu kommunizieren. Die Ursache der Lüge ist immer die Angst: „...was, wenn das ans Tageslicht kommt?!", dann wird alles unternommen, um das zu verhindern.

In jedem von uns lebt die Sehnsucht nach Wahrheit und Aufrichtigkeit. Sehnsucht nach Vertrauen als die Bedingung für das unzweideutige Ja und Nein. Wir wünschen uns dies von den anderen. Dabei merken wir nicht, dass wir diese Werte in uns selbst mit Misstrauen zudecken. Wir trauen dem anderen schon gar nicht mehr zu, dass er uns gegenüber aufrichtig ist. Deshalb sind wir es auch nicht.

Teufelskreis!, aus dem wir nur durch den Glauben ausbrechen können! Der Glaube ist nichts anderes als das grosse JA Gottes zu mir. Er sagt ja zu mir. Deshalb kann ich die Angst überwinden. Wenn Gott für mich ist, wer sollte mir da noch Angst einjagen?! Das ist kein Klischee, das ist die Lebens-und Glaubenserfahrung der Bibel.

Wir sind getaufte Mitglieder einer Kirche, wir nehmen am gottesdienstlichen Leben dieser Gemeinde Teil, wir sind heute hier versammelt, weil uns dies wichtig ist. Warum fällt es uns aber so schwer zu vertrauen?

Noch einmal: es geht um unseren Glauben! Da ist spürbar Macht am Werk, die Ja und Nein durcheinanderwirft. Die Bibel nennt sie „diabolos", den „Durcheinanderbringer", „Vater der Lüge"... Ein alter Mann, einer der „Pioniere" der Gemeinde in der ich Pfarrer war, in einer unglaublich armen Gegend im Nordosten Argentiniens, tröstete mich: „...warum wunderst du dich über das Misstrauen unter einigen unserer Gemeindeglieder, über die Lügen und Gerüchte die über andere verbreitet werden? Die Gemeinde Christi war schon immer das fruchtbarste Ackerfeld für den Teufel. Gerade sie versucht er zu zerstören..., die anderen, die hat er ja sowieso schon..."

Gottes Merkmal ist es, Ja und Nein unverbrüchlich zu scheiden, nein zu sagen zur Sünde, aber Ja zum Sünder, nein zu unseren Taten, die gezeichnet sind von Lüge und Misstrauen..., aber ja zu unserer Person. In dieser Unterscheidung, die nichts anderes ist, als Gnade, liegt das Wesen der Liebe, von der gesagt ist: „sie freuet sich der Wahrheit" (1.Kor. 13,6).

Das Ja Gottes unglaubwürdig machen, es bis zur Unkenntlichkeit zu verwischen, das ist das teuflische Ziel schlechthin. Es ist der Unglaube, der da alles durcheinanderbringt. Das Ja Gottes zu mir wird zugedeckt, ich spüre es nicht mehr..., das ist die Grundursache meiner Angst, daraus entspringt die Lüge, wie eine Schwefelquelle am Fusse eines Vulkans.

Wie können wir diesem Teufelskreis entrinnen? Sich das Ja Gottes verdienen zu wollen, ist der Ursprung aller Lüge. Aus Angst wird gelogen, es könnte im Letzten nein gesagt werden zu uns. „Wie stehe ich denn da, wenn das herauskommt...?!"

Vertrauen, d.h. die Wahrheit sagen, die Wahrheit leben, kann man lernen. Es beginnt da, wo Gott Ja zu mir sagt. Dieses Ja neu hören lernen, zum Beispiel im Umgang mit einem anderen Menschen. Ohne Angst mich ihm „zeigen", wie ich bin, wer ich bin...Ehrlichkeit, Offenheit („so bin ich!") wird nicht mit Misstrauen beantwortet werden. Wenn wir diesen Schritt wagen, kann der andere ebenfalls „aus sich heraus", er kann sich mir so zeigen, wie er wirklich ist. Diese Erfahrung kann uns helfen neue Schritte in der Wahrheit zu gehen, in der ganz einfachen Wahrheit.

Es ist die neue Wirklichkeit, die Jesus anspricht: es geht nicht um ein Verbot der Lüge, „du sollst nicht lügen, du sollst nicht schwören...!", ein Verbot das niemand einhalten kann!, sondern: „du musst nicht (mehr) lügen."

Der Teufelskreis hat sich aufgelöst, weil über ihm das grosse Ja meines Schöpfers und Retters gesprochen wurde.

Am Anfang erwähnte ich die Bergpredigt: sie ist Seine Botschaft an uns. Wer hier spricht ist Gott selbst. „Ich aber sage euch...!", die Nebel lösen sich auf, alles ist klar. An dieser Predigt scheiden sich die Geister!, hier geht es um die klare Unterscheidung: Ja oder Nein

Und wir dürfen dieses Wort hören, der Teufel ist ausgetrieben, es bleibt die Wahrheit: Jesus Christus.

Amen.




Pfarrer Reiner Kalmbach
8370 San Martin de los Andes (Provinz Neuquén) Patagonien – Argentinien –
E-Mail: reiner.kalmbach@gmail.com

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